Читать книгу Heile, Heile München - Arik Steen - Страница 11
07
ОглавлениеDas Giesinger Bräu ist eine noch recht junge Brauerei im Herzen von Giesing. Vor wenigen Jahren als Garagenbrauerei ins Leben gerufen, hatte es sich nun bereits zur zweitgrößten Privatbrauerei mit eingebundener Gastronomie entwickelt.
Daniel bestellte zwei Bier, ohne den Kommissar und Freund aus alten Tagen nach dessen Wunsch zu fragen.
«Soll ich auch zwei Bier bestellen oder ist eines davon für mich gedacht?», witzelte Philipp.
Daniel antwortete darauf nicht, sondern studierte die Karte. «Bock auf Nippel-Salat?»
«Was?»
«Nippel-Salat», wiederholte Daniel und zeigte in der Karte auf die Empfehlung des Chefs.
«Ist das denen ihr Ernst? Nein, danke, ich verzichte.»
«Wie wäre es dann mit den Stierhoden? Dafür muss nicht mal ein Tier getötet werden. Ist für Vegetarier geeignet.»
«Ja sicher. Die werden kastriert und ... ach, verarsch mich doch», er zeigte auf die Karte. «Ich nehme das Braumeisterschnitzel.»
Daniel bestellte wieder für beide und lehnte sich dann zurück.
«Sieben Jahre bist du nun tot», meinte Philipp nach einer kurzen Schweigepause. «Hast du nicht Angst, dass irgendjemand hinter dein Geheimnis kommt?»
«Nein», log Daniel. Er wusste, dass sein Geheimnis kein Geheimnis mehr war. Nicht nur Philipp, auch Johnny wusste, dass er lebte. «Ich war hier in Giesing im Kindergarten und in der Grundschule. Danach bin ich mit meiner Familie nach Südafrika gegangen, das weißt du. Als Offizier bin ich dann zwar nach München zurückgezogen, aber Kontakt hatte ich mit niemanden. War auch viel zu selten hier.»
«Außer mit mir», meinte Philipp.
«Und mit deiner Frau», grinste Daniel. «Die ...»
«Erspar mir diese Geschichte!», sagte der Kommissar schnell und meinte dann weiter: «Du hast also nie in München wieder Kontakte geknüpft. Außer mit mir?»
«Mit Leuten aus der Grundschule? Nein. Warum auch?»
«Keine Freundschaften? Nichts?»
«Ich hatte Kameraden», meinte Daniel und nickte dem Kellner zu, der zwei Bier auf den Tisch stellte.
«Und mich!»
«Und dich. Aber das war Zufall. Ich hätte nie erwartet, dass ich in München nach so vielen Jahren jemand aus der Grundschule wiedertreffe.»
Philipp nickte. Er erinnerte sich an die Nacht in der Disko. Er hatte Daniel nicht wiedererkannt. Und es war reiner Zufall gewesen, dass seine Frau mit ihm ins Gespräch gekommen war. Eine Stunde hatte es gedauert, bis beide verstanden hatten, dass sie sich kennen. «Du bist ein einsamer Mensch. Und das nicht nur jetzt. Du warst es im Grunde, seit du aus Südafrika zurückgekommen bist. Ich verstehe nicht, dass du keinen Anschluss gesucht hast.»
«Ich habe mich auf meine Karriere als Soldat konzentriert. Nicht mehr und nicht weniger.»
«Die Frau, die vorher da war», meinte Philipp und wechselte damit abrupt das Thema. «Sie hat ihn identifiziert. Es ist ihr Ehemann.»
«Okay ...», murmelte Daniel und nahm einen kräftigen Schluck. «Ich kenne die Frau nicht. Und auch nicht diesen Mann.»
«Was hat es mit diesem Barettabzeichen auf sich?»
«Herrgott, ich weiß es nicht», schimpfte Daniel. «Ich habe in jedem Fall nichts damit zu tun.»
«Habe ich auch nicht behauptet. Aber ich habe das dumpfe Gefühl, dass du mehr weißt.»
«Ach ja? Und was?» Er hatte keine Ahnung, was hier los war. Aber irgendwas stimmte nicht. Er hing mittendrin, ohne bisher dabei gewesen zu sein.
Kommissar Philipp Walter seufzte. «Nun, ich weiß es nicht. Du hast doch immer gesagt, dass die Fallschirmjägertruppe klein ist.»
Das Essen kam und Daniel antwortete deshalb erst einmal nicht. Erst als der Kellner wieder weg war, flüsterte er: «Ja, sie ist klein. Aber so klein auch wieder nicht. Und die Uhren haben sich weitergedreht. Ich bin schon lange nicht mehr dabei. Ich weiß es wirklich nicht. Und du kannst dir nicht einmal sicher sein, dass es irgendwas mit Fallschirmjägern zu tun hat.»
«Es sieht mir doch wie ein symbolischer Akt aus. Dieses Barettabzeichen.»
»Lass uns essen, verdammt.»
«Ist bei euch noch Platz?», meinte ein etwa zwanzigjähriger Kerl, der leicht verlottert aussah. Die Haare wirr, im Gesicht trug er einen ungepflegten Dreitagebart. Hinter ihm stand eine junge Frau, nicht unbedingt hässlich aber auch nicht gerade eine Schönheit. Ihr Haar wirkte fettig.
«Ja!», meinte Daniel ohne auch nur annähernd Höflichkeit in seine Stimme zu legen.
Ohne ein Wort setzten sich die beiden.
«Wo waren wir stehengeblieben?», fragte Daniel.
Philipp schüttelte den Kopf. «Schon in Ordnung. Lassen wir das.»
«Gut, dann lass uns essen.»
Während die Beiden schweigsam aßen, stritten sich die junge Dame und der junge Mann. Es ging wohl um eine andere Frau.
«Könnt ihr euch kein Zimmer nehmen?», fragte Daniel.
Die junge Frau schaute ihn an. Man konnte ihr förmlich ansehen, dass sie kurz davor war wie ein Wasserfall zu reden. Und das tat sie nach einer Sekunde des Nachdenkens auch. «Wir sind nicht zusammen. Er ist mein Ex. Und ist jetzt in meine Freundin verknallt. Aber die will nichts von ihm ...»
«Stopp!», meinte Daniel und unterbrach sie barsch. «Sehe ich aus wie ein Seelenklempner?»
Der junge Kerl grinste, sie schien etwas beleidigt.
Philipp hingegen tat interessiert. «Ihr beide wart zusammen? Und nun will er Tipps von dir, wie er deine Freundin rumkriegt?»
«Das ist Giesinger Ghetto, Herr Kommissar», seufzte Daniel und steckte sich dann ein großes Stück Fleisch in den Mund.
«Wir verstehen uns halt noch gut, wo ist das Problem?», motzte die junge Frau. «Und er hat keine Ahnung, wie man eine Frau rumkriegt.»
Daniel grinste, schluckte und meinte: «Lass mich raten, wenn du nicht besoffen gewesen wärst, dann hättest du dich auf ihn gar nicht eingelassen, richtig?»
«Ich trink keinen Alkohol», meinte sie und es klang stolz.
«Sie war vollgekifft», grinste der junge Mann.
«Arschloch», blaffte sie ihn an und schaute dann zu Daniel. Mit einem Blick, der durchaus Tendenzen eines billigen Flirts hatte. «Du kennst dich doch sicherlich mit Frauen aus, oder? Hast du ihm nicht einen Tipp?»
«Du solltest ihr ein Schwanzbild schicken. So völlig aus dem Kontext heraus. Kommt gut an, glaube es mir!», meinte Daniel. Er schaute den Kerl von oben bis unten an. «Es sei denn, dein Ding ist so eine Art Mikropenis!»
Sie lachte laut. Wurde aber dann wieder ernst. «Nein, das ist eine Scheißidee. Frauen hassen das.»
«Ja, Emanzenfrauen hassen das. So richtig heiße Frauen stehen drauf», grinste Daniel.
«Das ist doch Unsinn», mischte sich Philipp nun ein. «Rede doch den Kindern nicht so einen Quatsch ein!»
«Kinder? Ernsthaft?», fragte die junge Lady.
Daniel lachte. «Herrgott, ich provoziere ja bewusst, aber du hirnverbrannter Depp meinst das auch noch so. Lernt man das auf der Polizeischule? Oder im Kommissariatslehrgang?»
«Verzeihung, ich wollte Sie nicht ...», Philipp stotterte.
«Du bist ein Bulle?», fragte der junge Kerl.
«Herrje, Giesing ist einfach geil», grinste Daniel.
Philipps Handy klingelte. Er ging ran. «Ja?»
Daniel hörte nicht hin. Er aß sein Fleisch.
Es dauerte einen Moment. «Wir haben eine weitere Leiche», meinte Philipp und stand auf.
«Eine Leiche? Gott, wie geil ist das denn?», fragte der junge Typ, der noch immer nichts bestellt hatte.
Philipp reagierte nicht drauf. Er schaute Daniel an. «Was ist? Kommst du mit?»
«Entschuldige, aber ich bin beim Essen.»
«Man hat erneut ein ...», Philipp schaute zu den beiden jungen Leuten und sprach es deshalb nicht aus.
Für Daniel war es ohnehin klar. Ein weiteres Barettabzeichen. Das musste der Kommissar nicht aussprechen. «Ich kann dir nicht helfen!»
«Ich melde mich morgen», seufzte Philipp und kramte nach seinem Geldbeutel. Er legte zwei Zwanziger auf den Tisch.
«Du isst das nicht mehr, oder?», fragte Daniel und zog schon den Teller von Philipp zu sich.
«Ich lasse es mir nicht einpacken, wenn du das meinst», dann ging er Richtung Ausgang.
Keine zehn Sekunden später klingelte Daniels Handy. Und er wusste, wer dran war. «Was willst du?»
«Oh ... du hast gut kombiniert. Der Kommissar ist weg, das Handy läutet. Dann ist wohl klar, wer dran ist!»
Daniel fröstelte. Er hielt sich selbst für einen harten Hund. Aber ihm war nun mehr denn je bewusst, dass er beobachtet wurde. Und im Endeffekt konnte das nicht sein. Johnny konnte nicht überall sein. Er atmete tief durch und sagte: «Tut mir leid. Ich bin beim Essen.» Dann drückte er den Anruf weg.
Er nahm einen weiteren Bissen. Trank dann ein Schluck Bier. Die beiden jungen Leute beachtete er gar nicht. Obwohl er ihre Blicke spürte.
Das Telefon klingelte erneut. Daniel ging ran. «Ja?»
«Du hast mich nicht wirklich weggedrückt, oder?»
«Nein, die Verbindung war weg», log Daniel.
Johnny am anderen Ende war sauer, das hörte man deutlich aus der Stimme heraus. «Verarsch mich nicht. Und wage es nicht mich wegzudrücken.»
Daniel legte auf.
Ein weiterer Schluck aus dem Bierglas und es klingelte erneut.
«Ja?», meinte Daniel rotzfrech.
«Hör mir zu Hauptmann. Du weißt nicht wirklich, mit welchen Kräften du hier spielst. Die Lage ist ernst. Es werden Menschen sterben. Und du bist schuld.»
Daniel schaute zu den beiden jungen Leuten. Dann stand er auf. Das war zu heiß in der Öffentlichkeit. Er ging hinaus und in den Hof des Giesinger Bräus. «Was willst du?»
«Ich möchte Rache! Für alles, was man mir angetan hat.»
«Wenn du dich an mir rächen willst, dann lass es doch nicht an anderen aus.»
«Oh, es geht nicht nur um dich. Jeder Tote ist ein Puzzleteil.»
«Du willst, dass ich dich aufhalte. Das hast du gesagt.»
«Du kannst es versuchen. Und das ist es, was ich will. Dass du es versuchst. Weil das zum Spiel gehört. Zu meinem Spiel. Und es sind meine Spielregeln. Du kannst nicht einfach auflegen.»
Daniel wusste, dass es gefährlich war einen Psychopathen zu provozieren. Und genau das war Johnny im Augenblick für ihn. Er hatte schon immer psychopathische Tendenzen gehabt. Auch im Einsatz. Nun brach es vollkommen aus ihm heraus. Aber was sollte Daniel tun? Er musste mehr herausfinden. «Der zweite Tote. Warst du das auch?»
«Der Kommissar hat es dir erzählt?», die Stimme am anderen Ende wurde wieder selbstbewusster und kontrollierter.
«Nicht wirklich viel. Nur, dass es einen weiteren Toten gibt. Eine weitere Leiche.»
«Vom gleichen Mörder?»
«Das hat er nicht gesagt. Aber ich schlussfolgere das daraus.»
«Nun. Ich habe dafür gesorgt, dass es eine Verbindung gibt ...»
«Das Barettabzeichen», meinte Daniel. «Hast du keine Ehre? Du entweihst die Fallschirmjäger ...»
«Ich muss mir nicht von einem Offizier, der mich im Stich gelassen hat, sagen lassen, was Ehre ist.»
Daniel wurde wütend. «Ich sage es noch einmal. Ich wusste nicht, dass du lebst. Wir waren alle sicher, dass es dich erwischt hat. Ich hätte dich sonst nie zurückgelassen. Und glaube mir, mein Leben war danach auch kein Geschenk.»
«Du hast dich feige versteckt», meinte Johnny. «Bist untergetaucht.»
«Das habe ich nicht. Nachdem wir im Feuergefecht gestanden waren, sind wir zurückgefahren. Ich bin mit der Einheit auf der normalen Route zurück Richtung Headquarter. Auf dem Weg trafen wir nach unserem Angriff auf die Siedlung auf einen Hinterhalt. Mich traf dabei etwas am Kopf. Aufgewacht bin ich bei einer afghanischen Einheit. Und ich erinnerte mich an nichts mehr ...herrje, wärst du lieber gerne mit den Anderen draufgegangen? Verdammt, sie sind alle wirklich tot!»
«Ich wäre wirklich lieber tot gewesen, als in den Händen der Taliban. Aber das ist nun ohnehin egal. Was zählt ist die Tatsache, dass du mich zurückgelassen hast.»
«Weil ich, gottverdammt, dachte, du wärst tot!», sagte Daniel laut und deutlich, mäßigte aber seine Stimme. «Lass uns das wie Männer regeln. Es müssen keine Unschuldigen sterben.»
«Sie sind nicht unschuldig. Sie sind Puzzleteile in meinem Racheplan. Nicht nur du hast dich versündigt. Jeder stirbt so, wie er es verdient», meinte Johnny. «Du solltest wieder reingehen. Es wird frisch draußen, oder?»
Daniel schaute sich um. Er wurde beobachtet. Von Johnny selbst? Er konnte nichts entdecken. Im Hof waren einige Fans des TSV 1860 München. Sie feierten den Sieg. Allerdings leerte es sich langsam, es war schon spät. «Was soll ich tun? Was erwartest du?»
«Der Mann, dem ich die Eier abgeschnitten habe, finde heraus, was seine Schuld ist.»
«Meine Güte. Das ist nicht meine Aufgabe. Und was habe ich davon?»
«Vielleicht kannst du dein Leben retten.»
Daniel schnappte nach Luft. «Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Nein, du lässt mich nicht davonkommen.»
«Wenn du gewinnst, habe ich vielleicht keine andere Wahl. Es ist ein Katz- und Mausspiel. Es ist nur die Frage, wer am Ende wen jagt», sagte Johnny. Dann legte er auf.