Читать книгу Ophelia im Hudson River - Annette Meyers - Страница 9
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ОглавлениеCarlos war sauer. Er lief in Wetzons Wohnzimmer auf und ab und kochte vor Wut, während Izz, Wetzons Malteser, auf dem Sofa saß und den Kopf hin und her wandern ließ, um ihn zu beobachten, als spiele er bei einem Tennismatch mit.
»Häschen«, sagte Carlos. »Ich schwöre bei Gott, daß ich diesen Mort Hornberg umbringen werde, bevor ich mich vom Acker mache.« Er kniff vor Wut die Augen zusammen. Selbst der Diamant in seinem linken Ohrläppchen funkelte böse.
»Oh, denkst du etwa daran, dich bald zur Ruhe zu setzen?« fragte Wetzon. Sie gab ihm ein Bier. Er war vor zehn Minuten bei ihr hereingeplatzt und hatte ihr immer noch nicht erzählt, warum er dermaßen erregt war.
»Ja, nun, ich war eben ein Narr, als ich glaubte, daß ich den Film zu Hotshot machen würde, aber unser Freund hat mich ausgestochen.«
»Das tut mir echt leid. Hattet Ihr es denn nicht vertraglich festgelegt, daß du für die Choreografie in dem Film verantwortlich sein würdest?«
»Erinnere dich: Als der Vertrag geschlossen wurde, hatten Mort und ich noch den gleichen Agenten. Joel sagte, daß er den Vertrag so nicht für mich abschließen könne, aber Mort sicherte mir das erste Anrecht zu, diesen Film zu machen.«
»An der Wall Street sind mündliche Absprachen nicht den Atem wert, den man braucht, um sie auszusprechen. Jeder steht nur für sich selbst und achtet darauf, seinen Arsch zu retten. Ups, das klingt aber ganz schön nach Broadway.«
Carlos drohte ihr mit dem Finger. »Nanana, Häschen, beim Theater gibt es auch immer noch ein paar, die ihr Wort noch halten.«
»Und dann gibt es noch Mort Hornberg.«
»Wollte auf den Plakaten wahrscheinlich nicht in einem Atemzug mit mir genannt werden. Darum geht es doch. Meine Kritiken waren einfach zu gut. Sie haben jemanden namens Orson Tree angeheuert.«
»Orson Tree? Nie von ihm gehört. Bist du sicher, daß er Choreograf ist?«
»Das einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, daß dieser Tree Poppy Hornbergs neuer Busenfreund ist.«
»Ah, das erklärt doch alles.«
»Ja.« Carlos ließ sich neben Izz auf das Sofa fallen. Diese kletterte sogleich auf seinen Schoß und besänftigte ihn mit Liebkosungen. »Ich hätte diesen Film so gern gemacht, Häschen.«
»Ich weiß. Mort hat sich abscheulich benommen. Du wirst niemals mehr mit ihm arbeiten.«
»Häschen ...« Er kniff die Augen zusammen und neigte den Kopf.
»Aber du wirst es doch tun.«
»Häschen!«
»Denn ihr Theaterleute seid alle Huren.«
»Autsch«, stöhnte Carlos. »Aber für die Liebe zur Arbeit, mein liebes Herz, für den Ruhm. Nicht für das schnöde Geld, wie Ihr Wall-Street-Typen. Cheers.« Er prostete ihr mit der Bierflasche zu, und sie hob die ihre. Beide tranken. »Wo ist dein Bulle heute abend?« fragte Carlos.
»Arbeitet.«
»Wir haben Karten für den Joyce. Mark Morris. Ich kann versuchen, noch eine zu bekommen.«
Wetzon schüttelte den Kopf. »Ich bin seit sechs Uhr auf den Beinen, habe um sieben gefrühstückt, hatte um acht ein Meeting, dann habe ich den ganzen Nachmittag mit Smith bei The Groaning Board verbracht. Ich würde einschlafen, sobald sie die Bühnenbeleuchtung herunterdrehen.«
»The Groaning Board? Der Barrakuda nimmt einen Catering-Service in Anspruch?« fragte Carlos und gebrauchte den Namen, den er Smith am ersten Tag, als er sie kennengelernt hatte, gegeben hatte.
»Ja, genau.«
»Und was hältst du von ›Sturm und Wasserglas‹, wie Devora und Barron in der Branche genannt werden? Erzähl mir alles.« Er schien sie mit seinem schlanken Finger durchbohren zu wollen.
»Du kennst sie«, klagte sie.
»Häschen, Schatz, in New York kennt eben jeder jeden. Außerdem gibt es eigentlich sowieso nur sieben wichtige Menschen auf der Welt. Das sind John Guares’ sechs Grade der Trennung«, fügte er selbstgefällig hinzu. »Ich kenne Mickey Devora, weil sie und Arthur früher Nachbarn waren. Wir waren ihre inoffiziellen Vorkoster. Ich habe fünf Pfund verloren, seit sie das Kutschenhaus gekauft hat und dorthin gezogen ist. Und ...« Er machte eine dramatische Pause.
»Und was?«
»Und ich bin mit dem Wasserglas nach Bennington gegangen, mit der unmöglichen Alice.«
»Alice? Dafür steht also das A? Und was ist mit dem T?« Carlos grinste. »Toklas.«
»Du machst Witze. Kein Wunder, daß sie sich A. T. nennt.«
»Nun, wenn sie sich A. B. T. nennen würde, müßte sie das mit dem American Ballet Theatre teilen.« Jetzt war er ganz in seinem Element. »Der schreckliche Barron père lernte Gertrude und Alice nach der Befreiung in Paris kennen. Kennst du unseren Hem denn auch schon?«
»Nein. Wer ist Hem?«
»Hemingway Barron, der Bruder.«
»Der Bankier?«
»Genau der.«
»Das ist ja interessant. Also waren père und mère Barron Bohemiens und Exilanten.«
»Tatsächlich war der père die Autoritätsperson im Haushalt. Er war davon überzeugt, daß die meisten Frauen nicht besonders intelligent seien, außer den Lesben. Diese Frauen wiederum bewunderte er. Aber die Barrons standen für Geld, Schatz. Als die alten Herrschaften starben, hinterließen sie geradezu Tonnen davon. Die Hälfte des Vermögens wurde zwischen Hem und Alice aufgeteilt, ein Viertel floß in die Familienstiftung und ein weiteres Viertel in einen Treuhandfond für die Erben.«
»Und die wären?«
»Niemand. Minnie und Hem haben es jahrelang versucht. In vitro und all das.«
»Minnie? Warte eine Sekunde. Erzähl mir jetzt nicht, daß Minnie Wu mit Hem Barron verheiratet ist!«
»Gut, ich erzähle es dir nicht.«
»Mein Gott, Carlos, diese Minnie ist eine gemeine Hexe.«
»Wie ich sehe, hast du auch unsere Min schon kennengelernt.«
»Ich habe jeden kennengelernt, außer Hem.«
»Dann wartet noch ein besonderer Leckerbissen auf dich.«
»Auf keinen Fall, José, ich will mit diesem widerwärtigen Menschenschlag nichts mehr zu tun haben«, erklärte Wetzon.
Was wieder einmal zeigt, daß nichts auf dieser Welt sicher ist, und was den Weg der Götter ebnete, sich sofort mal wieder in ihr Leben einzumischen, denn ausgerechnet Wetzon hätte doch wissen müssen, daß man niemals nie sagen sollte.
Nachdem Carlos gegangen war, fütterte Wetzon Izz, dann schwelgte sie eine halbe Stunde lang im Badewasser. Anschließend genoß sie es, im Jogginganzug mit lose herabfallendem Haar dazusitzen und einfach nur allein zu sein.
Eigentlich hatte sie keinen richtigen Hunger, aber sie wollte etwas naschen, ein chronischer Zustand, der einzig und allein durch Schokolade behoben werden konnte. Sie kochte sich einen entkoffeinierten Kaffee und brach sich einen Riegel dunkler Schokolade ab. Mit der Tasse und der Schokolade rollte sie sich auf dem Sofa neben dem dösenden Hund zusammen.
Verdammt, sie hatte noch nicht einmal ihre Aktentasche ausgepackt! Also stand sie auf und holte sich die Tasche ans Sofa; dann ging sie die Papiere durch. Nichts Wichtiges, womit man sich sofort hätte beschäftigen müssen. Konnte alles bis morgen warten.
Folglich packte sie den ganzen Wust wieder ein – außer dem weißen Umschlag mit der Pressemappe und dem Mustervertrag, den A. T. Smith überreicht hatte. Der Umschlag war ziemlich dick. Sie drehte ihn um. Gab es irgendeinen Grund, warum sie keinen Blick darauf hätte werfen sollen? Nein, natürlich nicht. Aber warum wollte sie sich überhaupt darum kümmern?
»Dumme Neugier, was sonst«, sagte sie zu Izz, die sie mit weit aufgerissenem Maul angähnte. Wetzon öffnete die Lasche und holte die Papiere heraus.
Aber es handelte sich nicht um eine Pressemappe, ebensowenig war es ein Vertrag, der die Ausrichtung einer Dinnerparty regelte. Sie überflog die erste Seite. Derlei Dokumente hatte sie schon häufig genug gesehen; es handelte sich um einen vorläufigen Emissionsprospekt, wie er bei einem ersten Börsengang erstellt wird. Die linke Spalte der Titelseite war in roter Schrift gedruckt. Die rote Tinte diente als Warnung für zukünftige Anleger, daß der vorläufige Emissionsprospekt nicht sämtliche bedeutsamen Informationen über den Börsengang enthielt, und daß ein paar der darin enthaltenen Fakten sich noch verändern konnten, wenn der endgültige Emissionsprospekt fertig war. Das Deckblatt trug den roten Stempel VERTRAULICH.
Die Firma war The Groaning Board.
Sie blätterte um. Unter einer Büroklammer, mit der die zweite Seite markiert worden war, klemmte ein zusammengefaltetes Blatt Papier. Sie kannte die Handschrift. Als sie die Notiz auseinanderfaltete, trug das Papier den Namen einer Finanzmaklerin. Wetzons Freundin Laura Lee Day.