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Der britische Idealismus und seine Kritiker
ОглавлениеNach dem Tod von John Stuart Mill setzt eine Reaktion gegen die Tradition des britischen Empirismus ein, zu deren bedeutendsten Repräsentanten er gehört hatte. Im Jahre 1874, ein Jahr nach Mills Tod, brachte ein Tutor am Balliol College, T. H. Green (1836–1882), eine Ausgabe von David Humes Traktat über die menschliche Natur heraus. In der umfangreichen Einleitung zu dieser Ausgabe unterzog er die Voraussetzungen des Empirismus einer vernichtenden Kritik. Im selben Jahr erschien die erste einer langen Reihe englischer Übersetzungen der Werke von Hegel, der zuerst von Benjamin Jowett (1817–1893), dem Master von Greens College, in Oxford eingeführt worden war. Zwei Jahre später veröffentlichte F. H. Bradley vom Merton College seine Ethical Studies, einen Gründungsklassiker des britischen Hegelianismus. 1893 vollendete Bradley Appearance and Reality (Erscheinung und Wirklichkeit), die umfassendste und maßgebliche Darstellung des britischen Idealismus. Wenig später wurden die Methoden und einige der Lehren von Hegels Logik von J. M. E. McTaggart, einem Philosophen am Trinity College in Cambridge, in einer Reihe von Abhandlungen dargelegt.
Greens Idealismus war, ähnlich wie James Pragmatismus, zum Teil durch religiöse Anliegen motiviert. „Es gibt ein geistiges, seiner selbst bewusstes Wesen, und alles, was wirklich ist, ist seine Aktivität und sein Ausdruck“, schrieb er in den Prolegomena to Ethics, die ein Jahr nach seinem Tode veröffentlicht wurden. „Wir stehen alle zu diesem geistigen Wesen in Beziehung, nicht nur als Teile der Welt, in der es sich ausdrückt, sondern in einem unvollständigen Maße als Teilnehmer an demjenigen Selbstbewusstsein, durch das es gleichzeitig sich selbst konstituiert und sich von der Welt unterscheidet.“ Diese Teilnahme war seiner Meinung nach die Quelle von Moral und Religion. Bradley und McTaggart hingegen entfernten jeglichen, auch nur im entfernten Sinne christlichen Inhalt aus dem Idealismus. Letzterer ging sogar so weit zu bestreiten, dass es irgendein Absolutes gebe, das sich von einer aus endlichen Selbsten bestehenden Gemeinschaft unterscheide.
Es war jedoch eine allgemeine Grundannahme der britischen Idealisten, dass die Wirklichkeit wesentlich geistiger Natur ist: Sie verwarfen die dualistische Vorstellung, Geist und Materie seien zwei gleichrangige und voneinander unabhängige Seinsbereiche. Bradleys „Monismus“ hatte jedoch noch einen anderen grundlegenden Aspekt: die These, dass die Wirklichkeit als Totalität betrachtet werden müsse. Wahrheit ist keine Eigenschaft einzelner, atomistischer Aussagen, sondern nur von Urteilen über das Sein als Ganzes. In Appearance and Reality versuchte Bradley zu zeigen, dass wir uns in Widersprüche verwickeln, wenn wir versuchen, das Universum als einen Komplex voneinander unabhängiger Substanzen zu verstehen, die von ihren Relationen zueinander verschieden sind. Jeder Teil des Universums steht – intern, durch sein Wesen – mit jedem anderen in Beziehung. Die Gegenstände der alltäglichen Erfahrung, der Raum und die Zeit, in denen sie sich befinden, und sogar das Subjekt der Erfahrung, das individuelle Selbst: Dies alles sind bloße Erscheinungen, die zwar für praktische Belange nützlich sind, aber äußerst irreführend, wenn es um das wahre Wesen der Wirklichkeit geht.
Die Vorherrschaft des Idealismus wurde um die Jahrhundertwende durch zwei junge Philosophen in Cambridge auf entschiedene Weise infrage gestellt: durch G. E. Moore (1873–1958) und Bertrand Russell (1872–1970). Beide waren Schüler von McTaggart und taten ihre ersten philosophischen Schritte als Hegelianer. Russell fand Hegel selbst wesentlich weniger beeindruckend als McTaggart: Besonders seine unklare Haltung zur Mathematik widerte ihn an. In seinem Aufsatz „The Nature of Judgement“ („Das Wesen des Urteils“) (1899) verwarf Moore die grundlegende Behauptung, die Wirklichkeit sei eine Schöpfung des Geistes, und ersetzte sie durch einen platonischen Realismus: Begriffe sind objektive, unabhängige Wirklichkeiten, und die Welt besteht aus solchen, miteinander zu wahren Aussagen verbundenen Begriffen. Nach seinem Angriff auf den metaphysischen Idealismus griff Moore vier Jahre später den empirischen Idealismus an. In seiner „Widerlegung des Idealismus“ verwarf er die Behauptung esse est percipii: Zu existieren sei etwas vom Wahrgenommenwerden sehr Verschiedenes, und die Gegenstände unseres Wissens seien von unserem Wissen von ihnen unabhängig. Außerdem würden materielle Gegenstände direkt von uns wahrgenommen.
Moores Revolte gegen den Idealismus hatte einen großen Einfluss auf Russell: „Es war höchst aufregend“, erinnerte er sich später, „nachdem man die sinnlich wahrnehmbare Welt für unwirklich gehalten hatte, wieder glauben zu können, dass es solche Dinge wie Tische und Stühle wirklich gab“ (A 135). Er erlebte es als eine große Befreiung, trotz Locke und seiner Nachfolger denken zu können, dass Gras wirklich grün war. Wie Moore verband er seine Abkehr vom Idealismus mit der Bejahung eines platonischen Glaubens an Universalien: Jedes Wort, sei es partikulär oder allgemein, stand für eine objektive Entität. Besonders in seiner Reaktion auf Bradley maß er der unabhängigen Wirklichkeit von Relationen große Bedeutung bei. In einer brillanten Studie zur Philosophie von Leibniz ging er 1899 so weit zu behaupten, dass die komplizierte und unvorstellbare Struktur der Metaphysik der Monaden das Ergebnis des einzigen Irrtums sei, alle Sätze müssten die Subjekt-Prädikat-Form haben, statt zu erkennen, dass relationale Sätze auf dieses Muster nicht zurückgeführt werden können.