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Xenophanes

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Mit Pythagoras’ Tod und der Zerstörung von Milet im Jahre 494 ging die erste Epoche des vorsokratischen Denkens zu Ende. In der nächsten Generation begegnen wir Denkern, die nicht nur aufkeimende Wissenschaftler, sondern Philosophen im modernen Sinn dieses Wortes waren. Xenophanes von Kolophon (einer Stadt in der Nähe des heutigen Izmir, einige hundert Kilometer nördlich von Milet) reicht mit den Daten seines langen Lebens (570–470 v. Chr.) in beide Epochen. Wie Pythagoras ist auch er ein Bindeglied zwischen den östlichen und westlichen Zentren der griechischen Kultur. In seinem dritten Lebensjahrzehnt aus Kolophon vertrieben, wurde er ein wandernder Bänkelsänger, der nach eigenen Angaben 67 Jahre lang in Griechenland umherreiste und seine eigenen und die Gedichte anderer vortrug (D.L. 9. 18). Er sang über Wein, Wettkämpfe und Feste, doch es sind seine philosophischen Verse, die heute am meisten gelesen werden.

Wie die Milesier hatte auch Xenophanes eine Kosmologie. Das Grundelement, so behauptete er, sei weder Wasser noch Luft, sondern Erde, und die Erde reiche nach unten bis in die Unendlichkeit hinab. Der Spruch „Alle Dinge stammen aus der Erde, und in die Erde kehren alle Dinge zurück“ (D.K. 21 B27) erinnert an christliche Begräbnisliturgien und die Ermahnung am Aschermittwoch „Bedenke Mensch, dass du vom Staub genommen bist und zum Staub zurückkehren wirst“. Doch an anderer Stelle bringt Xenophanes als Ursprung der Dinge Wasser und Erde zusammen. Tatsächlich nahm er an, die Erde müsse in früheren Zeiten einmal vom Meer bedeckt gewesen sein. Dies hängt mit der interessantesten seiner Beiträge zur Wissenschaft zusammen, seiner Beobachtung von Fossilien:

„Mitten im Binnenland und auf Bergen würden Muscheln gefunden, und in Syrakus in den Steinbrüchen Abdrücke von Fischen und Algen. In Paros sei ein Abdruck eines Lorbeerblattes in der Tiefe des Gesteins gefunden worden, und auf Malta gebe es flache Abdrücke von allen möglichen Seetieren. Diese seien entstanden, als alles voreinst von Schlamm bedeckt gewesen und der Abdruck dann in dem Schlamm hart geworden sei.“ (KRS 184; 119)5

Xenophanes’ Spekulationen über die Himmelskörper sind weniger beeindruckend. Da er glaubte, die Erde setze sich in die Tiefe bis ins Unendliche fort, konnte er nicht gelten lassen, dass sich die Sonne nach ihrem Untergang unter der Erde hindurchbewegt. Andererseits fand er Anaximenes’ Theorie, dass sie sich horizontal um eine seitlich verschiebbare Erdscheibe bewege, nicht plausibel. Er schlug eine neue und einfallsreiche Erklärung vor: Die Sonne, behauptete er, entstehe jeden Tag neu. Sie entstehe jeden Morgen aus dem Zusammenschluss winziger Funken und verschwinde später in die Unendlichkeit. Der Anschein einer kreisförmigen Bewegung lasse sich einfach durch den großen Abstand zwischen uns und der Sonne erklären. Aus dieser Theorie folge, dass es zahllose Sonnen gibt, ebenso wie zahllose Tage, denn die Welt währt ewig, obwohl sie wässrige und terrestrische Phasen durchläuft (KRS 175, 179).

Obwohl Xenophanes’ Kosmologie unbegründet ist, verdient ihr Naturalismus Beachtung: Sie ist frei von den mystischen und halbreligiösen Elementen, die sich bei anderen vorsokratischen Philosophen finden. So ist beispielsweise der Regenbogen weder eine Gottheit (wie Iris im griechischen Pantheon) noch ein göttliches Zeichen (wie der von Noah gesehene Regenbogen). Er ist einfach eine mehrfarbige Wolke (KRS 178). Dieser Naturalismus bedeutete nicht, dass Xenophanes an Religion kein Interesse gehabt hätte: Er war im Gegenteil der theologischste Denker unter den Vorsokratikern. Er verachtete jedoch den Aberglauben des Volkes und verteidigte einen nüchternen und komplizierten Monotheismus6 und war weder in der Theologie noch in der Physik dogmatisch.

„Die Götter haben den Sterblichen nicht von Anfang an alles offenbart, sondern erst nach und nach finden diese suchend das Bessere.“ (KRS 188; 125)

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