Читать книгу Ophelia im Hudson River - Annette Meyers - Страница 11
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ОглавлениеDie Bar im Oceana in der 4th Street war ein recht intimer Ort für einen Nachmittagsdrink, und Wetzons Freundin, die Finanzmaklerin Laura Lee Day, war genau die Art von erfolgreicher, schillernder New Yorkerin, die dieses Etablissement als Kundin gewinnen wollte.
Wo Laura Lee erschien, zog sie die Aufmerksamkeit auf sich. Kellner stolperten einander über die Füße, um sie zu bedienen, Männer sämtlicher Altersgruppen wollten ihre Bekanntschaft machen. Diese Wirkung war keineswegs ihrer Schönheit zu verdanken, denn sie war nicht schön. Aber sie besaß eine Art inneres Glühen und war ebenso scharfsinnig wie humorvoll; diese Kombination unterschied sie von anderen Frauen. Im Gegensatz zu den meisten an der ›Street‹ las Laura Lee auch andere Bücher als nur die von Tom Clancy, ging häufig ins Theater, in die Oper, ins Ballett, ins Konzert und ins Museum und nahm an sämtlichen kulturellen Ereignissen teil, die ihre Wahlheimatstadt ihr bot. Aufgrund ihrer lebhaften Neugier und ihrer Fantasie war Laura Lee immer ein interessanter Gesprächspartner.
Sie war aus Mississippi nach New York gekommen, um dort Konzertgeigerin zu werden, und endete bei Merrill Lynch, weil ihr Daddy sich geweigert hatte, noch mehr Musikstunden zu bezahlen. Kurz nachdem Wetzon sich als Headhunterin selbständig gemacht hatte, hatte sie Laura Lee kennengelernt und sie bei Oppenheimer untergebracht. Sie waren Freundinnen geworden. Laura Lee nahm immer noch Geigenunterricht, finanzierte aber jetzt ihre Stunden selbst.
Am obersten Treppenabsatz in der Nähe des Eingangs zur Bar saß Fabio allein an einem Tisch. Mit seinem langen Haar, dem groben Gesicht und dem offenen Hemd – »um so besser sieht man die Muskeln, Liebes« – sah er völlig fehl am Platze aus. Seine Körpersprache zeugte von seinem Bedürfnis, wahrgenommen zu werden. Fabio, deine fünfzehn Minuten, in denen du den Ruhm eines Andy Warhol erleben durftest, sind vorbei, dachte Wetzon bei sich.
Die Bar war elegant und dezent eingerichtet. Ruhig und dunkel. Weinregale erstreckten sich bis zu der hohen Decke hinauf, an der ein riesiger Metallfisch befestigt war.
»Ah, da bist du ja, Schatz.« Laura Lee winkte Wetzon zu. Sie war von Kellnern und ein paar attraktiven Männern in Nadelstreifenuniform umgeben, die eindeutig der Finanzwelt angehörten. Die Köpfe wirbelten herum. Einen Augenblick stand Wetzon im Zentrum des Interesses, bis sie sich allesamt wieder Laura Lee zuwandten.
»Setz dich hier hin.« Laura Lee klopfte neben sich auf die Bank und rückte zur Seite.
Die Menge teilte sich für Leslie Wetzon, die schlanke Blondine mit dem langen Hals und dem Haarknoten, die Ex-Broadway-Revue-Tänzerin im Kostüm einer Wall-Street-Headhunterin. Alle verschwanden – glücklicherweise außer einem einzigen Kellner, der sie erwartungsvoll ansah.
»Amstel light«, sagte Wetzon. Sie rümpfte die Nase und deutete mit zwei Fingern auf den Kellner. Er verschwand.
Laura Lee rollte mit den Augen. »Übst du dich in der Kunst des Hexens?«
»Ich genieße es, auch nach meinem vierzigsten Geburtstag noch etwas Neues auszuprobieren. Dadurch bleibt man jung und knackig.«
»Das kann ich bestätigen«, sagte Laura Lee. Sie trank einen Schluck Weißwein. »Wie kommt Ihr mit der Renovierung voran?«
»Frag nicht. Sie schlagen alles zusammen, durchbrechen Wände, und dann verschwinden sie für ein paar Tage – ganz sicher, um auf einer anderen Baustelle zu arbeiten. Ich wünschte nur, Louise hätte die Sache in die Hand nehmen können.«
»Und warum konnte sie das nicht?«
»Eine Galerie in Soho hat ihr eine Ausstellung angeboten. Sie brauchte die Zeit, um alles zusammenzustellen.«
»Aber eine Ausstellung, Mensch, das ist ja toll. Und leihst du ihr dein Bild?«
»Wenn sie es haben möchte.«
»Und wie geht es deiner liiieben Partnerin?«
Wetzon blickte ihre Freundin fragend an. Warum kam sie nicht gleich auf den Punkt? Laura Lee interessierte sich keinen Deut für Smith. »Ihr geht’s bestens, danke. Ob du es nun glaubst oder nicht, sie steht mit Mort Hornberg in Verhandlung, um TV-Specials zu produzieren.«
»Wahnsinn«, sagte Laura Lee.
»Das eine im Zusammenhang mit Combinations war ein absoluter Knüller ...«
»Beabsichtigt die großartige Xenia denn, sich aus dem Geschäft als Headhunterin zurückzuziehen?«
»Keineswegs. Wir haben jetzt Darlene Ford eingestellt, den Sammy Glick unter den Headhuntern. Im Augenblick bestreitet sie das Geschäft größtenteils selbständig.«
Der Kellner stellte das Bier – in hohem Glas mit üppiger Schaumkrone – vor Wetzon auf den Tisch.
»Hast du etwas dagegen?« fragte Laura Lee. »Ich meine, gegen Darlene und die Entwicklung Eures Geschäfts?«
»Manchmal. Aber es ist besser, wenn sie für uns arbeitet als für Tom Keegen. Ich warte nur darauf, daß sie und die mächtige Smith sich in die Haare geraten. Dann fließt nämlich ganz bestimmt Blut, das sag’ ich dir.«
»Aber Wetzon, Schatz, wenn ich dich nicht besser kennen würde, würde ich ja fast annehmen, daß du dich darauf freust.«
»Moi?« Wetzon grinste sie an und genehmigte sich einen großen Schluck. »Um die Wahrheit zu sagen, ich hätte nichts dagegen, wenn mal wieder ein bißchen Leben in die Bude kommen würde. Leute abzuwerben ist im Augenblick ein etwas langweiliges Geschäft. Die gesamte Börse hat sich verändert. Klienten und Nichtklienten kann man gar nicht mehr voneinander unterscheiden. Von Jagdglück kann da gar keine Rede mehr sein. Und dann die Altersvorsorgemaßnahmen der Firmen – sie legen den Mitarbeitern goldene Handschellen an. Keiner ist mehr bereit, sich zu verändern.«
»Ich habe gehört, daß es noch nicht einmal mehr lukrative Gehaltsverhandlungen gibt«, sagte Laura Lee.
»Ja, die ganze Branche trocknet völlig aus. Ein Manager hat mir doch letztens erzählt, daß er glücklich über diese Entwicklung sei, weil sich neue Börsenmakler nicht wegen des Geldes, sondern wegen des Renommees für seine Firma entscheiden würden.«
»Du machst Witze, das hat er wirklich gesagt?«
»Ich schwöre es, Laura Lee. Jeder Narr weiß doch, daß keiner die Firma wechselt, ohne daß nicht auch ein lukratives Sümmchen dabei herausspringt. Wenn er seine Firma für so etwas Besonderes hält, bin ich gespannt, wie er reagiert, wenn er feststellt, daß keiner mehr hinkommt.«
»Na, na. Bis jetzt hattest du in diesem Jahr eine Vermittlungsrate von fünfunddreißig Prozent. Eigentlich könntest du dich doch auf deinen Lorbeeren ausruhen.«
»Was, und mich aus dem Showbusineß zurückziehen?«
Sie lachten, ließen die Gläser klingen und betrachteten einander aufmerksam. Wetzon war nicht bereit, die erste Frage zu stellen.
»Hast du Fabio gesehen, als du die Treppe heraufgekommen bist?« Laura Lee fuhr mit der Zunge über ihre vollen Lippen.
»Ja. Er sieht richtig unheimlich aus.«
»Aber der Körper, Schatz, der Körper.«
Wetzon schüttelte den Kopf. »Ist nicht mein Typ.«
»Wo wir gerade von deinem Typ sprechen ...«
»Ihm geht’s gut, obwohl ich ihn seit gestern morgen nicht mehr gesehen habe. Er arbeitet an irgendeinem Sonderfall.«
»Aha ...«, war alles, was Laura Lee sagte. Sie blickte an Wetzon vorbei in Fabios Richtung.
Sie will Zeit schinden, dachte Wetzon. Dann überlegte sie: Nein, sie wartet auf jemanden. Wetzon nahm noch einen Schluck von ihrem Bier, dann stand sie auf. »Nun, es war schön, dich zu sehen, aber jetzt muß ich mich wieder aufmachen.«
Laura Lee sprang auf. »O nein. Du kannst doch jetzt nicht gehen ...«
»Was ist eigentlich hier los, Laura Lee? Wenn du es mir jetzt nicht sagst, gehe ich auf der Stelle nach Hause.«
»Ah, da ist er ja.« Wieder blickte sie über Wetzons Schulter.
Wetzon wandte sich um. Ein schlanker, bärtiger Mann in grauem Armani-Anzug, schwarzem T-Shirt und ohne Krawatte schüttelte Fabio die Hand und klopfte ihm dann freundschaftlich auf die Schulter. Dann kam er lächelnd auf Wetzon und Laura Lee zu. Er hatte einen gelben Lederrucksack bei sich.
Seine Stirn ging nahtlos in eine Glatze über – nur der Haarkranz war geblieben.
Wetzon kannte ihn irgendwoher. Wo hatte sie ihn schon einmal gesehen? Verwirrt blickte sie Laura Lee an. Diese deutete auf die Bank. Wetzon setze sich also wieder und wartete auf die Ankunft des geheimnisvollen Gastes. Er kam nur langsam voran, denn er begrüßte jeden hier in der Bar, als ob er eine Art Berühmtheit sei.
Als er schließlich an ihren Tisch gelangte, küßte er Laura Lee auf die Wange. Dann richtete er sich auf und streckte Wetzon die Hand entgegen. Klein und wurstfingrig. Am Handgelenk trug er eine Uhr, die ihm die Zeit in jeder Hauptstadt der Welt anzeigte.
Wetzon wartete darauf, ihm vorgestellt zu werden.
Laura Lee lächelte. »Wetzon, Schatz, das ist Hem Barron.«