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Eibsee, Oberbayern

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»Walnussparfait an einer Komposition von Waldfrüchten!«

Die brünette junge Frau stellte die riesigen Glasteller, auf denen die Beeren mit dem Eis in der Mitte Fangen zu spielen schienen, auf den Tisch und gewährte als Zugabe noch einen Blick in ihr beachtliches Dekolleté. »Guten Appetit!«

»Werden wir haben«, sagte Simon. Er blickte zu seinen Kollegen hinüber. Die beiden Männer waren noch immer in ihren Disput über ein ungemein wichtiges mikrobiologisches Problem vertieft und verpassten so die makrobiologischen Sehenswürdigkeiten. Die appetitliche Bedienung in ihrem Dirndlkleid stolzierte davon und balancierte einen Turm von gebrauchten Tellern zur Küche.

»Nehmen wir danach noch einen Drink an der Bar?«, fragte Simon in Richtung der Mikrobiologieexperten.

Kopfschütteln. Die Arbeit ruft. Natürlich.

Tja, war das die wahre Wissenschaft? Wohl kaum jene richtige Wissenschaft, von der dieser Greyson gesprochen hatte. Simon rollte mit dem Löffel die dicken Blaubeeren auf seinem Teller hin und her und versuchte, mit einem präzisen Pass das Eis auszuspielen.

Und die wahren, richtigen Freunde? Was war aus seinen guten Freunden geworden? Kleine Kinder, Windelnwechseln, wo kauft man die gesündesten Bio-Gemüsegläschen, entschuldige, ich muss jetzt Ben und Leon zur Krabbelgruppe bringen, treffen wir uns später auf dem Spielplatz? Oder unvermindert wildes Leben, Party, je später desto besser, Sex, Drugs and Rock’n’Roll, verkrampft jung geblieben, ewige Flucht vor dem Erwachsenwerden, und jetzt rennt die Zukunft vor euch davon. Tja, wo waren seine Freunde geblieben? Die Karrieristen, die nur noch ihren Beruf und ihre Ellbogenarbeit im Kopf und sowieso zu nichts Zeit hatten? Die Kollegen vom Institut? Ganz überwiegend Vertreter der Kinder- und Karrieristengruppe sowie ihrer verschiedenen Schnittmengen, mit denen er jeden Privatkontakt mied. Seine Kumpels vom Squash? Kai, der Chaosforscher, und seine Freaks, die ihm am Rande der Legalität und darüber hinaus schon so manchen Gefallen getan hatten, wofür er sich auf ähnlich zwielichtige Weise revanchierte? Und Katja? Die wusste auch immer, was das »Wahre« und »Richtige« für ihn war, und sie würde wohl keine Ruhe geben, bis sie ihn in das Bild von dem Mann verwandelt hatte, den sie für sich und ihre Familie haben wollte. Aber ob sie auch ihn, Simon, eigentlich haben wollte oder nur dieses Bild, dessen war er sich mittlerweile nicht mehr ganz sicher.

Das Dirndl kam zurück. »Haben die Herren noch einen Wunsch?«, gurrte sie.

Tja, wenn ich dich so ansehe, dachte Simon. Schon, ja. Aber natürlich war das hier ein seriöses Hotel, in dem man möglichst nur Wünsche aussprach, die sich auch mit Hilfe der Speisekarte befriedigen ließen. Und da war ja auch Katja, noch immer, auch wenn sie ihm dieses leidige Ultimatum gestellt hatte: entweder mehr Zeit für sie und weniger für die Forschung oder auf einen Schlag ganz viel Zeit für seine Arbeit und tschüss. »Überlege es dir bis übernächstes Wochenende«, hatte sie ihm als Verabschiedung in ihrem typisch schnippischen Tonfall auf die Reise mitgegeben.

Simon seufzte. Er steckte in einer Zwickmühle, aus der ihn auch kein erträumtes romantisches Abenteuer mit einem über Gebühr gastfreundlichen Serviermädchen des Eibsee-Hotels zu befreien vermochte. Er sah die geduldig Wartende abschiedsvoll lächelnd noch einmal an und stellte sich vor, wie er seinen Kopf in diesem breiten bajuwarischen Dekolleté vergrub und sie die Arme um ihn legte und ihn noch tiefer in sich hineindrückte. Einfach tief ineinander hinein, ohne zu denken. Eine bodenständige, normale Frau, die ihn nahm, wie er war, und sich mit ihm bedingungslos in die rauschhaften Freuden der Nacht stürzte, keine überkandidelte Tochter aus besserem Hause, mit der man vor jedem Kuss erst unzählige Grundsatzdiskussionen führen musste. Er schüttelte den müßigen Traum von sich.

»Danke, nein. Wir sind wunschlos glücklich«, log Simon und stand auf. »Gute Nacht allerseits.« Er verließ das Restaurant und steuerte die Aufzüge an.

»Dr. Haydeck! Guten Abend! Nehmen Sie mit mir noch einen Drink an der Bar?«, rief jemand laut von der Seite, wo rechts einige Stufen hinaufführten. Vor dem mit dunklem Leder gepolsterten Tresen stand Greyson und winkte ihm zu.

Die richtige Seite? Na gut, fühlen wir dem Angeber mal auf den Zahn. Simon bog ab und stieg die kleine Treppe hinauf.

»Was nehmen Sie?«, fragte Greyson und winkte schon nach dem Barkeeper.

Simon dachte an seine Zeit als kleiner Knirps beim Judo. Wer zuerst greift, ist im Vorteil. Pack ihn. »Sie wissen ziemlich viel über mich, stimmt’s, Greyson?«

»Nun ja …«

»Aber nicht alles. Wie zum Beispiel, dass ich als Uniforscher ein fürstliches Gehalt beziehe, das nicht nur für jede Trauminsel, sondern sogar noch für Ihren Drink locker reicht. Also Greyson: Was nehmen Sie

»Wenn das so ist … Nun, Champagner natürlich«, feixte der Ami. »Zu diesem Abend passt Champagner.«

Mist. Der Typ hatte ihn drangekriegt. Simons Sparsamkeitsgen machte sich bemerkbar, mahnte zur Vernunft. »Also zwei Gläser …« Seine sture Seite meldete sich, verbündete sich mit seinem Kampfgeist. Einmal herausgefordert, richtig dagegenhalten. »Eine Flasche Veuve Clicquot bitte.«

Ein breites Grinsen überzog das Gesicht des Amerikaners.

»Woher kennen Sie meinen Chef?«, fragte Simon.

»Wie kommen Sie darauf, dass ich ihn kenne? Weil ich seinen Namen genannt habe? Nun, heute beim Frühstück unterhielten sich einige Kongressteilnehmer laut über Ihr Institut, ich war quasi gezwungen zuzuhören.« Das breite Grinsen schrumpfte zu einem unverbindlichen Lächeln.

Sackgasse. Der Typ schwindelte, ohne eine Miene zu verziehen. Vom Lächeln mal abgesehen.

»Und darf man fragen, was Sie so treiben, Mr. Greyson?«

»Selbstverständlich dürfen Sie. Ich verkaufe Dinge.«

»Dinge? Das ist ein wenig – allgemein.«

»Nun ja, schon besondere Dinge. Einzigartige könnte man sagen.«

»Einzigartige Dinge?«

»Dr. Haydeck, was tun Kinder am liebsten?« Greyson nippte an seinem Schampus.

»Spielen?«

»Ja, natürlich auch, aber was tun sie am allerliebsten?«

Simon zuckte die Schultern.

»Wetteifern. Sie möchten sich ständig übertrumpfen. Ich renne schneller als du, ich bin viel stärker, mein Bagger ist am größten und immer so weiter. Und was wird aus Kindern? Sie werden erwachsen. Aber sie wollen einander immer noch übertreffen, mehr sogar als je zuvor.«

Eine Flasche Champagner für diese Story. Schlechtes Geschäft, Simon. Er nippte an seinem Glas. »Ist das nicht eine ziemlich alberne Sichtweise, Mr. Greyson?«

»Albern? Natürlich. Aber das ist der Lauf der Welt, mein Lieber.« Greyson leerte sein Glas, als sei es dünnes Budweiser-Bier. »Waren Sie mal in Monaco, Herr Haydeck?«

»Ich war einige Stunden dort und froh, schnell wieder wegzukommen. Spielkasino, Hochhäuser, hochnäsige Menschen, protzige Wagen und all das Zeug. Nicht meine Welt.«

»Aber der Hafen? Sie erinnern sich doch bestimmt an den Hafen? Der Bankmanager hat eine 30-Meter-Jacht. Der Immobilientycoon kauft sich eine 40-Meter-Jacht und der Scheich oder neureiche Russe nebenan gibt daraufhin eine 50-Meter-Jacht in Auftrag. Kinder, Herr Dr. Haydeck. Große, aber sehr, sehr reiche Kinder!«

»Sie verkaufen also Schiffe an große reiche Kinder?«

»Aber nein, wo sollten wir denn hier Schluss machen? Bei hundert Metern, bei zweihundert Metern? Bei fünf Decks oder zehn? Nein, so etwas langweilt meine Kunden.«

Der Spinner. »Eine 100-Meter-Jacht langweilt Ihre Kunden? Was langweilt sie denn nicht?«

»Eben das Einzigartige, das Besondere.«

»Ich nehme an, Ihre Kunden sind dann auch etwas ganz Besonderes?«

»Zumindest was ihren finanziellen Hintergrund angeht«, lächelte Greyson, »ist das durchaus zutreffend.«

Das Unikat - Thriller

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