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Der Anfang vom Ende
ОглавлениеDer Stress entstand für mich, als geschäftsführenden Gesellschafter einer Konzerngesellschaft, nicht aus der täglichen Arbeitsbelastung, er kam aus der Verunsicherung, die in den letzten Jahren von den Machenschaften des Vorstands in der Holding ausgegangen waren. Immer neue Forderungen zur Ergebnisverbesserung waren an mich gestellt worden, die handelsrechtlich nicht sauber waren, die bedenklich waren, die wegen Bilanzfälschung unter Umständen auch strafrechtliche Konsequenzen haben konnten. Immer wieder wurde meine Loyalität gegenüber dem Vorstand und auch den anderen langjährigen Geschäftsführern der Schwestergesellschaften auf die Probe gestellt. Einerseits waren alle Führungskräfte genau wie ich zur Loyalität verpflichtet und wollten auch ihren Job nicht verlieren, andererseits war ich zur Korrektheit erzogen worden und fühlte mich meinem Gewissen verantwortlich.
Vor wenigen Monaten war der Konzern verkauft worden. In einer Nacht- und Nebelaktion waren zwei große Stammaktienpakete in andere Hände übergegangen, ein neuer Großaktionär hatte das Sagen. Ich kannte den neuen Vorstandsvorsitzenden flüchtig aus meiner Düsseldorfer Zeit, er vertrat einen Konzern mit weitverzweigten Interessen auf dem Gebiet des Maschinenbaus, der Elektronik und der Wehrtechnik. Das gesamte Management galt als hart, arrogant, kompromisslos und zielstrebig. Was würde das für mich, für meine Firma und meine Mitarbeiter bedeuten?
Es lag ein schwieriger Arbeitstag hinter mir, denn die telefonisch übermittelten Anforderungen der neuen Konzernherren waren nicht mit den Realitäten des Marktes in Einklang zu bringen: Sie wollten die Firma in eine Marktnische drängen, die keine langfristige Perspektive eröffnete. Das wollte ich so nicht hinnehmen. Dafür hatte ich mich die vergangenen Jahre nicht so intensiv eingesetzt, das wollte ich so nicht hinnehmen. Ich wollte für die Selbständigkeit der Firma und die Erhaltung der Arbeitsplätze meiner Mitarbeiter kämpfen.
Vor ein paar Jahren hatte ich eine Studie für den damaligen Inhaber erstellt, in der ich eine neue Konzernstruktur und eine sinnvolle markt- und produktseitige Abgrenzung zu der Schwestergesellschaft vorgeschlagen hatte, aber meine Vorschläge waren nie in die Tat umgesetzt worden, weil der alte Vorstand seit einigen Jahren nur die kurzfristigen Erfolge sah und jede Art der langfristigen Orientierung vermissen ließ. Mit meinem Konzept hätten beide Gesellschaften eine faire Chance gehabt, aber nicht mit der nun von den neuen Vorständen ohne jede Diskussion verfügten Konzernstruktur. Ich würde gegen die aus meiner Sicht unzweckmäßigen Vorstellungen des neuen Vorstands opponieren, jedenfalls soweit es mir möglich war. Ich würde die Fakten und Argumente noch einmal darlegen, es würde sicherlich einen Weg geben, die Herren zu überzeugen.
Ich fühlte mich merkwürdig ermattet und legte mich in meiner Wohnung in einem landschaftlich schön gelegenen Vorort von Essen zur Entspannung auf mein Bett, konnte aber nicht schlafen.
Daher beschloss ich, einen Abendspaziergang über die nah gelegenen Felder hinunter zur Ruhr zu machen. Ich zog leichte Kleidung und bequeme Laufschuhe an, wie ich es sonst immer getan hatte, wenn ich den Feierabend zur Entspannung in der Natur mit ausgedehnten Spaziergängen verbrachte. Während ich dahinschlenderte, überkam mich plötzlich eine unbegreifliche Angst. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Mit schweren Schritten ging ich den kleinen Hügel hinter dem Friedhof hinauf. Ich fühlte mich schwindelig, mein Herz raste, es zog sich in meiner Brust zusammen, kalter Schweiß brach auf meine Stirn aus. Ich musste mich auf eine Bank an dem Steinernen Kreuz setzen. Während ich tief durchatmete, sah ich zu dem klaren Abendhimmel mit der schon recht tief stehenden Sonne hinauf und den Flugzeugen nach, die sich in endloser Folge auf dem Gleitpfad zur Landung in Düsseldorfer einreihten. Meine Gedanken gingen zurück zu glücklichen Tagen.