Читать книгу Das Unikat - Thriller - Anders Alborg - Страница 21
Brandenburg
ОглавлениеDie Sachen, die ihm Miriam in die Hand gedrückt hatte, passten wie angegossen. Stiefel, Hose und Jacke fühlten sich an, als seien sie für ihn nach Maß gemacht. Greyson war wirklich in jeder Hinsicht gut informiert.
Simon trat hinaus in den Hof. Miriam wartete schon mit den beiden Pferden. Sie trug eine weiße Reithose, wodurch ihre erstaunlich kräftigen Beinmuskeln eher betont als kaschiert wurden. Ein Mädchen, das mit Lust im Leben stand und auch mal zupacken konnte. Eine knallrote Bluse bildete den idealen Kontrast zu ihren Beinkleidern. Die beiden oberen Knöpfe standen offen. In ihrem Ausschnitt funkelte ein goldenes Amulett. Simon zwang sich, nicht zu genau hinzusehen. Ihre Hände hielten das Zaumzeug der beiden Pferde so entspannt, als sei sie eins mit sich und der Welt. Und diesen unglaublich perfekten Pferden. Simon war froh, dass ihm Miriam nicht ganz so fremdartig perfekt erschien wie ihre Pferde. »Hier, Sie nehmen Laila«, sagte Miriam und gab ihm den Zügel.
Sie führte Agamemnon einige Meter den Weg hinauf. Gebannt sah Simon ihr hinterher. Die elastische Hose umspielte ihr wohlgeformt knackiges Hinterteil wie eine zweite Haut. Sie legte den rechten Arm spielerisch auf den mächtigen Hals des Pferdes und Agamemnon schien ein Stückchen näher an sie heranzurücken. Was, wenn sie den Arm so um ihn legen würde? Er war jetzt frei. Katja war ganz weit weg. Finstere Vergangenheit.
Ohne sichtbare Anstrengung schwang sich Miriam aus dem Laufen in den Sattel. Sie drehte sich um und beugte sich ein wenig zu ihm herab. Das Amulett baumelte um ihren gebräunten Hals. Ein Spitzen-BH blitzte hervor, weiß und herausfordernd wie Schnee auf einem Achttausender – und womöglich genauso unbezwingbar.
Na wenn schon, dachte Simon. Alle Achttausender sind irgendwann von Menschen bezwungen worden, und ihm war es bisher nie allzu schwer gefallen, eine Frau zu erobern, wenn er es wirklich darauf anlegte. Wollte er es denn darauf anlegen? Etwas für die Erfolgsstatistik tun? Besser nichts überstürzen, erst mal abwarten, beobachten, still genießen. Ein wenig auch leiden? Es war so verlockend, ihre gute Laune, ihre Freundlichkeit, ihren offenkundigen Spaß an seiner Gesellschaft auf sich zu beziehen, ein echtes, tiefergehendes Interesse zu vermuten, aber vielleicht war diese Frau eben einfach so. Wer weiß, vielleicht hatte Greyson ihr sogar den Auftrag erteilt, es ihm hier so behaglich wie möglich zu machen? Ob sie wohl etwas mit Greyson hatte? Einfluss und Geld machen Männer für viele Frauen sexy – aber sie würde doch hoffentlich einen besseren Geschmack …
»Was ist los?«, rief Miriam fröhlich. »Sind Sie da unten festgewachsen?« Sie lehnte sich zu Agamemnons Kopf, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Das Pferd antwortete mit einem energischen Wiehern und schoss los.
Simon saß auf. Er strich über Lailas Mähne und fühlte die glatten, samtweichen, aber doch irgendwie bemerkenswert festen Haare. Spürte das leichte Zittern der mächtigen Muskeln, als freuten sie sich, ihn gleich in hohem Tempo davonzutragen. Er mochte diese Ausstrahlung von Anmut und Kraft. Simon gab der Stute einen Klaps auf den Hals und Laila setzte sich ebenfalls in Bewegung. Ein wildes, nervöses Gefühl der Erregung packte Simon, so dass er unwillkürlich auflachen musste. Er war wirklich schon lange nicht mehr geritten und glaubte, gleich aus dem Sattel rutschen zu müssen. Doch Leila trug ihn sicher und zielstrebig, wie eine Mutter, die sich ihr Kind auf die Schultern gesetzt hat.
Sie durchquerten einige Felder, umrundeten einen Teich und hielten dann auf ein Wäldchen zu. Sie hatten eine Art Kreislinie beschrieben und befanden sich nun wieder in der Nähe des Haupthauses, das irgendwo gleich hinter dem Wäldchen liegen musste. Ein Weg führte hinein, gerade breit genug für ein Auto. Nach einigen Metern verlangsamten die eben noch kaum zu bändigenden Pferde ihr Tempo schlagartig, stellten die Ohren auf und gaben kehlig-krächzende Laute von sich. Ein Drahtzaun mit einem Gatter kam in Sicht. Die Tiere trotteten zögernd noch einige Meter voran und blieben dann wie erstarrt stehen. Lailas Atem ging immer schneller, sie blähte ihre Nüstern. Ein Zittern durchlief ihren mächtigen Körper, kroch an Simons Beinen empor. Angst, die man auch als Mensch fühlen konnte.
»Was ist los?«, fragte Simon.
»Ich muss erst ausschalten«, antwortete Miriam. »Sehen Sie das Eichhörnchen dort drüben?« Miriam wies auf eine Stelle rechts im Zaun, wo ein erstarrtes Tier seltsam steif zwischen zwei Drähten des Zauns hing. Fliegen umsummten seinen Körper.
»Hochspannung, eine von Greysons sonderbaren Ideen«, erläuterte Miriam fast beiläufig. »Er wittert überall Bedrohungen und sichert sich ab.«
»Er hat wohl Angst, dass man ihm seinen Kaffee stiehlt«, meinte Simon leicht abfällig.
»Hinter diesem Zaun verbirgt sich Heißeres als Kaffee«, erwiderte Miriam ernst. Sie zog ein Gerät, klein wie ein Handy, aus ihrer Tasche und tippte eine Zahlenkombination ein. Das Gatter glitt zur Seite. Die Pferde entspannten sich und setzten sich in Bewegung.
Nach einigen Metern glaubte Simon durch die Bäume die flachen Umrisse eines Gebäudes auszumachen. Sie kamen näher und standen schließlich vor einer kraterartigen Ausbuchtung, in die ein mehrstöckiges Haus von vielleicht zwanzig Metern Breite eingelassen war. Die stabilen Mauern wurden nur hier und da von kleinen Fenstern durchbrochen, auf dem flachen Dach wuchsen dichte Büsche und sogar kleinere Bäume.
»Aus der Luft praktisch nicht zu erkennen«, erklärte Miriam, »Greyson hat mir ein Satellitenbild gezeigt.«
Sie saßen ab und gingen zu Fuß dem Gebäude entgegen. Dickes Sicherheitsglas ließ die Fenster wie Bullaugen eines Schiffes wirken. Entweder hat dieser Greyson in der Tat eine ausgewachsene Paranoia, dachte Simon, oder hier werden mindestens die britischen Kronjuwelen zwischengelagert.
»Das Labor«, unterbrach Miriam seinen Gedankenfluss. »Wir sehen uns das später von innen an.«
»Hier scheint nicht viel los zu sein«, bemerkte Simon. »Keine Autos, Fahrräder, Spuren von Menschen. Und Gras auf dem Fahrweg. Als käme nicht oft jemand her.«
»Der erste Eindruck ist oft täuschend. Aber jetzt reiten wir erst mal weiter. Lassen wir die beiden einmal zeigen, was sie können.«
Sie begaben sich zurück zu den Pferden, schlossen sorgfältig das Gatter hinter sich und Miriam schaltete den Strom wieder ein. Dann verließen sie den Wald und nahmen Kurs auf die Felder.
Agamemnon schoss vorwärts, Miriam stellte sich in die Steigbügel, und Simon sah ihr lockiges Haar mit der Mähne des Hengstes um die Wette flattern. Er beugte sich vor und raste mit Laila hinterher. Er spürte ihr Muskelspiel und die unbändige Kraft, die ihn über das Gelände fliegen ließ. Er genoss es, für diese kleine Ewigkeit der Schwerkraft zu trotzen. Alle Unsicherheit war förmlich weggeblasen, er fühlte sich, als habe er seit Jahren nichts anderes getan. Unfassbare Leichtigkeit überkam ihn, Freiheit, wie er sie schon lange nicht mehr erlebt hatte. Rechts und links flog die Landschaft dahin, als zöge ein Riese den Boden wie einen Teppich unter ihm her. Lailas Muskeln arbeiteten schnell und geschmeidig, und Simon fühlte sich, als sei er es selbst, der mit ungezügelter Kraft dahinjagte, als sei er wie ein Zentaur eins mit seinem Reittier geworden.
Miriam drehte sich plötzlich um und schrie: »Gut festhalten!«
Das Haupthaus kam von der anderen Seite her in Sicht. Der mindestens fünf Meter breite Wassergraben näherte sich rasend schnell. Das grenzte jetzt eher an Selbstmord, als eine sportliche Herausforderung zu sein. Miriam beugte sich weit nach vorn, verschmolz mit dem mächtigen Hals ihres Pferdes. Agamemnon setzte zum Sprung an und trug Miriam sicher hinüber. Laila spannte sich unter Simon wie eine überdimensionale Feder. Er packte ihre Mähne. Der Rand des Grabens war erreicht, und Laila drückte sich ab, als der Schlamm von ihren Vorderhufen aufgewirbelt wurde. Die schmutzige Brühe im Graben und das Gesträuch am Rand flogen wie beiläufig unter ihm hindurch, nicht der Rede wert, nur eine unbedeutende Pfütze auf dem Weg.
Mühelos und sicher setzte Laila auf und lief entspannt weiter, als sei ein olympiareifer Sprung beim Ausritt das Selbstverständlichste von der Welt. Sie wandte den Kopf und sah Simon herausfordernd an, schien sagen zu wollen: »Und? Wie bist du mit mir zufrieden? Bin ich nicht ein ganz besonderes Pferdchen?« Jetzt ging aber wirklich seine Fantasie mit ihm durch.
An den Stallungen sprang Simon vom Pferd. Miriam stand neben Agamemnon. Ihr Gesicht glühte. Sie fuhr sich durch die Haare, deren dunkle Locken die Wildheit auf ewig eingefangen zu haben schienen. »Lust auf einen Drink?«, strahlte sie ihn an. »Den haben wir uns jetzt verdient, oder?« Simons Gehirn war leer wie eine Kinoleinwand nach dem Filmriss. Warum musste er diese Frau immer nur anstarren? Er fühlte sich wie gelähmt.
»Ja, das war toll«, hörte er sich sagen, »ich habe mich lange nicht mehr so wohlgefühlt.« Welch origineller Spruch, stöhnte er innerlich. Verdammt, was war heute mit ihm los? Mentale Mattscheibe. Der Schlagfertigkeitsgenerator reagierte nicht, der Speicher für witzige Antworten verweigerte den Zugriff, und die Abteilung Flirt war noch immer in den Betriebsferien. Beiläufig griff er nach einer der Mohrrüben, die in den Futtertrögen lagen, um Laila ihre verdiente Belohnung zu geben. Wie er es von früher gewohnt war, legte er sie auf seine Handfläche und ging auf das Pferd zu.
»Vorsicht! Um Gottes willen, nein!«, schrie Miriam plötzlich auf, als er seine Hand auf Lailas Maul zubewegte. »Das dürfen Sie niemals tun.«
Sie griff nach seinem Unterarm und zog ihn zurück. Fest, aber nicht grob hielt sie ihn, eine schlanke Hand und doch kräftig, die roten, kurz geschnittenen Fingernägel leuchteten auf seiner Haut. Wenn sie ihn doch noch länger so halten würde. Vielleicht sollte er irgendwie nachhelfen? Aber sie ließ ihn los und streichelte dann behutsam über Lailas Kopf.
»Komm, wir zeigen dem Herrn Doktor etwas«, sagte sie zu dem Pferd wie zu einem Kleinkind. Vorsichtig öffnete sie die Lefzen und zog Lailas wulstige rosa Lippen auseinander.
Simon ließ vor Schreck die Mohrrübe fallen. Wo er große plumpe Zähne erwartet hatte, geeignet Hafer und Stroh zu zermahlen, prangten in Lailas Maul vier dolchartige Eckzähne und zwei Reihen messerscharfer Schneidezähne, die jedem Raubtier alle Ehre gemacht hätten.