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Der logische Positivismus

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Wittgenstein kehrte nach Wien zurück und beteiligte sich am Entwurf eines neuen Hauses für seine Schwester. Sie stellt ihm Moritz Schlick vor, der seit 1922 Professor für Wissenschaftstheorie an der Universität war. Mit ihm setzte Wittgenstein seine philosophischen Nachforschungen fort. 1927 und 1928 trafen sich die beiden montagabends, und andere Philosophen schlossen sich ihnen an, darunter Rudolf Carnap und Friedrich Waismann. 1929 ging Wittgenstein nach Cambridge, um an einem philosophischen Manuskript zu arbeiten (das nach seinem Tod als Philosophische Bemerkungen veröffentlich wurde). Während seiner Abwesenheit entwickelte sich die Diskussionsgruppe zu einer selbstbewussten philosophischen Bewegung und gab ein Manifest heraus – Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis –, das eine Kampagne gegen die Metaphysik führte: Sie sei ein veraltetes System, das einer wissenschaftlichen Weltsicht weichen müsse.

Das anti-metaphysische Programm stützte sich auf einige Ideen von Wittgensteins Tractatus und erklärte, dass notwendige Wahrheiten nur deshalb notwendig seien, weil es sich dabei um Tautologien handle. Dies ermöglichte es ihnen zu akzeptieren, dass mathematische Wahrheiten notwendig waren, und gleichzeitig zu bestreiten, dass sie uns irgendetwas über die Welt sagen. Wissen über die Welt lasse sich allein durch die Erfahrung gewinnen, und Aussagen haben nur dann eine Bedeutung, wenn sie durch die Erfahrung bestätigt oder widerlegt werden konnten. Die These, dass die Bedeutung einer Aussage der Methode ihrer Verifikation entspreche, das Verifikationsprinzip, war die große Waffe im Angriff gegen die Metaphysik. Wenn zwei Metaphysiker über das Wesen des Absoluten diskutierten oder über den Zweck des Universums, konnte man sie mit folgender Frage zum Schweigen bringen: „Welche mögliche Erfahrung würde den Disput zwischen euch zur Entscheidung bringen?“

Über den genauen Status und die Formulierung des Verifikationsprinzips kam es schnell zu Streitigkeiten. War es selbst eine Tautologie? Konnte es durch die Erfahrung verifiziert werden? Keine Antwort hierauf schien zufriedenstellend. Außerdem schienen allgemeine Gesetze der Wissenschaft ebenso wenig endgültig verifizierbar wie metaphysische Dogmen. Immerhin konnten sie falsifiziert werden, und das reichte aus, ihnen Bedeutung zu geben. Sollen wir dann das Verifikationsprinzip durch das Falsifikationsprinzip ersetzen? Doch wenn wir dies tun, lässt sich nur schwer verstehen, wie Existenzbehauptungen eine Bedeutung haben können, da sie nur durch eine Reise durch das ganze Universum definitiv falsifiziert werden könnten. Es schien vernünftig, dem Bedeutungskriterium eine schwächere Form zu geben, die festlegte, dass eine Aussage nur dann eine Bedeutung hatte, wenn es einige Beobachtungen gab, die für ihre Wahrheit oder Falschheit relevant waren. Wittgenstein stimmte dem Verifikationsprinzip nur bedingt zu. Allerdings verteidigte er zu diesem Zeitpunkt häufig das apriorische Gegenstück dieses Prinzips: dass die Bedeutung einer mathematischen Aussage mit der Methode ihres Beweises identisch sei. Die Positivisten nahmen an, die wahre Aufgabe der Philosophie sei es nicht, allgemeine philosophische Sätze aufzustellen, sondern nichtphilosophische Aussagen zu klären. Hierin waren sie sich mit Wittgenstein einig. Die von ihnen für diese Klärung bevorzugte Methode bestand darin, zu zeigen, wie sich die Wahrheitsfunktion empirischer Aussagen aus elementaren Sätzen, sogenannten „Protokollsätzen“, aufbaute, bei denen es sich um direkte Aufzeichnungen der Erfahrung handelte. Die in Protokollsätzen vorkommenden Wörter leiteten ihre Bedeutung aus ostentativen Definitionen ab, d.h. von einer Geste, die auf dasjenige Merkmal der Erfahrung zeigte, das das Wort bezeichnete.

Dieses Programm stieß auf ein gewaltiges Hindernis: Die durch Protokollsätze aufgezeichneten Erfahrungen schienen die privaten Erfahrungen einzelner Individuen zu sein. Wenn Bedeutung von Verifikation abhängt, und jeder von uns die Verifikation durch ein Verfahren ausführt, zu dem kein anderer Zugang hat: Wie kann man dann jemals die Bedeutung eines anderen verstehen? Schlick versuchte dieses Problem dadurch zu lösen, dass er zwischen Form und Inhalt unterschied. Der Inhalt meiner Erfahrung ist dasjenige, was ich erlebe, wenn ich beispielsweise etwas Rotes oder etwas Grünes sehe. Dieser Inhalt ist privat und nicht mitteilbar. Die Form oder die Struktur der Erfahrung kann jedoch mehreren gemeinsam sein. Wenn ich einen Baum oder einen Sonnenuntergang sehe, kann ich nicht wissen, ob andere Personen dieselben Erfahrungen haben – wenn sie einen Baum betrachten, sehen sie vielleicht, was ich sehe, wenn ich einen Sonnenuntergang beobachte. Doch solange wir uns einig sind, einen Baum grün und einen Sonnenuntergang rot zu nennen, können wir miteinander kommunizieren und die Sprache der Wissenschaft aufbauen.

Wittgenstein war mit dieser Lösung unzufrieden und er versuchte, eine Erklärung der Bedeutung zu geben, für die sich die Gefahr des Solipsismus nicht ergab. Er distanzierte sich vom Wiener Kreis und kehrte dauerhaft nach Cambridge zurück. Nachdem er den Tractatus als Doktorarbeit eingereicht hatte, wurde er Fellow am Trinity College in Oxford. Der Wiener Kreis setzte sein anti-metaphysisches Programm fort, insbesondere in der Fachzeitschrift Erkenntnis, die Schlick gemeinsam mit Hans Reichenbach, der in Berlin lehrte, herausgab. Die Ideen des Wiener Kreises fanden in Großbritannien im Jahre 1936 durch die Veröffentlichung von A. J. Ayers Language, Truth and Logic (Sprache, Wahrheit und Logik) Verbreitung. Noch im selben Jahr wurde Schlick jedoch von einem verärgerten Studenten erschossen, und 1939 löste sich der Kreis auf, da einige seiner bekanntesten Mitglieder gezwungen waren, ins Exil zu gehen. Das bedeutendste Vermächtnis des Wiener Kreises an die Nachwelt war die Veröffentlichung des Buches The Logic of Scientific Discovery (Die Logik der Forschung) im Jahre 1935. Der Autor Karl Popper hatte der Gruppe nie als Vollmitglied angehört.

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