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Schopenhauers Metaphysik des Willens

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Bei seiner Darlegung des Prinzips der Nützlichkeit hatte Bentham es mit dem Prinzip der Askese kontrastiert, das Handlungen insofern gutheißt, als sie dazu tendieren, das Glück zu verringern. Das Ziel von Benthams Kritik war die christliche Moral, doch kein Christ hatte das Prinzip der Askese jemals in vollem Umfang verteidigt. Von allen Philosophen war derjenige, der der Verkündung eines solchen Prinzips am nächsten kam, der Atheist Arthur Schopenhauer, der gerade ein Jahr alt war, als Bentham seine Einführung in die Prinzipien der Moral und Regierung (1789) veröffentlichte.

Schopenhauer war der Sohn eines Danziger Kaufmanns. Bis zum Jahr 1803, in dem sein Vater starb, erhielt er eine Erziehung, die ihn darauf vorbereiten sollte, ebenfalls eine kaufmännische Laufbahn einzuschlagen. Dann begann er jedoch ein dem Studium gewidmetes Leben und nachdem er zunächst Medizin studiert hatte, schrieb er sich 1810 an der Universität Göttingen für das Fach Philosophie ein. Seine Lieblingsphilosophen waren Platon und Kant, während er Kants Schüler Fichte, dessen Vorlesungen er 1811 in Berlin hörte, nicht bewunderte. Insbesondere widerte ihn Fichtes Nationalismus an, und statt sich dem preußischen Kampf gegen Napoleon anzuschließen, zog er sich zurück, um seine Schrift Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde zu verfassen, die er 1813 an der Universität Jena als Doktorarbeit einreichte.

In den Jahren 1814–1818 schrieb er sein Hauptwerk: Die Welt als Wille und Vorstellung. Das Werk ist in vier Bücher unterteilt, wobei das erste und dritte der Welt als Vorstellung und das zweite und vierte der Welt als Wille gewidmet sind. Mit dem Wort „Vorstellung“ bezeichnet Schopenhauer keinen Begriff, sondern eine konkrete Erfahrung – dasjenige, was Locke und Berkeley als „Idee“ bezeichnet hatten. Schopenhauer zufolge existiert die Welt allein als Vorstellung, nur in Beziehung auf ein Bewusstsein: „Die Welt ist meine Vorstellung.“ Für jeden ist der eigene Körper der Ausgangspunkt der Wahrnehmung der Welt, und andere Objekte werden anhand ihrer Wirkungen aufeinander erkannt.

Schopenhauers Darstellung der Welt als Vorstellung unterscheidet sich kaum vom System Kants. Das zweite Buch, in der die Welt als Wille dargestellt wird, ist jedoch höchst originell. Schopenhauer erklärt darin, dass die Wissenschaft die Bewegung von Körpern anhand von Gesetzen erklärt, wie zum Beispiel derjenigen der Trägheit und Gravitation. Doch die Wissenschaft gibt keine Erklärung des inneren Wesens dieser Kräfte. Tatsächlich wäre keine solche Erklärung je möglich, wenn der Mensch nicht mehr als ein erkennendes Subjekt wäre. Ich bin jedoch selbst in dieser Welt verwurzelt und mein Körper ist nicht lediglich ein Objekt neben anderen, sondern er verfügt über eine aktive Kraft, derer ich mir bewusst bin. Dies, und nur dies, erlaubt es uns, in das Wesen der Dinge einzudringen. „[V]ielmehr ist dem als Individuum erscheinenden Subjekt des Erkennens das Wort des Rätsels gegeben: und dieses Wort heißt WILLE. Dieses, und dieses allein, gibt ihm den Schlüssel zu seiner eigenen Erscheinung, offenbart ihm die Bedeutung, zeigt ihm das innere Getriebe seines Wesens, seines Tuns, seiner Bewegungen“ (WWI 100).9 Jeder kennt sich selbst als ein Objekt und ein Wille, und dies wirft ein Licht auf jedes Phänomen in der Natur. Das innere Wesen aller Gegenstände muss mit dem identisch sein, was wir in uns den Willen nennen. Doch es gibt viele verschiedene Abstufungen des Willens, die bis zur Schwerkraft und zum Magnetismus hinabreichen, und nur die höheren Stufen werden von Erkenntnis und Selbstbestimmung begleitet. Dennoch ist der Wille das reale Ding an sich, nach dem Kant vergeblich gesucht hatte.

Da auch er annimmt, dass leblose Objekte weder nach Gründen noch aus Motiven handeln, mag man sich fragen, warum Schopenhauer ihre natürlichen Tendenzen als „Wille“ statt mit Aristoteles als „Streben“ oder mit Newton als „Kraft“ bezeichnet. Schopenhauers Antwort hierauf lautet, dass wir – wenn wir Kraft als eine Form des Willens erklären – etwas, das uns weniger bekannt ist, durch etwas erklären, das wir besser kennen. Das einzige uns zugängliche, unmittelbare Wissen über das innere Wesen der Welt ist uns durch das Bewusstsein unseres eigenen Willens gegeben.

Doch worin besteht das Wesen des Willens selbst? Alles Wollen, lehrt Schopenhauer, entspringt aus einem Bedürfnis, damit aus einem Mangel und also aus einem Leiden. Geht ein Wunsch in Erfüllung, wird er lediglich durch einen anderen ersetzt. Wir haben ständig mehr Wünsche, als wir uns erfüllen können. Solange unser Bewusstsein von unserem Willen beherrscht wird, können wir niemals Glück oder Frieden erleben. Wir können bestenfalls darauf hoffen, dass Schmerz und Langeweile einander ablösen.

Im dritten und vierten Buch seines magnum opus bietet uns Schopenhauer zwei verschiedene Wege zur Befreiung aus der Sklaverei des Willens. Der erste besteht im Genuss von Kunstwerken, in der reinen, interesselosen Kontemplation des Schönen. Der zweite Weg, auf dem wir dem Willen entkommen können, besteht in der Entsagung. Nur wenn wir dem Willen zum Leben entsagen, können wir uns von seiner Tyrannei gänzlich befreien. Der Wille zum Leben wird nicht durch Selbstmord negiert, sondern durch eine asketische Lebensweise. Um wirklichen moralischen Fortschritt zu erzielen, müssen wir nicht nur Bosheit (die Freude am Leiden anderer), Schlechtigkeit (die Nutzung anderer zu unseren Zwecken) und selbst Güte (die Bereitschaft, uns für andere zu opfern) hinter uns lassen. Wir müssen über die Tugend hinausgehen und ein asketisches Leben führen. Man muss eine solche Abscheu vor dieser elenden Welt empfinden, dass man es nicht mehr für ausreichend hält, andere wie sich selbst zu lieben oder lediglich das eigene Vergnügen aufzugeben, wenn es dem Wohl anderer im Wege steht. Um das ethische Ideal zu erreichen, muss man Keuschheit, Armut und Entsagung auf sich nehmen und den Tod als Erlösung vom Bösen willkommen heißen, wenn er sich einem naht.

Als Beispiele der Selbstverleugnung führt Schopenhauer christliche, hinduistische und buddhistische Heilige an. Sein Argument für einen asketischen Lebenswandel basierte jedoch nicht auf irgendwelchen religiösen Voraussetzungen, und er gab zu, dass das Leben der meisten Heiligen von zahlreichem Aberglauben bestimmt war. Religiöse Glaubensüberzeugungen waren seiner Meinung nach mystische Verkleidungen von Wahrheiten, die ungebildeten Menschen nicht erreichbar waren. Doch sein System stand ausdrücklich unter dem Einfluss der Maya-Lehre der indischen Philosophie, die behauptet, dass alle einzelnen Subjekte und ihre Gegenstände lediglich Erscheinungen, der Schleier der Maya, sind.

Die Welt als Wille und Vorstellung hatte kaum eine direkte Wirkung. 1820 ging Schopenhauer nach Berlin, wo Hegel der führende Philosoph der Universität war. Er hatte nur wenig Respekt für ihn: Er verspottete die einschläfernde Wirkung seiner langen Satzkonstruktionen, die nicht einen einzigen Gedanken enthielten. Er legte seine eigenen Vorlesungen absichtlich auf die gleichen Zeiten, zu denen Hegel las, doch es gelang ihm nicht, Hegel seine Studenten abzuwerben. Dass man seine Vorlesungen boykottierte, trug zu seiner Abneigung gegen das System Hegels bei, das er größtenteils für Unsinn hielt oder, mit seinem eigenen Wort, für eine unerträgliche, äußerst langweilige „Scharlatanerei“ (WWI, 26).

Schopenhauers Genie gewann erst 1839 öffentliche Anerkennung, als er einen Preis der norwegischen Akademie der Wissenschaften für einen Essay Über die Freiheit des Willens gewann. Er veröffentlichte diesen Essay 1841 zusammen mit einem anderen Essay über die Grundlagen der Ethik unter dem Titel Die beiden Grundprobleme der Ethik. 1844 veröffentlichte er eine erweiterte Ausgabe der Welt als Wille und Vorstellung und im Jahre 1851 eine Sammlung von Essays unter dem Titel Parerga und Paralipomena.10 Diese Schriften gaben einer breiten Öffentlichkeit die Möglichkeit, seinen geistreichen und klaren literarischen Stil zu würdigen sowie – mit Vergnügen oder Widerwillen – seine respektlosen und politisch unkorrekten Ansichten zu genießen bzw. zur Kenntnis zu nehmen.

Die erfolglosen Revolutionen, die sich 1848 auf dem europäischen Kontinent ereigneten, folgten dicht auf Schopenhauers 60. Geburtstag. In seinem siebten Lebensjahrzehnt erfreute er sich unter den Angehörigen einer Generation, die von den politischen Versuchen, die Welt zu verbessern, enttäuscht worden waren, einer wachsenden Beliebtheit. Das akademische Establishment Deutschlands, das er in seinen Schriften gegeißelt hatte, umwarb ihn nun. Er konnte die angenehmen Seiten der Welt genießen, die er als menschenunwürdige Illusion bezeichnet hatte. Leuten, die darauf hinwiesen, dass sich sein eigenes Leben vom dem des von ihm angepriesenen asketischen Ideals deutlich unterscheide, antwortete er, es sei eine seltsame Forderung an einen Moralphilosophen, er solle keine andere Tugend lehren als die, die er selbst besitze. Er starb im Jahre 1860.

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