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Brandenburg

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Verzerrte Gitarre, ein manischer Schlagzeugwirbel, der von der Stimme Kurt Cobains zerrissen wird. When I was an alien, cultures weren’t opinions … Erst schreit er sich die Seele aus dem Leib, dann schießt er sich das Hirn aus dem Kopf. Nevermind war Simons Lieblingsplatte gewesen, als er neunzehn war. Jetzt hörte er sie nur noch manchmal, wenn er sich Mut machen wollte und die rohen Energien in sich entfesseln wollte. So wie jetzt. Gotta find a way to find a way, when I’m there … Aber hier draußen schien er vielleicht doch auf dem Holzweg zu sein. Seit er in einem Ort namens Wölsickendorf-Wollenberg, der, wie ihn das gelbe Schild informierte, zur Verbundgemeinde Höhenland gehörte, die Bundesstraße 158 verlassen hatte, waren die Straßen immer schlechter geworden. Und sobald er dieses letzte Nest Rädikow, Gemeinde Wriezen, passiert hatte, mehr eine zögerliche Versammlung von Häusern als ein Dorf, konnte von einer Straße eigentlich gar nicht mehr die Rede sein.

Ein hässlich schabendes Geräusch übertönte kurzzeitig das brachiale Dröhnen des Trios aus Seattle. Sein Mazda war erneut aufgesetzt. Simon schaltete den CD-Spieler aus und schaute auf sein Navigationsgerät. Seit einigen Minuten sah er nur noch die entmutigende Zeile out of range. Na klasse. Wo hatten sie ihn denn da hinbestellt? Schon wieder rumpelte es gefährlich unter ihm. Eine Rückfahrt ohne Auspuff? Vielleicht ohne Bremsleitung? So machte Cabriofahren selbst in der lauen Frühlingsluft keinen Spaß. Er kaute auf seiner Unterlippe herum, schmeckte Staub und Dreck der Landstraße. Ringsum Weiden ohne Ende, in der Ferne Wald, ein Hauch von Frühlingsgrün auf den Stoppelfeldern. Rechts ein schmaler Graben mit schmutzig braunem Wasser. Wozu eigentlich dahinter die elektrischen Zäune? Durch diese ekelige Brühe würde nicht einmal ein so dummes Weidetier wie eine Kuh freiwillig stapfen, um dann auf der anderen Seite auf einer ebenso langweiligen Wiese anzukommen. Country roads …

Simon hielt an. Jetzt reichte es aber. Verarschen kann ich mich selber. Er schaute sich um. Irgendwo ein seitlich abgehender Feldweg zum Wenden? Plötzlich klingelte sein Handy.

»Warum fahren Sie denn nicht weiter, Dr. Haydeck?« Das war Greysons Stimme. Wie zum Teufel … »Noch achthundert Meter geradeaus, dann nach rechts auf das kleine Wäldchen zu. Beeilen Sie sich, der Kaffee wartet schon!«

Irgendwo mussten sie Kameras installiert haben. Wirklich professionell, er hatte nichts bemerkt.

Simon rang einen Moment mit sich und gab dann Gas. Er würde Greyson die Reparaturrechnung mit Vergnügen auf den Tisch knallen. Der Mazda rumpelte den Feldweg entlang, knarrte, ächzte, sprang über die Rillen wie ein störrisches Fohlen. Im Rückspiegel sah Simon den Dreck aus den Pfützen spritzen. Da vorne war das Wäldchen. Beim Näherkommen bemerkte er einige verfallene Stallungen und ein ziemlich abgewracktes Haupthaus. Wirklich imposant. Und der Typ wollte eine eigene Insel haben? Diesem Aufschneider würde er was erzählen. Nur erst mal ankommen, ohne den Wagen völlig zu ruinieren.

Simon passierte ein Gatter, das aussah, als würde es schon beim leichtesten Dagegenfahren auseinanderfallen, und fuhr dem Haupthaus entgegen. Ein großer Mann in hohen Cowboystiefeln, einen fleckigen Filzhut auf dem Kopf und eine Mistgabel in der Hand, winkte ihm zu. Die Stiefel waren mit farbigen Ziernähten versehen, aber schmutzig und abgetragen. Personal allerbester Qualität. Ein Bauer! Gute Güte, wenn das so weiterging. Simon parkte vor dem Haus, schnappte sich seine Tasche und stieg aus. Frische Landluft, roch der Typ so streng oder kam das aus der Scheune?

»Herzlich willkommen, Herr Dr. Haydeck«, sagte der Mann überraschend gewählt und mit einer sonoren Stimme, die eher zu einem Opernsänger gepasst hätte. »Mr. Greyson erwartet Sie schon. Sie können mich Sam nennen. Ich bin hier der Facility Manager. Und, na ja, eine Art Mädchen für alles.«

Facility Manager. Innerlich schnaubte Simon verächtlich. Warum muss man heute jedem noch so popeligen Job mit einem englischen Begriff einen pseudovornehmen Anstrich geben? »Hausmeister« hätte es doch auch getan. Für Simon würde dieser Mann bis zum Beweis des Gegenteils jedenfalls schlicht ein Bauer bleiben. Da mochte er noch so gewählt und wie ein Heldenbariton klingen.

Sam hielt Simon die stabile Holztür auf. Der Raum sah genauso aus, wie man sich ein seit Jahrzehnten nicht renoviertes Zimmer in einem Brandenburger Bauernhaus vorstellen würde. Abgetretene Dielen mit Resten brauner Farbe, abgeranztes Mobiliar, das schon lange bessere Zeiten hinter sich hatte, fahlweiß gestrichene Wände mit kitschigen Bildern verschiedener Tiere. Lustige Lämmlein. Röhrende Rothirsche. Gackernde Gänse. Du lieber Himmel, was für ein Ambiente.

Greyson empfing ihn mit einem triumphierenden Lächeln. »Willkommen in meinem bescheidenen deutschen Heim, Doktor!«

Ein zögerliches »Guten Tag!« war alles, was Simon hervorbringen konnte. ›Bescheiden‹ war für diese Bruchbude noch eine grandiose Übertreibung.

»Folgen Sie mir bitte nach hinten; Miriam ist auch schon da«, sagte Greyson und verschwand in einem schmalen Flur. Er stieß die verblichene Tür am Ende des Ganges auf.

Miriam! Simon folgte ihm mit klopfendem Herzen und blieb verwundert stehen. Vor ihm lag ein Raum, der auch als Empfangssaal eines kleinen englischen Schlosses hätte durchgehen können. An den Wänden aufgereiht antike Möbel, von silberfarbenen Strahlern effektvoll beleuchtet, dazwischen Bilder und Wandteppiche, drapiert wie für das Titelblatt von Christie’s nächstem Auktionsprospekt. Die Mitte beherrschte ein langgezogener Tisch, eingedeckt mit goldberandetem Porzellan und Silberbesteck, über dem ein wuchtiger Kristallleuchter den Wettstreit mit den Wandlampen längst für sich entschieden hatte. Simon machte einen zögernden Schritt. Die matt glänzenden Seidenteppiche fühlten sich sogar durch die Schuhsohlen noch so weich an, als seien sie viele Zentimeter dick.

Ein leises Zischen, gefolgt von einem metallischen Klacken, ließ ihn herumfahren. Aus der Wand war eine Stahltür geglitten und hatte die Holztür, durch die er gekommen war, vollkommen verdeckt.

»Nur eine kleine Vorsichtsmaßnahme«, erklärte Greyson mit einem hintergründigen Lächeln. »Wir sind sehr um die Sicherheit unserer Gäste bemüht.«

Simon war zu verblüfft, um irgendetwas Vernünftiges zu antworten. »Was ist das hier, Mr. Greyson?«, fragte er, fasste sich wieder. »Eine getarnte Festung?«

»Setzen wir uns doch«, überging Greyson seine Frage. »Ich bin sehr erfreut darüber, dass ich mich in Ihnen nicht geirrt habe und meine Einladung Sie überzeugt hat. Ich werde Ihnen bald unser Team vorstellen. Wir nehmen aber zuvor einen Kaffee und machen dann einen ersten Rundgang, damit Sie sich ein Bild von der Anlage verschaffen können. Den Forschungsbereich werden Sie später sehen, das Beste kommt immer zuletzt.«

Wie aus dem Nichts erschien Miriam und balancierte ein Tablett mit einer dampfenden Kanne darauf und Schalen mit verschiedenen Keksen. »Schön, Sie zu sehen.« Sie strahlte Simon an. Ihre gute Laune, authentisch und klar, hauchte dem musealen Raum Leben ein, Frische und Elan.

»Und Sie zu sehen ist noch schöner«, gab Simon zurück. »Kaffeeklatsch im Schloss und in so charmanter Begleitung – was will man mehr?« Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und atmete tief durch. Es roch nach Südamerika, als wehe ein warmer Wind den Duft der Plantagen am Fuße der Kordilleren durch den Raum. Fremd und doch vertraut, überraschend, als könnte man die Farbe Grün riechen.

Simon blickte in die kleine Runde. Wo sollte das alles hinführen? Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Er nippte an seinem Kaffee. Das Aroma zog ihn in seinen Bann. Er konnte sich nicht erinnern, jemals etwas ähnlich Gutes aus einer Kaffeetasse getrunken zu haben. Stark und mild zugleich, intensiv und betörend. Er nahm noch einen Schluck. Erdig und fein, rau und sanft, laut und leise zugleich, ein Konzert der Geschmäcker, die Essenz eines Kontinents in einer Tasse.

»Von meiner Plantage in Venezuela. Und aus ganz besonderen Pflanzen gemacht«, zerriss Greyson die Stille und gönnte sich selbst einen tiefen Schluck. »Ich nehme ihn auf jede Reise mit und lasse ihn mir überall, wo ich gerade bin, speziell zubereiten.«

Besondere Pflanzen? Wie meinte er das? Die Bohnen hierfür jedenfalls gab es wohl kaum in einem Laden um die Ecke zu kaufen.

Nach einigen Runden unverfänglichen Geplauders schaute ihn Miriam auffordernd an. »Wie wäre es mit einem kleinen Rundgang?«

»Unbedingt. Mit Ihnen gehe ich überall hin.«

»Nun, wir sehen uns dann später«, schmunzelte Greyson und entließ sie mit einer Handbewegung wie ein Fürst.

Er ließ ihn mit Miriam allein? Sollte sie ihn ködern? Dann köder mal los! Ihm konnte es recht sein. Sie verließen den Raum durch die hintere Tür und traten auf einen großen Hof. Die Stallungen dahinter waren hochmodern. Irgendetwas an ihnen war merkwürdig, aber Simon wusste nicht was.

»Mögen Sie Pferde?«, fragte Miriam.

»Oh ja, ich bin als Jugendlicher im Umland von Hamburg oft geritten, aber nun habe ich seit geraumer Zeit nichts mehr mit ihnen zu tun gehabt.«

Hufe klapperten und Pferde kamen herausgelaufen. Neugierig wie meine Hauswartsfrau, dachte Simon. Und schön. Nein, nicht nur schön, sondern perfekt. Simon sah in den Stall. Jetzt wurde ihm klar, was hier anders war. Es gab im Inneren keinerlei Unterteilungen, keine Gatter, keine Boxen. Keine Türen, die die Tiere an der Flucht und andere Tiere am Eindringen hindern würden. Hunde, Füchse, irgendetwas, was die Pferde in Panik versetzen könnte. Warum? Und das hier draußen in der Wildnis.

Simon stand jetzt einem riesigen pechschwarzen Pferd gegenüber.

»Das ist Agamemnon«, erklärte Miriam. »Mein Liebling.«

Die großen schwarzen Augen des Tieres fixierten Simon, nagelten ihn förmlich fest. Simon wurde ein wenig unheimlich. Das Pferd schaute ihn an, als könne es seine Gedanken lesen, und gab dann einen tiefen Brummton von sich.

»Er mag sie«, sagte Miriam unvermittelt und streichelte über den großen Kopf des Hengstes. »Geh, Agamemnon, und hol dir etwas zu fressen.«

Simon traute seinen Augen nicht, als sich das Pferd umdrehte und einem in der Ecke der Stallung aufgestellten Futtertrog zustrebte. »Er tut, was Sie sagen?«, fragte er entgeistert.

»Natürlich. Es macht Spaß, mit ihm zu arbeiten. Laila, komm mal her!«

Eine kräftige Stute, die in einer anderen Ecke fraß, drehte sich um und kam angelaufen. Während Miriam ihren Kopf streichelte, musterte ihn das Pferd mit einem rätselhaften Blick, um dann ebenfalls einen sonoren Brummton auszustoßen, der mehr nach Einwilligung als nach Abwehr klang. So faszinierend diese Tiere waren, ging eben in ihrer Perfektion und Schönheit doch etwas eigenartig Kaltes und Fremdes, fast Beängstigendes, von ihnen aus, das Simon nicht recht zu fassen wusste.

»Wie wäre es mit einem kleinen Ausritt? Sie mit Laila und ich mit Agamemnon?«, fragte Miriam. »Es gibt hier einiges zu sehen.«

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