Читать книгу Ophelia im Hudson River - Annette Meyers - Страница 20

16

Оглавление

Das Rainbow Promenade, im obersten Stockwerk der Rockefeiler Plaza 30, war zwar ein elegantes, ja vornehmes Restaurant, zog aber trotzdem gleichermaßen Touristen, Spießer und Rentner mit einem Sinn für Nostalgie an. Es handelte sich nicht um ein Insider-Lokal mit einem bestimmten Flair, wie die Mark Bar oder die Bar im Oceana, in denen erfolgreiche New Yorker Yuppies zu verkehren pflegten.

Außerdem handelte es sich um den idealen Ort, um sich mit einem Geliebten zu treffen, denn es war so gut wie sicher, daß man hier niemanden treffen würde, den man kannte. Geliebter? War es das, woran sie dachte? Was, zur Hölle, stellte sie sich eigentlich vor?

Beunruhigt durch ihre eigenen Gedanken legte Wetzon sich den Trenchcoat über den Arm und nahm den Expreß-Aufzug in den fünfundsechzigsten Stock. Sie stand mit fünf japanischen Touristen zusammen, die mit Kameras behangen waren und blaue Tiffany-Taschen bei sich hatten. Die anderen Fahrgäste waren zwei deutschsprechende Männer in Freizeitkleidung und ein Paar in Festtagskleidung ... für eine Party in Savannah: Der Mann trug eine schwarze Fliege, die Frau aquamarinfarbenen Südstaaten-Chiffon. Das Haar fiel ihr in einer haarsprayfixierten Welle ins Gesicht, das an eine – wenn auch verblassende – Südstaatenschönheit erinnerte.

Die Personalberaterin Leslie Wetzon trug eine schwarze Aktentasche und besagten Trenchcoat und war natürlich in New Yorker Schwarz gekleidet: Wollkostüm, schwarzweiße Seidenbluse und ein langer schwarzer Seidenschal mit weißen Tupfen.

Das Promenade lag im Dämmerlicht. Auf diese Weise kam der fantastische Blick über Manhattan besser zur Geltung. Außerdem konnte man seinen Begleiter hier besser verbergen. Da war es schon wieder!

Für abgestumpfte New Yorker mochte das Erlebnis, bei Sonnenuntergang hier ein Glas zu trinken, ein alter Hut sein, aber Wetzon hatte ihre Ehrfurcht vor dieser Stadt niemals ganz verloren. Sie war ihr Land Oz, und ihre Magie siegelte sich in den Fenstern des Rainbow Promenade.

Der Maître näherte sich ihr: »Ich bin hier mit William Veeder verabredet«, informierte Wetzon ihn.

»Ms. Wetzon?«

Sie nickte.

»Mr. Veeder hat gerade angerufen. Er kommt ein paar Minuten später. Er bittet Sie, an seinem Tisch Platz zu nehmen.«

Sein Tisch? dachte sie. Moment mal!

»Er hat einen Lieblingstisch«, sagte der Maître, als ob sie laut gesprochen hätte.

Aber wenn man genau darüber nachdachte, sagte er das vielleicht zu sämtlichen Frauen, die Bill Veeder hierher ausführte.

»Dürfen wir Ihnen vielleicht einen Cocktail bringen, während sie auf ihn warten?«

»Ein Amstel light, danke.«

Von Veeders Stammplatz aus konnte man ganz Manhattan überblicken. Die Sonne ging gerade unter.

Wetzon hatte einen Kloß im Hals. Was hatte sie doch für ein Glück, hier leben zu dürfen! Ihre bedrückte Stimmung wegen Silvestri begann sich aufzulösen, sie wurde ruhiger. Am liebsten hätte sie die ganze Stadt umarmt, sie an ihre Brust gedrückt. Tränen traten ihr in die Augen.

»Nun, wie ich sehe, habe ich den idealen Ort für unser Rendezvous gefunden.« Ein makelloser Bill Veeder setzte sich in den gegenüberliegenden Stuhl. Mit langen, schlanken Fingern zupfte er seine französischen Manschetten zurecht. Der goldene Ehering war nicht zu übersehen.

»Rendezvous? Was für eine seltsame Wortwahl«, entgegnete Wetzon und wischte sich verstohlen mit der Fingerspitze die Tränen ab. »Ich dachte, wir hätten nur eine geschäftliche Verabredung.«

»Vielleicht eher eine Art Kennenlern-Drink.« Seine Augen schienen sie förmlich zu verschlingen; sie ertappte sich dabei, wie sie sich zu ihm über den Tisch beugte, und fuhr zurück. »Ich habe gehört, daß Sie so etwas in ihrer ... Branche ... als ... Ausloten der Möglichkeiten bezeichnen ...« Ein Kellner stellte Veeder einen Martini hin und goß schäumendes Bier in Wetzons Glas.

Als Veeder eine dunkle Augenbraue hochzog, war sie froh, daß sie sich ein Bier bestellt hatte. Seine flüchtige Ähnlichkeit mit Paul Newman – das zerklüftete Gesicht, das kurzgeschnittene weiße Haar, die dunklen Augenbrauen und klaren blauen Augen – war verblüffend. Seine Augen fingen erneut ihren Blick auf und hielten ihn ein paar Sekunden lang fest, bis Wetzon sich beunruhigt losriß. Sie spürte die Liebkosung, obwohl er noch nicht einmal seine Hände bewegt hatte. Mein Gott, dachte sie, ich bin dabei, den Kopf zu verlieren.

»Mögen Sie Oliven?« Seine Stimme war heiser und verheißungsvoll.

»Was?« Sie spürte, daß ihre Wangen brannten.

»Oliven«, wiederholte er und gab ihr die aus seinem Martini.

»Oh.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich liebe Oliven, nur nicht, wenn sie in Alkohol gelegen haben.« Sie bemerkte, daß er frisch rasiert war, glatt und sauber. Keine Bartstoppeln wie Silvestri. Sie fragte sich, wie alt er wohl sein mochte. Anfang Fünfzig vielleicht. Seniorpartner. Er hatte ein würzig duftendes Rasierwasser aufgetragen, das sie ganz schwindelig machte. Oder war es das Bier? Sie stieß das halbleere Glas beiseite.

»Ist schon erstaunlich, wie klein die Welt ist«, sagte Veeder.

»Was meinen Sie?« Ob er den Herzschlag an ihrem Hals erkennen konnte? Sie zupfte an ihrem Schal. Er schien sie zu ersticken.

»Einer meiner Klienten hat sie neulich erwähnt.«

»Tatsächlich? Wer?«

»Hem Barron.«

»Ich habe ihn vor ein paar Wochen flüchtig kennengelernt, durch eine Freundin.« Sie ertappte sich dabei, wie sie die Stirn runzelte, und plötzlich wurde ihr klar, daß sie das alles viel zu ernst nahm; sie hatte vergessen, wie man flirtete. Vielleicht hatte sie es ja auch nie gewußt. Entspann dich, Leslie, sagte sie sich. Sie trank noch einen Schluck Bier und lächelte Veeder zu. Du hast hier die Oberhand, Mädchen. Sorg dafür, daß es so bleibt.

»Ja, Hem machte sich leichte Sorgen, daß Sie vorschnell etwas über den Börsengang verlautbaren lassen könnten ...«

»Oh«, sagte sie und verbarg ihre Enttäuschung nicht. »Darum geht es also bei unserem geheimnisvollen Treffen?« Sie blickte auf die Stadt hinab. Die schwindenden Sonnenstrahlen warfen gelbe Pfeile auf die Gebäude aus Glas und Stahl.

»Nein«, sagte Veeder. »Absolut nicht. Es war Zufall, wirklich. Der eigentliche Grund ist etwas, das ich tun wollte, seit ...« Er beobachtete sie mit erschreckender Selbstsicherheit, während Wetzon automatisch ihre Gedanken zu jener Weihnachtsfeier vor fünf Monaten zurückwandern ließ. Smith hatte sie mit zu dieser Anwaltskanzlei geschleift – um das jährliche Entzünden des Weihnachtsbaumes an der Rockefeller Plaza zu sehen.

Als Veeder bemerkt hatte, daß sie keinen Champagner trank, hatte er sie auf einen besonderen Malt-Scotch in sein Büro mitgenommen. Sie hatten die Zeremonie von seinem Fenster aus beobachtet. Wetzon war einen Augenblick lang entwaffnet gewesen, und die erotische Ausstrahlung dieses Mannes, der so dicht neben ihr gestanden hatte wie ein Liebhaber, hätte fast ihren Schutzwall eingerissen. Liebhaber – schon wieder so ein Wort.

Sie schüttelte den Kopf, um die Erinnerimg zu vertreiben. Draußen verliehen die blinkenden Lichter der umliegenden Bauten der Stadt ein unwirkliches Aussehen. Sie sah Bill Veeder an und gab sich einen Ruck. »Nein«, sagte sie.

»Warum nicht?« Seine blauen Augen blinzelten keinen Augenblick lang. Er wußte genau, worauf sich ihr Nein bezog.

»Ich bin gebunden ...« Sie war verblüfft, wie schal ihre Worte klangen. Sie blickte auf ihre Finger hinab, die die Serviette zerpflückten.

»Ich bin verheiratet.« Plötzlich griff seine Hand über den Tisch, seine Finger berührten sie in Brusthöhe. »Ihr Knopf ist offen«, erklärte er und knöpfte ihr die Bluse zu, während sie den Atem anhielt.

»Bill, wie schön, Sie zu sehen.« Die Stimme einer Frau hinter Wetzon.

Veeder erhob sich, um der Frau und ihrem Begleiter die Hand zu schütteln. Er begrüßte ihn mit: »Wie läuft es, Rog? Wir müssen in dieser Garelick-Weisman-Fusion einfach zusammenkommen.«

»Ich rufe Sie an«, sagte Rog. Er blickte mit einem scheinbar wissenden Grinsen auf Wetzon hinunter. »Wollen Sie uns nicht vorstellen?«

Wetzon spürte, wie sie auf ihrem Stuhl zusammenschrumpfte. Sie wünschte sich jetzt nur noch eines: hier rauszukommen, niemals hiergewesen zu sein.

»Verzeihung«, sagte Veeder glattzüngig. »Natürlich ...«

Er will mich nicht vorstellen, dachte Wetzon und unterdrückte ein nervöses Kichern.

»Ich möchte Ihnen zwei Kollegen vorstellen, Leslie. Roger Asher und ...«

Wetzon überkam eine Welle der Übelkeit.

»Leslie und ich kennen einander bereits, nicht wahr?« säuselte Rita Silvestri.

Ophelia im Hudson River

Подняться наверх