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Im Privathaus von Dr. Pauli
ОглавлениеWegen seines bevorstehenden Chicago-Termins hatte sich Beyer mit Dr. Pauli noch am gleichen Tag in dessen Privatvilla verabredet. Er fand das Haus auf Grund der Beschreibung von Pauli ohne Umweg. Es lag auf einer Anhöhe etwas außerhalb der Stadt und war mit einer weißen Mauer umgeben. Er klingelte an dem Gartentor, zwei starke Scheinwerfer erleuchteten die Toreinfahrt. Kurze Zeit später öffnete sich das Tor.
An der Haustür wurde er von einer gepflegten Frau mittleren Alters empfangen, deren Ähnlichkeit mit Michael Pauli nicht zu übersehen war.
„Treten Sie ein, Herr Beyer, mein Mann kommt gleich, er zieht sich gerade um.“
Der Fußboden war aus weißem Marmor, an den Wänden hingen einige Gemälde, im Stil zwischen Feininger und Kandinsky. Er betrachtete sie aufmerksam, konnte sie aber keinem Maler zuordnen.
„Gefallen Ihnen die Bilder?“ fragte sie.
„Ja, sehr ich überlegte gerade, wer der Maler sein könnte.“
„Sie steht vor Ihnen. Ich male seit einigen Jahren.
Frau Pauli hatte das ganz natürlich, ohne besondere Betonung gesagt. Sie war selbstsicher, gepflegt, dezent geschminkt, aber keineswegs aufdringlich. Sie wirkte wie eine erfolgreiche Frau, die ihren Wert kennt und es nicht nötig hat, sich in den Vordergrund zu stellen.
‚Eine bemerkenswerte Frau‘, dachte Beyer und sagte laut: „Sie haben bei dem ‘Stapellauf‘ Ihrer Yacht gefehlt, wahrscheinlich hatten Sie keine Zeit.“
„Die Männer müssen auch mal etwas allein machen, ich habe später noch genügend Gelegenheit, das Schiff zu sehen.“
„Segeln Sie nicht gerne?“
„Doch, ich glaube schon, dass es mir gefällt. Aber ich habe erst kürzlich den Segelschein gemacht und hatte bisher noch keine Gelegenheit, das Schiff zu sehen.“
Dr. Pauli kam die breite Treppe herunter.
„Wie ich sehe, haben Sie sich mit meiner Frau schon bekannt gemacht. Kommen Sie ins Wohnzimmer, Herr Beyer. Meine Liebe, du entschuldigst uns?“
Der Wohnbereich war großzügig eingerichtet mit einer breiten Sofagarnitur und zwei Sesseln. Große Fenster mit Blick auf die Terrasse, unterhalb sah man die Stadt. Links schloss sich die Bibliothek mit einem schweren Schreibtisch aus den Gründerjahren an, rechts, eine Stufe erhöht der Essbereich. Auch dort wieder eine Anzahl von Bildern, offenbar alle von Frau Pauli.
Sie gingen ins Büro nebenan und setzten sich in die schweren Ledersessel seitlich neben dem Schreibtisch.
„Sie haben es sehr schön hier oben. Im Sommer sicher ein angenehmeres Klima als unten in der Stadt“, bemerkte Beyer. „Ja, man kann es hier aushalten, wir haben das Haus vor fast zwanzig Jahren gebaut. Damals konnten wir es uns kaum leisten, die Firma war noch klein, aber wir haben es irgendwie geschafft.“
Dr. Pauli lehnte sich entspannt zurück und zündete sich eine Zigarre an.
„Schön, dass Sie sich so kurzfristig die Zeit genommen haben. Ich weiß, dass Sie sehr beschäftigt sind, aber ich wollte ein Problem mit Ihnen besprechen, vielleicht können Sie mir helfen“, eröffnete er das Gespräch ohne Umschweife: „Zunächst muss ich Sie bitten, über alles, was ich Ihnen sage, strengstes Stillschweigen zu bewahren, ich möchte nicht, dass jemand davon Kenntnis erhält. Deshalb bin ich auch froh, dass wir uns privat treffen konnten, damit niemand erfährt, dass ich mit Ihnen Kontakt aufgenommen habe.“
„Die Wahrung von Firmeninterna ist oberstes Gebot in unserem Hause. Darf ich mir ein paar Notizen machen?“
„Dies ist im Augenblick nicht nötig, wenn wir uns einig werden, erhalten Sie die Informationen wesentlich ausführlicher. Das Problem ist, dass meine Firma in den letzten Jahren sehr stark gewachsen ist, und ich das Gefühl habe, dass mir das Geschäft aus den Händen gleitet. Vielleicht ist aber das ganze Geschäft viel zu sehr auf mich zugeschnitten, vielleicht müsste ich viel mehr delegieren.“
Pauli lehnte sich in seinem Sessel zurück und blickte durch seine Hornbrille unruhig auf seinem Schreibtisch hin und her, als suche er ein bestimmtes Schriftstück. „Ich möchte Ihnen zunächst die Struktur meiner Firma erklären: Wir sind seit etwa fünf Jahren in eine Konzern-Holding und vier operative Gesellschaften aufgeteilt.“
Pauli griff einen Ordner aus dem Schrank hinter dem Schreibtisch und nahm ein Blatt Papier heraus auf welchem die Organisationsstruktur gezeichnet war: Wir sind seit etwa fünf Jahren in eine Konzernholding und vier operative Geschäftsbereiche aufgeteilt.“
Jede operative Gesellschaft hat eine ergebnisverantwortliche Geschäftsführung mit zwei Geschäftsführern. Sie finden ihre Namen in den Rechtecken jeweils unter dem Strich. Wir verfolgen das ‘Vier-Augen-Prinzip‘ aber jeweils einer der Geschäftsführer ist der Sprecher und vertritt die Gesellschaft nach außen. Wie ich Ihnen neulich schon andeutete, leitet mein Bruder Fritz die größte Gesellschaft, die Pauli Steuerungstechnik GmbH, die Steuerungstechnik für Maschinen und Anlagen herstellt und vertreibt. Der zweite Geschäftsführer ist Herr Ceponek, er ist gleichzeitig für Personal und die Finanzen der Holding verantwortlich. Bei ihm laufen die ganzen Fäden des Konzernrechnungswesens zusammen. Die zweitgrößte Gesellschaft, die Verkehrstechnik GmbH, macht verkehrstechnische Anlagen unter anderem für die Straßen- und Brückenüberwachung. Sie wird von Herrn Dr. Oderbruch und Herrn Dr. Winter geleitet.“
Pauli machte eine Pause, gleichsam als wollte er fragen, ist es soweit klar? Beyer nickte kaum merklich und vertiefte sich in das Organigramm. Er fragte sich, warum einige Namen in verschiedenen Funktionsbereichen auftauchten, immerhin eine ungewöhnliche Art der Kompetenzverteilung, aber er sparte die Frage für später auf.
„Dann gibt es noch zwei weitgehend selbständige Beteiligungsgesellschaften“, fuhr Pauli mit seiner Erklärung fort, „von denen die eine elektronische Komponenten für die Funkmesstechnik herstellt, und die andere macht militärische Informationssysteme für die Gefechtsfelddarstellung und -simulation. Diese Gesellschaften sind eher als Finanzbeteiligungen zu betrachten, während das Kerngeschäft in den beiden ersten Gesellschaften erwirtschaftet wird. Aus diesen ersten beiden Gesellschaften ist die Firma vor etwa 30 Jahren entstanden, die anderen kamen viel später hinzu. Wenn Sie Fragen haben, unterbrechen Sie mich, sonst werde ich einfach mit der Erklärung unserer Struktur fortfahren.“
„Bis jetzt ist alles soweit klar“ ergriff Beyer das Wort, „aber welche technologische Verbindung besteht zwischen diesen beiden Firmen, die ja wohl von Anfang an bestanden haben?“
„Gut, dass Sie danach fragen. Die gemeinsame Basis ist und war die Nutzung von Dehnmessstreifen, mit deren Hilfe man Kräfte messen kann.“
„Man misst die Veränderung des elektrischen Widerstands bei kleinsten Veränderungen des auf einen Träger geklebten Dehnmessstreifens“, ergänzte Beyer.
„Ich merke, Sie kennen sich aus. Haben Sie ein technisches Studium absolviert?“
„Nein, ich bin Betriebswirt, aber ich habe mich immer für Technik interessiert.“
„In unserem Beruf ist es immer wichtig, dass man sowohl von der Technik als auch von den betriebswirtschaftlichen Fakten ausreichend Kenntnis hat“, bemerkte Pauli zustimmend und fuhr fort. „In den wichtigsten Ländern der westlichen Welt und in Südostasien gibt es selbständige Vertriebsgesellschaften, die für den Verkauf der gesamten Produktpalette des Konzerns verantwortlich sind. Hier gibt es naturgemäß Überschneidungen und auch Interessenkollisionen zwischen den einzelnen Gesellschaften. Die Koordination zwischen den Gesellschaften liegt in den Händen von meinem Kollegen Dr. Kramer und mir. Ich selbst habe mir die Vertretung der Gruppe nach außen vorbehalten und die Beziehungen zu den Gesellschaftern und Banken.“
„Es ist mir aufgefallen, dass in den unterschiedlichen Gesellschaften oft die gleichen Namen als Geschäftsführer auftreten, wie ist das zu verstehen?“
„Das kam man nur aus der Geschichte der Firma erklären, als wir noch eine kleine Firma waren, und nur wenige Mitarbeiter zählten, hatten wir auch nur wenige Führungskräfte. Dann sind wir gewachsen, aber die Zahl der geeigneten Führungskräfte wuchs nicht mit, ich konnte keine externen Geschäftsführer für die Aufgaben finden, da habe ich mich mit den vorhandenen beholfen.“
„Wie groß ist Ihr Umsatz und wie viele Mitarbeiter haben Sie?“, fragte Beyer erstaunt.
Pauli zögerte mit der Antwort bevor er sagte: „Wir machen etwa 120 Millionen und haben ca. 600 Mitarbeiter.“
„Und wie viele Gesellschaften sind es insgesamt im In- und Ausland?“
„Etwa 30.“
„Dann haben Sie eine sehr große Führungs- und Kontrollspanne. Ich kann mir nun auch erklären, warum Sie nie Urlaub machen, oder immer nur ein paar Tage.“
„Zu mehr reicht es nicht, ich habe in den letzten 25 Jahren noch nie mehr als eine Woche Urlaub an einem Stück gemacht.“
„Sie sollten besser auf Ihre Gesundheit achten: ‚Der Krug geht zum Brunnen bis er bricht‘, sagt meine Sekretärin immer zu mir.“
Beyer war aufgefallen, dass Pauli von Zeit zu Zeit einen roten Kopf bekam, das deutete auf einen temporär erhöhten Blutdruck hin. Die Sache mit den Führungskräften ließ ihn keine Ruhe, deshalb erkundigte er sich noch einmal etwas eingehender: „Ich möchte noch mal auf Ihre Führungsorganisation zurückkommen, wenn Sie nur so wenige Führungskräfte haben, warum setzen Sie dann jeweils zwei für die Leitung einer Gesellschaft ein, einer reicht doch.“
„Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser.“
Beyer wunderte sich: Offenbar waren die Herren langjährige Mitarbeiter, genossen aber doch nicht das uneingeschränkte Vertrauen, merkwürdig. Es klang zwar einleuchtend, war es aber doch wieder nicht. Er würde vielleicht später mal den wahren Grund erfahren.
„Das Problem ist nun“, setzte Pauli fort, „dass wir weiterwachsen wollen und auch müssen. Ich glaube, dass wir unsere Märkte noch nicht richtig bearbeiten. Wir könnten in unseren angestammten Märkten viel mehr machen. Da ist noch eine ganze Reihe von kleinen Wettbewerbern, denen wir Marktanteile abnehmen könnten.“
„Wie groß ist denn Ihr Marktanteil in den wichtigsten Produktgruppen?“ warf Beyer ein.
„Das schwankt in den einzelnen Märkten und Produktbereichen. In Europa haben wir etwa 40-50%, in den USA etwa 70%, und in Asien vielleicht 10-15%.“
„Es wäre wichtig zu wissen, warum Sie in Europa einen viel niedrigeren Marktanteil haben als in den USA, und vor allem, was Sie machen müssten, um die Stärken und Schwächen Ihrer Produkte im Vergleich zum Wettbewerb festzustellen.“
„Es wäre schon interessant, das mal objektiv festzustellen. Unsere Leute sagen immer, sie wüssten alles, aber wahrscheinlich wissen sie es nicht.“
„Meine Herren, darf ich Sie zu Tisch bitten?“ Frau Pauli war hereingekommen und geleitete die Herren ins Esszimmer.
Nach einer kleinen Vorspeise gab es einen Lachsauflauf mit Nudeln, Spinat und saurer Sahnesauce.
„Köstlich, das Rezept müssen Sie mir geben, das soll meine Frau auch mal machen.“
„Ist ganz einfach, ich gebe es Ihnen gern.“
Das Gespräch konzentrierte sich auf Südfrankreich, das Segeln, Fliegen und die Malerei. Zwischendurch streute Pauli ein paar kurze Bemerkungen über seine diversen Beiratstätigkeiten ein. Beyer kannte die meisten Firmen aus Beratungsprojekten und gab ergänzenden Kommentare. Man verstand sich gut. Später kamen noch die beiden Söhne Andreas und Michael dazu.
Frau Pauli holte noch eine Käseplatte aus der Küche: Stilton, Taleggio, Blauschimmel, sowie Schafs- und Ziegenkäse.
„Wie wäre es mit einem Glas Bordeaux oder Burgunder dazu oder wäre Ihnen ein trockener Weißwein lieber? Es ist schwer, den richtigen Wein zum Käse zu empfehlen, Käse ist nun mal ein Milchprodukt, und die unterschiedlichen Gärstoffe sind schwer miteinander in Einklang zu bringen.“
Beyer wehrte lächelnd ab. „Nichts würde ich lieber trinken als ein Glas Rotwein, aber ich muss noch Fahren und es ist noch weit bis Stuttgart. Das nächste Mal vielleicht, vielen Dank.“
Sie erhoben sich und gingen ins Büro zurück.
„Also, wie glauben Sie, dass wir Ihnen bei Ihrer Problemlösung helfen können?“ setzte Beyer das Gespräch vor dem Essen fort.
„Gute Frage, ich dachte, dass Sie eine kleine Studie machen könnten, in der Sie mir dann darlegen, was wir in der Organisation ändern sollen und ob die Strategie der Gruppe noch zeitgemäß ist. Auch hätte ich gerne gewusst, wo wir Kosten senken können, ich glaube, wir haben viel zu hohe Gemeinkosten, im Übrigen möchte ich von Ihnen eine Bewertung der Führungskräfte erhalten.“
„Das ist ziemlich umfassend, wenn man alles richtigmachen will, braucht man ein größeres Team und genügend Zeit. Im Übrigen, eine Bewertung der Führungskräfte machen wir grundsätzlich nicht, dafür gibt es Spezialisten. In diesem Fall würde ich es schon deshalb ablehnen, weil das Thema in Ihre Familie hineinspielt.“
„Das kann ich verstehen. Wie wollen Sie denn vorgehen?“
„Ich denke, dass wir eine ´strategische Ressourcen-Analyse´ machen sollten.
Beyer skizzierte die grundsätzliche Vorgehensweise einer ‘Strategischen Ressourcen-Analyse‘, ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen: Bestandsaufnahme der Markt- und Wettbewerbsposition der wichtigsten Produktgruppen, Erhebung der Wertschöpfungskette, der Kosten- und Ertragsdaten, der Organisationsstruktur mit personeller Besetzung der Funktionsbereiche, Erarbeiten eines Grobkonzepts, Abstimmung mit dem Management, Detaillierung zum Feinkonzept mit Aufgaben- und Zeitplan, Abschluss-Präsentation.“
„Das hört sich vernünftig an“, gab Dr. Pauli zu, „was wird das denn kosten und wieviel Zeit benötigen Sie dazu?“
„Es kommt darauf an, wie wir uns mit Ihren Mitarbeitern in die Datenerhebung teilen können. Es ist in jedem Fall notwendig, dass wir ein integriertes Team bilden, gut wären drei bis vier weitgehend vollzeitige Mitarbeiter aus Ihrem Hause und zwei Berater von uns. Genau kann ich das erst sagen, wenn wir detailliertere Informationen über Ihr Unternehmen haben, aber erfahrungsgemäß muss man für die Erarbeitung des Grobkonzepts mit etwa drei Monaten rechnen. Das kostet so etwa vierhundert tausend Mark. Ich selbst würde ein bis zwei Tage pro Woche vor Ort tätig sein und das Projekt leiten.“
Dr. Pauli war sichtlich erschrocken, er hatte mit viel weniger Zeit, Personaleinsatz und vor allem Geld gerechnet. „Eigentlich hatte ich an einen weitaus geringeren Betrag gedacht, auch können wir uns nicht so viel Zeit nehmen, und so ein großes Team können wir Ihnen nicht zur Verfügung stellen. Sie brauchen sicher gute Leute dafür, aber gerade die sind stark im Tagesgeschäft gebunden. Ich sehe ein, dass eine sorgfältige Studie viel Zeit kostet, aber die haben wir nicht. Wir sind ein mittelständisches Unternehmen, Sie arbeiten wohl nur für Großunternehmen?“
„Nein, nicht nur, aber Sie haben etwa 600 Mitarbeiter in Ihrer Gruppe bei einem pro Kopf Umsatz von etwa 200 tausend Mark. Das ist eine beachtliche Zahl von Mitarbeitern und es sollte doch möglich sein, ein paar gute Leute zu finden, die in unserem Team mitarbeiten. Außerdem ist das eine hervorragende Ausbildung für künftige Führungsaufgaben.“
„Das ist sicher ein wichtiger Aspekt, trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, drei oder vier Mitarbeiter vollzeitlich für drei Monate freizustellen. Die benötigen wird dringend im Tagesgeschäft, die müssen Umsatz bringen.“
Beyer sah sich an einem kritischen Punkt in der Verhandlung, um den Auftrag zu erhalten. Sollte er die Anforderungen senken oder bei seiner professionellen Überzeugung bleiben?
Er entschied sich für das letztere: „Wenn man den Auftrag richtig durchführen will, benötigt man ausreichend Zeit, leider ist das auch mit erheblichen Kosten verbunden. Wenn wir die Arbeit machen sollen, dann machen wir sie richtig und nicht halb. Wir stehen dann auch für die Ergebnisse gerade. Ich möchte nicht meinen guten Namen verlieren.“
„Das verlangt auch keiner von Ihnen, aber ein so großes Budget möchte ich jetzt nicht bereitstellen.“
„Das kann ich verstehen, es ist ja auch viel Geld. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Vielleicht beginnen wir erst mit einem Produktbereich, dann lernen Sie uns und unsere Vorgehensweise besser kennen.“
Pauli dachte nach. „Das wäre wahrscheinlich das Beste.“
„Herr Dr. Pauli, ich glaube, Sie überlegen das Ganze noch mal in Ruhe und besprechen es mit ihrem Kollegen und vor allem mit Ihrem Bruder.“
Es entstand eine kleine Gesprächspause, in der Pauli die ausgebreiteten Unterlagen wieder in den Schrank legte. „Wie denken Sie über die Umwandlung einer mittelständischen Firma wie unsere in eine Aktiengesellschaft?“
„Dazu müsste ich viel mehr über die Firma wissen, beispielsweise über die Kapitalstruktur und die Ertragssituation“, meinte Beyer.
„Es handelt sich hier um meine Firma. Gehen Sie von ordentlichen Gewinnen in den letzten Jahren aus, die Firma ist solide finanziert.“
Pauli hatte das mit Festigkeit und Überzeugung gesagt, trotzdem hatte Beyer den kleinen Augenblick des Zögerns nicht übersehen, auch hatte Pauli wieder ganz plötzlich einen roten Kopf bekommen.
„Auf der einen Seite der Waagschale haben Sie den Zugang zum Kapitalmarkt mit der Möglichkeit, sich zusätzliches Eigenkapital zu beschaffen, auf der anderen Seite verlieren Sie den unmittelbaren Einfluss auf Ihr Unternehmen. Dabei müssen Sie auch an die Zukunft Ihrer Söhne denken. Außerdem stellt die Publizitätspflicht erhebliche Anforderungen an das interne Rechnungswesen und ganz billig ist der Börsengang auch nicht. Es kommt also darauf an, was Sie in Zukunft mit Ihrer Firma machen wollen, aber insgesamt ist es natürlich ein sinnvoller Weg zur Kapitalbeschaffung, vor allem dann, wenn man sich so nach und nach aus dem Unternehmen zurückziehen will.“
„Daran denke ich eigentlich nicht, jedenfalls jetzt noch nicht.“
Sie erhoben sich und begaben sich zum Ausgang. Beyer verabschiedete sich von Pauli und fuhr nach Stuttgart zurück.
Auf der Autobahn, die zu dieser nächtlichen Stunde verhältnismäßig leer war, ließ Beyer das Gespräch noch einmal an sich vorüberziehen: Was war eigentlich das Problem: Die Organisationsstruktur, die Strategie, die Kosten und Erträge oder der geplante Börsengang? Oder wollte er ihn nur näher kennenlernen. Hat Pauli etwas verbergen wollen? Einerseits war er offen, andererseits auch wieder merkwürdig verschlossen. Wenig einsichtig war auch seine Erklärung zu den Führungskräften: Offenbar war er misstrauisch auch seinem Bruder gegenüber, sonst hätte er jedem die alleinige Verantwortung für sein Geschäft gegeben. Er hatte fast keine Zahlen genannt, hatte nichts über die Ergebnislage gesagt, außer dass für einen möglichen Börsengang genügend Geld vorhanden war. Das Haus machte einen gediegenen und wohlhabenden Eindruck, dann das Flugzeug und die Yacht, Wohnungen in Florida und auf Sylt.
Dennoch hatte Beyer ein Gefühl, als ob nicht alles so war, wie es schien. Man würde sehen – oder auch nicht. Vielleicht war er zu kompromisslos und direkt gewesen? War der Preis zu hoch angesetzt gewesen? Ein neuer Auftrag konnte gerade jetzt nichts schaden, wo der Stein-Auftrag so abrupt zu Ende gegangen war. Das Team musste beschäftigt werden. Die Auslastung des Büros war ein wichtiger Erfolgsfaktor in der Jahresbewertung für den Bonus und das Gehalt im kommenden Jahr. In jedem Fall würde er sich nach seiner Rückkehr aus Chicago wieder bei Pauli melden. Im Übrigen, die Frau Pauli ist eine ganz bezaubernde Frau, charmant und warmherzig. Sie war wohl die einzige in der Familie, die ihrem Mann widersprach, die Söhne taten es sicher nicht – oder jedenfalls nicht in Gegenwart von Dritten.