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Eibsee, Oberbayern

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Die Aufzugtür glitt auf und gab den Blick auf die Rezeption frei. Eine junge blonde Frau in der blauen Hoteluniform stand dahinter und telefonierte. Simon zog den Zimmerschlüssel aus der Jackentasche und reichte ihn über den Tresen. Die Blondine bedeutete ihm mit einer Handbewegung, einen Moment zu warten. Von mir aus.

Alles abgearbeitet, der Abend konnte beginnen. Unten in Garmisch würden bald die ersten Lokale zum Après-Ski öffnen, auf der Jagd auch nach Nordlichtern wie ihm, um den kühlen Hanseaten für die nächsten Stunden in ein geldspeiendes Partymonster zu verwandeln. Ihm stand der Sinn nicht nach Monster. Aber er hatte große Lust auf ein kühles, herbes Pils irgendwo abseits vom steifen Hoteltreiben. Und zur Not würde es auch ein bayrisch vollmundiges Helles tun. Oder zwei.

Simon begutachtete die Frau auf der anderen Seite des Tresens. Sie war hübsch, aber nicht sein Typ. Simon stand nicht sonderlich auf Blondinen. Es reichte, wenn er selbst einigermaßen blond war. Ihn lockte mehr die geheimnisvoll dunkle Bauart. Jetzt nimm schon den Schlüssel, verdammt!

Endlich machte das Telefon klick. Das blonde Wesen hinterm Tresen zögerte noch immer, Simons Zimmerschlüssel entgegenzunehmen. »Wollen Sie denn jetzt wirklich weggehen?« Ihr Lächeln war vieldeutig, wenn nicht gar leicht anzüglich. »Die Dame wäre bestimmt enttäuscht.«

»Was für eine Dame?«

»Sie wartet schon seit einigen Minuten. Ich darf vorangehen?« Sie tauchte hinter dem Tresen hervor und stolzierte zur Eingangstür des Restaurants. »Da hinten, am Ecktisch.«

Eine unbändig schwarz gelockte Schönheit mit dunklem Teint, dunklen Augen und dafür umso weißeren, blitzenden Zähnen unterhielt sich gerade angeregt mit der Bedienung und untermalte ihre Worte mit lebhaften Gesten. Von Ebony and Ivory hatte Paul McCartney einst im Duett mit Stevie Wonder gesungen, da war Simon gerade mal zehn oder so. Hier waren nun Ebenholz – na ja, vielleicht doch eher Mahagoni – und Elfenbein in höchster Delikatesse in nur einem Menschen vereint. Womöglich eine Spur zu stark geschminkt, meldete sein nüchterner Beurteilergeist dazwischen, hat so eine das denn nötig? Oder will sie einfach um jeden Preis auf Nummer sicher gehen? Simon jedenfalls steckte den Schlüssel zusammen mit seinen Gedanken an einen Kneipenabend in Garmisch ganz unten in seine Hosentasche und trabte zu dem Tisch hinüber.

»Sie müssen Dr. Haydeck sein.« Eine melodische Stimme mit einem holländischen Akzent. »Bitte setzen Sie sich doch. De Jong. Miriam de Jong. Ich freue mich, dass Sie kommen konnten.«

Simon nahm Platz und suchte verzweifelt nach dem richtigen Spruch. Oh, lass mich ertrinken in deinen dunklen Augen, friss mich auf mit deinen weißen Zähnen. Nur sprechen will ich jetzt nicht. »Blind Date am Eibsee? Speed-Dating? Wie viele Minuten habe ich?«, hörte er sich stattdessen sagen. Wie abgeschmackt.

Immerhin, sein Gegenüber lachte auf. »So viele Sie wollen.« Sie schüttelte ihre Mähne, legte den Kopf selbstbewusst in den Nacken und sagte kokett: »Wie Sie sehen, gibt es nicht nur Ladenhüter beim Dating!« Keine Frage, sie wusste, wie umwerfend sie aussah.

»Ja, allerdings. Sie …«

»Übrigens, ganz so blind ist unser Date nicht. Ich bin Mr. Greysons Assistentin. Ich komme gerade aus Berlin. Er meinte, ich müsste Sie unbedingt kennenlernen.«

»Und wieso?«

Miriam setzte ein übertrieben betroffenes Gesicht auf, um ihm dann ein warmes Lächeln zu schenken. »Weil wir beide, wie er meint, jeweils ein Ekel von Chef haben und eine Schicksalsgemeinschaft der Leidenden bilden sollten.«

Schicksalsgemeinschaft gerne, aber nach Leiden siehst du mir nicht aus. Sie spielte mit ihm, leichthin, locker, aber wie hieß das Spiel? Simon sah sich auf dem Tisch um. Es war für drei Personen gedeckt. Was wurde das hier? Dieser Aufschneider brachte jetzt seine geheime Wunderwaffe zum Einsatz. Seinetwegen? Ein bisschen viel der Ehre. Aber zugegeben, die Geheimwaffe hatte es in sich. Ihre Wirkung wühlte schon in ihm.

»Dr. Haydeck?«

Simon fing seine ausschweifenden Gedanken wieder ein und schaltete in den Konversationsmodus zurück. »Verzeihung! Ich mag Ihren Akzent, und wenn ich Sie so anschaue … da verpasst man schnell mal seinen Einsatz.«

Sie lächelte. Freundlich, offen, Spielpause. »Mein Vater ist niederländischer Diplomat, meine Mutter stammt von den Niederländischen Antillen. Sie sehen, ich bin eine ziemlich bunte Mischung.«

»Aber eine durchaus gelungene!« Bunt? Wie McCartney so schön sang … Aber wenn ich ihr das jetzt sage, findet sie vielleicht irgendeinen Dreh, das Kompliment rassistisch zu finden. Katja jedenfalls würde so reagieren, die war Meister darin, aus jedem Lob eine versteckte Kritik zu destillieren. Also lass es lieber.

»Danke! Wir sind viel herumgezogen, ich weiß gar nicht, in wie vielen Ländern ich zur Schule gegangen bin, bis …«, sie stockte kurz, »bis mein Vater uns verlassen hat. Und dann …«

»Da sind Sie ja, guten Abend, Doktor!«, kam eine Dampfwalze mitten in ihr Gespräch gefahren. »Sie haben ja noch gar nichts zu trinken.« Doch, habe ich! Ich trinke hier mit Augen und Ohren, Greyson!

Der unsensible Ami ruderte mit den Armen in der Luft und rief mit einer Lautstärke nach der Bedienung, als stünde er in der Fankurve eines Fußballstadions. Die Leute am Nachbartisch wandten sich indigniert ab. »Und wo bleibt das Essen?« Greyson stampfte mit den Füßen und gab die US-Parodie von Rumpelstilzchen.

Die Tür zur Küche flog auf und mehrere Bedienungen schleppten große Teller mit dampfenden Speisen heran, begleitet von einer Wolke würziger Düfte, die unvermittelt ein tiefes, schwarzes Loch in Simons Bauch klaffen ließen. Voller Löcher war er auf einmal. Ein Loch im Bauch, ein Loch im Leben, ein Loch im Herz, in den Lenden … Zumindest Ersteres würde sich wohl gleich stopfen lassen.

»Guten Appetit, Doktor!«, sagte Greyson, säbelte ein beachtliches Stück von seinem gewaltigen Steak, für das wohl etliche Quadratmeter Amazonasdschungel der Sojafutterproduktion gewichen waren, und vergrub seine zupackenden Zähne darin. »Und dir natürlich auch, Miriam!«

Seine Assistentin war fast vollkommen hinter einem Berg aus Salat und Meeresfrüchten verschwunden und angelte zielsicher nach den Austern. Die wusste zuzulangen und zu genießen, keine so verklemmte protestantische Hanseatentochter wie Katja.

Simon betrachtete sein Chateaubriand mit Sauce béarnaise. Sein Lieblingsgericht, zumindest bis vor etwa zwei Jahren. Als Katja ihm das mit dem Soja, dem Klima und dem Regenwald eingetrichtert hatte, ihn auch zum Vegetarier machen wollte, weil da weniger Fett im Spiel war und … vor allem wohl weil auch alle ihre schicken Freundinnen mittlerweile auf diesen Zug aufgesprungen waren.

Aber dieses Chateaubriand, verflucht, es war herrlich. Wie viel wusste dieser Ami eigentlich noch über ihn? Da steckte jemand seine Nase in Dinge, die ihn nichts angingen.

»Was wollen Sie von mir, Greyson?«, zwang sich Simon in die Konversation zurück und schob sich schnell noch eine Gabelvoll zartrosa Fleisch in den Mund. Sublimierter Regenwald, von unseren Kindern und Kindeskindern geklaut.

»Nun, Herr Dr. Haydeck, wir haben eine Art Stiftung, die eine private Forschungseinrichtung in der Nähe von Berlin betreibt. Überaus interessante Aufgaben, sehr großzügige finanzielle Ausgestaltung, keine bürokratischen Hürden, kurzum: der richtige Platz für einen Wissenschaftler, um sich frei entfalten zu können. Der richtige Platz für Sie.«

Raus aus der Sackgasse in Hamburg? Konnte dieser Typ Gedanken lesen? Da hatte sich jemand genau informiert, wusste fast besser Bescheid über ihn als er selbst.

»Schauen Sie sich’s mal an«, schlug Greyson vor, während er mit Riesenbissen seinem Steak weiter zu Leibe rückte wie ein Bagger. »Im März haben wir ein Meeting dort, Sie sind herzlich eingeladen. Und Frau de Jong wird natürlich auch dabei sein.«

»Ein Meeting? Bestimmt die wahre, richtige Wissenschaft, oder? Ich werde es mir überlegen.« Simon harpunierte beherzt einige Pommes frites mit der Gabel und badete sie in der gelben Soße.

»Überlegen? Miriam, was sagst du?«, wandte sich Greyson lässig an seine Assistentin. »Wird unser Doktor kommen?«

»Werden Sie?«, fragte Miriam und blitzte Simon herausfordernd an. »Ich würde mich freuen.«

Schon mal ein Argument. »Also ich …«, begann Simon.

»Wie wäre es mit einer Wette?« Greyson nahm sich gar nicht erst die Zeit, Simons Antwort abzuwarten.

»Was denn für eine Wette?«

»Die Wette geht so«, sagte Greyson und zog sein Scheckbuch aus der Tasche. »Ich wette, dass Sie uns in drei Wochen besuchen kommen.«

»Und falls nicht?«

Greyson kritzelte auf einem Scheck herum. »Dann können Sie den hier ab dem 1. April einlösen und irgendwo anders hinfahren.«

Simon sah auf die Zahl. 10 000 Euro. Der Typ hatte sie nicht alle. »Ein vorgezogener Aprilscherz?«

»Nicht im Geringsten.«

»Und wenn ich komme?«

»Dann hat das große Baby hier gewonnen und freut sich den ganzen Tag darüber«, schaltete sich Miriam ein.

»Das ist die blödeste Wette, von der ich je gehört habe, Greyson. Ich brauche nur Ihre Einladung auszuschlagen und kann für 10 000 Euro verreisen, wohin ich will?«

»Exakt.«

Was für ein Abend. Das war komplett verrückt. Ein überreicher Stalker, der ihn hier überall verfolgte und ihm dann eine Menge Geld bot, wenn er seiner Einladung nicht folgen würde?

»Greyson, warum tun Sie das?«

»No risk, no fun!«

Ein Fall für den Psychiater. Komm, Simon, schau, dass du von hier wegkommst, das ist nichts für dich. Die Stimme der Vernunft. Aber da waren noch andere Stimmen und Lockrufe. Ein wildes, aufgeregtes Durcheinandergeschnatter. Auf wen sollte er hören? Wenn da nur diese abgrundtief schwarzen Augen nicht wären. Und die verführerisch blitzenden Zähne.

Das Unikat - Thriller

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