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Berlin-Charlottenburg
ОглавлениеMit raumgreifenden Schritten eilte Reimers durch den mit dickem blauem Teppichboden ausgelegten Raum, ganz so, wie er es von seinen Baustellen gewohnt war. Im Vorbeigehen griff er sich ein Glas Sekt, das ihm die zierliche Bedienung auf einem Tablett entgegenhielt. Er steuerte mitten durch die anderen Besucher, die an Stehtischen ihren Drinks und Kanapees zusprachen, auf die zweiflüglige Eingangstür zum großen Saal des Hotels zu.
Drinnen warfen die mächtigen Kronleuchter skurrile Schatten auf die rosa Wandtapeten. In fast militärisch präziser Art waren vierzig Reihen von Stühlen mit dunkelrotem Samtpolster aufgebaut, die etwa zur Hälfte besetzt waren. An der Stirnseite standen in der Mitte ein Pult mit Mikrofon und daneben jeweils zwei Tische, auf denen sich Aktenordner und Schreibutensilien stapelten.
Reimers sondierte kurz die Lage und setzte sich danach auf einen Stuhl direkt am Mittelgang in der letzten Reihe. In Situationen wie dieser war es besonders wichtig, die Konkurrenz im Auge behalten zu können.
Ein Glöckchen ertönte, und die Leute aus dem Vorraum drängten herein. Ein Herr im dunklen Anzug mit Weste, dessen Schläfen ergraut waren, baute sich hinter dem Pult auf, einige junge Damen und Herren in geschäftsmäßigem Outfit platzierten sich hinter den Tischen.
Reimers schaute auf. Der Mann, der da zum Hammer griff, nötigte ihm Bewunderung ab. Ein Pionier. Jemand, der seine Ideen durchbrachte. Warum immer nur Bilder und Möbel? Warum nicht gleich ein ganzes Haus? Da stand der Erfinder der Auktionen für Immobilien und eröffnete die Schlacht.
»Sehr geehrte Damen und Herren«, begann Hans Peter Plettner und schaute über seine Halbbrille, »ich begrüße Sie herzlich zu unserer großen Frühjahrsauktion. Die Bedingungen für die Versteigerung von Objekten finden Sie hinten im Katalog.«
Tja, dachte Reimers, der etwas andere Katalog. Hier gab es alles vom Einfamilienhaus bis zum eigenen Schloss. Die Deutsche Grundstücksauktionen AG war bereit, ihr Füllhorn zu öffnen.
»Ist der Zuschlag erfolgt, wird der notarielle Kaufvertrag gleich hier im Anschluss geschlossen. Wir beginnen mit Position Nr. 1 im Katalog, ein Mietshaus mit 24 Wohnungen in Berlin Mitte. Startgebot 1,6 Millionen Euro. Wer bietet mehr als 1 600 000 Euro?«
Reimers sah sich um. Etwa zehn Parteien begannen, sich um das Haus zu kabbeln. Sollten sie ruhig, sein Einsatz würde kommen, wenn auch seine Zeit gekommen war.
»Zwei Millionen? Sehe ich mehr als zwei Millionen? Zum Ersten, Zweiten und … zum Dritten.«
Na gut, dachte Reimers, weniger als 100 000 pro Wohnung, billig saniert und teuer weiterverkauft, da würde sich bald jemand den nächsten neuen Daimler in die Garage stellen können.
»Objekt Nr. 2, Hotel in Warnemünde. Anfangsgebot 1,2 Millionen. Sehe ich mehr?«
Wieder entspann sich ein eifriges Gerangel, das Reimers mit ungeduldiger Langeweile verfolgte. Diese Stühle waren aber auch unbequem.
»1,85 Millionen. Sehe ich mehr? Zum Ersten, Zweiten und … zum Dritten.«
Na endlich, dachte Reimers, ich habe schließlich nicht ewig Zeit.
»Objekt Nr. 3, Gebäudekomplex nordöstlich von Anklam in Mecklenburg-Vorpommern, 32 Zimmer, Nebengebäude, Garagen, stark baufälliger Zustand, Startgebot 600 000 Euro.«
Baufällig ist gut, dachte Reimers, Ruine wäre zutreffender. Und sag doch ruhig MeckPomm wie alle Wessis. Er studierte die im Kampfgebiet aufmarschierten Feinde. Hartmann aus Hamburg, Klinger, der Platzhirsch aus Wilmersdorf, und diese penetrante Frau aus Rostock in ihrem blauen Kostüm. Sonst wer? Nein, das war’s wohl.
»Sehe ich 625 000?«, fragte der Auktionator.
Reimers hob den Arm. Hartmann zog nach. Das blaue Kostüm ebenfalls.
»650 000?«
Noch eine weitere Interessentengruppe nahm den Kampf auf. Ein Anzugmann rechts seitlich von den Tischen hatte ein Handy am Ohr und ruderte heftig mit den Armen, um seinen anonymen Bieter im Rennen zu halten. Reimers fiel auf, dass sein Anzug schlecht saß und er unter seiner teuren grauen Hose seltsame Stiefel trug. Cowboystiefel? Und reichlich abgetragene noch dazu. Komischer Kauz. Was hatte der denn hier zu suchen?
»675. Sehe ich mehr als 675?«, fragte der Auktionator und lugte über seine Halbbrille. Ein kleiner nach Fernost aussehender Mann meldete sich. Japse an der Ostsee? Das konnte ja heiter werden. Bald hat man nirgendwo mehr seine Ruhe. Grimmig hob Reimers die Hand. Hartmann, Klinger und das Kostüm blieben dran. Der Anzugfritze schien es schon wieder aufgegeben zu haben.
»Irgendwo mehr als 850?«
Die anderen zögerten. Richtig so, dachte Reimers, großes Grundstück zwar, Gebäude nur Schrott. Aber er wusste Bescheid, er war der Beste, kannte alle maßgeblichen Leute da oben, hatte schon alles durchgeplant und durchgerechnet, ein schönes Hotel, und die Kohle käme von ganz alleine.
»850 zum Ersten, zum …«
Der blaue Ärmel schoss nach oben. Der Asiate konterte. Klinger sah zu Reimers herüber, als wolle er sagen: »Na, traust du dich?«
Kannste haben, Piefke, dachte Reimers und bot weiter. Die Schmerzgrenze begann sich drohend vor ihm abzuzeichnen.
»Eine Million? Sehe ich eine Million?«
Rostock nestelte nervös an ihrem Handtäschchen.
»1,1 Millionen«, krächzte der Japaner. Oder Koreaner? Chinese? Reimers kannte sich da nicht so aus. Solange es nur kein Vietnamese war.
Das blaue Kostüm packte die Handtasche und stapfte auf den Ausgang zu wie ein unartiges Kind. Klinger bot natürlich mit, schon aus Prinzip. Hartmann schüttelte den Kopf und tuschelte mit seinem Nachbarn.
»1,3 Millionen«, verkündete der Asiate.
Was soll das denn jetzt, fragte sich Reimers. 1,3 Millionen für ein Sanierungsobjekt am Arsch der Welt, umgeben von Sumpf, Wald und Schilf? Ich habe das durchgerechnet, habe alle Genehmigungen sicher, wer will denn da …
Es kam wieder Leben in den schlecht sitzenden Anzug an der Seite. Na nu, hatte gedacht, der sei längst draußen. Der wird doch nicht … Der Mann darin nahm das Handy vom Ohr: »1,5 Millionen.«
Der Auktionator sah erstaunt zur Seite. »Sehe ich mehr als …«
»1,6«, sagte der Japaner. Klinger sagte nichts mehr.
Der Handymann sprach aufgeregt mit dem unsichtbaren Bieter, ließ das Telefon sinken. »2,5 Millionen«, flüsterte er, als er könne er es selbst kaum glauben.
Reimers war fassungslos. Waren hier nur Verrückte am Werk?
»2,5 Millionen zum Ersten, zum Zweiten …?«
Der Japs winkte ab.
»Und zum Dritten!« Der Hammer krachte auf das Pult.
Schiete, dachte Reimers. Alle Planung und die vielen kleinen Gefälligkeiten zum Teufel. Und das bei einem Heimspiel. Wie stand er jetzt da? Jemand hatte den König von Vorpommern gestürzt, irgendein stinkreicher Feigling, der sich hinter einem Telefon versteckte. Ein Kloß von der gefühlten Größe einer Apfelsine bildete sich in seinem Hals. Reimers sprang auf. Er knallte den Versteigerungsprospekt auf den Boden und stampfte aus dem Saal wie ein wütendes Nashorn.
»Darf ich Sie zu einem Glas Sekt einladen, Herr Reimers?«, sagte da eine schlanke junge Frau mit dunklem Teint und schwarzen Locken, hakte sich einfach bei ihm unter und zog ihn zu einem der verwaisten Stehtische. Sie strahlte ihn fröhlich lächelnd an. Diese makellos weißen Zähne. Vielleicht eine Holländerin, von Übersee, dachte Reimers, als die Frau mit ihrem charmanten Akzent begann, ihm einen Vorschlag zu machen, während die Cowboystiefel am Ende des schlecht sitzenden Anzugs leise dazutraten.
Reimers glaubte zunächst, die hübsche Dame wolle ihn auf den Arm nehmen, aber ein Blick in ihre tiefen, schwarzen Augen belehrte ihn eines Besseren. »Unmöglich«, antwortete er, »nicht in der knappen Zeit. Völlig unmöglich.«
»Für die anderen hier vielleicht, aber doch nicht für Sie, Herr Reimers«, sagte die Frau und rückte näher heran. »Nicht für den König von Vorpommern, nicht wahr?« Dabei zwinkerte sie ihm vertraulich zu. Der gestiefelte Anzugfritze nickte und schwieg zu allem, was sie sagte. Ihre dunklen Augen schienen immer dunkler zu werden, dann wieder heller, ein Farbenspiel in Schwarz, nahmen ihn gefangen, ließen seinen Blick nicht mehr frei, schauten sich in seinem Inneren um.
»Ich mache es«, hörte er sich sagen, »ja, zum Teufel, das schaffe ich.«
Noch eine Minute länger in diese Augen geschaut, und er hätte fest geglaubt, fliegen zu können.