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Die analytische Philosophie nach Wittgenstein

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Im Jahre 1949 gab Gilbert Ryle, der Professor der Metaphysik in Oxford war, ein Buch mit dem Titel The Concept of Mind (Der Begriff des Geistes) heraus. Die in diesem Buch dargelegten Gedanken wiesen eine große Ähnlichkeit mit den Ideen Wittgensteins auf. Ryles Position war vehement anti-kartesianisch, und das erste Kapitel des Buches trug die Überschrift „Descartes’ Mythos“. Ryle hob den Unterschied zwischen „wissen, wie“ und „wissen, dass“ hervor, der möglicherweise von Heidegger beeinflusst war. Seine Erörterung des Willens und der Gefühle machte den Begriff der inneren Eindrücke, den viele Philosophen von den britischen Empiristen übernommen hatten, vollkommen zunichte. In einem Kapitel mit der Überschrift „Dispositionen und Ereignisse“ machte er die modernen Philosophen auf die Bedeutung der aristotelischen Unterscheidungen zwischen verschiedenen Formen von Wirklichkeit und Möglichkeit aufmerksam. Seine Erläuterungen zu Wahrnehmung, Einbildungskraft und Verstand fanden keine allgemeine Anerkennung, da sie zu stark in die Richtung des Behaviorismus gingen. Trotzdem blieb das Buch ein Klassiker der analytischen Philosophie des Geistes.

Als jedoch 1953 Wittgensteins Philosophische Untersuchungen postum herausgegeben wurden, konnte man Ideen, die Ryle zwar lebhaft, aber nur grob dargelegt hatte, mit wesentlich größerem Scharf- und Tiefsinn dargestellt finden. Es war und bleibt eine strittige Frage, inwieweit Ryle sich bei der Entwicklung seiner Ideen auf Gespräche mit Wittgenstein und mündliche Berichte über seine Cambridger Vorlesungen gestützt hat und inwieweit er durch eigenständige Reflexionen zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangte.

Wittgenstein vererbte die Verlagsrechte an seinem literarischen Nachlass an drei seiner früheren Schüler: Georg Henrik von Wright, Elizabeth Anscombe und Rush Rhees. Die drei Philosophen entsprachen drei verschiedenen Facetten von Wittgensteins eigener Persönlichkeit und seines Werkes. Von Wright, der von 1948 bis 1951 Wittgensteins Cambridger Lehrstuhl innehatte und dann seine Karriere in seinem Heimatland Finnland fortsetzte, glich dem Logiker Wittgenstein der Zeit des Tractatus. Die Bücher, die seinen Ruf begründeten, hatten Induktion, Wahrscheinlichkeit und modale Logik zum Thema. Anscombe, eine Oxforder Tutorin, die den Lehrstuhl ihrerseits gegen Ende des Jahrhunderts bekleidete, führte die Arbeiten des späten Wittgenstein auf dem Gebiet der Philosophie des Geistes weiter. Mit ihrem Buch Intention leitete sie eine umfangreiche Diskussion des praktischen Vernunftgebrauchs und der Handlungstheorie ein. Von den Dreien stand Rhees der mystischen und fideistischen Seite von Wittgensteins Temperament am nächsten, und in Wales regte er eine entsprechende religionsphilosophische Schule an.

In den späten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts machten sich Wittgensteins literarische Testamentsvollstrecker an die Veröffentlichung seines umfangreichen Nachlasses. Unter den zahlreichen herausgegebenen Bänden waren die wichtigsten: Philosophische Grammatik (1974) und Philosophische Bemerkungen (1975) aus den Manuskripten der Vorkriegszeit sowie Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik (1978), Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie (1980) und Über Gewissheit (1969) aus den späten Notizbüchern bis zur Zeit seines Todes. Der gesamte Nachlass wurde 1998 von Oxford University Press, in Transkription und als Faksimile, in einer von der Universität Bergen vorbereiteten, elektronischen Form herausgegeben.

Nach Wittgensteins Tod sahen viele W. v. O. Quine (1908–2000) als den Altmeister der englischsprachigen Philosophie. Nachdem er sich in der formalen Logik früh einen Namen gemacht hatte, verbrachte Quine einige Zeit im Wiener Kreis sowie in Prag und Warschau. Bei seiner Rückkehr in die USA schloss er sich der philosophischen Fakultät in Harvard an, wo er für den Rest seiner philosophischen Karriere blieb, unterbrochen nur durch die Kriegsjahre, in denen er in der Marine Wehrdienst leistete. Seine wichtigsten Bücher waren From a Logical Point of View (Von einem logischen Standpunkt) (1953), das zwei berühmte Aufsätze enthielt: „On What There Is“ („Was es gibt“) und „Two Dogmas of Empiricism“ („Zwei Dogmen des Empirismus“), sowie Word and Object (Wort und Gegenstand) (1960), wobei es sich um eine autoritative Darlegung seines Systems handelte, die später durch eine Reihe weniger einflussreicher Studien ergänzt wurde.

Das Ziel von Quines philosophischen Bemühungen bestand darin, einen Rahmen für eine naturalistische Welterklärung in wissenschaftlichen Begriffen, insbesondere der Physik, vorzugeben. Er meinte, dass dies durch eine Analyse der Sprache erreicht werden könne, die sowohl empiristisch als auch behavioristisch war. Alle Theorien, mit denen wir die Welt erklären (seien es informelle oder wissenschaftliche Theorien) basieren auf den Daten unserer Sinnesorgane. Alle Ausdrücke und Sätze, die in den Theorien vorkommen, müssen anhand des Verhaltens der Sprecher und Hörer definiert werden, die sie benutzen. Die Grundform der Bedeutung einer Äußerung ist die Reizbedeutung (stimulus meaning): die Klasse aller Reizeinflüsse, die einen Sprecher zur Zustimmung zu der Äußerung veranlassen.

Obwohl er ein radikal empiristisches Programm verfolgte, war Quines erste Arbeit, die einen größeren Einfluss hatte, sein Aufsatz „Two Dogmas of Empiricism“ von 1951. Die beiden Zielscheiben seines Angriffs beschrieb er auf folgende Weise:

„Das eine ist der Glaube an eine grundlegende Kluft zwischen einerseits analytischen Wahrheiten, die auf Bedeutungen beruhen und unabhängig von Tatsachen sind, und synthetischen, auf Tatsachen beruhenden Wahrheiten andererseits. Das andere Dogma ist der Reduktionismus: der Glaube, daß jede sinnvolle Aussage äquivalent einem logischen Konstrukt aus Termen sei, die auf unmittelbare Erfahrung referieren.“ (FLPV 20)11

Quine bestritt nicht, dass es logisch wahre Aussagen gibt, d.h. Aussagen, die unabhängig von der Interpretation ihrer nichtlogischen Ausdrücke wahr bleiben – wie zum Beispiel: „Kein unverheirateter Mann ist verheiratet.“ Doch wir können von einer solchen logisch wahren Aussage nicht zu der angeblich analytischen Aussage „Kein Junggeselle ist verheiratet“ übergehen, denn das hängt davon ab, dass „unverheirateter Mann“ und „Junggeselle“ als Synonyme benutzt werden. Doch was ist Synonymie? Sollen wir sagen, dass zwei Ausdrücke synonym sind, wenn in einem Satz einer gegen den anderen ausgetauscht werden kann, ohne dass sich dadurch der Wahrheitswert des Satzes ändert? „Lebewesen mit einem Herzen“ und „Lebewesen mit einer Niere“ sind aber auf diese Weise gegeneinander austauschbar, ohne dass jemand annimmt, dass „Alle Lebewesen, die Herzen haben, haben Nieren“ ein analytischer Satz ist. Ebenso wenig können wir uns auf irgendeinen Begriff von Notwendigkeit berufen, um Analytizität zu definieren: Die Erklärung muss in umgekehrter Richtung erfolgen.

Sollen wir stattdessen zu definieren versuchen, was es für einen Satz bedeutet, synthetisch zu sein, indem wir beispielsweise sagen, dass ein Satz genau dann synthetisch ist, wenn er durch Erfahrung verifiziert oder falsifiziert werden kann? Quine erklärt, dass diese Strategie auf einem falschen Verständnis von Verifikation beruht: Es sind nicht einzelne Sätze, sondern ganze Systeme, die verifiziert oder falsifiziert werden. „Unsere Aussagen über die Außenwelt treten nicht einzeln vor das Tribunal der Sinneserfahrung, sondern als Kollektiv.“ (FLPV 140)

„Die Gesamtheit unseres sogenannten Wissens oder Glaubens, angefangen bei den alltäglichsten Fragen der Geographie oder der Geschichte bis hin zu den grundlegendsten Gesetzen der Atomphysik oder sogar der reinen Mathematik und Logik, ist ein von Menschen geflochtenes Netz, das nur an seinen Rändern mit der Erfahrung in Berührung steht. Oder, um ein anderes Bild zu nehmen, die Gesamtwissenschaft ist ein Kraftfeld, dessen Randbedingungen Erfahrungen sind. Ein Konflikt mit der Erfahrung an der Peripherie führt zu Anpassungen im Inneren des Feldes. Wahrheitswerte müssen über einige unserer Aussagen neu verteilt werden. Die Umbewertung einiger Aussagen zieht aufgrund ihrer logischen Zusammenhänge die Umbewertung einiger anderer Aussagen nach sich – die logischen Gesetze wiederum sind nur gewisse weitere Aussagen des Systems, gewisse weitere Elemente des Feldes.“ (FLPV 140)12

Hieraus folgt, dass es unsinnig ist, eine Klasse analytischer Aussagen zu isolieren, die unter allen Umständen wahr bleiben. Jede Aussage kann unter allen Umständen für wahr gehalten werden, wenn wir an anderer Stelle des Systems drastische Veränderungen vornehmen. Einerseits ist keine Aussage – noch nicht einmal eine Aussage der Logik – völlig immun gegen jegliche Revision. Die Wissenschaft als Ganzes hängt sowohl von der Sprache als auch von der Erfahrung ab – doch lässt sich diese Dualität nicht an einzelnen Sätzen festmachen.

Wenn den Begriffen der Synonymie und der Analytizität keine Bedeutung gegeben werden kann, so ist der gesamte Begriff der Bedeutung suspekt, weil es keine Kriterien für die Identität der Bedeutung geben kann. Quine bestand darauf, dass es so etwas wie Bedeutungen, die durch Berufung auf intentionale Begriffe wie Glauben oder Verstehen interpretiert werden müssen, mit Sicherheit nicht gebe. Bedeutung müsse in rein extensionalen Begriffen erklärt werden, indem man Sinnesreize verbalem Verhalten zuordne. Quine stellt sich einen Sprachforscher vor, der versucht, aus einer ihm vollkommen unbekannten Sprache zu übersetzen, und der als seine einzigen Daten die Kräfte verwendet, „die er auf die Sinnesoberflächen des Eingeborenen auftreffen sieht, und das beobachtbare, verbale und sonstige Verhalten des Eingeborenen“ (WO 28).

Das Fazit von Quines Gedankenexperiment besteht darin, drei Stufen der Unbestimmtheit zu unterscheiden. Da ist erstens die Unbestimmtheit der individuellen Referenz. Der Linguist mag beobachten, dass die Eingeborenen die Lautfolge „Gavagai“ nur in Gegenwart von Kaninchen verwenden. Doch selbst wenn wir annehmen, dies sei ein Beobachtungssatz, kann diese Lautfolge ebenso Kaninchen, Kaninchenstadium oder Kaninchenteil bedeuten. Zweitens besteht eine Unbestimmtheit auf der Ebene der gesamten Sprache: Die Daten könnten gleich gut zu zwei verschiedenen, miteinander inkompatiblen Übersetzungshandbüchern passen. Diese Unbestimmtheit ist ein spezielles Beispiel für ein allgemeineres Phänomen, d.h., dass Theorien, nicht nur Theorien der Übersetzung, durch sinnliche Daten unterbestimmt sind. Daher kann mit allen jemals verfügbaren Daten mehr als ein umfassendes wissenschaftliches System vereinbar sein.

Wir müssen tatsächlich die Vorstellung aufgeben, dass die Welt aus einer definitiven Ansammlung vorgegebener Gegenstände besteht. Was existiert, hängt davon ab, welche Theorie wir zugrunde legen. In seinem frühen Aufsatz „On What There Is“ („Was es gibt“) traf Quine die berühmte Feststellung: „Sein heißt, Wert einer gebundenen Variablen zu sein.“ Mit dieser Behauptung trat er in die Fußstapfen von Frege und Russell, die darauf bestanden, dass in einer wissenschaftlichen Theorie kein Name zugelassen werden darf, dem ein definitiver Bezug fehlt. Wenn sämtliche zweifelhaften Namen mithilfe von Russells Theorie der Beschreibung eliminiert wurden, blieben uns Sätze der Form „Es gibt ein x, das so beschaffen ist, dass x …“ gefolgt von einem Satz von Prädikaten, anhand derer das angebliche Individuum zu identifizieren ist. Was existiert, sind dieser Theorie zufolge die Entitäten, über die sich die Quantoren erstrecken. Da verschiedene Theorien jedoch gleich gut belegt werden können, gilt dasselbe auch für verschiedene Ontologien. Dasjenige, von dem gesagt werden kann, es existiert, existiert immer relativ zu einer bestimmten Theorie.

Wittgenstein und Quine werden häufig – besonders auf dem europäischen Kontinent – als die beiden führenden Vertreter der analytischen Philosophie angesehen. Tatsächlich ist der Unterschied zwischen ihren Philosophien beträchtlich.13 Die beiden unterschieden sich insbesondere durch ihr Philosophieverständnis. Da er nicht an den Unterschied zwischen analytischen und synthetischen Sätzen glaubte, sah Quine keine scharfe Grenzlinien zwischen der Philosophie und den empirischen Wissenschaften. Wittgenstein hielt jedoch sein Leben lang an der Überzeugung fest, die er im Tractatus (4.111) formuliert hatte: „Die Philosophie ist keine der Naturwissenschaften. (Das Wort Philosophie muß etwas bedeuten, was über oder unter, aber nicht neben den Naturwissenschaften steht.)“ Der Szientismus, d.h. der Versuch, die Philosophie als eine Wissenschaft zu sehen, war ein rotes Tuch für ihn. Im Blauen Buch schrieb er: „Philosophen haben ständig die naturwissenschaftliche Methode vor Augen und sind in unwiderstehlicher Versuchung, Fragen nach der Art der Naturwissenschaften zu stellen und zu beantworten. Diese Tendenz ist die eigentliche Quelle der Metaphysik und führt den Philosophen in vollständiges Dunkel.“ (BB 18)14

In den USA behauptete sich der von Quine eingeführte Szientismus. Einer seiner eloquentesten Vertreter war Donald Davidson (1917–2003), der in Harvard Quines Schüler war. Davidson unterrichtete an zahlreichen amerikanischen Universitäten und verbrachte die letzten zwanzig Jahre seines Lebens in Berkeley. Seine bevorzugte Publikationsform waren kurze Aufsätze, doch viele seiner Essays wurden in Aufsatzbänden gesammelt, von denen insbesondere Essays on Actions and Events (1980) and Inquiries into Truth and Interpretation (1984) berühmt wurden. In der Philosophie des Geistes und der Handlungstheorie drückte sich Davidsons Szientismus darin aus, dass er keinen Unterschied zwischen Philosophie und Psychologie gelten ließ. In der Sprachphilosophie nahm er die Form einer empirischen und extensionalen Theorie der Bedeutung an.

Davidson Aufsatz „Truth and Meaning“ („Wahrheit und Bedeutung“) aus dem Jahre 1967 beginnt mit folgenden Zeilen:

„Daß eine befriedigende Bedeutungstheorie eine Darstellung geben muß, wie die Bedeutungen der Sätze von den Bedeutungen der Wörter abhängen, wird von den meisten Sprachphilosophen und neuerdings auch von einigen Linguisten eingeräumt. Es wird geltend gemacht, daß es, wenn für eine bestimmte Sprache keine derartige Darstellung gegeben werden könnte, ausgeschlossen wäre, die Tatsache zu erklären, daß wir diese Sprache zu lernen vermögen: Es wäre ausgeschlossen, die Tatsache zu erklären, daß wir, nachdem wir ein endliches Vokabular und eine endliche Aufstellung von Regeln beherrschen gelernt haben, imstande sind, jeden Satz aus einer potenziell unendlichen Anzahl zu erzeugen und zu verstehen.“ (ITI 17)15

Davidsons Theorie der Bedeutung basiert auf einer Wahrheitstheorie. Die Wahrheitstheorie für eine Sprache L erklärt die Wahrheitsbedingungen für alle Sätze in L. Dies muss nicht dadurch geschehen, dass der unmögliche Weg eingeschlagen wird, jeden Satz der Sprache aufzulisten, sondern dadurch, dass gezeigt wird, wie die Teilelemente von Sätzen zu den Wahrheitsbedingungen der Sätze beitragen, in denen sie vorkommen. Eine solche Theorie wird eine endliche Liste von Ausdrücken enthalten und eine endliche Liste syntaktischer Regeln, doch zu ihren daraus abgeleiteten Behauptungen gehört die potenziell unendliche Menge von Wahrheitssätzen der Form: „‚S‘ ist wahr in L genau dann, wenn p“.

Wie Quine veranschaulicht Davidson seine Theorie, indem er eine Situation erwägt, in der wir auf eine Gemeinschaft treffen, deren Sprache uns vollkommen unbekannt ist. Um diese Sprache zu deuten, müssen wir eine Wahrheitstheorie für die Sprache aufbauen, indem wir beobachten, welchen Sätzen sie in welchen Situationen zustimmen. Doch wir können die Gefahr der Unbestimmtheit und des Skeptizismus vermeiden, indem wir voraussetzen, dass die Eingeborenen wahre und vernünftige Überzeugungen haben und dass sie bei ihren Schlussfolgerungen und Entscheidungen rational vorgehen. Dies ist das „principle of charity“ („Prinzip der wohlwollenden Interpretation“).

Das tatsächliche Verhalten von Personen wird von ihren Gründen bestimmt, das heißt: von ihren Wünschen und Überzeugungen, die Davidson als mentale Ereignisse konstruiert. Die Beziehung zwischen diesen mentalen Ereignissen und den Handlungen, deren vernünftige Gründe sie darstellen, ist eine kausale Beziehung: Die Behauptung, dass eine Handlung absichtlich geschieht, besteht genau darin, dass man sagt, sie werde durch die passenden Überzeugungen und Wünsche verursacht. Doch diese Verursachung entzieht sich für Davidson unserer Einsicht: Wir können keine psychologischen Gesetze aufstellen, die die Überzeugungen und Wünsche von Akteuren mit den von ihnen ausgeführten Handlungen verbinden. Davidson behauptet stattdessen, dass jedes einzelne mentale Ereignis ein einzelnes physikalisches Ereignis ist und dass dieses Ereignis durch physikalische Gesetze mit den einzelnen physikalischen Ereignissen verbunden ist, die mit den Handlungen identisch sind. Es können jedoch keine psychophysischen Gesetze aufgestellt werden, die physiologische Ereignisse einer bestimmten Art mit psychologischen Ereignissen einer bestimmten Art zueinander in Beziehung setzen.

Davidsons Position ist insofern materialistisch, als es keine Ereignisse gibt, die nicht physikalische Ereignisse sind. Doch er versucht diesem Materialismus seinen Stachel zu nehmen, indem er auf etwas besteht, das er als „die Anomalie des Mentalen“ bezeichnet. Jedes mentale Ereignis ist mit einem physikalischen Ereignis identisch, doch auf dasselbe Ereignis sind als mentales oder physikalisches Ereignis jeweils andere Beschreibungen anwendbar. Als mentales Ereignis unterliegt es keinen Kausalgesetzen, sondern ist Gegenstand einer Deutung, da seine Identität als mentales Ereignis von seiner Position in einem Geflecht anderer mentaler Ereignisse abhängt. Als mentales Ereignis, nicht als physikalisches, unterliegt es der normativen Bewertung als rational oder irrational. Dies macht das Wesen der Verursachung zwischen dem Mentalen und Physischen höchst rätselhaft, wie Davidson selbst zugesteht.

Die Philosophen in England waren weiterhin der Überzeugung, dass es eine Kluft zwischen Wissenschaft und Philosophie gebe, nicht nur eine verschwommene Grenze. Sie behaupteten, wie Ryle und Wittgenstein, das Ziel der Philosophie bestehe nicht in Information, sondern in einem vertieften Verständnis. In einem Aufsatz mit dem Titel „In Defence of a Dogma“ („Zur Verteidigung eines Dogmas“) wies Peter Strawson (1919–2006) zusammen mit seinem Tutor Paul Grice Quines Angriff auf die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen zurück. In seinem eigenen Philosophieren war Strawson alles andere als dogmatisch. Zu einer Zeit, als die Philosophie in Oxford eine übertriebene Sicht ihrer eigenen Bedeutung hatte und nicht bereit war, von Philosophen in großer räumlicher oder zeitlicher Ferne etwas zu lernen, erinnerte Strawson seine Kollegen an den Wert anderer Stile des Philosophierens, indem er ein Buch über Kants Kritik der reinen Vernunft schrieb und seine eigene Arbeit in einem gewissen Grad daran ausrichtete. Als „Metaphysik“ für viele ein Schimpfwort war, gab Strawson seinem wichtigsten Werk, Individuals16 (1959), den Untertitel „Ein Beitrag zur deskriptiven Metaphysik“.

Die deskriptive Metaphysik versucht die tatsächliche Struktur unserer Gedanken über die Welt zu beschreiben, ohne sich anzumaßen, diese Struktur zu verbessern. (Diese Anmaßung ist das Kennzeichen der revisionären Metaphysik.) In Individuals versuchte Strawson die Grundvoraussetzungen für eine Sprache zu analysieren, in der es möglich ist, sich auf Objekte zu beziehen und sie wiederzuerkennen und Aussagen darüber zu machen. Er betrachtete seine Aufgabe als die einer Begriffsanalyse, allerdings einer breit angelegten, allgemeinen Analyse. Er schrieb: „Die Struktur, die der Metaphysiker sucht, zeigt sich nicht an der Oberfläche der Sprache, sondern sie liegt verborgen“ (I 10).

Strawson versuchte zu zeigen, dass in unserem Begriffsschema materielle Gegenstände und Personen eine besondere Position einnehmen: Einzeldinge dieser Art sind die grundlegenden Einzeldinge. Die beiden Sprechakte der Bezugnahme und Beschreibung, die der Subjekt-Prädikat-Struktur der Sprache entsprechen, sind nur möglich, wenn wir materielle Gegenstände identifizieren und reidentifizieren können, und dies setzt einen raum-zeitlichen Rahmen voraus. (In einer Welt reiner Geräusche, in der es nur Tonhöhen und zeitliche Sequenzen gibt, ist Wiedererkennen kaum möglich.) Eine raum-zeitliche Struktur von Objekten mit bestimmten Eigenschaften liegt jeder Sprache, die lediglich die Verteilung von Eigenschaften an verschiedenen Orten registriert, voraus und ist eine ihrer Bedingungen.

Für Strawson sind Personen, nicht weniger als materielle Körper, eine fundamentale logische Kategorie. Eine Person darf man sich nicht im Sinne des kartesianischen Dualismus vorstellen. Wenn man sich den Geist des Menschen als kartesianisches Ego vorstellt, dem nur private Erfahrungen zugeschrieben werden können, dann wird das Problem, wie man anderen Bewusstseinszustände zuschreiben kann, unlösbar. „Eine notwendige Bedingung dafür, dass man sich selbst Bewusstseinszustände, Erfahrungen, auf die Art und Weise zuschreibt, wie man dies für gewöhnlich tut, ist, dass man sie anderen, die von einem selbst verschieden sind, ebenso zuschreibt, oder zumindest dazu bereit ist.“ (I 99) Man kann anderen solche Zustände nur dann zuschreiben, wenn man andere Objekte der Erfahrung identifizieren kann. Und man kann andere nicht identifizieren, wenn man sie nur als Subjekte der Erfahrung identifizieren kann, als Besitzer von bewussten Zuständen. Der Begriff der Person ist daher ursprünglicher als der Begriff des Bewusstseins:

„Mit dem Begriff der Person meine ich den Begriff eines Typs von Entitäten derart, daß ein und demselben Individuum von diesem einen Typ sowohl Bewußtseinszustände als auch körperliche Eigenschaften, eine physikalische Situation etc. zugeschrieben werden können. […] Der Begriff der Person ist logisch primär gegenüber dem des individuellen Bewußtseins. Der Begriff der Person ist nicht als der Begriff eines beseelten Körpers oder einer in den Körper eingebetteten Seele zu analysieren.“ (I 102f.)17

Dennoch glaubte Strawson, es sei nicht unmöglich, sich vorzustellen, dass man den Tod seines Körpers als Person überlebt. Solch ein Leben nach dem Tod wäre das Leben eines Individuums, das völlig einsam wäre, unfähig, mit anderen zu kommunizieren oder Wirkungen in der Welt herbeizuführen. In dem Maße, in dem die Erinnerung verblasse und eine solche ohnmächtige Existenz langweilig würde, verflüchtige sich auch der Begriff, den der seinen Tod Überlebende von sich selbst als Individuum hat. „Am Ende dieses Prozesses besteht, vom Gesichtspunkt des Fortbestehens als Individuum aus betrachtet, kein Unterschied mehr zwischen Fortdauer und Beendigung der Erfahrung. Unkörperliches Fortleben mag in dieser Form wohl wenig attraktiv erscheinen. Kein Zweifel, daß aus diesem Grund die Strenggläubigen wohlweislich an der Lehre der körperlichen Auferstehung festhalten.“18 (I 116) Strawsons eigener Tod zu Beginn des Jahres 2006 markierte das Ende einer Ära der englischen Philosophie.

1 Anm. d. Übers.: Ein populärwissenschaftliches Magazin, das bis heute monatlich erscheint.

2 Vgl. Band I, 155; Band II, 156f.

3 Vgl. Kapitel 4.

4 Zitiert nach: G. Frege, Die Grundlagen der Arithmetik, herausgegeben von C. Thiel (Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1988), 84.

5 Vgl. Band III, 113f.

6 Einzelheiten von Freges Beiträgen zur Philosophie der Sprache werden in Kapitel 5 behandelt.

7 Auf die Einzelheiten von Russells Theorie der Beschreibungen wird in Kapitel 5 eingegangen.

8 Zitiert nach: L. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus (Frankfurt: Suhrkamp, 1978), 11 und 115.

9 Zitiert nach: L. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus (Frankfurt: Suhrkamp, 1978), 114f.

10 Zitiert nach: L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (Frankfurt: Suhrkamp, 1980), 80. Auf Wittgensteins Haltung zur Metaphysik wird ausführlich in Kapitel 7 eingegangen.

11 Zitiert nach: W. v. O. Quine, Von einem logischen Standpunkt, übersetzt und herausgegeben von P. Bosch (Frankfurt: Ullstein Verlag, 1979), 27.

12 Zitiert nach: W. v. O. Quine, Von einem logischen Standpunkt, übersetzt und herausgegeben von P. Bosch (Frankfurt: Ullstein, 1979), 47.

13 Dieser Unterschied ist auf erhellende Weise von P. M. S. Hacker in Wittgenstein’s Place in Twentieth Century Analytic Philosophy (Oxford: Blackwell, 1996), 183–227, umfassend dargestellt worden.

14 Zitiert nach: L. Wittgenstein, Das Blaue Buch, Eine philosophische Betrachtung, herausgegeben von R. Rhees (Frankfurt: Suhrkamp, 1984), 39.

15 Zitiert nach D. Davidson, „Wahrheit und Bedeutung“, in: D. Davidson, Wahrheit und Interpretation, übersetzt von J. Schulte (Frankfurt: Suhrkamp, 1990), 40.

16 Anm. d. Übers.: In deutscher Übersetzung verfügbar als: P. F. Strawson, Einzelding und logisches Subjekt, übersetzt von F. Scholz (Stuttgart: Reclam, 1972).

17 Zitiert nach: P. F. Strawson, Einzelding und logisches Subjekt, übersetzt von F. Scholz (Stuttgart: Reclam, 1972), 130ff.

18 Zitiert nach: P. F. Strawson, Einzelding und logisches Subjekt, übersetzt von F. Scholz (Stuttgart: Reclam, 1972), 149.

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