Читать книгу Geschichte der abendländischen Philosophie - Anthony Kenny - Страница 17
Anaxagoras
ОглавлениеWenn Empedokles eine Art Unsterblichkeit als Vorläufer von Darwin erlangt hat, so betrachtet man seinen Zeitgenossen Anaxagoras manchmal als geistigen Vorläufer der gegenwärtig weithin akzeptierten Big Bang-Kosmologie. Anaxagoras wurde um das Jahr 500 v. Chr. in Klazomenai, in der Nähe von Izmir, geboren und war wahrscheinlich ein Schüler von Anaximenes. Nach dem Ende der Kriege zwischen Persien und Griechenland kam er nach Athen und war ein Anhänger des Staatsmannes Perikles. Damit steht der am Anfang der Reihe hochrangiger Philosophen, die Athen entweder hervorgebracht oder willkommen geheißen hat. Als Perikles in Ungnade fiel, wurde auch Anaxagoras zum Ziel von Angriffen aus dem Volk. Man klagte ihn wegen Verrat und Gottlosigkeit an, und er floh nach Lampsakos am Hellespont, wo er in einem ehrenhaften Exil bis zu seinem Tode im Jahre 428 lebte.
Dies ist seine Beschreibung des Anfangs des Universums: „Ursprünglich waren alle Dinge zusammen, unendlich an Menge und an Kleinheit. Denn auch das Kleine war und endlich, d.h. unendlich klein. Und solange alle Dinge zusammen waren, war infolge seiner Kleinheit keins von ihnen erkennbar. Alles lag unter Luft und Äther, beide unendlich“ (KRS 467; DK 266). Dieser uranfängliche Kieselstein begann sich zu drehen und schleuderte dabei den umgebenden Äther und die Luft aus sich heraus und ließ auf diese Weise die Sterne, die Sonne und den Mond entstehen. Die Drehung führte zur Trennung des Dichten vom Dünnen, des Heißen vom Kalten, des Trocknen vom Nassen und des Hellen vom Dunklen. Doch diese Trennung war niemals vollständig, und bis heute bleibt daher in jedem einzelnen Ding ein Teil von allen anderen erhalten. Im Schwarzen gibt es ein wenig Weißes, ein wenig Kaltes im Heißen usw.: Die Dinge werden nach dem benannt, was in ihnen vorherrscht (Aristoteles, Ph. 1.4. 187a23). Dies ist am offensichtlichsten bei der Samenflüssigkeit, die Haar und Fleisch enthalten muss und noch vieles, vieles mehr. Es muss auch für unsere Nahrungsmittel gelten (KRS 483f., 496). In diesem Sinne sind alle Dinge, wie sie es am Anfang waren, weiterhin verbunden.
Nothing but a devouring flame of thought –
But a naked, eternally restless mind!
To the elements it came from
Everything will return
Our bodies to earth,
Our blood to water,
Heat to Wre,
Breath to air.
They were well born, they will be well entomb’d –
But mind?“ (Zeilen 326–38)
Anaxagoras behauptete, dass sich die Ausdehnung des Universums in der Gegenwart fortsetzt und dass es sich auch in Zukunft weiter ausdehnen wird (KRS 476). Vielleicht hat sie bereits zur Entstehung von Welten geführt, die von der unseren verschieden sind. Da alles in allem anderen vorhanden ist, sagt er, dass
„[…] sich so auch Menschen zusammenfügen und alle sonstigen Lebewesen, die eine Seele besitzen. Und daß diese Menschen nun auch bewohnte Städte und angebaute Äcker besitzen wie bei uns, und auch Sonne und Mond und die übrigen [Gestirne] haben wie bei uns, und daß ihr Land ihnen viele mannigfache Pflanzen hervorbringt, wovon sie das beste in ihr Haus zusammenbringen und davon leben. Dies ist meine Darlegung über die Ausscheidung, daß eine solche nicht nur bei uns, sondern auch anderswo stattgefunden hat“20 (KRS 498)
Anaxagoras kann daher beanspruchen, der Schöpfer der Idee gewesen zu sein, die später von Giordano Bruno vorgeschlagen wurde und sich bei vielen auch heute wieder einiger Beliebtheit erfreut: dass unser Kosmos nur einer von vielen ist, die wie der unsrige von intelligenten Wesen bevölkert sind.
Die Bewegung, die die Entwicklung des Universums einleitet, ist nach Anaxagoras das Werk des Geistes. „Alle Dinge waren zusammen, dann kam der Geist dazu und ordnete sie“ (D.L. 2.6). Der Geist ist unendlich und getrennt und nimmt an der allgemeinen Vermischung der Elemente nicht teil. Wäre es anders, würde er in den evolutionären Prozess hineingezogen und könnte ihn nicht steuern. Diese Lehre, die dem Geist so eindeutig die Kontrolle über die Materie gibt, hat seine Zeitgenossen so sehr beeindruckt, dass sie Anaxagoras selbst scherzhaft „den Geist“ nannten. Doch obwohl seine Lehre Platon und Aristoteles tief beeindruckte, ist es schwer zu sagen, worauf diese Lehre konkret hinauslief.
Im Dialog Phaidon lässt Platon Sokrates in seinen letzten Tagen im Gefängnis berichten, dass er von den mechanistischen, naturwissenschaftlichen Erklärungen, wie man sie bei den frühen Philosophen findet, immer mehr enttäuscht worden sei. Er sei erfreut gewesen, als er erfahren habe, Anaxagoras habe alles durch den Nous, oder Geist, erklärt. Allerdings sei er enttäuscht worden, dass in seinen Schriften jeglicher Bezug auf Werte fehlte. Anaxagoras gleiche jemanden, der sagt, dass alle Handlungen des Sokrates durch seine Intelligenz ausgeführt würden, und der dann als Grund dafür, warum er hier in einem Gefängnis sitze, die Zusammensetzung seines Körpers aus Knochen und Sehnen angeführt habe und über die Natur und Eigenschaften dieser Teile gesprochen habe, ohne zu erwähnen, dass er entschieden habe, es sei besser dort zu sitzen und sich dem Urteil des Athenischen Gerichts zu fügen. Teleologische Erklärungen seien tiefer gehender als mechanistische. „Wenn nun einer die Ursache von jeglichem finden sollte, wie es entsteht oder vergeht oder besteht, so müsse er nur dieses daran finden, wie es gerade diesem am besten sei zu bestehen, oder irgend sonst etwas zu tun oder zu leiden.“ (Phd. 97d)
Anaxagoras spricht über seinen Geist wie über Götter, und dies könnte ihm in den Augen der Athener Gerichte den Vorwurf eingebracht haben, dass er fremde Götter einführe. Der Vorwurf mangelnder Frömmigkeit schien jedoch auf seinen wissenschaftlichen Vermutungen zu basieren. Die Sonne, so sagte er, sei ein feuriger Metallklumpen, etwas größer als der Peloponnes. Dies hielt man für unvereinbar mit der Verehrung, die der göttlichen Sonne entgegenzubringen war. Im Exil in Lampsakos erwies er der Menschheit seine letzte Wohltat, indem er die Schulferien einführte. Als ihn die Stadtregierung fragte, wie man ihn ehren solle, sagte er, dass die Kinder im Monat seines Todes Schulferien bekommen sollten. Die Dankbarkeit von Studenten der Naturwissenschaft hatte er sich bereits dadurch verdient, dass er der erste Autor war, der in seine Texte Diagramme einfügte.