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»Metzgers Schwägerin Sheila«, sagte Silvestri. Er teilte das Mofongo – eine Masse aus zerdrückten Bananen und Speckschwarte vom Schwein, die zu einem Kegel geformt worden war und mit knoblauchhaltigem Fleischsaft serviert wurde – ungleichmäßig zwischen ihnen auf.

»He, du hast dir ja viel mehr genommen.«

»Ich bin ja auch noch im Wachstum.« Er grinste sie an, forderte sie heraus. Der Schatten eines Eintagebartes lag halb vergraben im Grübchen an seinem Kinn.

»Kein Kommentar«, entgegnete sie schnippisch.

»Das war ein Kommentar.« Seine Stimme klang erstickt, denn er verschlang gerade seinen viel zu großen Anteil.

Als sie zum erstenmal im Café Con Leche, ihrem Lieblingsrestaurant in der Nachbarschaft, gewesen waren, hatte eine Frau am Tisch neben ihnen Mofongo gegessen. Als Wetzon sie gefragt hatte, was sie da esse, berichtete die Frau, daß es sich um ein traditionelles Gericht der puertoricanischen Landbevölkerung handelte, und ließ sie probieren. Seitdem waren sie süchtig danach.

»Wir müssen heute abend noch nach West Hempstead fahren«, sagte Silvestri.

»Warum?«

»Metzgers Schwägerin.«

»Was ist mit ihr?« Artie Metzger war Silvestris alter Partner im siebzehnten Bezirk.

»Sie ist gestorben.«

»Oh, das tut mir aber leid. War sie denn krank?«

»Nein.« Er bedeutete dem Kellner, ihm noch ein Bier zu bringen.

»Dann war es sicherlich ein ganz schöner Schock. War sie denn ziemlich alt?«

»Sie war jünger als ich. Vierundvierzig.«

»Ist sie an Brustkrebs gestorben?«

»Nein.«

Silvestris Antworten waren recht einsilbig. Nicht, daß das etwas Ungewöhnliches gewesen wäre. Nur diesmal hatte sie das Gefühl, die Untertitel zu diesem Stummfilm nicht mitzubekommen. »Woran ist sie gestorben?« Sie stopfte sich das letzte Stück Mofongo in den Mund.

»Gute Frage.« Etwas in seiner Stimme lenkte ihre Aufmerksamkeit von der Platte mit gebratenem Schweinefleisch, schwarzen Bohnen und gelbem Reis, die mitten auf dem Tisch stand, ab.

Sie legte die Gabel beiseite. »Mein Gott, Silvestri, Metzgers Schwester wurde ermordet?«

»Wir wissen es noch nicht.«

»Aber das ist der Fall, an dem du gerade arbeitest.«

Er nickte. »Wir warten noch auf die Autopsie-Ergebnisse.«

»Mein Gott, wie schrecklich. Ist sie überfallen worden?«

»Nein. Judy Metzger hat sie gefunden.«

»Gütiger Himmel. Ein Einbruch?«

»Dafür gibt es keine Anzeichen. Nur eines scheint zu fehlen.«

»Was?«

»Ihre Aktentasche.«

»War sie Anwältin?«

»Nein. Lehrerin.« Er zuckte mit den Achseln und schüttete das Bier hinunter. »Judy hat zuletzt am Samstagnachmittag mit ihr gesprochen. Sheila klagte über Magenschmerzen. Als Judy sie am Sonntag nicht erreichen konnte, fuhr sie zu ihrer Wohnung, fand sie dort und rief Artie an.«

»Sie wohnte in Manhattan?«

»In einem dieser eleganten Gebäude, die in Richtung Osten in der 72nd Street stehen. Sie fanden sie auf dem Badezimmerboden liegend. Entweder ist sie gefallen und hat sich den Kopf gestoßen, oder jemand hat nachgeholfen, und es sah nur aus wie ein Unfall.«

»Wenn man aber doch so ein Magen-Darm-Virus bekommt, dann fühlt man sich schwach und ...«

»Sie war eine nette Frau«, sagte Silvestri. Er schob seinen Teller beiseite. Er war immer noch voll.

»War sie verheiratet?«

»Nein. Hast du noch Hunger?«

»Nein.« Die Neuigkeiten über Metzgers Schwägerin hatten dem Abend einen gehörigen Dämpfer versetzt.

Silvestri winkte den Kellner heran. »Packen Sie es bitte ein«, sagte er. »Wir nehmen es mit nach Hause.« Zu Wetzon sagte er: »Sie sitzen im Moment Schivah in Metzgers Haus.«

»Ich bin froh, daß wir hinfahren. Sollten wir ihnen nicht etwas Eßbares mitbringen? Das ist doch schließlich Brauch bei jüdischen Trauerfeierlichkeiten. Ich könnte noch zu Zabar rübergehen ...«

»Ich werde das Zeug hier nach Hause bringen, dort das Auto holen und dich bei Zabar abholen.«

Der frühe Morgen war der beste Zeitpunkt, um im Zabar’s einzukaufen, am zweitbesten war es gegen Feierabend. Zwar warteten immer noch ein paar Leute an der Käsetheke, und mehr als nur ein paar standen vor dem Lebensmittelgeschäft und hielten ihre Nummern fest, aber es gab keine langen Schlangen, und man war innerhalb weniger Minuten drinnen und wieder draußen.

Wetzon entschied, daß sie mit Obst auf der sicheren Seite sein würde. Sie ließ sich ein paar Früchte abwiegen und stellte sich an der Kasse an, an der nur mit Bargeld gezahlt werden konnte. Ein attraktives junges Paar vor ihr diskutierte darüber, ob sie nun auch wirklich genug eingekauft hatten, während sie den Inhalt ihres Einkaufswagens auf das Band entluden. Es reichte, um eine ganze Armee zu verköstigen. Im Geiste ließ sie den Tag Revue passieren, während sie beobachtete, wie die Kassiererin die beiden abfertigte.

In diesem Augenblick wurde ihr klar, daß sie Silvestri die wichtigste Frage noch nicht gestellt hatte. Vielleicht wollte sie es ja auch gar nicht wissen. Vielleicht hatte sie die Frage ja unbewußt verdrängt – Freud ließ grüßen.

Silvestris schwarzer Toyota stand in einer Reihe mit den in der zweite Reihe parkenden Schönheiten: den BMW- und Mercedeskarossen, deren Besitzer bei Zabar’s einkauften.

Nachdem Wetzon eingestiegen war und sich angegurtet hatte, stellte sie die bewußte Frage: »Hast du mal etwas mit Sheila gehabt, Silvestri?«

Er antwortete nicht sofort, sie wußte also, daß sie recht hatte. Natürlich hatte er das. Die alleinstehende Schwester von Metzgers Frau. Wahrscheinlich hatten sie Silvestri mit ihr verkuppelt.

»Es ist schon lange her, Les«, sagte Silvestri und wandte die Augen nicht von der Straße ab.

»Lange bevor ich dich kennenlernte«, summte Wetzon leise.

»Lange bevor ich dich kennenlernte«, wiederholte er. Feuchter Nebel ließ die Lichter der Großstadt in ihrer Umgebung verschwimmen. Feuchte Perlen bildeten sich auf den Fensterscheiben der Autos. Sie fuhren in Richtung Triborough Bridge nach Long Island.

»War sie hübsch, Silvestri?«

»Ja. Sheila war hübsch und gescheit und ein guter Kumpel. Du hättest sie gemocht, Les.«

»Hast du sie geliebt?«

»Ich kann mich nicht erinnern.«

»Du kannst dich nicht erinnern?« Seine Antwort regte sie auf. Was, wenn sie – Wetzon – gestorben wäre, und Silvestri hier mit einer anderen Frau durch die Stadt führe. Was, wenn diese Frau ihm die gleiche Frage stellen würde? Würde er antworten: »Leslie Wetzon? Ob ich sie geliebt habe? Ich kann mich nicht erinnern?« Oder regte sie sich wegen Sheila auf, wegen der armen Frau, die gestorben war? Und bei der Silvestri sich nicht erinnern konnte, ob er sie geliebt hatte. Sie beobachtete, wie er drei Dollar und fünfzig Cent in die Parkuhr warf.

Sie hatte sich so weit in ihr Inneres zurückgezogen, daß sie zusammenzuckte, als er ihren Oberschenkel berührte. Dann legte sie ihre Hand über die seine, spürte, wie die Wärme von ihrem Oberschenkel aus erst auf seine Hand und dann auf die ihre überging. »Silvestri ...«, begann sie. »Ich ...«

»Tau wieder auf, Les«, sagte er. »Was vorbei ist, ist vorbei. Was jetzt ist, ist jetzt.«

Ophelia im Hudson River

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