Читать книгу Das Unikat - Thriller - Anders Alborg - Страница 22

Kaukasus

Оглавление

Das hässliche Quietschen, mit dem draußen die Riegel zurückgeschoben werden, reißt Michail aus seinen drückenden Tagträumen.

Sie kommen dich holen, denkt er. Noch einige Minuten, und du wirst im Kugelhagel sterben. Dass es in Russland offiziell seit über zehn Jahren keine Todesstrafe mehr gibt, spielt hier draußen schließlich keine Rolle. Michail spürt etwas in sich, was er zuletzt als kleiner Junge erlebt hat. Angst. Nicht vor Schmerzen. Nicht vor dem Tod. Aber Angst um Swetlana. Wer wird auf sie aufpassen, wenn er nicht mehr ist? Wer soll das Geld für das Heim schicken? Während sie weiter starr und regungslos vor dem Fenster sitzt, wartet. Und niemand …

Der bullige Mann in dem tadellosen Anzug kommt in seine Zelle wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Sein kahler Kopf glänzt in dem fahlen Neonlicht, das aus dem Gang in die Zelle fällt. Buschige Augenbrauen wölben sich über den blassen grüngrauen Augen, die sich weit in den Schutz des wuchtigen Schädels zurückgezogen haben. Der Mann nickt nur leicht mit dem Kopf, und die Soldaten, die ihn begleitet haben, ziehen sich sofort zurück. Sie scheinen froh zu sein, die dicke Stahltür zwischen sich und den Anzugmann zu bringen.

»Du bist der einzige Überlebende?«, fragt der Mann mit kehliger und zugleich schneidender Stimme. Er fixiert Michail mit einem Blick, scharf wie der Zielerkennungslaser eines Präzisionsgewehrs.

»Ja«, gibt Michail tonlos zurück. »Ich habe sie alle getötet.«

»Zwölf Elitesoldaten auf einen Schlag?« Auf der Stirn des Mannes bilden sich einige kleine Falten, als er die buschigen Augenbrauen fast unmerklich nach oben zieht. »Du Monster hast zwölf Kameraden getötet, in einer Spezialeinheit ausgebildete Soldaten der russischen Armee!«, brüllt ihn der Glatzkopf an.

»Nein, das waren keine Soldaten. Soldaten kämpfen, töten ihre Feinde, schützen ihr Vaterland. Das waren Tiere.«

»Tiere? Warum? Erklär mir das.« Die kehlige Stimme lässt keine Spur von Mitgefühl oder auch nur echtem Interesse anklingen.

»Unser Kommando hatte achtzehn Mann«, beginnt Michail und stockt kurz, als die grauenhaften Bilder seinen Kopf überschwemmen. »Wir hatten das Rebellendorf eingenommen und die Geiseln befreit. Fünf von uns wurden getötet, aufseiten der Rebellen hat niemand überlebt.« Michail spürt wieder den Rauch der Granatwerfer in der Nase, atmet die Staubwolken der einstürzenden Häuser ein, trocken und scharf. »Wir haben den Ort Haus für Haus durchkämmt und sind schließlich auf die Schule gestoßen. Die anderen haben Fjodor und mich zur Wache abgestellt und sind in den Klassenräumen verschwunden.«

Michail bricht ab, als zu den Bildern in seinem Kopf jetzt die furchtbaren Töne kommen. Er steht wieder vor dem Haus und hört, was er gehofft hatte, niemals wieder in seinem Leben hören zu müssen. Dieses hilflose Jammern, diese klagende Angst. Im Auslöschen begriffene Seelen, die ihn rufen, die um Hilfe flehen. Und nur er kann ihnen helfen. Verzweifelt versuchen die Stimmen, das immer lauter werdende Gejohle seiner Kameraden zu durchdringen.

»Weiter!«, drängelt der Glatzkopf.

»Ich springe auf und blicke direkt in einen Gewehrlauf. ›Setz dich hin, nicht so eilig, du kommst schon auch noch an die Reihe‹, sagt dieser Fjodor lächelnd zu mir und spielt am Abzug.«

Michail hört wieder Swetlanas Stimme wie damals: »Tu es! Tu es, wie du es für mich getan hast.«

»Und?«, bohrt der Anzugmann teilnahmslos weiter.

»Ich habe Fjodor mit einem Faustschlag erledigt, bin hineingerannt und habe die anderen erschossen, die sich über die Mädchen hergemacht hatten. Die im ersten Raum waren zu überrascht, um rechtzeitig zu den Waffen zu greifen. Die im Nebenraum haben zurückschossen, aber ich habe die beiden Kugeln in mir nicht einmal gespürt und auch sie getötet. Die letzten vier hatten sich in eine Ecke zurückgezogen und eines der Mädchen mitgezerrt. Der Kommandant hat ihr den Armeerevolver an die Schläfe gehalten und geschrien: ›Na, du durchgeknallter Schwachkopf, sollen wir dir mal zeigen, was wir können?‹ Dann hat er abgezogen und der Kopf des Mädchens ist in einem roten Schwall explodiert.«

Michails Stimme versagt, als das Bild des toten Mädchens vor ihm allgegenwärtig wird. Stockend berichtet er weiter. Wie er nur noch automatisch in die Tasche gegriffen hat. Wie er schon beim Herausholen die Handgranate entschärft hat. Wie er mit einem Hechtsprung hinter einem der umgestürzten Tische Deckung fand, während nun die letzten Mitglieder des Elitekommandos ähnlich explodierten wie eben das von ihnen getötete Mädchen.

»Du hast deine Kameraden ermordet«, schleudert der Glatzkopf Michail entgegen, die Stimme immer noch seltsam ungerührt. »Das verdient den Tod.«

»Ich habe getan, was ich tun musste«, antwortet Michail und hält dem stechenden Blick der grünen Augen stand. In ihnen sieht er eine Kälte, als würde er direkt in die Tiefe des Polarmeers schauen.

Das Gesicht des Mannes bleibt völlig unbewegt. Er dreht sich um, die Zellentür öffnet sich. Wortlos geht er hinaus.

Das Unikat - Thriller

Подняться наверх