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Es liegt in Ihrer Hand…

»Gesundheit erflehen die Menschen von den Göttern, dass es aber in ihrer Hand liegt, diese zu erhalten, daran denken sie nicht.« Das schrieb mit pragmatischer Klarsicht der griechische Philosoph Demokrit. Rund 450 Jahre vor Christus hatte er bereits die These, dass das Leben aus lauter kleinen Elementarteilchen, Atomen, besteht. Und er forderte, dass man diese Teilchen immer wieder in eine ausgeglichene Ordnung bringen müsse – der Arzt, aber auch die Betroffenen selbst. »Es liegt in ihrer Hand…«

Es liegt immer noch in unserer Hand und zwar mehr, als Sie vielleicht ahnen. Ärztinnen und Ärzte machen deshalb immer wieder die Erfahrung, dass die Patienten sich selbst zu wenig einbringen, kein Zutrauen in ihr eigenes Heilungspotenzial haben, auch viel zu wenig darüber wissen. Doch das kann man ändern! In meinem Beruf — ich bin Gesundheitswissenschaftlerin und Yoga-Lehrerin — erfahre ich täglich, welche unglaublichen Kräfte Menschen innewohnen, wenn es darum geht, ihre Gesundheit zu stärken. Mich begeistert, wie unser Körper, unser Geist und unsere Seele sich erholen, wenn wir uns selbst dafür Raum und Zeit geben. Denn oft bedarf es nur eines achtsamen und wertschätzenden Umgangs mit uns selbst, um zum Beispiel entzündliche Prozesse zu bremsen oder das Immunsystem seine Arbeit machen zu lassen.

Über Jahrzehnte habe ich viele kranke Menschen bei diesen Prozessen begleitet, in Therapie-Gruppen in der Essener Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin oder auch im Einzelcoaching. Immer wieder habe ich dabei gesehen, wie Menschen, oft schon lange krank, ihr Leben ändern können – plötzlich können Sie wieder Freude am Leben entwickeln. Auch mein eigener Lebensweg hat mich gelehrt, wie wichtig es ist, die eigenen Ressourcen aufzuspüren.


Verbundenheit mit der Natur stärkt die innere Ruhe und das Vertrauen in sich selbst.

Aufgewachsen bin ich auf einem bayerischen Bauernhof im Südosten von München. Wenn das Wetter gut war und die warme Luft von den Bergen her strömte, sah man die Gipfel der nahen Alpen am Horizont. Alles, was auf dem Hof getan wurde, war eingebunden in die großen und kleinen Kreisläufe der Natur, das Wetter, die Jahreszeiten. Von Anfang an habe ich mich auf dem Land als ein Teil des Ganzen gefühlt, aufgehoben in der Gemeinschaft der Menschen, Tiere und der Natur, die den Hof umgibt und zu der er heute noch gehört, denn er wird von meiner Familie weiterhin geführt.

Als Kind saß ich regelmäßig auf der Mauer vor unserer Kirche. Noch immer kann man von dort weit über das Land sehen und ist nur von den Geräuschen der Natur umgeben. Auch wenn ich heute entfernt in einer Großstadt lebe, setze ich mich manchmal in Gedanken auf die Kirchhofmauer — in turbulenten Zeiten, wenn mein Geist sich vor Aufgaben und Projekten immer schneller zu drehen scheint und mein Körper nur schwer zur Ruhe kommt. Plötzlich finde ich dort Stille und Weite und mein Organismus entspannt sich. An diesem inneren Ort der Stille und Kraft empfinde ich, Teil eines schönen und sinnvollen Ganzen zu sein.

Das Leben auf einem Bauernhof bedeutete auch Verantwortung, gemeinsame, harte Arbeit und die Notwendigkeit, sich anzupassen an das soziale Gefüge des Dorfs. Definierte Regeln und klare Abläufe strukturierten das ländliche Leben. Dagegen habe ich als Jugendliche rebelliert, merke aber heute, wie stark ich davon geprägt wurde. Erst diese intensiven Erfahrungen haben mir ermöglicht, Strukturen auch in meinem Leben zu schaffen, um sinnvolle Ziele zu erreichen. Das versuche ich seither, Anderen zu vermitteln.


Das Gefühl, eine Heimat zu haben, gibt Kraft für das ganze Leben.

Seit über 30 Jahren arbeite ich daran, das Potenzial der Patienten, ihre Fähigkeiten zur Selbstheilung und Selbstfürsorge, in die medizinische Therapie und Vorsorge unseres Gesundheitssystems zu integrieren. Als kleines Kind war ich selbst einmal schwer erkrankt und verbrachte Wochen in einer Klinik, ohne dass meine Eltern mich besuchen durften. Doch ich versuchte intuitiv, die Kraft zum Gesundwerden aus der Einsamkeit und Stille, meinen inneren Bildern und Naturbezügen zu ziehen. Auch später hatte ich immer wieder das Bedürfnis, meinen Körper in Bewegung und meinen Geist in Stille zu bringen, etwa mit Yoga und Meditation. Das empfinde ich heute noch als beruhigend und stärkend. Diese positive Erfahrung, die Neugierde auf sich selbst, diese Lust auf Veränderung möchte ich an Sie weitergeben!

Nachdem ich als junge Frau in die große Stadt München gezogen war, studierte ich Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung mit theologischer Zusatzausbildung und beschäftigte mich beruflich mit Naturheilkunde, Yoga und Meditation. In den 1980er-Jahren arbeitete ich am »Zentrum für naturheilkundliche Forschung« in München bei Prof. Dr. Dieter Melchart. Er leitete ein damals einzigartiges Projekt: Ziel war es, die klassische naturheilkundliche Ordnungslehre des 19. Jahrhunderts als Therapieform und als Präventionsangebot für das 20. Jahrhundert zu adaptieren.

Die Ordnungstherapie war von dem Schweizer Arzt Max Bircher-Benner (1867– 1939) so benannt worden. Er war wie der Pfarrer Sebastian Kneipp (1821–1897) ein Protagonist der europäischen Naturheilkunde. Er integrierte Ernährung, Bewegung und Entspannung sowie Gefühle und das Denken in ein Ordnungssystem, das die Gesundheit bewahren und schützen sollte. Die Gestaltung der Lebensführung gilt in allen traditionellen ganzheitlichen Medizinsystemen, wie der traditionellen chinesischen Medizin, der Ayurveda und auch der traditionellen europäischen Naturheilkunde, als zentraler Einflussfaktor für die Entstehung von Krankheit und Gesundung. Sie betrachten Menschen nicht nur als körperlichen Organismus, sondern in seiner Ganzheit, mit seinen biologischen, psychologischen, seelischen, sozialen und spirituellen Anteilen.

In unserer Münchner Forschungsgruppe befassten wir uns mit der Frage, die sich auch der US-israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky (1923–1994) gestellt hatte: Was macht den Menschen gesund? Das ist eine völlig andere Perspektive als die der Medizin, die sich für krank machende Faktoren interessiert. So hatte Antonovsky unter anderem eine Gruppe israelischer Frauen untersucht, die trotz widrigster Umstände ihre Zeit im Konzentrationslager relativ gut überstanden hatten, während andere daran zugrunde gingen. Er nannte sein Forschungsgebiet die »Salutogenese«, die Lehre von der Gesundwerdung. Wir untersuchten, angeregt durch seine Forschungsfragen, die Rolle zentraler Ressourcen wie der Ernährung, Bewegung, Entspannung, der naturheilkundlichen Selbsthilfe sowie Psyche und Soziales.

Damals habe ich viel gelernt und konnte das dann – nach einigen Zwischenstationen – in meine Arbeit an den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte einbringen. Dort leite ich unter anderem die Abteilung für Mind-Body-Medizin mit der Ordnungstherapie. Sie gehört zur Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin. Hier werden schwer chronisch Erkrankte mit Herz-Kreislauf-Leiden, entzündlichen Darmerkrankungen, Rheuma und Arthrose, Allergien und vor allem sehr vielen verschiedenen Schmerzsyndromen behandelt: Neben der schulmedizinischen Diagnostik und Therapie werden sie geschult, selbst etwas zu ihrem Wohlbefinden und zu ihrer Heilung beizutragen. Das geschieht über ein ordnungstherapeutisches Programm mit sehr vielen Übungseinheiten, Unterricht in naturheilkundlicher Selbsthilfe und gesunder Ernährung aus unserer hauseigenen Vollwertküche. Viele der wunderbaren Erfahrungen, die ich an dieser Klinik machen durfte, gehen in dieses Buch ein. Weitere Informationen zur Klinik erhalten Sie über einen Link im Literaturverzeichnis (s. >).

Der Tempel der Gesundheit

An der Essener Klinik erklären wir das, was Gesundheit alles beeinflusst, mit dem Bild eines Tempels (siehe >). Er hilft, die komplexen Zusammenhänge von Lebensstil, Denken, Fühlen und sozialem Umfeld auch für Laien anschaulich zu machen. Der Tempel der Gesundheit symbolisiert, wie einzelne Lebensbereiche einander stützen und wie sie miteinander verflochten sind, was besonders zentral ist und was vielleicht kompensiert werden kann. Hat dieses Gebäude jedoch zu viele »Baustellen«, dann lässt er sich nicht mehr oder nur noch sehr schwer restaurieren – dann werden wir krank. Der Tempel wird Sie durch dieses Buch begleiten und Sie werden feststellen, wie stabil oder instabil Ihre eigene Gesundheit ist.

Der Tempel der Gesundheit hat vier Ebenen: Die Basis ist die Achtsamkeit. Diese Haltung von zugewandter und fürsorglicher Präsenz im gegenwärtigen Moment ähnelt dem Zustand, in dem ich als Kind auf der Kirchhofmauer in der Sonne saß und still über das Land schaute. Die zweite Ebene, die Säulen, befasst sich mit den Lebensstilbereichen und wie wir sie gestalten, etwa ob wir uns viel bewegen und wann und wie wir entspannen. Hier geht es um das Tun. Ebene 3 bildet die Zwischendecke: Hier stecken unsere Vorstellungen vom Lebenssinn und unsere Werte sowie die damit verbundenen Gefühle und Gedanken. Wie jemand über das Leben denkt und was das emotional auslöst – diese Dimensionen sind entscheidend dafür, ob und wie man für sich selbst Sorge trägt. Besonders starken Einfluss haben Gefühle. Denn es wird nur das im Alltag umgesetzt, was lustvoll ist und die eigenen Gewohnheiten berücksichtigt. Die Zwischendecke hält also die Säulen zusammen und gibt die Stabilität für das Dach. Dieses bildet die vierte Ebene, mit dem Lebensalltag in Beruf und Familie, dem Bereich, der täglich die meiste Aufmerksamkeit und Energie beansprucht.

MEIN TEMPEL DER GESUNDHEIT


© Anna Paul

Die Bauteile des Tempels der Gesundheit sind die Bereiche, in denen man Gesundheit fördern und Selbstheilung stärken kann. Wie steht es um Ihre individuellen Ressourcen für Selbstheilung? Auf > können Sie gleich mal testen, wie robust Ihr eigener Tempel der Gesundheit ist und ob einzelne Bereiche dringend einer Stärkung bedürfen. Auch eine Momentaufnahme ist möglich, wie ausgeglichen oder erschöpft Sie jetzt gerade sind. Seien Sie ehrlich: Gehen Sie generell achtsam genug mit sich selbst um? Wie leicht oder schwer fällt es Ihnen, Vorsätze in die Tat umzusetzen? Und: Was hindert Sie vielleicht daran?

Im dritten Kapitel gehe ich detailliert auf die Bauteile des Tempels ein und wir knöpfen« uns gemeinsam eines nach dem anderen vor: Bei jedem Bereich

 lade ich Sie ein, innezuhalten und sich Zeit zu nehmen, Ihren individuellen Lebensalltag zu reflektieren und Ihre Wünsche und Bedürfnisse zu formulieren

 informiere ich Sie über den wissenschaftlichen Hintergrund und aktuellen Forschungsstand

 können Sie überprüfen, wie groß Ihre Motivation zur Veränderung ist. Sie definieren eigene Ziele und reflektieren über deren Wichtigkeit und Ihre Zuversicht

 Außerdem erkläre ich Ihnen, welche Bereiche in Ihrem Gehirn in Konkurrenz zueinander stehen und wie Sie diese dazu bringen, zusammenzuarbeiten.


Aktivität macht besonders Spaß, wenn sie mit Geselligkeit verbunden ist. Beides ist gesund.

Das 6-Wochen-Booster-Programm

Wie Sie all das zur Förderung Ihrer Widerstandskraft, Ihrer Resilienz und Ihrer Selbstheilungspotenziale nutzen können, das erfahren Sie dann in einem Sechs-Wochen-Booster-Programm (siehe >), das ich Multi-SMART getauft habe, abgeleitet von »Stress Management and Resiliency Training«. Es enthält viele praktische Übungen aus den vier Ebenen des Tempels, die Sie ohne große Vorbereitung in Ihren Alltag integrieren können. Sie können dabei wählen, ob sie einmal die Woche einen intensiven Booster-Tag einplanen oder Ihre Übungen auf unterschiedliche Tage der jeweiligen Woche verteilen. Der Aufwand ist nicht groß – anfangs benötigen Sie vielleicht 30 Minuten pro Tag für Planung, neue Routinen und bewusste Wahrnehmung und Reflexion. Doch mit zunehmender Übung entfällt auch dieser Zusatzaufwand: Im Prinzip machen Sie das Gleiche wie immer, aber Sie füllen Alltags-Routinen (wie etwa das Essen, Duschen, Pausen machen) mit veränderten Inhalten (zum Beispiel Aufmerksamkeit).

Wenn Sie Lust haben, machen Sie doch gleich mal den Selbsttest (>), damit Sie besser einschätzen können, wo Ihre persönlichen Stärken und Schwächen liegen. Dann sind Sie besonders motiviert, auf den nächsten Seiten herauszufinden, was Ihre Gesundheit belastet und wie Sie Ihre Selbstheilungskräfte stärken können.


Ruhe finden ist wichtig. Man muss dafür nicht ins Kloster gehen, nur in sich selbst.

Hallo Körper, du kannst das!

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