Читать книгу Heile, Heile München - Arik Steen - Страница 20

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Daniel war am Hauptbahnhof. Von dort stieg er in die Tram Richtung Karlsplatz. Er musste irgendwo frühstücken. Schnell und unkompliziert. Bei einem Bäcker einen Kaffee und eine Brezn. Mehr brauchte er im Moment nicht.

Sein Handy läutete. Er ging ran.

«Ja.»

«Herr Hauptmann, schön Ihre Stimme zu hören!»

«Was willst du?», fragte Daniel barsch.

«Du weißt doch, was ich möchte. Ich möchte Rache.»

«Was hat dir der Metzger getan? Kanntest du ihn?»

«Netter Versuch, Hauptmann», meinte die Stimme von Johnny spöttisch. «Ich werde dir nicht deine Arbeit abnehmen.»

«Meine Arbeit? Fick dich. Das ist Sache der Polizei. Wenn du Spielchen spielen möchtest, dann tu das mit den Beamten. Nicht mit mir.»

«Du bist Teil meiner Rache. Vielleicht sogar der Hauptdarsteller», sagte Johnny.

«Warum können wir das nicht wie Männer regeln?», Daniel war wütend. Er stieg aus der Tram aus und ging schließlich Richtung Karlsplatz.

«Weiß eigentlich dein Polizistenfreund, mit was du dein Geld verdienst? Ich meine, das ist doch nicht ganz unwesentlich, oder?»

Daniel überlegte einen Moment. Philipp war der Einzige, der das wusste. Bis auf seinen Arbeitgeber selbst natürlich. Und das war auch gut so. Aber er antwortete nicht. «Sag mir, was du willst. Ich spiele dein Spiel nicht mit.»

«Oh doch, das wirst du!», sagte Johnny. «Weil das nächste Opfer etwas mit deinem Job zu tun hat.»

Daniel horchte auf. Das war nicht gut. Er wunderte sich ohnehin, dass Johnny so viel wusste. Aber im Grunde hatte er gestern Morgen noch gedacht der ehemalige Hauptfeldwebel wäre tot.

«Du sagst gar nichts?», meinte Johnny. «Hat es dir die Sprache verschlagen.»

«Um was geht es?», Daniel ging Richtung McDonalds. Er hatte sich anders entschieden. Keine Brezn. Kaffee gab es auch im Schnellimbiss am Karlsplatz. Dazu vielleicht einen Muffin.

«Tick tack, Herr Hauptmann. Tick tack. Rache Nummer 3 steht an», dann legte er auf.

Nein, das war nicht gut. Daniel starrte auf sein Handy. Sollte er mit Philipp darüber sprechen? Eine dumme Idee. Oder doch nicht? Daniel wusste es nicht. Er konnte der Polizei zumindest sagen, wer es war, der hier den großen Rachefeldzug gestartet hatte. Aber brachte das irgendetwas? Daniel fluchte innerlich. Es gab ihn nicht mehr. Er war offiziell tot. Und Johnny auch. Das würde Fragen aufwerfen. Fragen, auf die er selbst keine Antworten hatte. Vertraute er Philipp? Nein. Er hatte ihn nunmehr sieben Jahre geschützt. Er hatte sein Geheimnis gewahrt. Aber jetzt ging es um mehr. Würde er ihn da auch schützen?

Daniel steckte das Handy weg. Er brauchte erst einen Kaffee. Rasch ging er in den Schnellimbiss und stellte sich in die Schlange. Ungeduldig wartete er.

Als er schließlich an der Reihe war, bestellte er einen Kaffee und einen Cheeseburger. Nicht die gesündeste Wahl, das wusste er. Aber ein Donut wäre nicht besser gewesen. Schnell suchte er sich einen Platz und setzte sich. Er musste einen klaren Kopf bekommen. Ob der Kaffee allerdings dabei helfen würde, bezweifelte er.

Er stopfte den Cheeseburger in sich hinein. Mit der Konsequenz, dass er das Gefühl hatte noch mehr Hunger zu haben. Wie oft hatte er sich geschworen kein solches Fast-Food-Restaurant mehr aufzusuchen.

Das Handy klingelte. Er starrte darauf. Wieder unbekannt.

«Ja?», fragte Daniel.

«Daniel? Es tut mir leid!»

«Jakob? Was ist los?», Daniel hatte ein mulmiges Gefühl. Das war sein Arbeitgeber. Jakob Saibling.

«Ich habe Mist gebaut. Aber Sie sollten sich da raushalten. Sie sollten ...»

«Was?», fragte Daniel als Saibling mitten im Satz abgebrochen hatte. Er hörte einen dumpfen Schrei. Dann war es für einen Moment lang still.

«Hallo Daniel», meinte schließlich eine Stimme.

Daniel bekam eine Gänsehaut. Johnny. Verdammt. Wie konnte das sein.

«Hauptmann? Bist du noch dran?»

«Ja», zischte dieser. Das war nicht gut. Überhaupt nicht gut.

«Ganz ehrlich, Daniel. Du enttäuschst mich. Du sitzt gemütlich im McDonalds und ziehst dir einen Burger rein. Ich dachte eigentlich, dass du dich gleich aufmachst. War der Hinweis nicht deutlich genug?»

Daniel schluckte. Ja, das war er gewesen. Das war der eine Punkt. Der andere: Wieso wusste Johnny, dass er im McDonalds saß? Er ließ ihn beobachten. Irgendwie. Er konnte nicht überall sein. Er atmete tief ein und aus. «Okay, was willst du? Herr Saibling hat nichts damit zu tun. Okay, er beschäftigt mich, aber das war es auch. Das ist eine Sache zwischen dir und mir.»

«Ja, aber nicht nur zwischen dir und mir. Auch er hat seinen Anteil!», meinte Johnny. «Woher kennst du Herrn Saibling?»

«Hör zu», sagte Daniel laut, er wollte die Frage nicht beantworten. «Lass uns reden. Von Mann zu Mann!»

«Ich wiederhole meine Frage: Woher kennst du Herrn Saibling?»

«Vermutlich kennst du die Antwort», fauchte Daniel und stand auf. Er ging zum Ausgang.

«Ja, ich kenne die Antwort. Natürlich. Auch wenn du mir nie die Wahrheit gesagt hast.»

Daniel kochte innerlich. Er hasste es in einer solchen Situation zu sein. Hilflos an einem verdammten Handy hängend. «Ich kenne Herrn Saibling von ... aus Afghanistan.»

«Als Waffenhändler, richtig?», fragte Johnny.

«Wir sollten uns unterhalten. Von Mann zu Mann», wiederholte Daniel.

«Du kannst Herrn Saibling retten oder seine Familie.»

«Seine Familie?»

«Seine Frau und seine zwei Kinder.»

«Verdammte Scheiße!», sagte Daniel. Er schaute sich auf dem Karlsplatz um. Der Mann mit der Jogginghose schien zu ihm herüber zu schauen. Wurde er von ihm beobachtet? Oder die Frau, die telefonierte und sich immer wieder umschaute? Nein, beide nicht.

«Bitte, Daniel, tun Sie, was er sagt», flehte Jakob Saibling plötzlich ins Telefon.

«Jakob. Wo sind Sie?», fragte Daniel rasch.

«Ich bin ... in meinem Penthaus in der Innenstadt!», sagte er. Es hörte sich gequält und gezwungen an.

«Okay, ich komme!», meinte Daniel rasch und schaute sich um. Ein Taxi musste her und zwar schnell. War Jakob Saibling wirklich in seinem Penthaus? Schwer zu sagen. Saibling hatte gezögert.

«Tss, tss, tss ...», sagte nun wieder Johnny. «So leicht ist das nicht. Schon vergessen? Das ist ein Spiel. Du hast zwei Optionen. Entweder du kommst hierher und rettest Jakob. Oder seine Familie. Die ist nämlich nicht hier. Du hast also die Wahl. Kommst du hierher und rettest deinen Arbeitgeber und bewahrst dir die Option vielleicht auch mich zu erwischen, dann stirbt seine Familie. Oder andersherum. Du rettest seine Frau und Kinder. Dafür stirbt jedoch er und ich bin weg.»

«Hör auf mit diesem Versteckspiel», sagte Daniel wütend. «Du hast ein Problem mit mir! Was hat Herr Saibling damit zu tun?»

«Sein Name ist passend, findest du nicht? Er heißt wie ein Fisch. Ein schlüpfriger Waffenlobbyist. Ich weiß von den Waffen in Afghanistan, halte mich nicht für dumm. Und ich weiß auch, dass unser Auftrag im Nahen Osten im Grunde rein wirtschaftliche Gründe hatte. Herrgott, hältst du mich für blöd? Ich weiß, dass man damals vertuschen wollte, dass deutsche Waffen in die falschen Hände geraten sind.»

«Es war ein militärischer Auftrag», sagte Daniel: «Die Waffen waren mir egal. Das änderte nichts an meinem Auftrag. An unserem Auftrag.»

«Ja, das glaube ich dir sogar», meinte Johnny. «Aber dieser Kerl hier, dieser Saibling wusste auch davon. Und er ist auch der Grund, warum wir in einen Hinterhalt gerieten. Sie wollten nicht, dass wir dort lebend rauskommen. Weil du von den Waffen wusstest.»

«Das ist doch Unsinn», meinte Daniel. «Ich wusste, dass wir die Waffen dort zerstören sollten. Ja, weil sie in falsche Hände geraten waren. Herr Saibling hat damit nichts zu tun.»

«Sag es ihm», meinte die Stimme von Johnny etwas leiser. Er sprach nicht direkt ins Telefon. «Sag ihm die Wahrheit. Oder einer aus deiner Familie stirbt jetzt sofort!»

Man hörte im Hintergrund das Schluchzen. Dann war Saibling wieder am Apparat: «Es tut mir leid, Daniel. Er hat recht.»

«Was meinen Sie?», Daniel war verwirrt.

«Die Waffen. Oh Gott. Es war eine Lieferung alter T44-Gewehre.»

«Und?»

«Sie waren für die Taliban bestimmt. Nicht für die afghanische Armee.»

«Sie machen Scherze?»

«Nein. Die UN hat das mitbekommen. Und so befahl der Kommandeur diese Waffen zu vernichten.»

«Weiter. Erzählen Sie die ganze Geschichte!», hörte man Johnny aus dem Hintergrund.

Saibling tat sich sichtlich schwer: «Wir hatten die Taliban gewarnt. Deshalb waren die Waffen längst nicht mehr vor Ort. Die Container, die in die Luft gesprengt wurden, waren mit Metallschrott gefüllt.»

«Aber ...», Daniel überlegte. Sein Blick wanderte über den Karlsplatz. So viele Menschen, die hier im Frieden lebten. Im beschaulichen, ruhigen München. Solche Dinge wie in Afghanistan passierten, bekamen sie nicht mit. Sie lebten in ihrer eigenen Welt. Er ging ein paar Meter. «Wir haben also leere Container in die Luft gesprengt?»

«Nicht leer. Aber es waren keine deutschen T44-Gewehre darin», meinte Saibling.

«Verflucht!», meinte Daniel. «Wir sind auf massiven Widerstand gestoßen. Wieso haben die Taliban das Lager dann derart verteidigt?»

«Sagen Sie es ihm!», sagte die Stimme von Johnny barsch.

«Weil ..., weil wir dazu geraten hatten», sagte Jakob Saibling kleinlaut. «Wir wollten nicht, dass Sie zurückkommen. Bei der UN wäre das Einsatzziel erreicht gewesen, es wäre jedoch niemand aus dieser Einheit lebend herausgekommen.»

«Aus meiner Einheit!», schnaubte Daniel.

«Ja. Und es tut mir leid, ich ...», Saibling wollte etwas sagen, aber Johnny nahm ihm das Handy aus der Hand: «Siehst du Daniel. Es ist nichts so, wie du denkst. Und das ist das Paradoxe. Du warst der Offizier. Du warst die Schnittstelle zwischen dem Befehl von oben und uns. Du hättest es wissen müssen.»

«Und dafür verurteilst du mich? Weil ich genauso wenig wusste?»

«Nein, verdammt. Weil du mich zurückgelassen hast!»

«Dieser Hinterhalt», sagte Daniel laut: «Nach dem Einsatz kehrten wir zur Basis zurück. Was ist damit?»

«Sagen Sie es ihm!», meinte Johnny und Daniel spürte durch das Handy das Drängelnde in der Stimme.

«Das waren nicht einmal Taliban!», sagte Saibling und schluchzte: «Gottverdammt, ich bereue das so! Glauben Sie mir, ich habe nie eine Nacht ruhig geschlafen seitdem.»

«Wer, zum Teufel, war das dann?», Daniel war sichtlich wütend. Er ging wieder Richtung Hauptbahnhof zurück.

«Söldner. Meine Söldner. Als wir den Funkspruch hörten, dass Sie den Rückzug befohlen hatten, griffen wir auf Plan B zurück.»

Daniel wusste, dass es viele Söldner in Afghanistan gab. Oft von amerikanischen Unternehmen angestellt um die schmutzige Arbeit zu erledigen. Er hatte sie immer gehasst. Die besserverdienenden Kämpfer, die es nur des Geldes wegen machten. Vor seinem inneren Auge lief noch einmal das Gefecht ab. Alle hatte er verloren. Ihn hatte man zurückgelassen. Schwer verwundet. Als er wach geworden war, war er geflohen und schließlich auf afghanische Truppen gestoßen: «Sie waren es, der mich ausgeflogen hat. Das ist der Punkt, den ich nicht verstehe. Sie haben mich geholt.»

«Ich erfuhr von einem unserer Mittelsmänner in der afghanischen Armee, dass man einen Offizier gefunden hatte. Der sich an nichts erinnert. Ich wollte sie eigentlich töten lassen. Aber dann ... habe ich mich anders entschieden.»

Daniel erinnerte sich. Saibling war es gewesen, der ihn im Lazarett der afghanischen Truppen besucht hatte. Ein deutscher Unternehmer in der Waffenindustrie. Und er war es gewesen, der ihm geraten hatte in Deutschland unterzutauchen. Man hatte ihn für tot erklärt und das sollte auch so bleiben: «Sie haben mir eingeredet, dass es besser ist für immer tot zu sein. Dass man mich nie in Ruhe lassen würde ...»

«Das ist nicht ganz wahr,», meinte Saibling. Seine Verteidigung wirkte brüchig: «Sie litten unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie waren fix und fertig. Ich habe ihnen nur einen Ausweg gezeigt. Aus der Gesellschaft.»

«Nun ja. Normalerweise macht man das andersherum», lachte Johnny spöttisch im Hintergrund: «Man versucht solche Leute in die Gesellschaft zurückzuführen.»

«Sie haben mir einen Job gegeben. Ich habe für Sie Ihre Familie beschützt, ich bin ... war Ihr Sicherheitschef ... Sie verdammtes Arschloch!», Daniel war außer sich. So einiges wurde ihm klar. Jetzt verstand er, warum ihm Saibling geholfen hatte und ihm sogar einen Job angeboten hatte. Ihm, dem einsatzgeschädigten Offizier: «Wieso?»

«Die Frage ist interessant», sagte Johnny laut und deutlich in den Apparat. Er schien das Telefon wieder an sich genommen zu haben: «Aber dafür haben wir nun keine Zeit. Du hast zwei Möglichkeiten, Hauptmann. Entweder er stirbt und wie wir nun erfahren haben, hat er es verdient. Oder seine unschuldige Familie. Ihn findest du in seinem Loft hier in München. Die Familie ist daheim in seinem Haus in Grünwald. Deine Entscheidung!»

«Fick dich!», sagte Daniel wütend.

Johnny lachte. «Du hast eine Stunde! Ab jetzt. Tick tack. Die Zeit läuft ...»

Dann war das Telefon tot.

Heile, Heile München

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