Читать книгу Heile, Heile München - Arik Steen - Страница 21
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ОглавлениеElisabeth versuchte nicht zu heulen. Aber das war gar nicht so einfach. Ihr Herz pochte schmerzhaft in ihrer Brust. Die Hölle war über ihr Leben eingebrochen. Der Mann, der in ihr Haus eingedrungen war, hatte sie auf einem Stuhl gefesselt. Sie und ihre beiden Kinder. Der zehnjährige Timo und die zwölfjährige Steffi. Ihr ein und alles. Ihre Familie. Unschuldige Kinder.
«Bitte», flehte sie. «Bitte lassen Sie uns frei. Wenigstens meine Kinder. Sie haben nichts getan.»
Der Mann grinste. «Das ist immer so eine Frage, wer was getan hat. Ich entscheide das nicht. Sondern mein Boss.» Er spulte das Aufnahmegerät zurück, dass er in der Hand hielt. Und ließ es dann ablaufen. Zu hören waren die beiden Kinder. Er hatte sie gezwungen ein Lied zu singen. Gefühlte hundert Mal hatten sie einen neuen Versuch unternommen. Bis sie endlich aufhörten zu schluchzen. Und schließlich fehlerfrei den Text wiedergaben: « Heile, heile München, es schlägt dein letztes Stündchen,
weil sie nicht ist mehr mein, wird´s ihre Tochter sein.»
«Was soll das bedeuten?», fragte Elisabeth weinerlich, als sie die Stimme ihrer Kinder erneut hörte.
«Nichts für euch», meinte der Mann. Er ging und rückte einen Tisch in die Mitte des Raumes. Elisabeth beobachtete ihn. Was tat er? In jedem Fall sah es nicht wirklich beruhigend aus. Er befestigte ein Gewehr auf einem sogenannten Dreibein direkt auf dem Tisch. Dahinter war die Türe. In Seelenruhe befestigte er eine Schnur am Gewehr und schließlich an der Türe.
«Bitte!», schrie sie laut. Sie hatte recht schnell verstanden, was das für ein Konstrukt war. Öffnete man die Türe, dann löste sich ein Schuss. Und sie oder ihre Kinder waren tot. Oder alle zusammen. Dennoch fragte sie: «Was wird das?»
«Du solltest mit deinen Kindern das letzte Gebet sprechen. Für dich war es das», meinte der Mann: «In nicht einmal einer Stunde bist du tot. Aber ich kann dich beruhigen. Deine Kinder werden überleben. Allerdings müssen sie zuschauen, wie ihre Mutter erschossen wird.»
«Bitte», meinte Elisabeth. Ihr Gesicht war verheult. Sie war verzweifelt und nun kam eine gewisse Hysterie hinzu. Es war weniger die Angst um das eigene Leben als um das ihrer Kinder.
«Bitte nicht mich. Sondern deinen Gatten», sagte der Mann und wählte mit seinem Handy eine Nummer. Es dauerte nicht lange. Dann ging jemand an den Apparat.
«Für dich!», meinte der Mann schließlich und presste das Handy an ihr Ohr.
«Schatz?», hörte sie die Stimme ihres Ehemanns.
«Liebling? Oh Gott, hol uns hier raus», flehte sie: «Hier ist so ein Kerl ...»
«Daniel ist unterwegs!», meinte Jakob Saibling, obwohl er es nicht genau wusste.
«Nein!», sagte sie laut. «Er darf nicht reinkommen. Sag ihm das!»
«Er wird euch retten. Ganz bestimmt!»
«Nein!», schrie sie noch einmal. Ihre Kinder heulten noch mehr. Sie spürten die unsägliche Panik, die ihre Mutter ergriffen hatte.
«Wieso nicht?», schrie Jakob verzweifelt: «Er wird ...»
«Weil ..., weil er so ein Gewehr aufgebaut hat. Wenn die Türe aufgeht, dann ...», ihre Stimme versagte. Sie hustete. Voller Verzweiflung
«Das gehört zum Spiel», meinte nun jemand anderes: «Hallo Elisabeth. Und herzlich willkommen in meiner Welt.»
«Wer sind Sie?»
«Ich bin derjenige, der gerade eine Waffe an die Stirn deines Mannes hält. Und willst du wissen, was dein Mann gerne möchte? Er will dir sagen, warum du sterben wirst. Das ist nämlich ganz alleine seine Schuld.»
«Bitte», flehte sie. Sie wollte keine Antwort warum und wieso. Sie wollte vor allem, dass man ihre Kinder verschonte. «Bitte lassen Sie meine beiden Babys gehen.»
Dann war es wieder die Stimme ihres Mannes. Er sprach gebrochen: «Ich habe Mist gebaut. Ich habe ... Waffen an die Taliban verkauft. Genauso wie an die afghanische Armee. Oh Gott ... es tut mir so leid. Deshalb müsst ihr leiden. Deshalb sind die Männer da.»
Elisabeth konnte die Aussage gar nicht zuordnen. Es war ihr auch egal. Wer auch immer Waffen wohin lieferte oder verkaufte. Sie hatte es nie gut gefunden, dass er überhaupt mit Waffen handelte. Aber jetzt ging es um ihre Kinder. Jetzt ging es hier um Leben und Tod. Hier in Grünwald. In der Villa, die sie vor gut zehn Jahren gekauft hatten.
«Verstehe mich nicht falsch, Elisabeth», meinte nun wieder die andere Stimme am Handy. Es war Johnny. «Sie können nichts dafür. Sie sind nur ein Kollateralschaden. Sie sind Teil der Strafe. Ob sie den Tod verdient haben oder nicht, das spielt gar keine Rolle. Nicht für mich.»
Im Hintergrund hörte man ihren Ehemann schluchzen.
«Bitte! Meine Kinder. Lassen Sie wenigstens die beiden frei!», es war ein verzweifelter Versuch einem Psychopathen wenigstens ein wenig Mitleid herauszukitzeln.
«Kein Mensch ist unschuldig. Wir sind als Sünder auf die Welt gekommen. Deshalb erwischt es nie den Falschen. Aber genug davon. Das Spiel beginnt.»
Elisabeth schrie. Aus Wut und Panik. Aus Angst um ihr Leben und das ihrer Kinder, die heulend neben ihr saßen.
«Genug», sagte der Mann vor ihr und legte auf. «Du hast es gehört. Das Spiel beginnt. Es ist Zeit für mich zu gehen.»
«Bitte», flehte Elisabeth ein letztes Mal. Aber es war das letzte Wort aus ihrem Mund. Dann klebte er ihr ein Stück Klebeband über die Lippen. Und schließlich auch über die ihrer schluchzenden Kinder. Er legte den Zeigefinger auf seinen Mund, schaute von einem zum anderen und machte: «Pssst!»
Elisabeth versuchte ruhig zu atmen. Das Klebeband zwang sie durch die Nase Luft zu holen. Was gar nicht so einfach war, weil ihre Nase lief. Ihre Augen waren panisch geweitet. Ihr Geist schien über ihr zu schweben. Zumindest hatte sie das Gefühl. Sie beobachtete den Mann, wie er seinen Rucksack nahm und ihn öffnete. Er holte ein Seil heraus, ging dann zum Balkon und befestigte es relativ schnell an der Brüstung. Er selbst legte sich einen Gurt an, an dem er das Seil mit einem Abseilachter befestigte. Er kletterte auf die Kante und lehnte sich zurück. Dann verschwand er.