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Organisationen als soziale Systeme
ОглавлениеWie oben in der »offene Systeme-Theorie« beschrieben, sind Organisationen energetische offene Systeme (Katz & Kahn, 1966). Sie nutzen Energie als Input (Energie kann dabei Material, menschliche Arbeitskraft, Informationen, Werkzeuge, Elektrizität oder Öl, Geld u. v. m. sein), transformieren diese Energie im System (Throuput) und erzeugen dadurch ein Produkt oder einen energetische Output.
Abb. 1.10: Informationssysteme in modernen Organisationen (nach Laudon & Laudon, 2016)
Nach der Theorie der sozialen Systeme, die auch in Organisationen vorliegen, beinhalten alle sozialen Systeme musterartig wiederkehrende Aktivitäten einer Anzahl von Individuen (ihrer Mitglieder) für diese Transformationsprozesse. In einem fertigenden Unternehmen sind die Ausgangsmaterialien und die menschliche Arbeitskraft der Input, die musterartig wiederkehrenden Aktivitäten die »Produktionsprozesse« und das fertige Produkt der Output (Katz & Kahn, 1966).
Die Arbeiten von Katz und Kahn entstanden im Umfeld der Arbeiten von Likert. Katz und Kahn versuchten jedoch, organisationale Prozesse nicht durch individual-psychologische Theorien zu erklären, sondern verlagerten ihre Aufmerksamkeit auf systembezogene Konstrukte (Katz & Kahn, 1966). Sie waren der Meinung, dass interdependentes Verhalten von Personen in Organisationen sich nur auf einer angemessenen und kollektiven Ebene beschreiben und verstehen lässt.
An den bis dato vorherrschenden klassischen Sichtweisen auf Organisationen kritisierten sie deren geschlossenen Systemcharakter, dass Individuen darin wie in einem soziale Vakuum betrachtet würden, und sahen in der offenen Systemperspektive ein dynamischeres und angemesseneres Rahmenwerk, um Verhalten in und von Organisationen zu erklären (Katz & Kahn, 1966).
Alle offenen Systeme haben Folgendes gemeinsam (Katz & Kahn, 1966):
1. einen Import von Energie, d. h. jedes offene System muss Energie aus der externen Umgebung aufnehmen.
2. einen »Throughput«, d. h. offene Systeme transformieren die ihnen zur Verfügung stehenden Energien.
3. einen Output, d. h. offene Systeme geben eine Form von Produkten in die Umgebung ab.
4. Kreisläufe von Ereignissen, d. h. die musterartigen Aktivitäten des Austauschs von Energie haben einen kreislaufförmigen Charakter. Das Produkt, welches die Organisation an die Umwelt abgibt, ist die Energiequelle der sich wiederholenden Kreisläufe der Aktivitäten.
5. negative Entropie (s. u.), d. h. um zu überleben, müssen offene Systeme den Prozess der Entropie einschränken.
Entropie = Dieses Systemgesetz besagt, dass sich alle Systeme in Richtung Desorganisation und Tod entwickeln oder bewegen (Katz & Kahn, 1966). Physikalische Systeme bewegen sich auf die zufällige Verteilung ihrer Elemente zu, biologische Systeme bewegen sich auf ihren Untergang und ihr Verschwinden zu.
Negative Entropie = durch den Import von mehr Energie als ein System verbraucht, kann Energie konserviert und gespeichert werden (Katz & Kahn, 1966). Organisationen als offene Systeme versuchen, ein optimales Verhältnis von Energie-Input und Output zu erreichen und so viel Energie zu speichern, dass man auch Krisenzeiten überstehen kann.
1. einen Informationsinput, negatives Feedback und Kodierungsprozesse, d. h. soziale Systeme nehmen nicht nur Energie auf, sondern auch Informationen darüber, wie sie in der sie umgebenden Umwelt funktionieren. Die einfachste Form der Information ist das negative Feedback, also Abweichungen vom Ziel oder der Strategie. Die Informationsaufnahme des sozialen Systems ist dabei selektiv. Die Information wird selektiert, kodiert und vereinfacht in neue, für die Organisation bedeutsame und verarbeitbare, Kategorien übersetzt.
2. ein dynamisches Gleichgewicht, d. h. der Import von Energie, um Entropie zu verhindern, ist notwendig, um einen konstanten Energieaustausch zu ermöglichen, sodass überlebende Systeme als »im Gleichgewicht« bezeichnet werden. Das Verhältnis von importierter und abgegebener Energie bleibt konstant.
3. eine Differenzierung, d. h. soziale Systeme bewegen sich auf eine Vervielfältigung und zunehmende Spezialisierung von Rollen zu. Zunächst noch diffuse musterartige Aktivitäten entwickeln sich in spezialisierte Aktivitätsmuster.
4. eine Equifinalität, d. h. Systeme erreichen einen gleichen (bzw. sehr ähnlichen) finalen Zustand auch auf der Basis von verschiedenen Bedingungen und unterschiedlichen Wegen.
In einer Organisation finden sich verschiedene Subsysteme: Produktive und technische Subsysteme sind direkt mit der Energietransformation beschäftigt und sorgen für die Bereitstellung von Input. Aufrechterhaltende Subsysteme (z. B. Aus- und Weiterbildung sowie Personalinstrumente) bereiten Personen auf Ihre Rollen vor und sollen die fortlaufende korrekte Rollenerwartung und -ausführung garantieren (Holling & Müller, 1995). Adaptive Subsysteme sorgen für eine Anpassungsfähigkeit der Organisation an einen sich verändernden Markt (z. B. durch (Markt-)Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten). Subsysteme der Leitung ermöglichen die Koordination und Kontrolle der verschiedenen Subsysteme einer Organisation (Holling & Müller, 1995).
Diese – allen Systemen zugrunde liegenden – Merkmale werden nun durch die Beschreibung von sozialen Systemen auf unseren Kontext übertragen. Soziale Systeme sind musterartige interdependente Aktivitäten von Menschen, die durch Rollen charakterisiert sind, die eine Position von einer anderen unterscheidet, aber ebenso durch Normen und Werte, die weniger differenzierenden als integrativen Charakter haben, da sie von allen geteilt werden.
Soziale Systeme, so Katz und Kahn (1966), sind Strukturen von Ereignissen. Diese Struktur an Ereignisse entsteht aus dem Rollenverhalten der Mitglieder, den Normen, die das Rollenverhalten beschreiben und sanktionieren, sowie aus den Werten, in welche die Normen eingebettet sind.
Rollen sind standardisierte Verhaltensmuster, die von einer Person erfüllt werden müssen, um einen Teil in einer gegebenen funktionalen Beziehung auszufüllen. Diese standardisierten Verhaltensmuster sind unabhängig von persönlichen Werten oder zwischenmenschlichen Verpflichtungen (Katz & Kahn, 1966).
Normen sind generelle Erwartungen an alle Rolleninhaber/innen eines Systems oder Subsystems. Die Normen des Systems machen deutlich, welches Verhalten als angemessen für die Mitglieder des Systems erachtet wird. Normen haben deshalb eher einen »Muss«-Charakter.
Werte sind wiederum generalisierte ideologische Rechtfertigungen oder Ziel- und Wunschzustände (Katz & Kahn, 1966).
Rollen, Normen und Werte sind die Basis für integrierte soziale Systeme, denn die sich in sozialen Systemen befindenden Mitarbeiter/innen sind durch ihre funktionalen Rollen interdependent miteinander verbunden bzw. vernetzt. Die Normen fügen ein zusätzliches kohäsives Element hinzu, sodass sich alle Mitarbeiter/innen an gemeinsame Qualitätsstandards halten.
Soziale Systeme als musterartige interdependente Aktivitäten von Menschen zu verstehen, die durch Rollen charakterisiert sind, erfordert von Organisationen, sich mit den Besonderheiten der Übernahme von Rollen auseinanderzusetzen.
In der organisationalen Rolle finden sich nur Teile der Person eines/einer Mitarbeiter/in wieder. So erfordert die Übernahme einer Rolle, dass eine Person zumindest teilweise die eigene Persönlichkeit »aufgibt« (Kirchler et al., 2004). Nur der Teil der Person kann mit in die Rolle integriert werden, der mit der organisationalen Rolle übereinstimmt. Organisationen müssen sich deshalb bewusst sein, dass Mitarbeiter/innen als Mitglieder dieses sozialen Systems nur temporär diese Rolle übernehmen und sich entscheiden müssen, welche Konsequenzen diese temporäre Übernahme bzw. die temporäre Übereinstimmung von Person und Rolle für das eigene Verhalten hat (Kirchler et al., 2004).
Die organisationale Definition der einzelnen Rollen ist nicht notwendigerweise identisch mit dem Rollenverständnis des/der designierten Rollenträger/in. Obwohl die Organisation und die »Peers« durch Sozialisationsprozesse die Rollenerwartungen und die »Dos und Don‘ts« vermitteln, bleibt dem/der einzelnen Mitarbeiter/in Interpretationsspielraum, wobei auch individuelle Werte und Einstellungen sowie Ansprüche an die eigene Arbeit die Vorstellung der eigenen Rolle prägen (Kirchler et al., 2004).
Die Übernahme von Rollen kann zu komplexen Verhaltenserwartungen führen. Komplex werden die Erwartungen in dem Moment, wenn die Rolle mehrere Aktivitäten umfasst oder eine Tätigkeit mehrere Rollen oder eine Person mehrere Tätigkeiten innehat (Kirchler et al., 2004).
Im Falle von komplexen Rollen-Verhaltenserwartungen kann es zu Rollenkonflikten kommen. Rollenkonflikte entstehen z. B., wenn die Anforderungen aus der Rolle den persönlichen Werten widersprechen, wenn von mehreren Personen konfligierende Erwartungen an den/die Rollenträger/in gestellt werden (z. B. Vorgesetzte haben andere Erwartungen an eine Führungskraft als die Geführten), wenn aus verschiedenen Rollen widersprüchliche Anforderung an die eigene Person gestellt werden (z. B. als Vater wäre ich gerne bei meinem neugeborenen Kind, als Führungskraft muss ich aber 150 % vor Ort sein), und wenn die Anforderungen einer Rolle den/die Rolleninhaber/in in seinen/ihren Fähigkeiten überfordern (Kirchler et al., 2004).