Читать книгу Geschichte der abendländischen Philosophie - Anthony Kenny - Страница 8
Einführung
ОглавлениеDies ist der letzte Band einer vierbändigen Geschichte der abendländischen Philosophie von ihren Anfängen bis in die jüngste Zeit. Der erste Band zur Philosophie der Antike (2004) beschrieb die frühen Jahrhunderte der Philosophie im klassischen Griechenland und in Rom. Der zweite Band zur Philosophie des Mittelalters (2005) behandelte die Zeit von der Bekehrung des heiligen Augustinus bis zur humanistischen Renaissance. Der dritte Band (2006) zur Philosophie der Neuzeit stellte die wichtigsten Philosophen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts vor. Die Darstellung endete mit dem Tod Hegels zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Dieser letzte Band führt die Geschichte der Philosophie bis in die letzten Jahre des 20. Jahrhunderts fort.
Es gibt zwei Gründe, aus denen man eine Geschichte der Philosophie lesen kann. Einige Leser tun dies hauptsächlich deshalb, weil sie bei Denkern der Vergangenheit Hilfe und Einsicht zu Fragen von gegenwärtigem philosophischem Interesse suchen, während andere mehr an den Menschen und Gesellschaften der ferneren oder jüngeren Vergangenheit interessiert sind und deren intellektuelles Klima kennenlernen möchten. Ich habe diesen Band, wie die früheren Bände, so unterteilt, dass ich hoffe, dadurch beiden Lesern gerecht werden zu können. Das Buch beginnt mit drei chronologisch angelegten Überblickskapiteln. Die restlichen Kapitel behandeln jeweils einen bestimmten Bereich der Philosophie, von der Logik bis zur natürlichen Theologie. Vornehmlich historisch interessierte Leser können sich auf die chronologischen Übersichten konzentrieren und auf Wunsch zur Vertiefung die thematischen Kapitel konsultieren. Stärker an den philosophischen Problemen interessierte Leser werden hingegen hauptsächlich die thematischen Abschnitte der Bände lesen und die chronologischen Übersichten zurate ziehen, um ein bestimmtes Problem in seinen Kontext zu stellen.
Bestimmte Themen sind in jedem der vier Bände dieser Reihe durch ein Kapitel vertreten: Erkenntnistheorie, Metaphysik, Philosophie des Geistes, Ethik und Philosophie der Religion. Andere Themen waren in verschiedenen Epochen von unterschiedlicher Bedeutung, weshalb sich in manchen Bänden Kapitel finden, die in anderen fehlen. In den ersten beiden Bänden begann der nach Themen geordnete Abschnitt mit einem Kapitel über Logik und Sprache, während dieses Kapitel im dritten Band fehlte, weil die Logik zur Zeit der Renaissance in einen Winterschlaf versank. In dem Zeitraum, der im letzten Band behandelt wird, sind die formale Logik und die Sprachphilosophie von solch großer Bedeutung, dass jedes der beiden Themen ein eigenes Kapitel verdient. In den früheren Bänden fand sich jeweils ein Kapitel zur Physik, die als Teilgebiet dessen betrachtet wurde, was man als „Philosophie der Natur“ bezeichnete. Mit Newton wurde die Physik jedoch zu einer ausgereiften, von einer philosophischen Grundlegung unabhängigen Wissenschaft, weshalb sich im gegenwärtigen Band kein Kapitel zur Physik mehr findet. Band III war der erste Band mit einem eigenen Kapitel zur politischen Philosophie, da die politischen Institutionen vor der Zeit von Machiavelli und Thomas Morus von unseren heutigen so verschieden sind, dass die Einsichten politischer Philosophen dieser Epochen für die gegenwärtige Diskussion nicht relevant sind. Dieser Band ist der erste und einzige mit einem eigenen Kapitel zur Ästhetik: Hierbei kam es zu einer teilweisen zeitlichen Überschneidung mit dem vorherigen Band, da dieses Teilgebiet sich im 18. Jahrhundert als eigenes Fach zu etablieren begann.
Die Einführungskapitel dieses Bandes folgen, im Gegensatz zu denen der früheren Bände, keiner einzigen chronologischen Sequenz. Das erste Kapitel zeichnet zwar eine durchgehende Linie von Bentham bis Nietzsche; da jedoch die Philosophie der englischsprachigen Welt im 20. Jahrhundert von der Philosophie auf dem europäischen Kontinent durch einen tiefen Abgrund getrennt ist, erfolgen die Darstellungen im zweiten und dritten Kapitel in unterschiedliche Richtungen. Das zweite Kapitel beginnt mit Peirce, dem großen alten Mann der amerikanischen Philosophie, und Frege, der im Allgemeinen als Begründer der analytischen Tradition der Philosophie angesehen wird. Das dritte Kapitel behandelt eine Reihe einflussreicher kontinentaler Denker, beginnend mit einem Mann, der es gehasst haben würde, als Philosoph bezeichnet zu werden: Sigmund Freud.
Es ist mir nicht leicht gefallen, zu entscheiden, wann und wie meine Geschichte der Philosophie enden sollte. Mit vielen Philosophen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war ich persönlich bekannt, einige von ihnen waren enge Mitarbeiter und Freunde. Dies macht es schwer, ihre Bedeutung relativ zu denjenigen objektiv einzuschätzen, die in den früheren Bänden und zu Beginn dieses Bandes behandelt werden. Zweifellos wird meine Auswahl der Denker, die in die Darstellung aufgenommen bzw. weggelassen werden sollten, anderen, die diese Entscheidung ebenso kompetent treffen könnten, willkürlich erscheinen.
Im Jahre 1998 gab ich A Brief History of Western Philosophy heraus. Zum damaligen Zeitpunkt entschied ich mich, keinen lebenden Philosophen in die Darstellung aufzunehmen. Dies erlaubte es mir, meine Geschichte mit Wittgenstein enden zu lassen, den ich nach wie vor für den bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts halte. Leider sind seit 1998 eine Reihe von Philosophen verstorben, von denen jeder erwartet hätte, in einer Geschichte der Philosophie der Gegenwart behandelt zu werden – zum Beispiel Quine, Anscombe, Davidson, Strawson, Rawls und andere. Daher musste ich ein anderes Kriterium festlegen, das mir zur Bestimmung des Zeitpunkts dienen konnte, mit dem meine Darstellung endet. Als mein 75. Geburtstag näher rückte, kam mir der Gedanke, ich könne alle Autoren ausschließen, die jünger waren als ich, doch dies schien mir ein allzu egozentrisches Kriterium. Daher entschied ich mich schließlich dafür, Werke auszuschließen, die vor 1975 geschrieben wurden, d.h. 30 Jahre vor der damaligen Gegenwart.
Ich muss den Leser bitten, zu bedenken, dass dies der letzte Band einer Philosophiegeschichte ist, die mit Thales begann. Sie ist daher deutlich anders strukturiert, als eine eigenständige Geschichte der Gegenwartsphilosophie aufgebaut sein würde. So bin ich beispielsweise nicht auf die Neuscholastik oder den Neukantianismus des 20. Jahrhunderts eingegangen und habe über mehrere Generationen von Neuhegelianern nur sehr wenig gesagt. Würde man diese philosophischen Strömungen aus einem Buch, das sich der Philosophie der letzten zwei Jahrhunderte widmet, weglassen, würde ihre Darstellung eine große Lücke aufweisen. Doch der Wert dieser Schulen bestand darin, die Moderne an die Bedeutung der großen Denker der Vergangenheit zu erinnern. Eine Geschichte der Philosophie, die auf Thomas von Aquin, Kant und Hegel bereits ausführlich eingegangen ist, muss auf derartige Ermahnungen nicht eingehen.
Bei den Lesern, die ich vor Augen habe, handelt es sich – wie in den früheren Bänden – um Studenten auf dem Niveau des zweiten und dritten Studienjahres. Da viele Studenten, die sich für die Geschichte der Philosophie interessieren, für andere Fächer eingeschrieben sind, war ich bemüht, nicht vorauszusetzen, dass meine Leser mit den philosophischen Methoden und der philosophischen Terminologie der Gegenwart vertraut sind. Außerdem habe ich – mit Ausnahme der Originaltexte der Denker des betrachteten Zeitraums – in die Bibliografie lediglich englische Werke aufgenommen. Da viele Leser sich mit der Philosophie nicht deshalb beschäftigen, weil sie auf ihrem Lehrplan steht, sondern dies zur eigenen Belehrung und Unterhaltung tun, war ich außerdem bestrebt, jeglichen Jargon zu vermeiden und den Lesern keine Schwierigkeiten in den Weg zu legen, die nicht mit der Sache selbst zusammenhängen. Wie sehr man sich jedoch bemühen mag: Das Studium der Philosophie wird immer eine Herausforderung darstellen, denn es gibt in ihr, wie häufig zu Recht gesagt worden ist, kein „Nichtschwimmerbecken“.
Peter Momtchiloff und seinen Kollegen bei Oxford University Press bin ich zu großem Dank verpflichtet, ebenso zwei anonymen Lektoren des Verlages, die zahlreiche Mängel einer früheren Fassung des Buches behoben haben. Besonders dankbar bin ich Patricia Williams und Dagfinn Føllesdal, die mir bei der Behandlung der kontinentalen Philosophen des 20. Jahrhunderts geholfen haben.
Anmerkung des Übersetzers: Bei der Übersetzung der Zitate wurde nach Möglichkeit eine deutsche Standardübersetzung verwendet oder der Originaltext zurate gezogen.