Читать книгу Ophelia im Hudson River - Annette Meyers - Страница 18
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ОглавлениеMax reichte Wetzon einen Fahndungsbogen. »Er heißt Carl Grant. Hat seine eigene Fernseh-Show bei CNN, und er macht eine Livesendung im Radio. Will eine Vorauszahlung in Höhe von einer Million Dollar. Hat immer wieder gesagt, daß ich doch wissen müßte, wer er ist. Will, daß ihn jemand zurückruft, der ihn kennt.«
»Und ich nehme an«, sagte Smith, »daß er etwa zwei Millionen brutto im Jahr verdient.«
Börsenmakler arbeiteten auf Provisionsbasis, die sich aus ihren Bruttoerträgen errechnete. Ihr Verdienst richtete sich also nach der Gewinnausschüttimg der Firma, von der dem Broker ein bestimmter Prozentsatz ausbezahlt wurde. Der Prozentsatz variierte von Firma zu Firma. Merrill Lynch zahlte am wenigsten, und Broker-Häuser oder Finanzdienstleistungsunternehmen, die auf bestimmte Dienstleistungen oder Marktsegmente spezialisiert waren – wie Bear Stearns und DLJ – zahlten am meisten. Ein Broker, der eine Million brutto im Jahr machte, trug bei Merrill neununddreißig und bei Bear Stearns fünfzig Prozent nach Hause. Aufgrund dieser Diskrepanz bot Bear Stearns außer der Gewinnausschüttung nur wenige zusätzliche Erfolgshonorare, die noch einen zusätzlichen Anreiz hätten bieten können, in die Firma einzutreten.
»Wie hoch ist sein Bruttoertrag, Max?« fragte Wetzon und überflog die Fahndungsakte. »Du hast nichts notiert.«
»Er sagte, das würde er mir erzählen, nachdem ich herausgefunden habe, wer er ist.«
»Puh«, rief Smith.
»Ich werde ihn anrufen. Danke, Max. Gute Arbeit.« Wetzon sah Smith an und runzelte die Stirn.
Smith warf den Kopf zurück. »Du bist wunderbar, liebster Max. Jetzt geh schön raus und häng dich ans Telefon, damit der Rubel rollt.«
»Darlene hat heute ebenfalls jemanden aufgetan«, berichtete Wetzon Smith, nachdem Max die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Eine große Firma in Allentown.«
»Habe ich es dir nicht gesagt? Unsere kleine Goldmine wird noch für uns sorgen, wenn wir schon alt und senil sind.«
»Darauf würde ich nicht wetten. Und ich würde mich auch nicht auf sie verlassen.« Wetzon suchte Carl Grants Telefonnummer heraus. »Es ist gut, daß sie bei uns unter Vertrag steht.«
»Mr. Grants Büro«, sagte eine fröhliche weibliche Stimme.
»Hi, ist er da?«
»Er spricht auf der anderen Leitimg. Wer spricht da, bitte?«
»Mrs. Wallingford.«
»Bitte bleiben Sie in der Leitung, Mrs. Wallingford.«
»Wo ist sie überhaupt heute?« fragte Smith.
»Ja, ich bleibe dran. Sie mußte Pinky zum Tierarzt bringen.«
»Hätte ich nicht gedacht, daß sie etwas für Katzen übrig hat«, sagte Smith.
»Hat sie auch nicht. Eher für vietnamesische Schweine mit Schmerbauch.«
Smith quietschte.
»Carl Grant hier.«
Wetzon hieß Smith mit einem Kopfschütteln, ruhig zu sein. »Hi, Carl. Leslie Wetzon, Ihre freundliche Headhunterin aus der Nachbarschaft. Ich habe gehört, daß sie in unserem Büro mit Max gesprochen haben und bin wirklich beeindruckt. Ich möchte alles über Ihre Fernseh-Show hören. Ich bin erstaunt, daß Loeb Dawkins sie nebenher arbeiten läßt.«
»Nun, ich habe de facto keine eigene Fernseh-Show, war aber schon bei mehreren Shows zu Gast.«
»Oh, ich verstehe. Sie waren also schon bei mehreren Shows zu Gast«, wiederholte sie, damit Smith alles mitbekam.
»Hmpf«, gab Smith von sich und warf die Arme in die Höhe.
Carl Grant fuhr fort. »Ich sollte bei Oprah mitmachen, als sie diese Show über Investment-Clubs gemacht hat, aber die Firma befürchtete, daß man mir dort Fragen über die hiesigen rechtlichen Probleme stellen würde.«
»O ja, rechtliche Probleme.« Loeb Dawkins hatte ein paar Aktionärsklagen am Hals: Die Firma hatte ihre Broker in den achtziger Jahren angehalten, Anteile risikoreicher Kommanditgesellschaften an ungeeignete Investoren zu verkaufen, an alte Menschen, Witwen und Waisen. »Ich vermute, die schlechte Publicity der Firma macht es schwer, Kunden zu halten«, sagte sie.
»Sie wissen doch, daß dieser Typ von der Times ständig auf uns herumhackt, nur weil er das Vorkaufsrecht für bestimmte Wertpapiere haben will.«
»Also, Carl, nennen Sie mir konkrete Zahlen?«
»Im Jahr mache ich 800 000 Dollar.«
»Und Sie wollen eine Million im voraus?«
»So lautet meine Bedingung.«
»Vergessen Sie es. Wenn Sie zwei Millionen im Jahr machen würden, könnten wir darüber reden, aber heutzutage ist es vorbei mit Vorauszahlungen. Bei 800 000 jährlich könnten Sie maximal 250 000 bis 300 000 verlangen.«
»Auf keinen Fall. Ich will eine Million und eine Personality-Show im Fernsehen. Andernfalls bleibe ich, wo ich bin.«
»Sie haben absolut recht, wenn Sie bleiben, wo Sie sind, Carl. Wahrscheinlich sind Sie ja auch durch Eigenprodukte gebunden, die nicht übertragbar sind. Sie würden Ihr halbes Buch zurücklassen müssen.«
»Aber ...«
»Es war nett, sich mit Ihnen zu unterhalten. Ich freue mich schon auf Ihren Fernsehauftritt.« Wetzon legte auf.
»Da kannst du mal sehen, was für ein Abschaum das ist«, sagte Smith. »Ein hervorragendes Beispiel dafür, wie diese Leute die ganze Zeit lügen.«
»Nicht alle.«
»Oh, ich weiß, du hast immer deine Lieblinge, aber du bist ja auch so leichtgläubig, Zuckerstück. Was soll ich nur mit dir machen? Du glaubst einfach alles, was andere dir erzählen.« Sie nahm ihre Tarotkarten aus der Handtasche und begann, sie zu mischen.
»Smith ...«
»Und gleichzeitig ist das eine deiner liebenswertesten Eigenschaften, Liebes«, fuhr Smith fort und mischte träge vor sich hin. »Übrigens, ich möchte, daß du besonders nett ...«, sie betonte das Wort nett, »... zu Bill Veeder bist. Er ist doch so ein reizender Mann.«
»Entschuldige mal. Bill Veeder?« Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Verdammt, Smith, ist das der Grund, warum du dich letzte Woche so genau nach meinem Weg erkundigt hast? Du hast mir eine Falle gestellt.«
Smith lächelte wie eine Katze; sie hielt den Kartenstapel einen Augenblick lang an die Brust und schloß die Augen. Als sie sie wieder öffnete, begann sie die Karten auf ihrem Schreibtisch auszulegen, wobei sie ein ständiges, unverständliches Murmeln von sich gab.
»Grrr«, machte Wetzon. Das war typisch für Smith. Verdammen, schmeicheln, manipulieren, das Thema wechseln. Doch Smith hatte eindeutig einen sechsten Sinn. Sheila Gelbers Schivah war jetzt über eine Woche her, und Silvestri war fast nie da, sowohl auf physischer als auch auf emotionaler Ebene. Wetzon blickte auf den nächsten Fahndungsbogen, nahm den Hörer ab und rief Benny Flaxman bei Loeb Dawkins in Ashland, Oregon an. Max hatte ihn im Rahmen seiner Akquisitionsmaßnahmen im letzten Jahr einfach mal auf Verdacht angerufen. Jetzt hatte Wetzon es übernommen, den Kontakt zu ihm zu festigen, weil es den Anschein hatte, daß Benny in seiner gegenwärtigen Stellung unglücklich war. Doch er saß dort fest wie ein Leichnam, der sich eine Ruhepause gönnt. Das einzig Positive war, daß er sich auf Gespräche mit Rivington Ellis eingelassen hatte. Das erste Gespräch war gut verlaufen, und das zweite sogar noch besser.
»Es ist schrecklich hier, Wetzon«, sagte Benny zum wiederholten Mal.
»Ich kann doch nichts für die Geschäfte mit diesen vermaledeiten Kommanditgesellschaften, aber ich werde ebenso geteert und gefedert wie die Schlimmsten hier.«
»Benny, Sie heulen mir seit Monaten die Ohren voll. Jetzt will Rivington Ellis Ihnen einen Scheck ausstellen, damit Sie endlich in den Quark kommen und nach New York wechseln. Tun Sie’s.«
»Ich werde darüber nachdenken. Letztens hat mich noch so ein Typ angerufen – ein anderer Headhunter. Ich habe ihm Fragen wegen Rivington Ellis gestellt, sagte, daß jemand anders eine Verbindung zu ihm hergestellt hat, und er sagte, daß sie kurz vor der Veräußerung stehen.«
Wetzon knirschte mit den Zähnen. Warum mußten Broker gleich jedem Glauben schenken, der eine Geschichte zu erzählen hatte? »Stimmt nicht, Benny. Sie haben gerade ein Angebot einer deutschen Bank abgelehnt, die ein Stück vom Kuchen kaufen wollte. Sie wollen unabhängig bleiben. Wer war denn der andere Headhunter?«
»Keine Ahnung. Tom irgendwas.«
Dieser verdammte Tom Keegen betätigte sich also als Brunnenvergifter, dachte Wetzon. Laut sagte sie: »O ja, ich kenne ihn. Er ist ein Schurke. Sie sollten nicht auf ihn hören.«
»Okay, Wetzon, Sie wissen ja: Ich vertraue Ihnen«, sagte Benny und legte auf.
Ein leises Klopfen erklang von oben. Der Boden wurde verlegt. Es kam einem so vor, als hätte man ungeheure Fortschritte erzielt, denn sie wurden nicht länger von Staub, Schutt und Lärm überschwemmt. In ein paar Wochen würden sie ein neues Büro haben. Das Problem war nur, daß es Wetzon mittlerweile völlig egal war. Sie hatte ihre Begeisterung für dieses Geschäft verloren. Es machte einfach keinen Spaß mehr.
Vorauszahlungsvereinbarungen waren buchstäblich verschwunden, die Firmen hatten schwer zu kämpfen. Viele hatten attraktive Altersvorsorgeverträge mit den Mitarbeitern abgeschlossen, und zwei der besten Kunden von Smith und Wetzon hatten aufgehört, überhaupt mit Headhuntern zusammenzuarbeiten.
»Sie sind uns zu teuer«, hatte Chip Constantine, der Leiter des Privatkundengeschäfts bei Marley Straus zu Wetzon gesagt. »Unsere Manager werden selbst nach geeignetem Personal suchen müssen.«
»Chip«, hatte Wetzon geantwortet. »Ich wünsche Ihnen viel Glück dabei.« Die meisten Manager hatten weder die Zeit noch das Talent zur Personalsuche. Sie stolperten meist über ihr eigenes Ego.
Chip. Warum trugen so viele Männer in der Finanzwelt noch ihre Klein-Jungen-Namen? Sie kannte vier Buzzes, zwei Chips, fünf Chucks, zwei Spikes, einen Buck, vier Buddys, vier Sonnys, einen Fuzzy und drei Skips.
Skip to m’lou, m’darlin’.
Smith’ Zischen riß Wetzon aus ihren Gedanken. »Was ist los?«
»Alles. Nichts wird funktionieren«, murmelte Smith. Sie starrte auf ihre Karten hinunter.
Max klopfte an die Tür und steckte den Kopf durch die Tür. »Ein Anruf für dich, Wetzon.«
»Wer ist dran, Max.«
»Der König der Becher steht auf dem Kopf«, orakelte Smith.
Völlig verwirrt blinzelte Max Smith an.
»Und was bedeutet das?« fragte Wetzon Smith. Und dann zu Max gewandt: »Wer, sagtest du, ist dran, Max?«
»Er hat gesagt, daß es vertraulich ist«, erwiderte Max. »Hat eine seltsame Stimme. Ziemlich asthmatisch.«
»Vertraulich, was auch sonst?« Wetzon nahm den Hörer in die Hand. »Leslie Wetzon.« Keine Antwort, aber es war jemand in der Leitung. Sie konnte ihn atmen hören. Verärgert knallte sie den Hörer auf die Gabel.
»Es bedeutet«, sagte Smith, »daß jemand nicht der ist, der er zu sein vorgibt.«
»Alles klar.«
Smith wandte sich ihr zu, sie war ganz fassungslos: »Du machst Witze darüber, aber das würde ich nicht tun. Ich scherze niemals über das Tarot. Er ist gefährlich.«
»Und das Tarot lügt nie.«
»Stimmt genau.«
»Und dieser König der Becher ... auf dem Kopf ... tritt er irgendwann in unser Leben?«
Smith seufzte. »Er ist schon da.«