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Flug zum Meer

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Die zweimotorige Propellermaschine, eine Cessna 340 II hatte vom Tower Stuttgart die Startfreigabe erhalten und rollte langsam zum Haltepunkt der Startbahn 28.

„Elinor, gib mir bitte mal die Checkliste.“

Zwar kannte Arnim die Liste auswendig, aber nie verließ er sich auf sein Gedächtnis, denn es war zu leicht möglich, irgendeine Kleinigkeit durch Unaufmerksamkeit zu übersehen, was fatale Folgen haben könnte. Er flog nur nebenberuflich aus Leidenschaft und weil es zeitsparend war, denn hauptberuflich war er Unternehmensberater und häufig mit seinen Gedanken bei seinen Klienten. Ruhig lehnte er sich in dem Pilotensitz zurück und ließ seinen Blick über die vielen Instrumente schweifen. Er war damals Ende 40, doch seine sportlich schlanke Gestalt, sein volles dunkelblondes Haar, sein schmales Gesicht mit blauen Augen, einem hellen Vollbart und vor allem sein strahlendes Lächeln ließen ihn jünger erscheinen.

Elinor reichte ihrem Mann die Checkliste. Sie war drei Jahre jünger als ihr Mann, eine aparte Frau, schlank mit braunen Augen und kastanienbraunen Haar. Eher ängstlich und unsportlich, teilte sie weder die Begeisterung ihres Mannes für das Fliegen noch für andere gefahrvolle Sportarten.

Elinor sollte Recht behalten, so ganz problemlos sollte der Flug nicht zu Ende gehen. Sie waren noch weit von einer sicheren Landung auf dem kleinen Flughafen in dem Maure-Gebirge entfernt! Ein enges Tal mit Bergrücken im Süden und Norden der Landebahn und am Ende wieder ein Berg. Ein Fehlanflug ist nicht unkritisch, weil man auf der westlichen Landebahn gleich nach rechts abdrehen muss, um dem Tal zu folgen. Es bleibt kein großer Entscheidungsspielraum, aber die Landebahn ist mit 1200 Meter Länge auch für größere Jets ausreichend. Armin kannte den Platz genau. Als sie vor Jahren das Haus in Port Grimaud gekauft hatten, hatte er eine spezielle Einweisung für Flüge im Gebirge erhalten. Sie war Voraussetzung für die Erteilung einer Landeerlaubnis in diesem schwierigen Gelände. Man musste jedes Jahr mindestens eine Landung im Gebirge nachweisen, um die Berechtigung nicht zu verlieren. Aber sie flogen mehrmals im Jahr dorthin, so waren sie mit den speziellen Gefahren von Flügen in diesen Bergen vertraut.

Beyer informierte die Regionalkontrolle: “Marseille Radar, this is WL, reaching level 160, standing by for further decent.”

“Roger WL, contact Nice on 112,45.”

Beyer verabschiedete sich und schaltete die neue Frequenz. “Nice, this is D-IBWL maintaining level 160, standing by for further decent.”

Prompt kam die Antwort mit der Freigabe für den weiteren Sinkflug bis Flugfläche 100.

In dieser Gegend wurde dem Piloten bei guter Sicht oft freigestellt, bis zu welcher Mindest-Flughöhe der Sinkflug fortgesetzt werden konnte. Nördlich von Nizza sind die Berge noch fast 3000 Meter hoch und bei Motorausfall kann es bei zu geringer Flughöhe schnell kritisch werden, um noch sicher einen geeigneten Landeplatz zu erreichen. Anderseits muss man nach Überqueren der letzten Berge einen steilen Sinkflug einleiten, um nicht zu weit auf das Mittelmeer hinauszufliegen. Als er die vorgegebene Flughöhe erreicht hatte, erbat er die Freigabe, nach Sichtflugregeln zum Flugplatz La Mole zu fliegen. Das wurde bestätigt, allerdings mit der Warnung von Starkwind in Küstennähe in der Umgebung von St. Tropez, verbunden mit der Empfehlung, in Nizza zu landen: „WL, we have a strong Mistral with 55 knots from the west, 280 degrees. We recommend landing at Nice airport.”

„Das hat uns noch gefehlt. Die haben Mistral da unten und wollen, dass wir in Nizza landen. Der Wind bläst mit etwa 80 km/h, das ist ganz schön happig. Was meinst du, sollen wir nach La Mole fliegen oder in Nizza landen?“ fragte Arnim seine Frau.

Elinor antwortete genervt: „Das weiß ich doch nicht, das musst du entscheiden, du bist der Pilot. Ich bin immer für Sicherheit, das weißt du, geh kein Risiko ein.“

„Aber der Wind liegt in La Mole genau auf der Bahn, es wird zwar ruppig werden, aber es wird schon gehen. Da müssen wir eben mit viel Gas landen. Die Bahn ist ja lang genug und breit ist sie auch. Außerdem haben wir unseren Wagen da unten stehen, wie sollen wir von Nizza nach La Mole kommen mit all dem Gepäck, das du mitschleppst.“

„Dass du mir immer das viele Gepäck vorwirfst, das meiste ist doch für dein Boot.“

„Ist jetzt auch egal, für wen das ist, jedenfalls haben wir einen Haufen Zeug dahinten, das kriegen wir in kein Taxi. Ich versuche in La Mole zu landen.”

“Nice Control, we prefer landing in La Mole, thanks for your advice.”

“WL, you are cleared from present position direct to St. Tropez. Report when leaving my frequency.”

“Will comply.”

Die Maschine drehte nach Westen und beim Passieren von 2000 Fuß Höhe tanzte sie auf und ab, wurde hin und her geschleudert. Alle nicht festgezurrten Gegenstände wurden von den Sitzen geschleudert und fielen zu Boden.

„Hätten wir doch das ganze Zeug besser sichern sollen.“

„Ich habe dir immer gesagt, du bist zu nachlässig.“

„Siehe bloß zu, dass uns nichts ins Cockpit fliegt, das wäre fatal. Ist so schon schwierig genug.“

„Ich kann mich selbst kaum halten, wie soll ich noch die Sachen festhalten?“

Ein kurzer Blick über die Schulter genügte. Das blanke Chaos. Alles lag wild durcheinander.

„Hoffentlich rutscht nichts unter den Sitzen hindurch nach vorne zwischen die Pedale. Dann habe ich kein Seitenruder mehr.“

Arnim wusste, dass Elinor daran auch nichts ändern konnte und meldete sich über St. Tropez vom Tower von Nizza ab, um anschließend Kontakt mit den Flugplatz La Mole aufzunehmen.

„Elinor, stell bitte die Tower Frequenz von La Mole ein.“

„Welche ist das?“

„Keine Ahnung, sieh im Handbuch nach.“

Das war leichter gesagt als getan. Auch das Handbuch lag nicht mehr da, wo es vorher gelegen hatte. Aber Elinor schaffte es: „119,75 ist die Frequenz.“

„Stell sie bitte ein“, sagte er leicht gestresst.

Die Bucht von St. Tropez öffnet sich nach Nordosten. Trotz der schützenden Nähe des Ufers war die Wasserfläche von Schaumkronen übersät. Die Sicht reichte bis zu den schneebedeckten Alpen, das Cap Roux schien wie zum Greifen nah. Arnim hätte gern – wie er es sonst immer tat – die Gegend betrachtet, doch die bevorstehende Landung in den Bergen beunruhigte Pilot und Co-Pilotin zunehmend.

„Glaubst du, wir werden es schaffen?“ Die Stimme von Elinor klang alles andere als zuversichtlich. „Wir hätten lieber nach Nizza gehen sollen. Willst du nicht umkehren? Es ist doch nicht weit.“

„Nein, wir müssen dann einen VFR-Flugplan nach Sichtflugregeln machen und den IFR-Plan canceln. Die Franzosen verstehen uns sowieso nicht. Wir versuchen die Landung wie geplant.“

Die Lage an Bord wurde zunehmend kritisch. Die kleine Maschine war kaum noch zu kontrollieren. Die Scherwinde schleuderten sie mal in die Höhe, dann wieder abrupt in die Tiefe. Das Tal von Grimaud nach La Mole kam in Sicht. Flughöhe 600 Fuß. Eindrehen in den Endteil zur Landebahn 27.

„Klappen auf 10 Grad. Übernimm du das bitte, ich brauche beide Hände am Steuer. Klappen 15 Grad. Fahrwerk ausfahren. Ich muss näher an den Luv-Hang sonst verlieren wir zu schnell an Höhe.“

Die Maschinen tanzte wie irrsinnig auf und ab.

„Du kannst die Maschine nicht halten, wir werden am Hang zerschellen.“ Elinors Stimme war schrill, ein deutliches Zeichen für die beginnende Angst: „Fliege aus dem verdammten Tal raus, mach schnell, ich halte es nicht mehr aus.“

Arnim musste endlich einsehen, dass es zu gefährlich war, die Landung in den Bergen zu erzwingen. Also griff er zum Mikrofon:

„La Mole, this is D-IBWL, on short final for runway 27.“

„WL, this is La Mole, the airport is closed because of heavy winds, I say again, airport is closed, confirm.

„Verdammt, das hat uns noch gefehlt. Der Flugplatz ist wegen Starkwind geschlossen.

Die Nerven lagen blank.

„Ich habe dir doch gesagt, es geht nicht, du musst umkehren.“

„Wie stellst du dir das in dem engen Tal vor? Wir können nur nach Westen durchstarten.“

Es begann schwierig zu werden.

„Klappen und Fahrwerk rein!“ Auch Armins Stimme hatte nicht mehr den gewohnt sonoren Klang. Der Stress der letzten Viertelstunde begann seine Wirkung zu zeigen. Die Motoren heulten unter Vollgas auf.

„Hast du die Landeklappen eingefahren?“

„Nein, welcher Hebel ist das?“

„Der da rechts von der Mittelkonsole“, und er zeigte mit der Hand auf den Hebel. „Ja, der nach oben, schnell! Und das Fahrwerk einfahren!“

Das Fahrwerk fuhr mit lautem Rumpeln ein.

Die Maschine nahm langsam Fahrt auf. La Mole Tower lag unter ihnen, dann kam das Ende der Landebahn. Nur nicht an den Hang, leichte Kurve nach rechts. – Komm schon, nimm Höhe auf, mach doch, warum steigt sie nicht? – Arnims Gedanken rasten. Die Maschine vollführte noch immer einen wilden Tanz. Mit unendlicher Langsamkeit, so kam es ihnen vor, bewegte sie sich dabei an dem gefährlichen Hang nach Süden vorbei und drehte anschließend nach Westen in das Tal Richtung Draguignan. Außer dem Lärm der auf Volllast drehenden Motoren herrschte im Cockpit gespannte Stille, die Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Wird sie es schaffen, wird sie Höhe gewinnen, dachte Arnim. Wenn nicht, ist alles vorbei. Eine Wendung um 180 Grad ist in dem engen Tal nicht möglich. Sie mussten es einfach schaffen! Nach quälenden zwanzig Minuten war endlich genügend Höhe erreicht, um wenden zu können. Mit Rückenwind hatten sie dann das Tal schnell verlassen.

Die Maschine näherte sich dem Flugplatz von Fréjus. Arnim griff zum Mikrofon und bat den Tower um Landeerlaubnis. Die Antwort kam sofort und erteilte die Landeerlaubnis allerdings verbunden mit der Warnung wegen starkem Seitenwind: “WL roger, wind is from 270 with 55 knots. Runway in use is 19! Can you make it?”

Blitzartig schuss es Armin durch den Kopf: 90 Grad Seitenwind mit 55 Knoten! Die Maschine ist nur bis 35 Knoten Seitenwind zugelassen. Das wollte Arnim nicht riskieren.

“May we take runway 27 grass?”

“Negative, ground is too soft. We had a lot of rain here recently.”

“Auch das noch. Dann muss es eben auf Landebahn 19 gehen, hoffentlich hält das Fahrwerk.“

„WL is turning final.“

„Have you in sight, cleared to land, runway 19.

Mit 30 Grad Vorhaltewinkel näherte sich die Maschine langsam an die Landebahn. Endlich, die Bahn unter dem Flugzeug. Bloß auf der rechten Seite aufsetzen, dachte er, kommst sonst von der Bahn ab. Knall sie auf den Boden, sie darf nicht mehr abheben, sonst ist alles aus. Arnims geballte Aufmerksamkeit richtete sich auf die Landebahn, für Angst oder Bedenken war kein Raum mehr. Eine ruhige Entschlossenheit, diesen Flug zu einem guten Ende zu führen, hatte ihn ergriffen. Seine Hände hielten den Steuerknüppel mit sicherer Hand und zwangen die Maschine auf Kurs zu bleiben. Auch Elinors Angst war in diesem kritischen Augenblick gewichen und hatte einem fatalistischem Vertrauen Platz gemacht. Arnim wird es schaffen, dachte sie, er hat bisher jede kritische Situation gemeistert!

Die Landebahn kam langsam näher, sie erreichten die Schwelle, mit hartem Ruck und kreischenden Reifen setzte die Maschine auf. Das Fahrwerk hatte gehalten. Die Maschine rollte nach kurzem Rollweg aus, wendete und rollte zum Vorplatz. Elinor atmete tief durch, es klang wie ein Seufzer: „Das hast du ja noch mal zum Guten gewendet, aber du hättest bei dem Seitenwind keinesfalls hier landen dürfen, du hättest nach Nizza zurückgehen müssen, wie leicht hätte das schiefgehen können, du hast das Schicksal herausgefordert!“ In ihrer Stimme klang eine Mischung aus Bewunderung und Zorn mit.

„Das war sicher eine der schlechtesten Landungen, die es an diesem Platz je gegeben hat, aber wir sind heil und die Maschine auch, was will man mehr?“

„Oh, einen doppelten Cognac und eine Zigarette wären jetzt der krönende Abschluss.“

„Stimmt, beides haben wir uns redlich verdient.“ Arnim hatte die Fahrt der Maschine weiter verlangsamt und rollte sie behutsam zum Hangar: Bremsen fest, Instrumente aus, Motor aus, Hauptschalter aus. Er schloss kurz die Augen und lehnte sich im Sitz zurück, froh und dankbar, dass letztlich alles gut geendet hatte und das Flugzeug sich als stabil genug erwiesen hatte. Einer sportlichen Herausforderung stellte er sich gerne, aber er vermied unkalkulierbare Risiken. Er schaute zu Elinor, die immer noch bleich und verloren aus dem Fenster blickte. „Ich denke, wir gönnen uns erst einmal eine Zigarette.“

Mit langsamer, mühevoll kontrollierter Bewegung reichte er ihr das Etui und gab ihr Feuer. Sie war wirklich eine tolle Frau, dachte er, und vor allem, sie hat recht, ich hätte die Landung nicht riskieren dürfen, wenn etwas schiefgegangen wäre, keine Versicherung hätte auch nur einen Pfennig bezahlt, von den anderen möglichen Konsequenzen ganz zu schweigen. Gemeinsam verließen sie die Maschine. Die Knie zitterten etwas, als ihre Füße festen Boden fühlten. Hand in Hand gingen sie zum Ankunftsgebäude.

Doppel-Infarkt

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