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Brandenburg
ОглавлениеDer eisige Wind pfiff über die schneebedeckten Felder und toste durch die Wälder und Wäldchen dazwischen. Seit Wochen hatte der strenge Frost Brandenburg fest im Griff. Grausam und schneidend kam der Ostwind aus den Weiten Russlands herübergeweht, und keine Grenzen konnten ihn aufhalten. Auch das Rudel war von weit im Osten herübergewandert, hatte Flüsse, Straßen, Zäune überquert, der Hunger hatte sie immer weiter vorwärtsgetrieben, gen Westen, zum verheißenen Land, wo das Blut in Strömen fließt.
Wölfe meiden bekanntlich die Nähe des Menschen, sind eher geneigt, Siedlungen in weitem Abstand zu umrunden und ihre Beute unbeobachtet in den Wäldern zu machen. Aber nagender Hunger wird schließlich stärker als jede Angst und Vorsicht.
Die fünf Schatten schlichen weiter, hatten das einsame Landgut fast erreicht. Unbeeindruckt vom Wind, der die Schneeflocken in wildem Wirbel über das Land trieb, näherten sie sich ihrer Beute, folgten ihrem Weg durch die scheinbar undurchdringliche Dunkelheit. Mit ihren feinen Nasen hatten sie etwas ausgemacht, etwas, das sie magisch anzog. Das ihren Hunger endlich zu stillen versprach. Sie witterten große warme Körper, die Ausdünstungen stattlicher Tiere. Dampfende Berge von Fleisch statt der Hasen und Kaninchen, mit denen allein kein Rudel durch den Winter kommt.
Die Zeit war gekommen, sich aufzuteilen und ihre Opfer einzukreisen. Immer enger würden sie den Ring ziehen, der Rudelführer würde dann den Angriff starten, das Zeichen für die anderen, über die chancenlosen Tiere herzufallen. Speichel tropfte aus den hechelnden Mäulern in den Schnee, als sie sich näher an den hölzernen Zaun heranschoben.
Die beiden Pferde in der Koppel hoben die Köpfe und sahen sich an. Sie spürten die Anwesenheit der Eindringlinge, horchten und suchten den Umkreis mit den Augen ab. Sie drehten sich zum Gatter, warteten ruhig. Kein Schnauben, kein Wiehern.
Der Leitwolf erreichte den Zaun und begann, sich an einer schadhaften Stelle, wo eine der unteren Latten geborsten war, hindurchzuschieben. Die anderen Wölfe des Rudels verteilten sich inzwischen um das Gehege. Ihre uralten Instinkte, ergänzt durch die praktische Erfahrung der gemeinsamen Jagd, führten die Tiere, als würden sie untereinander in telepathischem Kontakt stehen. Jetzt war der Leitwolf mitten im Gehege, vielleicht noch zwanzig Meter von den beiden Pferden entfernt.
Beutetiere zeigen Angst, panische Angst, ist ein Raubtier in der Nähe. Diese Angst kann man riechen. Der Schweiß eines Menschen oder die Ausdünstungen eines Tieres verändern sich bei Stress und Furcht. Die Jäger erkennen das, spüren die Schwäche, schöpfen selbst daraus Kraft.
Der Leitwolf blieb stehen. Er witterte keine Angst oder Panik. Die beiden Pferde ihm gegenüber standen wie festgemauert, rührten sich nicht, sahen ihn nur an, die Ohren aufgestellt. Fixierten ihn selbst wie ein Jäger seine Beute. Schlangen, so heißt es, lähmen ihre Opfer bisweilen allein mit dem Blick. Aber Pferde?
Auch das Rudel verharrte. Die anderen Wölfe fühlten das Zögern ihres Leittieres, spürten, dass irgendetwas nicht stimmte. Der Leitwolf setzte sich langsam wieder in Bewegung. Er war ein alter erfahrener Wolf, doch nun witterte er Unbekanntes, Bedrohliches, das seine Muskeln schwer werden ließ. Rückzug?
Aber er war auch ein alter, sehr hungriger Wolf, und Hunger war stärker und unerbittlicher als alle Angst vor dem, was ihm im Angesicht der Beute drohen mochte. Er zauderte noch, während der Hunger weiter in ihm wuchs, bis für die Angst kein Platz mehr war, sie zu etwas Äußerlichem wurde, das er knurrend aus dem gesträubten Fell schütteln konnte. Er schlich weiter. Langsam, sammelte seine Kräfte, noch einige Meter. Dann sprang er. Das Kommando zum Angriff. Das Rudel setzte über den Zaun.
Bald hörten die Tiere ein erbärmliches Jaulen, gefolgt von einem dumpfen Klatschen, als der Leitwolf auf dem Boden aufschlug.
Die anderen Wölfe erstarrten in ihrer Bewegung. Furcht ergriff sie, ein Gefühl, das dem Jäger in seinem Rausch sonst eher fremd ist. Die eingekreisten Pferde standen immer noch ruhig, drehten gelassen die Köpfe und fixierten die Angreifer. Der Leitwolf kam mühsam wieder auf die Beine. Blut tropfte aus einer großen Wunde an seiner Flanke. Er taumelte davon, den Schwanz zu einer Demutsgeste nach unten gerichtet. Das Rudel zögerte einen Moment, dann folgten alle dem Anführer und brachen den Angriff ab.
Die muskulösen Körper der Pferde dampften und glänzten im fahlen Mondlicht, während sich die geschlagene Meute in die Tiefen des Waldes zurückzog. Die beiden sahen den eilig verschwindenden grauen Schatten hinterher. Das kleinere leckte die Blutspuren vom Maul des größeren. Dann schüttelten sie sich kurz und wandten sich wieder ihrer Futterbox zu.