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Empedokles

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Der flamboyanteste unter den frühen Philosophen im griechischen Italien war Empedokles, dessen Lebensmitte etwa in die 50er des fünften Jahrhunderts fällt. Er stammte aus der Stadt Akragas, derjenigen Stadt an der Südküste Siziliens, die heute Agrigent genannt wird. Der Hafen der Stadt heißt heute Porto Empedocle, doch ist dies kein Beweis für die anhaltende Verehrung des Philosophen, sondern für die Leidenschaft, mit der man im Risorgimento Orte zu Ehren der glorreichen Vergangenheit Italiens umbenannte.

Empedokles wurde in eine aristokratische Familie geboren, die ein Gestüt besaß, auf dem preisgekrönte Pferde gezüchtet wurden. In der Politik hatte er allerdings den Ruf eines Demokraten. Man sagt von ihm, er habe eine Verschwörung vereitelt, durch die die Stadt in eine Diktatur verwandelt werden sollte. Die dankbaren Bürger, so ging die Geschichte weiter, boten ihm an, ihr König zu werden, doch er lehnte das Amt ab, und führte stattdessen lieber das genügsame Leben eines Arztes und Lebensberaters (D.L. 8. 63). Wenn er auch nicht ehrgeizig gewesen ist, war er dennoch nicht frei von Eitelkeit. In einem seiner Gedichte rühmt er, dass, wo immer er hinkomme, sich Männer und Frauen um ihn scharen und Rat und Heilung bei ihm suchen. Er behauptete, im Besitz von Medikamenten zu sein, mit denen sich das Altern aufhalten lasse, und Zaubersprüche zu kennen, um das Wetter zu beeinflussen. In demselben Gedicht verkündet er freimütig, er selbst habe einen göttlichen Status erreicht (D.L. 8. 66).

Verschiedene biografische Traditionen, von denen einige chronologisch unmöglich sind, machen Empedokles zum Schüler von Pythagoras, Xenophanes und Parmenides. Gewiss wird er Parmenides nachgeeifert haben, als er ein Lehrgedicht in Hexametern, Über die Natur, schrieb. Dieses Gedicht, das seinem Freund Pausanias gewidmet ist, enthielt etwa 2000 Zeilen, von denen etwa ein Fünftel überliefert ist. Er schrieb außerdem ein religiöses Gedicht, Reinigungen, von dem noch weniger erhalten geblieben ist. In der Forschung ist man sich nicht darüber einig, zu welchem Gedicht die zahlreichen zusammenhangslosen Zitate, die überliefert sind, gehören sollen. Einige sind sogar der Auffassung, die beiden Gedichte gehörten zu einem einzigen Werk. Weitere Teile des Textpuzzles wurden entdeckt, als man im Jahre 1994 in den Archiven der Universität Straßburg 40 Papyrusfragmente fand. Als Dichter zeichnete sich Empedokles durch größere Flüssigkeit und Vielseitigkeit als Parmenides aus. Nach Aristoteles schrieb er eine Erzählung über Xerxes’ Invasion Griechenlands und nach anderen Traditionen soll er Autor mehrerer Tragödien gewesen sein (D.L. 8. 57).

Empedokles’ Naturphilosophie kann einerseits als Synthese der Gedanken der ionischen Philosophen angesehen werden. Wie wir sahen, hatte jeder von ihnen irgendeine Substanz als grundlegenden oder dominierenden Stoff des Universums ausgewählt: Thales hatte dem Wasser eine privilegierte Stellung zugewiesen, Anaximenes der Luft, Xenophanes der Erde und Heraklit dem Feuer. Für Empedokles waren alle vier Substanzen als Grundbestandteile oder Wurzeln des Universums, wie er sie nannte, von gleicher Bedeutung. Diese Wurzeln hatte es schon immer gegeben, behauptete er, doch vermischen sie sich in unterschiedlichen Verhältnissen auf solche Weise, dass sie die uns vertrauten Weltgegenstände erzeugen und außerdem die Bewohner des Himmels.

„Denn aus ihnen [den Elementen] entsproß alles, was war und was ist und was sein wird;

Bäume wuchsen empor und Männer und Weiber,

wilde Tiere und Vögel und Fische des Wassers

und langlebende Götter, die auf das höchste geehrt werden.

Denn sie nur gibt es, und wie sie durcheinanderkreisen,

nehmen sie die verschiedensten Gestalten an.

So groß ist die Wandlung infolge ihrer Mischung miteinander.“ (KRS 355; 203)

Was Empedokles „Wurzeln“ nennt, nannten Platon und die späteren griechischen Denker stoicheia. Dieses Wort bezeichnete früher die Silben eines Wortes. Die lateinische Übersetzung elementum, von der sich unser Wort „Element“ ableitet, vergleicht die Wurzeln nicht mit Silben, sondern mit den Buchstaben des Alphabets: Ein Elementum ist ein LMNtum. Den vier Elementen des Empedokles wurde von Philosophen und Wissenschaftlern in der Physik und Chemie bis in die Zeit von Boyle im 17. Jahrhundert eine grundlegende Rolle zugeschrieben. Es lässt sich sogar behaupten, dass die vier Elemente auch noch für uns vorhanden sind, wenn auch in veränderter Form. Empedokles stellte sich seine Elemente als vier verschiedene Arten von Materie vor. Wir unterscheiden fest, flüssig und gasförmig als drei Zustände der Materie. Eis, Wasser und Dampf waren für Empedokles bestimmte Manifestationen von Erde, Wasser und Luft, denn es sind drei verschiedene Zustände derselben Substanz: H2O.

Es war durchaus vernünftig, das Feuer – und besonders das Feuer der Sonne – als ein viertes Element von gleicher Wichtigkeit anzusehen. Man könnte behaupten, dass die im 20. Jahrhundert entstandene Plasmaphysik, die die Eigenschaften der Materie bei in der Sonne herrschenden Temperaturen studiert, das vierte Element des Empedokles den anderen dreien gleichgestellt hat.

Aristoteles lobt Empedokles dafür, erkannt zu haben, dass eine kosmologische Theorie nicht nur die Elemente des Universums benennen, sondern auch Ursachen für die Entwicklung und Vermischung der Elemente angeben müsse, aus denen die lebenden und unbelebten Elemente der Wirklichkeit hervorgingen. Empedokles hatte diese Rolle der Liebe und dem Streit zugewiesen: Die Liebe vereinigte die Elemente, und der Streit zwang sie auseinander. Manchmal wachsen die Wurzeln so, dass aus mehreren eine einzige wird, und zu anderen Zeiten spalten sie sich auf, wodurch aus der Einheit eine Vielheit wird. Diese Wandlungen waren seiner Meinung nach Teil eines unaufhörlichen Wechsels, bei dem sich die Dinge durch Liebe vereinigen und dann durch den Hass des Streits wieder trennen (KRS 348).

Liebe und Streit sind die anschaulichen Vorläufer der Anziehungs- und Abstoßungskräfte, die in der physikalischen Theorie jahrhundertelang einen festen Platz hatten. Für Empedokles ist die Geschichte ein Kreislauf, in dem manchmal die Liebe und manchmal der Streit dominiert. Unter dem Einfluss der Liebe vereinigen sich die Elemente zu einer gleichförmigen, harmonischen und glänzenden Kugel, die an das Universum von Parmenides erinnert. Unter dem Einfluss des Streits trennen sich die Elemente, doch wenn die Liebe ihren verlorenen Einfluss zurückgewinnt, entstehen die verschiedenen Arten lebender Wesen. Sämtliche zusammengesetzte Wesen, wie zum Beispiel Landtiere und Vögel und Fische, sind ephemere Kreaturen, die entstehen und vergehen. Allein die Elemente sind von ewiger Dauer, und ihr kosmischer Kreislauf hat kein Ende.

Zur Erklärung des Ursprungs der Lebewesen schlug Empedokles eine erstaunliche Theorie der Evolution vor, nach der die am besten angepassten überlebten. Zuerst tauchten Fleisch und Knochen als chemische Mischungen der Elemente auf, wobei das Fleisch zu gleichen Teilen aus Feuer, Luft und Wasser zusammengesetzt war, und Knochen aus zwei Teilen Wasser, zwei Teilen Erde und vier Teilen Feuer bestand. Aus diesen Bestandteilen bildeten sich unverbundene Gliedmaßen und Organe: Augen, die sich in keiner Augenhöhle befanden, Arme ohne Schultern und Gesichter ohne Hals (KRS 375f.). Diese bewegten sich umher, bis sie durch Zufall Partner fanden. Sie gingen Verbindungen ein, die in diesem frühen Stadium häufig ziemlich unpassend waren. Auf diese Weise entstanden verschiedene Missgeburten: Ochsen mit menschlichen Köpfen, Menschen mit Ochsenköpfen, doppelgeschlechtliche Kreaturen mit Gesichtern und Brüsten auf der Vorderseite und dem Rücken (KRS 397). Die meisten dieser Zufallsorganismen waren instabil und unfruchtbar. Aber die lebensfähigsten Strukturen blieben erhalten und wurden zu den Menschen und den uns bekannten Tierarten. Ihre Fortpflanzungsfähigkeit war eine Sache des Zufalls, ohne jeden Plan (Aristoteles, Ph. 2. 8. 198b29).

Aristoteles lobte Empedokles dafür, als Erster das wichtige biologische Prinzip erkannt zu haben, dass verschiedene Teile unähnlicher Organismen homologe Funktionen haben können, wie zum Beispiel Oliven und Eier, Blätter und Federn (Aristoteles, Ph. 2.8. 198b29). Doch für seinen Versuch, die Teleologie auf Zufall zu reduzieren, hatte er nur Verachtung übrig, und über viele Jahrhunderte folgten die Biologen Aristoteles statt Empedokles. Er hätte zuletzt und am besten gelacht, als Darwin ihm die Ehre erwies „das Prinzip der natürlichen Selektion bereits schattenhaft angedeutet zu haben“.16

Empedokles zog seine vier Elemente auch zur Erklärung der Sinneswahrnehmung heran, basierend auf dem Prinzip, dass Gleiches von Gleichem erkannt wird. In seinem Gedicht Reinigungen kombinierte er seine physikalische Theorie mit der pädagogischen Lehre der Seelenwanderung.17 Sünder – göttliche oder menschliche – werden bestraft, wenn der Streit ihre Seelen in verschiedene Arten von Land- und Meerestieren verbannt. Ein Kreislauf von Wiedergeburten lässt Raum für die Hoffnung, dass privilegierte Menschen, Seher, Sänger, Ärzte und Fürsten, letztlich vergöttlicht werden (KRS 409). Natürlich konnte Empedokles beanspruchen, zu jeder dieser Gruppen zu gehören.

In seinen Schriften wechselt Empedokles übergangslos zwischen einem nüchternen, mechanistischen und einem mystisch-religiösen Ton. Manchmal verwendet er für seine vier Elemente die Namen von Göttern (Zeus, Hera, Aidoneos und Nestis), und er setzt seine Liebe der Gottheit Aphrodite gleich, die er in Worten feiert, die Schillers berühmte Ode an die Freude antizipieren (KRS 349). Zweifellos wird man seinen eigenen Anspruch auf Göttlichkeit auf die gleiche Weise entmythologisieren können, die er auch für die Götter des Olymp gelten ließ. Doch erregte er damit die Aufmerksamkeit der Nachwelt, besonders in der Legende über seinen Tod.

Eine Frau namens Pantheia, so lautet die Geschichte, war von den Ärzten für tot erklärt und aufgegeben, von Empedokles jedoch auf wundersame Weise ins Leben zurückgeholt worden. Um dies zu feiern, richtete er im Haus eines reichen Mannes am Fuße des Ätna ein mit einem Tieropfer verbundenes Festessen aus, zu dem achtzig Gäste eingeladen waren. Als die anderen Gäste sich schlafen legten, hörte er, wie sein Name vom Himmel gerufen wurde. Er eilte auf den Gipfel des Vulkans und dann, in den Worten von Milton,

„[…] sprang er, um als Gott zu gelten,

voll Liebe in die Flammen des Ätna.“18 (Paradise Lost, iii, 470)

Matthew Arnold dramatisierte diese Geschichte in seinem Gedicht Empedocles on Etna. Er legt dem Philosophen am Rand des Kraters folgende Worte in den Mund:

„Dieses Herz wird nicht mehr glühen;

Du bist kein lebender Mann mehr, Empedokles!

Nur noch eine verzehrende Flamme des Denkens –

ein nackter, ewig rastloser Geist!

Zu den Elementen, aus denen es entstand,

wird alles zurückkehren.

Unsere Körper zur Erde,

Unser Blut zum Wasser

Hitze zum Feuer,

Atem zur Luft.

Sie waren wohl geboren, und sie werden wohl begraben sein –

Doch der Geist?“19

Arnold gibt hier dem Philosophen, vor seinem Sprung in den Tod, die Hoffnung, dass als Belohnung für die Liebe zur Wahrheit sein Geist niemals vollständig untergehen werde.

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