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Die vier Ursachen

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Aristoteles klassifiziert die frühesten griechischen Philosophen entsprechend der Struktur seines Systems der vier Ursachen. Wissenschaftliche Untersuchungen, so glaubte er, waren in erster Linie eine Sache der Ursachenforschung, und es gab vier verschiedene Arten von Ursachen: die Stoff-, die Wirk-, die Form- und die Zweckursache. Um ein alltägliches Beispiel dafür zu geben, was er vor Augen hatte: Wenn Alfredo ein Risotto kocht, so besteht die Stoffursache des Risottos in den Zutaten, die er dafür verwendet, die Wirkursache ist der Koch selbst, das Rezept ist die Formursache und die Zufriedenheit der Besucher des Restaurants die Zweckursache. Aristoteles war der Überzeugung, dass ein wissenschaftliches Verständnis des Universums eine Erforschung der Art und Weise der Wirksamkeit dieser Ursachentypen erfordert (Metaph. A 3. 983a24–b117).

Im Zentrum des Interesses der frühen Philosophen an der griechischen Küste von Kleinasien standen die Stoffursachen: Sie suchten nach den Grundbestandteilen der Welt, in der wir leben. Thales und seine Nachfolger warfen folgende Frage auf: Besteht die Welt letztlich aus Wasser oder Luft oder Feuer oder Erde oder aus einer Kombination all dieser Elemente (Metaph. A 3. 983b20–84a16). Selbst wenn wir eine Antwort auf diese Frage haben, so reicht das Aristoteles zufolge offensichtlich nicht aus, um unsere wissenschaftliche Neugier zu befriedigen. Die Zutaten eines Gerichts stellen sich nicht selbst zusammen: Es muss eine Ursache geben, die durch Schneiden, Mischen, Rühren, Erhitzen oder dergleichen auf sie einwirkt. Aristoteles sagt, dass sich einige dieser frühen Philosophen dessen bewusst waren, und dass sie über die Ursachen der Veränderungen und Entwicklungen in der Welt Vermutungen anstellten. Manchmal galt eines der Elemente selbst als Ursache. Feuer war vielleicht der vielversprechendste Kandidat, da es das am wenigsten „starre“ Element ist. Häufiger war es ein anderes Agens oder ein Paar von ihnen, das sowohl abstrakter als auch poetischer war, wie zum Beispiel Liebe oder Sehnsucht oder Streit oder das Gute und das Böse (Metaph. A 3–4. 984b8–31).

Unterdessen gab es in Italien – wiederum nach Aristoteles – um Pythagoras einen Kreis mathematisch interessierter Philosophen, deren Nachforschungen in eine ganz andere Richtung gingen. Ein Rezept nennt nicht nur bestimmte Zutaten, sondern es enthält auch eine ganze Reihe von Zahlenangaben: so viel Gramm von dieser und so viele Milliliter von jener Zutat. Stärker als an den Zutaten waren die Pythagoreer an den Zahlen im Rezept der Welt interessiert. Aristoteles schreibt, sie nahmen an, dass die Elemente der Zahlen die Elemente aller Dinge seien, und dass das Himmelsganze eine Tonleiter sei. Sie wurden in ihrer Suche durch die Entdeckung inspiriert, dass das Verhältnis zwischen den Tönen einer Tonleiter, die man auf einer Leier spielte, den verschiedenen Zahlenverhältnissen zwischen den Saitenlängen entsprach. Später verallgemeinerten sie dann diese Idee, dass qualitative Unterschiede das Ergebnis numerischer Unterschiede seien. Ihre Nachforschungen entsprachen, in aristotelischen Begriffen, einer Untersuchung der Formursachen des Universums (Metaph. A 5. 985b23–986b2).

Wenn er auf seine unmittelbaren Vorgänger zu sprechen kommt, bemerkt Aristoteles, dass es Sokrates vorgezogen habe, sich auf ethische Fragestellungen zu konzentrieren, statt die Welt der Natur zu studieren. Platon habe hingegen in seiner philosophischen Theorie die Vorgehensweisen der Schulen von Thales und Pythagoras kombiniert. Doch Platons Ideenlehre schien Aristoteles, obwohl sie das umfassendste wissenschaftliche System war, das jemals entwickelt wurde, aus Gründen, die er hier zusammenfasst und in einer Reihe von Abhandlungen darlegt, gleich in mehrfacher Hinsicht unzureichend. Es gab so viele Dinge zu erklären, und die Ideen führten lediglich zusätzliche Dinge ein, die nach einer Erklärung verlangten: Sie boten keine Lösung, sondern sie vergrößerten das Problem nur (Metaph. A 5. 990b1 V).

Die meisten Dissertationen, die mit einem Literaturbericht beginnen, versuchen nachzuweisen, dass sämtliche bislang geleistete Arbeit eine Lücke gelassen hat, die durch die neuartigen Forschungen des Autors nunmehr geschlossen wird. Die Metaphysik des Aristoteles bildet hierzu keine Ausnahme. Sein ziemlich deutlich erkennbarer Plan besteht darin zu zeigen, dass die früheren Philosophen das restliche Glied im Quartett der Ursachen vernachlässigt haben: die Endursache, die in seiner eigenen Naturphilosophie eine äußerst wichtige Rolle spielen wird (Metaph. A 5. 988b6–15). Die früheste Philosophie, so lautete seine Schlussfolgerung, hat in den meisten Wissensgebieten viel Gestammel zu bieten, da sie in ihren Anfängen einem lallenden Kind gleicht (Metaph. A 5. 993a15–7).

Ein zeitgenössischer Philosoph, der die überlieferten Fragmente der frühesten griechischen Denker liest, ist nicht zu sehr von den Fragen beeindruckt, die sie stellten, sondern vielmehr von den Methoden, mit denen sie sie beantworten. Schließlich bietet uns auch das Buch Genesis Antworten auf die von Aristoteles eingeführten Fragen nach den vier Ursachen. Fragen wir beispielsweise nach dem Ursprung des ersten Menschen, erhalten wir als Antwort, dass die Wirkursache Gott gewesen sei, die Stoffursache der Staub der Erde, die Formursache das Bild und die Ähnlichkeit Gottes und dass die Zweckursache des Menschen darin bestanden habe, über die Fische im Meer, die Vögel in der Luft und jedes lebende Wesen auf der Erde zu herrschen. Das Buch Genesis ist jedoch kein Werk der Philosophie.

Andererseits ist Pythagoras nicht dafür bekannt, dass er irgendeine der vier aristotelischen Fragen beantwortet hat, sondern für den Beweis des Lehrsatzes, dass das Quadrat der Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks dieselbe Fläche wie die Summe der Quadrate über den beiden anderen Seiten des Dreiecks hat. Von Thales glaubten die späteren Griechen, er habe im Jahre 585 v. Chr. als erster eine Sonnenfinsternis exakt vorausgesagt. Dies sind zweifellos Leistungen auf den Gebieten der Geometrie und Astronomie, jedoch nicht der Philosophie.

Tatsächlich ist der Unterschied zwischen Religion, Wissenschaft und Philosophie noch nicht so deutlich, wie er in späteren Jahrhunderten geworden ist. Die Werke des Aristoteles und seines Meisters Platon bieten für jedes Zeitalter ein Musterbeispiel der Philosophie, und bis heute beansprucht jeder, der den Titel „Philosoph“ benutzt, einer ihrer Erben zu sein. Autoren der philosophischen Fachzeitschriften des 21. Jahrhunderts verwenden die gleichen Techniken der Begriffsanalyse und sie wiederholen oder widerlegen häufig dieselben theoretischen Argumente, die in den Schriften von Platon und Aristoteles zu finden sind. Diese Schriften enthalten jedoch manches andere, das man heute nicht mehr als philosophische Diskussion bezeichnen würde. Ab dem sechsten Jahrhundert v. Chr. gärten Elemente der Religion, der Wissenschaft und Philosophie gemeinsam in einem einzigen kulturellen Kessel. Aus der Distanz unserer Gegenwart können Philosophen, Wissenschaftler und Theologen auf diese frühen Denker zurückblicken und sie als ihre intellektuellen Vorfahren betrachten.

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