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4.
Am Scheideweg
ОглавлениеDie leicht hügelige Landschaft lockte zum Verweilen, zum Schauen und Entspannen. Schritt für Schritt war ich den asphaltierten Weg in Richtung See hinuntergegangen, hatte oft angehalten, die Blumen am Wegesrand betrachtet und nach Luft gerungen. Eigentlich war es nicht mehr so warm, die Sonne stand jetzt schon ganz tief im Westen knapp über den Bäumen und würde bald untergehen. Aber ich schwitzte wieder an Stirn, Händen und Füßen. Es war ein unangenehmer kalter Angstschweiß. Angst, wovor denn eigentlich? Ich kannte eigentlich keine Angst. Angst hat man nur vor einer unbekannten Gefahr, ich kannte nur Herausforderungen, die es zu bewältigen gab. Man musste nur stark genug sein.
An einer Biegung gabelte sich der Weg, links ging es ziemlich eben an Feldern vorbei, von wo aus ich einen freien Blick auf die überdimensionierte Villa Hügel hatte. Die Villa Hügel, dachte ich, war Ausdruck einer Zeit des ungehemmten industriellen Aufschwungs, wie wir es uns heute kaum noch vorstellen können. Dort hatte Alfred Krupp seine opulenten Empfänge gegeben, alle Größen der Wirtschaft und der Politik gaben sich bei dem bedeutenden Waffenhersteller die Türklinke in die Hand, sogar der Kaiser war zur Hochzeit seiner Tochter erschienen. ‚Ja, dachte ich, das war ein stahlharter Mann gewesen, aber welchen Preis hat er schließlich dafür zahlen müssen! Die Firma Krupp verdankte vor dem ‘Ersten Weltkrieg‘ ihren phänomenalen Aufstieg insbesondere durch seine Waffenproduktion, unter anderen gefördert durch den Deutschen Kaiser Wilhelm II. Aber auch ausländische Potentaten bedienten sich gerne seiner Waffentechnik. Die Qualität seiner Produkte – und insbesondere sein Stahl – waren erste Klasse. Dann kam der Zusammenbruch mit Demontage und Besetzungen, Reparationszahlungen und Enteignungen. Der wirtschaftliche Abstieg der Firma war dramatisch.
Danach begann mit dem ‘Dritten Reich‘ und der Wiederbewaffnung Deutschlands der Aufstieg. Erneut wurden Waffen produziert. Überall wurden Werke möglichst gegen feindliche Bomberangriffe gesichert, errichtet. Und nach dem ‘Zweiten Weltkrieg‘ lagen die Werke in Schutt und Asche. Ein desaströses Auf und Ab. Mitarbeiter wurden eingestellt und entlassen. Schlimme Schicksale waren die Folge. Schon allein dieser Gedanke belastete mich stark.
Ich setzte mich erschöpft an den Wegesrand auf einen Stein und die Bilder der Vergangenheit reihten sich wie in einem Film aneinander.
So ähnlich war es auch meiner Familie gegangen, wenn auch nicht in den gleichen Dimensionen. Doch auch sie hatte zwei Weltkriege und deren Folgen überstanden, hatte immer wieder von Neuem angefangen, wenn wieder alles zerstört gewesen war. Beide Elternteile hatten sich als stark erwiesen, hatten sich tapfer durchs Leben gekämpft und dabei ihren Frohsinn bewahrt, wenn es ihnen auch nicht immer leichtgefallen war. So würde ich es auch versuchen. Und ich würde es schaffen! Weil ich es wollte.