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Es hatte – unheilverkündend genug – mit einem Kalbsbraten begonnen. Und die meisten Personen hatten die Bühne bereits betreten, als Smith und Wetzon The Groaning Board an diesem Spätnachmittag im April verließen und sich an der 2nd Avenue trennten. Aber keiner von beiden wußte das.

Und keiner hatte eine Ahnung, daß eine der Frauen – Micklynn, A. T., Minnie oder Ellen – als Wasserleiche in dem Bereich des Hudson River enden würde, der unter dem Namen New York Bay bekannt ist.

Als sie in Smith’ Wohnhaus in der 77th Street ankamen, fragte Smith: »Welchen Weg nimmst du nach Hause, Zuckerstück?«

»Warum willst du das wissen? O mein Gott, ich ahne Fürchterliches. Du denkst doch wohl nicht daran, deine Laufschuhe anzuziehen und dich mir anzuschließen.« Den Tag, an dem das passiert, werde ich mir im Kalender rot anstreichen, dachte Wetzon. Smith hatte für Sport nichts übrig, aß, was sie wollte, und behielt trotzdem ihre schlanke, grazile Figur. Eine Gemeinheit!

»Bist du verrückt?« rief Smith.

»Vollkommen!«

»Also, wie gehst du denn nun?«

Wetzon seufzte. »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich am Shakespeare Theater vorbei. »Warum?«

»Warum? Ich kann kaum glauben, daß du mich das allen Ernstes fragst, der Park ist schließlich ganz schön gefährlich. Was, wenn du auf dem Weg zur West Side verschwindest?«

»Ach, mach dir doch nicht ins Hemd«, sagte Wetzon.

Es war immer noch hell, und die Luft, die aus dem Park die 5th Street heraufkam, war voll mit dem Duft des Hartriegels. Die Magnolienknospen wurden größer; Forsythien überzogen die Landschaft mit Gold, und der spanische Flieder begann gerade zu blühen. Im Frühling war der Central Park zum Sterben schön.

Und in ein paar Tagen würde das juckende, tränende Augen und jede Menge Nieser zur Folge haben. Aber was waren ein paar lächerliche Allergien schon gegen den New Yorker Frühling?

Auf den riesigen Stufen des Metropolitan Museum saßen zahlreiche junge – und nicht mehr ganz so junge – Leute, aßen, redeten, lasen, warteten auf ihre Liebsten, auf Freunde oder badeten nur im warmen Sonnenlicht.

Sie nahm den Weg, der hinter dem Museum vorbeiführte, und ging von dort aus in den Park hinunter, wobei sie sich links hielt und die Spielfelder umging. Hier spielten gerade Amateurmannschaften von verschiedenen Ligen, und das Geräusch des Balls, der auf den Schläger traf, schien ihre Frühlingsgefühle nur noch zu unterstreichen.

Babys saßen in Sportwagen, die allgegenwärtigen Kinderwagen mit Schutzdach waren nicht zu sehen; der Park gehörte Joggern, Radfahrern, Rollerbladern und Menschen wie Wetzon, die durch den Park nach Hause liefen und vorgaben, Sport zu treiben, wo es sich doch in Wirklichkeit um Balsam für die Seele handelte.

Die Frauen in New York sind sportbesessen. Dünn ist nicht genug; sie wollen dünn und durchtrainiert sein. Deshalb sind weiße Tennissocken, Laufschuhe und Boxershorts ein absolutes modisches Muß.

Wetzon trug heute nicht ihre Reeboks, und obwohl ihre Schuhe nur flache Absätze hatten, begannen ihre Füße jetzt schon zu protestieren, ein Erbe ihrer Jahre als Tänzerin. Tänzerinnen – praktizierende und ehemalige – litten grundsätzlich unter jeder Menge Fußproblemen.

Als sie am Delacorte-Theater anlangte, wo den ganzen Sommer über kostenlos Shakespeare-Stücke aufgeführt wurden, setzte sie sich auf eine Parkbank, zog die Schuhe aus, um sich die Füße zu massieren, und dachte über den Nachmittag nach.

Warum zog Smith nur so viele Verrückte an – und wurde von ihnen angezogen? In dem Augenblick, als sie The Groaning Board betreten hatten, hatte Wetzon auch diesmal wieder das Gefühl gehabt, unter Verrückten zu sein. Gregory, der das Geschäft beaufsichtigte, war schwul bis ins Mark, mit seinem Hauch rosafarbenem Lippenstift, dem blauen Lidschatten und den falschen Wimpern. Er besaß das ›Stimmen-Gen‹, wie ihr Freund Carlos sagen würde. Die hübsche kleine Ellen hinter dem Ladentisch, das Mädchen, das hinterher draußen auf der Reisetasche gesessen hatte, zählte natürlich nicht dazu.

»Verrückte«, sagte Wetzon trotzdem laut und zog die Schuhe wieder an. Sie ließ einen Mann in einem elektrischen Rollstuhl vorbeisurren, bevor sie aufstand.

Im Weitergehen dachte sie wieder einmal über ihren Auftrag für die Bernard’s Bank nach. Die Person, nach der ihre Personalberatungsfirma suchen sollte, mußte mehrere Sprachen sprechen, über eine fundierte Ausbildung im privaten Bankengeschäft verfügen, auch schon als Devisenhändler gearbeitet haben und mit dem lateinamerikanischen Raum vertraut sein. Insbesondere auf dem brasilianischen und argentinischen Markt sollte er sich auskennen. Die Bank wünschte, daß die betreffende Person in New York arbeitete. Sie hatte tatsächlich vier Leute gefunden, die diesem Anforderungsprofil entsprachen. Aber alle saßen in Miami und hatten keine Lust, nach New York zurückzukehren. Von Miami aus nach Lateinamerika zu reisen, war einfach erheblich unkomplizierter als von New York aus.

Allmählich legte sich die Dunkelheit über den Park. Wetzon schwang sich die Handtasche über die Schulter und verfiel in eine schnellere Gangart. In diesem Augenblick merkte sie, daß jemand mit ihr Schritt hielt.

Vermeide Augenkontakt, warnte sie sich und wünschte, ihre Fersen bekämen Flügel.

Doch es waren ja noch jede Menge Leute hier – Hundebesitzer, die ihre Tiere ausführten, und Jogger –, es gab also nichts, dessentwegen man sich hätte Sorgen machen müssen. Dann holte der Mann auf und sprach sie an.

»Leslie Wetzon?«

Sie blieb stehen und sah ihn an. Er trug Laufschuhe, Shorts und ein sauberes weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt, aus dem weiße Brusthaare hervorquollen.

»Ich dachte mir, daß Sie es sind«, beantwortete er sich selbst seine Frage.

»Sind Sie mir gefolgt?«

Bill Veeder lachte, und die Fältchen um seine Augen vertieften und vermehrten sich. Das hätte ihn häßlich, vielleicht sogar bedrohlich aussehen lassen können, doch das war nicht der Fall. Wenn er lachte, wurden seine Züge weicher und jugendlicher. Aber alles andere an seinem Erscheinungsbild war kalt: blaue Augen wie der Himmel im Winter, das Haar fast weiß, groß, mit dem mageren, gestählten Körper des Joggers. »So könnte man es formulieren«, sagte er. »Ich hatte gerade meine sechs Meilen hinter mir, als ich Sie in der Nähe des Delacorte entdeckte und Ihnen folgte. Ich wollte Sie sowieso anrufen.«

»Mich? Wieso?«

Bill Veeder war Richard Hartmanns Partner in dessen Kanzlei gewesen. Hartmann, der Mafia-Anwalt und Smith’ Exgeliebter, war von den Menschen ermordet worden, die er vertreten hatte, als bekannt wurde, daß er als Informant arbeitete. Ob Veeder ebenfalls Dreck am Stecken hatte, wußte Wetzon nicht und wollte es auch nicht wissen, obwohl man nicht abstreiten konnte, daß er ein sehr attraktiver Mann war.

»Ich habe mir überlegt, ob wir nicht mal miteinander essen gehen sollten, um uns darüber zu unterhalten«, sagte er.

»Worüber zu unterhalten?«

»Geschäftsbeziehungen. Ich habe gehört, daß Headhunting an der Wall Street mittlerweile äußerst mühselig geworden ist.«

Eine kleine Alarmglocke läutete in Wetzons Gehirn. Wer hatte ihm das wohl erzählt? Smith natürlich. Sie war nach Hartmanns Ermordung unzweifelhaft mit ihm in Verbindung geblieben.

»Geschäftsbeziehungen, hmm?« Wetzon öffnete ihre Aktentasche, um ihre Visitenkarte herauszuholen. Sie streckte sie ihm entgegen.

»Nicht nötig. Ich weiß ja, wo ich Sie finden kann.« Er warf ihr einen vielsagenden Blick zu, dessen Bedeutung sie jedoch nicht verstand, dann wandte er sich um und joggte davon.

Das Gefühl, das er in ihr hervorgerufen hatte, gefiel ihr gar nicht. Ihr Teilzeitgeliebter Detective Silvestri vom New York Police Department war mittlerweile zum Vollzeitgeliebten avanciert, und sie war durchaus glücklich.

Warum fühlte sie sich also von Bill Veeder angezogen?

Weil er gefährlich war, sagte sie sich. Darüber konnte es keinen Zweifel geben. Konnte sie aus einem Flirt mit ihm unbeschadet hervorgehen? Wohl kaum.

Sie verließ den Park in der Nähe des Museum of Natural History und ging weiter nach Westen. Was waren das eigentlich für Gedanken, die ihr da kamen? Es handelte sich um ein eindeutig unschuldiges Zusammentreffen am Ende eines – was hatte er gesagt? Eines Sechs-Meilen-Laufes. Er wollte übers Geschäft sprechen.

Richtig.

Richtig, neckte sie eine kleine, gemeine Stimme in ihrem Kopf. Ein unschuldiges Zusammentreffen, nichts sonst, und zwar nach einem Sechs-Meilen-Lauf. Und ohne einen Tropfen Schweiß am Körper.

Ophelia im Hudson River

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