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UNAUSGESPROCHENE ZUNEIGUNG UND DANKBARKEIT

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Genauso häufig kommt es vor, dass zum Zeitpunkt des Todes eines Elternteils versäumt wurde, das Positive auszusprechen, das eigentlich hätte gesagt werden wollen. Den meisten Menschen fällt es leichter, Vorwürfe zu formulieren und aus Wut oder verletztem Stolz Dinge zu sagen, die sie eigentlich gar nicht so meinen, als das auszusprechen, was zur Ehre des anderen beitragen würde. Vielleicht liegt es an der merkwürdigen Vorstellung, wir würden unsere vermeintlich starke Position verlieren, wenn wir ehrlich anerkennen, was der andere für uns getan hat.

Dieses Denken entspringt einem weitverbreiteten Konkurrenzmodell und es ist auf den ersten Blick ersichtlich, wie abwegig es im Grunde im Hinblick auf unsere Eltern oder unsere eigene Gegenwartsfamilie ist. Und doch bereitet es den meisten unsagbare Probleme, den eigenen Eltern in die Augen zu sehen und zu sagen: »Ich liebe dich und ich danke dir für alles, was du mir gegeben hast.«

Jeder Mensch hat ungezählte Facetten. Da sind unsere Eltern keine Ausnahme, doch neigen wir als Kinder dazu, uns ein überaus einseitiges Bild von ihnen zu machen und dieses dann oft für den Rest unseres Lebens beizubehalten.

Möglicherweise befürchten wir auch, dass wir dann keine Kritik mehr üben dürften an dem, was nicht in Ordnung war aus unserer Sicht. Als gäbe es nur das eine oder das andere. All dies entspringt einer kindlichen Schwarz-Weiß-Sicht der Dinge, kindlichem Denken also, das ganz typisch für unser Verhaftetsein in unserem Kind-Ich-Zustand ist. Befinden wir uns hingegen in unserem Erwachsenen-Ich, so sind wir besser in der Lage, das gesamte Bild zu sehen: unsere Eltern, wie sie wirklich waren – soweit uns das möglich ist. Mit all ihren guten und schlechten Seiten, mit ihren Stärken und Schwächen.

Wahrscheinlich gibt es wenige Menschen, von denen wir einseitigere Bilder haben als von den Eltern. Noch dazu verlieren sich diese kindlichen Bilder gern in Extremen. Entweder stark überidealisierend oder sta+rk verurteilend. Manchmal auch schwankend zwischen den Polen, doch selten beide vereinend.

So ist es nicht verwunderlich, dass vieles unausgesprochen bleibt. Auch weil es zahlreiche innere Hürden gibt, schieben wir es auf und meinen, irgendwann sagen wir unseren Liebsten schon noch, was sie uns eigentlich bedeuten. Der richtige Zeitpunkt kommt nie, was im Umkehrschluss bedeutet: Jeder Zeitpunkt ist gut genug.

SAGEN, WAS DU SAGEN MÖCHTEST

Solltest du das Glück haben, dass deine Eltern – oder zumindest ein Elternteil – noch leben, und es gibt etwas Gutes, das du ihnen sagen möchtest, dann tue dir selbst den Gefallen und mache es. Ich weiß, wie viel Überwindung es kosten kann. Wie schwer es fallen kann, den Blick dabei zu halten und diese Intensität ertragen zu müssen. Aber ich wünsche dir von Herzen, dass du nicht eines Tages zu den Menschen gehörst, wie ich sie immer wieder in meiner Praxis habe, die zutiefst bereuen, nicht gesagt zu haben, was es zu sagen gab, als noch Zeit war.

Ich geh dann mal meinen eigenen Weg

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