Читать книгу Doppel-Infarkt - Arnulf Meyer-Piening - Страница 14

Schleppender Geschäftsgang

Оглавление

In der folgenden Woche hatte Dr. Pauli die sogenannte ´Dienstagsbesprechung` bereits auf acht Uhr angesetzt, kam selbst jedoch erst gegen neun, gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Kramer. Er hatte mit ihm im ‘Goldenen Engel‘, einem gemütlichen Café ganz in der Nähe des Büros, gefrühstückt und dabei die gemeinsame Linie für die geplanten Auftragsverhandlungen mit Kanders abgestimmt, das heißt, Pauli hatte sie festgelegt und Kramer hatte zugestimmt. Die Geschäftsführer Fritz Pauli, Oderbruch, Winter, Suter und Ceponek Fritz Pauli warteten wie gewöhnlich geduldig.

Dr. Pauli eröffnete des Gespräch: „Ich habe vor ein paar Tagen mit einem Dr. Beyer, einem Partner von Kanders Management Consultants, einer großen internationalen Unternehmensberatungsgesellschaft, gesprochen. Wir“, und dabei machte er eine Handbewegung zu seinem Kollegen, „beabsichtigen eine `strategische Ressourcen-Analyse` durchführen zu lassen, um die Rentabilität unseres Unternehmens wesentlich zu verbessern. Es kann nicht angehen, dass wir von der Holding ständig die Verluste der operativen Gesellschaften ausgleichen müssen. Wir haben in den letzten Jahren zu wenig Geld verdient. Das von mir eingesetzte Kapital wird nicht ausreichend verzinst, jedenfalls könnte ich an der Börse mein Geld besser anlegen.“ Er blickte in die die Runde. Sein Bruder Fritz blickte mürrisch auf den Tisch vor sich, obwohl es dort gar nichts zu sehen gab. Die anderen Herren hörten aufmerksam zu.

„Wenn ich nach dem Börsengang meine Aktien verkaufe und das Geld auf die Bank bringe, erhalte ich ein Mehrfaches an Kapitalverzinsung und das ohne jedes Risiko! Dann können Sie sich alle einen neuen Job besorgen“, fuhr Dr. Pauli barsch fort, seine Stimme wurde immer lauter und er gestikulierte mit steigender Heftigkeit. Das war eine deutliche Drohung und wurde von allen auch so verstanden. Und er fuhr fort: „Wir haben für den geringen Umsatz viel zu viele Leute an Bord. Zweihunderttausend Mark Umsatz pro Kopf ist viel zu wenig, sagte auch Herr Beyer, es müssten mindestens 250 oder 300 tausend sein. Sie können selber rechnen, das sind insgesamt 150 oder 200 Mitarbeiter zu viel. Sie betreiben Ihre Geschäfte nicht effizient. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Leute richtig arbeiten und nicht ständig krankfeiern oder sonst etwas machen, was uns nur Kosten verursacht und kein Geld in die Kasse bringt.“

Betretenes Schweigen in der Runde. Schließlich ergriff Fritz Pauli das Wort: „Du weißt, dass die Geschäfte zurzeit nicht so gut laufen wie früher. Wenn wir erst die neue Produktpalette stehen haben, können wir auch wieder aggressiver am Markt auftreten und die Fertigungskosten senken. Außerdem steht der Dollar schlecht, das allein kostet uns rund 2 Millionen pro Jahr. Wir können nichts dafür“, versuchte er sich zu verteidigen, seine Wut auf seinen erfolgreichen Bruder konnte er dabei nicht verbergen.

Dr. Pauli lief rot an: „Ich höre immer, dass ihr nichts dafür könnt, dass die Schuld bei anderen liegt. Wofür zahle ich euch eigentlich so hohe Gehälter, wenn Ihr nie für etwas verantwortlich seid. Und der Kursverfall des Dollars: Dafür haben wir doch Sie, Herr Ceponek, Sie hätten den Kursverfall vorhersehen müssen und uns finanziell nicht so stark in den USA engagieren dürfen.“ Seine Stimme überschlug sich fast. „Außerdem haben wir schon lange nicht mehr die Preise angehoben. Sie verkaufen nur über den Preis und machen dabei den Markt kaputt. Über den Preis kann jeder verkaufen, Sie müssen aber die Stärken unserer Produkte mehr in den Vordergrund stellen.“

Jeder in der Runde wusste, dass es in dieser Situation keine Widerrede geben konnte und dass es besser war, nichts zu sagen. Auch Kramer schwieg und sah von einem zum anderen, meistens aber in die vor ihm liegenden Akten.

Natürlich war für die Besprechung eine Tagesordnung erstellt worden, aber sie würde wieder nicht behandelt werden. Eigentlich wäre es nicht notwendig, eine Tagesordnung zu erstellen, aber Pauli hatte es vor Jahren gefordert, dann aber entweder vergessen oder für unzweckmäßig gehalten. Außerdem hätte er sich dann entsprechend vorbereiten müssen, was ihm nicht besonders lag. Viel lieber mochte er das spontane Gespräch, insbesondere, wenn er dabei allen den Wind von vorne geben konnte. Nachher fühlte er sich befreit und war der Überzeugung, dass er die richtigen Dinge in die angestrebte Richtung bewegt hatte.

„Und was sollen die Berater machen und wann sollen sie mit ihrer Untersuchung beginnen?“ fragte Fritz Pauli misstrauisch.

„Am besten gleich.“

„Ist der Auftrag schon vergeben?“

„Nein, noch nicht, das werde ich aber nächste Woche tun.“

„Was kostet der Spaß?

„Etwa drei- bis vierhunderttausend Mark plus Spesen.“

Fritz Pauli war entsetzt. „Und wer soll das zahlen?“

„Die Holding“, bestimmte Dr. Pauli. „Die einzelnen Gesellschaften erhalten aber eine Kostenumlage je nach Umsatz oder Anzahl der Mitarbeiter.“

„Dann entfällt auf uns etwa die Hälfte und unser Ergebnis sinkt dieses Jahr um 250 tausend Mark,“ rechnete Fritz Pauli blitzschnell aus.

„Die kompensieren wir durch die Senkung im Personalkostenbereich.“

„Ich weiß wirklich nicht, wo wir noch Leute abbauen sollen, wir kommen so schon nicht mit der Arbeit durch“, jammerte Fritz. „Es klemmt an allen Ecken, wir haben überall Engpässe, die können die Berater auch nicht beseitigen.“

„Das sollen die Berater ja gerade feststellen, wo es klemmt, vielleicht klemmt es in der Geschäftsführung“, bemerkte Dr. Pauli sarkastisch.

Die Diskussion wurde zunehmend unsachlicher und führte zu keinem Konsens. Dr. Pauli beharrte auf seinem Standpunkt, die anderen waren sichtlich gegen eine Untersuchung insbesondere des eigenen Bereichs durch einen Unternehmensberater, wenn sie es auch nicht offen aussprachen.

Fritz Pauli wechselte das Thema, um abzulenken aber auch weil es ihn direkt betraf: „Wie weit bist du eigentlich mit den Kaufverhandlungen mit der Firma Möbius?“

„Wir werden wahrscheinlich schon in Kürze den Vertrag unterzeichnen. Dr. Johannes ist mit der Vertragsausfertigung beauftragt.

„Ist der denn dafür geeignet?“ bemerkte Oderbruch, „Soweit ich weiß, macht der doch nur Familien- und Erbschaftsrecht. Er hat der hat doch so was noch nie gemacht.“

„Kramer, Dr. Johannes und ich, wir drei machen das zusammen. So kompliziert ist das nun auch wieder nicht.“

„Das sehe ich anders, das ist nicht nur ein rechtliches Problem. Es wäre besser, wenn vorher ein Neutraler in diese Firma hineinsehen würde. Ich meine in die Kosten- und Ertragsstrukturen, Risiken und so weiter. Dafür könntest du doch Kanders nehmen oder wie die auch immer heißen mögen“, meinte Fritz Pauli.

Dr. Pauli überlegte kurz, da hatte sein Bruder einen guten Gedanken. Vielleicht sollte man doch noch vor der Vertragsunterzeichnung einen Berater einsetzen, der die Firma auf Herz und Nieren prüft, nur leider würde man dazu keine Zeit mehr haben. Außerdem war sein Bruder sowieso gegen den Kauf und wollte nur den Einsatz eines Beraters in seiner eigenen Gesellschaft vermeiden. Er musste den Gedanken fallen lassen, obwohl ihm nicht wohl dabei war.

Dr. Pauli setzte die Besprechung fort, indem er Dr. Winter nach der aktuellen Auftrags- und Geschäftslage in der Micro-Technik fragte. Winter berichtete von aussichtsreichen Großprojekten, welche die Bundesregierung und das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Aussicht gestellt hätten. Er nannte Projekte von zweistelligen Millionenbeträgen. Auch international stünden große militärische Kooperationsprojekte, vor allem mit Schweden und Frankreich, kurz vor dem Abschluss.

„Gerade vor wenigen Tagen habe ich den ehemaligen Ministerialdirigenten Gerhardt gesprochen, der hat mir versichert, dass das ‘Kargo-Projekt“ realisiert wird“, ergänzte Oderbruch und Winter nickte zustimmend.

Pauli war sichtlich zufrieden und entspannte sich. Die rote Färbung in seinem Gesicht wich einem ausgeglichenen, freundlichen Ausdruck. „Gut, hoffen wir, dass diese Aufträge bald kommen, wir haben in den vergangenen Jahren erhebliche Vorleistungen erbracht. Auch Ministerialrat Gerhardt hat als Berater uns eine Menge Geld gekostet. Das Geld muss noch dieses Jahr durch große Aufträge zurückfließen. Wir können uns nicht mehr leisten, nur von der Hoffnung zu leben. Aber ich weiß, Sie sind ist energisch dahinter her.“

Fritz Pauli brummte irgendetwas, was niemand verstand und wurde dafür von seinem Bruder zurechtgewiesen: Es wäre besser, wenn du auch bald große Projekte hereinbringen würdest. Von dir höre ich nur wenig Erfreuliches. Wie sieht es denn in der Verkehrstechnik aus, was macht die Traffic Inc. in San Franzisco? Kommen wir dort aus den roten Zahlen heraus? Wenn nicht, werden wir auch dort Leute entlassen müssen.“

Fritz Pauli überlegte kurz, was er antworten sollte. Wenn er die Situation so schilderte, wie sie war, dann würde es wieder ein Donnerwetter geben, also entschloss er sich, das Prinzip ‘Hoffnung‘ zu bemühen und erklärte, man sei im Plan und werde voraussichtlich, wenn alles so laufe wie man denke, das Ergebnis des Vorjahres erheblich verbessern. Er nannte noch ein paar Zahlen, auf die aber niemand so richtig achtete. Da kam eine Unterbrechung gerade gut gelegen.

Herr Hilbert von der German Bank, Frankfurt verlangte Dr. Pauli am Telefon zu sprechen. Eigentlich wollte er sich nach der Bilanz erkundigen, wählte aber eine andere Einleitung, denn er war insbesondere bei seinen guten Kunden um Harmonie bemüht. „War ein interessanter Abend neulich auf dem Empfang des Ministerpräsidenten. Ich habe mich gefreut, auch Sie unter den Gästen zu sehen.“, begann Hilbert das Gespräch.

„Es waren dort viele hochgestellter Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft versammelt. Alles was Rang und Namen hatte“, bestätigte Pauli. „Ich nehme mir gelegentlich die Zeit, weil man den einen oder anderen geschäftlichen Kontakt auffrischen kann.“

„Auch ich nutze gern die Gelegenheit zum persönlichen Gespräch. So konnte ich mit Tietmeyer ein paar Worte wechseln, guter Mann. Hoffentlich erhält die Regierung auch künftig die Unabhängigkeit der Bundesbank.“

„Das wäre wirklich wünschenswert“, bestätigte Pauli und hoffte, noch ein paar ergänzende Bemerkungen zur künftigen Zinsentwicklung zu erfahren, denn das Thema brannte ihm unter den Nägeln. „Hoffentlich bleibt das Zinsniveau auf den derzeitig niedrigen Stand.“

Es entstand eine kurze Pause, in der Pauli auf eine Bestätigung wartete, die aber nicht kam, so fuhr er fort. „Sie hatten angerufen, was kann ich für Sie tun?“

„Ich wollte mich nach Ihrer Bilanz vom Vorjahr erkundigen, wir benötigen sie dringend. Sie wissen, es geht um die Kreditprolongation, um die Sie nachgesucht haben.“

„Ja, ich weiß. Die Bilanz ist fast fertig. Es fehlen nur noch ein paar Abschluss-Buchungen. Unser Wirtschaftsprüfer Dr. Schubert ist gerade damit beschäftigt. Er ist ziemlich überlastet.“

„Vernünftige schwarze Zahlen?“ fragte er.

„Keine Sorge. Die Bilanz ist gut wie immer, wir haben wieder einen ordentlichen Gewinn gemacht.“

„So wie in den letzten Jahren?“

„Ja, alles bestens. Sie erhalten die Bilanz in der nächsten Woche. Am besten, ich komme damit zu Ihnen, wollte sowieso mit Ihnen über eine geplante Akquisition sprechen. Sie ist eine große Chance für unser Unternehmen. Wir sollten auch mal die neulich schon angesprochene Thematik des geplanten Börsengangs sprechen. Wir sollten das Vorhaben jetzt bald über die Bühne bringen. Ich rufe Sie zurück, wenn wir die Bilanz fertig gestellt haben. Richten Sie bitte meine Grüße an Dr. Reiners aus.“

„Danke, werde ich ausrichten. Auf Wiederhören.“

Dr. Pauli legte auf und machte einen zufriedenen Eindruck. Der Kelch war noch mal an ihm vorübergegangen, und er hatte Zeit gewonnen. „Meine Herren, wir müssen jetzt das Gespräch beenden, ich muss zu Dr. Schubert nach Stuttgart. Vergessen Sie nicht, wir brauchen unbedingt dieses Jahr einen wesentlich höheren Gewinn in jeder einzelnen Gesellschaft, sonst scheitert der Börsengang und wir können uns nicht die notwendigen finanziellen Ressourcen erschließen, die wir für die geplante Expansion unserer Firmengruppe brauchen. Ist Ihnen allen das klar?“

„Ja, vollkommen!“ Es klang wie ein gut einstudierter Chor. Pauli sah jeden einzelnen der Reihe nach an: Was hatte er da bloß für armselige Kreaturen vor sich sitzen, jeder einzelne taugte im Grunde nicht für seine hohen Ansprüche. Sobald er die Firma in eine AG umgewandelt hätte, würde er sie alle rausschmeißen und durch andere ersetzen, aber jetzt ging das nicht. Jetzt brauchte er sie noch. „Herr Kramer, ich möchte Sie noch einen Augenblick sprechen.“

Die übrigen Herren verließen unverzüglich den Besprechungsraum, als hätten sie nichts Eiligeres zu tun, wieder an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren.

„Hilbert ist wegen unserer Bilanz beunruhigt und will sie umgehend sehen“, sagte Pauli zu seinem Kollegen, als die Tür wieder verschlossen war. „Ich habe das für den Augenblick noch ganz gut hingekriegt, aber der will endlich Zahlen sehen. Ich muss unbedingt gleich Schubert sprechen. Hilbert ist sehr wichtig für uns. Ich will den Börsengang unbedingt mit der German Bank machen, da brauchen wir uns wegen der breit gestreuten Platzierung der Aktien keine Sorgen zu machen, aber die Voraussetzung dafür ist ein hervorragendes Bilanzergebnis.“

Kramer pflichtete ihm bei, wie er es meistens tat. „Wir werden wieder ein gutes Ergebnis ausweisen, wie jedes Jahr.“

„Sprechen Sie sofort mit Winter, Oderbruch ist zu langsam und zu unbeweglich. Der soll sich mal beeilen, bis er in die Gänge kommt, sind andere schon lange abgefahren.“

„Der schläft doch meistens und wenn er mal aufwacht, dann hat er nur die Hälfte verstanden. Den sollte wir wirklich mal austauschen.“

Es war generell die Gepflogenheit im Hause, über Abwesende mit ironischem Unterton und geringschätzig zu sprechen, aber man vermied die direkte Konfrontation. Selbst Dr. Pauli äußerte sich über Abwesende oft abfällig. Er hatte die Gewohnheit, jeden Menschen, mit dem er gerade im Gespräch war, als seinen Vertrauten zu behandeln, wodurch dieser sich besonders geschmeichelt fühlte. Das hinderte ihn aber nicht, in anderer Konstellation Schlechtes über diese Person zu sagen. Jeder, der Pauli zum ersten Mal traf, fühlte sich deshalb von seiner überaus charmanten und gewinnenden Art angezogen. Erst im Laufe der Zeit merkten seine Gesprächspartner, dass vieles nicht immer aufrichtig gemeint war, man wurde vorsichtig. Diese Vorsicht bestimmte das Denken und Handeln der Menschen in seiner engsten Umgebung. Man sprach wenig miteinander aber viel übereinander. Jeder wusste es, kannte die Schwächen des anderen, hielt sich aber an die Spielregeln, jedenfalls solange Pauli der mächtige Firmenchef war.

Kramer rief Winter sofort von seinem Büro aus an.

„Sie haben vorhin von den großen Projekten mit Frankreich und Schweden gesprochen. Soweit ich weiß, steht das ‘Vision-Projekt‘ kurz vor dem Abschluss, die Hardware ist schon in der Erprobung, die Software ist fertig, ist das richtig?“

„Vollkommen richtig“, stotterte Winter. Doch ganz so richtig war es nicht, deshalb fügte er hinzu: „Sofern nichts Unvorhersehbares dazwischenkommt.“

„Was soll denn passieren, ich gehe davon aus, dass Sie Ihren Laden richtig im Griff haben. Dann können Sie doch den Auftrag schon jetzt abrechnen!“

„Eigentlich nicht, erst nach der Erprobung und Abnahme durch die Schweden, so wurde es im Vertrag festgelegt, und dies erfolgt erst in zwei oder drei Wochen.“

„Also passen Sie mal gut auf: Sie gehen davon aus, dass alles vertragsgemäß klappt, dann schreiben Sie noch heute die Rechnung über den Gesamtbetrag von 15 Mio., das war doch der Betrag, nicht wahr? Buchen Sie den Betrag noch in das alte Jahr, wir brauchen das Ergebnis, verstanden?“

„Und wenn später etwas schiefgeht?“

„Es darf nichts schiefgehen, und wenn, dann überlegen wir gemeinsam, was zu tun ist. Vergessen Sie nicht, worum es geht. Sie wissen, dass Sie in der neuen Firmenstruktur eine tragende Rolle spielen werden. Ich habe gerade mit Dr. Pauli gesprochen, aber sprechen Sie auf keinen Fall darüber. Das ist noch top-secret.“

„Ich weiß Ihr Vertrauen zu schätzen und werde noch heute die Rechnung schreiben“, sicherte Winter ihm zu.

Kramer legte zufrieden den Hörer auf. Er wusste, wie er seine Leute zu nehmen hatte.

Dr. Pauli hatte in der Zwischenzeit seinen Wirtschaftsprüfer angerufen. Man verabredete sich in der ‘Alten Post` in Stuttgart gegen 13 Uhr. Frau Feiner reservierte den Tisch für drei Personen.

„Wie weit sind wir mit den Grundstücksverträgen mit der Deutschen Leasing AG, sind die fertig?“ erkundigte sich Pauli.

„Ja, ich habe sie gerade durchgesehen, Dr. Johannes hat sie heute Morgen geschickt. Scheint alles in Ordnung zu sein.“

„Haben Sie schon einen Termin beim Notar?“

„Ja, wir können gleich zur Unterschrift kommen.“

„Gut, Schäfer soll uns nach Sindelfingen fahren. Wir können uns dann zum Mittagessen mit Dr. Schubert verabreden.“

Der Fahrer wartete bereits vor der Tür. Trotz des regen Verkehrs waren sie in einer halben Stunde beim Notar und leisteten die Unterschrift unter die Verkaufsverträge des Verwaltungsgebäudes der Micro-Technik. Der Wert war wie vorgesehen auf 10 Millionen Mark festgesetzt worden. Die beiden Gesellschaften, die ‘Micro-Technik GmbH‘ und die ‘Pauli Systemtechnik GmbH‘ garantierten für die Bezahlung der festgesetzten Leasing-Raten. Diese Forderung hatte die Leasing Gesellschaft durchgesetzt. Fritz Pauli hatte zwar erhebliche Vorbehalte gemacht, weil er mit seiner Firma eventuelle Verpflichtungen einging für Verträge, die ihn eigentlich nichts angingen, aber seine sicherlich berechtigten Einwände waren ziemlich schnell beiseite gewischt worden: „Ich verstehe deine Bedenken nicht, du brauchst doch nichts zu zahlen, aber du bist auch Nutznießer, wenn wir das Geld in der Kasse haben. Dann können wir expandieren, du kannst neue Vertriebsgesellschaften gründen. Aber du siehst die Chancen nicht, du mit deinen ewigen Bedenken gehst mir langsam auf die Nerven. Wenn ihr im letzten Jahr einen größeren Gewinn gemacht hättet, dann wäre der Verkauf des Verwaltungsgebäudes jetzt gar nicht nötig!“

Dr. Pauli hatte seinen Bruder schnell wieder in die Reihe gebracht.

Dr. Schubert saß bereits an dem reservierten Tisch am Fenster und studierte die Speisenkarte als Dr. Pauli und Dr. Kramer eintrafen.

„Der Koch empfiehlt ‘Coq au vin‘ mit einer Burgunder Sauce. Oder wenn Sie lieber Fisch essen wollen, dann schlägt er einen Baby Steinbutt vor. Sonst müssen Sie in die Speisekarte schauen, Sie werden sicher etwas finden. Man isst hier ausgezeichnet.“

Schubert war Stammgast in dem Nobel Restaurant. Das sah man ihm durchaus an, sein gutmütiges Gesicht ruhte auf einem fülligen Körper. Aber er kleidete sich vorteilhaft, so dass er eine gepflegte Erscheinung abgab. Er war mit Dr. Pauli freundschaftlich verbunden und gehörte dem Beirat der Firma seit Jahren an.

Die Bestellung wurde aufgegeben und man nahm einen Aperitif.

„Ich habe eben von der Wehrtechnik die letzte Ausgangsrechnung und die entsprechenden Buchungen mitgebracht. Es ist der Umsatz noch um rund 15 Mio. gestiegen. Die Buchhaltung hatte vergessen, die Rechnungen rechtzeitig rauszuschicken, aber Sie können sie noch in die Bilanz nehmen“, eröffnete Pauli das Gespräch, „wir sind sehr froh, denn nun können wir den Gewinn in Höhe von ca. 7 Mio. ausweisen. Das dürfte ausreichend sein um unsere Banken und Anteilseigner zufriedenzustellen.“

„Das sollte ausreichend sein“, bestätigte auch Dr. Schubert zufrieden. „Ich hoffe nur, dass Ihnen der Umsatz nicht im nächsten Jahr fehlt.“

„Wird er nicht! Wir hatten heute Morgen ein ausführliches Gespräch mit unseren Geschäftsführern der operativen Gesellschaften. Die sind alle mit dem derzeitigen Geschäftsverlauf sehr zufrieden. Wir werden, wenn alles gut geht, das Planziel für das nächste Jahr von 8 Millionen Mark Ergebnis sicher erreichen, wahrscheinlich weit übertreffen.“

„Hört sich gut an.“

„Außerdem wollen wir noch in diesem Jahr an die Börse. Wir hatten darüber neulich ausführlich gesprochen. Deshalb brauchen wir ganz schnell die von Ihnen testierte Bilanz, können Sie sie bis Anfang der kommenden Woche testieren?“

„Das müsste gehen, wir sind ja praktisch fertig. Wenn Sie mir gleich eine Kopie der Rechnung mitgeben, machen wir die letzten Buchungen noch bis morgen. Dann haben Sie die Bilanz am Montag.“ Dann fragte er vorsichtig: „Wenn Ihre Firma in diesem Jahr in eine börsennotierte Aktiengesellschaft umgewandelt wird, bleiben wir dann Ihr Wirtschaftsprüfer?“

„Davon dürfen Sie mit Sicherheit ausgehen, wir werden unsere alten Freunde doch nicht aufgeben. Sie haben uns die letzten zehn Jahre begleitet und das soll auch so bleiben.“

„Zwölf Jahre“, korrigierte Schubert.

„Wie die Zeit vergeht! Es waren nicht immer leichte Jahre, aber wir haben es immer geschafft. Jetzt mit der Aussicht auf ein vergrößertes Kapital können wir ganz anders arbeiten. Wir haben große Projekte ‘in der Pipeline‘ und gerade vor wenigen Tagen ‚wurde uns die Firma ‘Möbius Bauelemente GmbH‘ zum Kauf angeboten. Die Firma ist von Grund auf solide und passt hervorragend zu uns.“

„Das hört sich alles gut an“, nickte Schubert schon ziemlich ermüdet von dem schweren Essen.

Im Büro wartete die Sekretärin, Frau Feiner, bereits ungeduldig auf Dr. Pauli. Herr Hilbert von der German Bank hat noch mal angerufen und bittet um einen Rückruf. Ich verbinde Sie gleich.“

Herr Hilbert gab Dr. Pauli namens des Vorstands der German Bank grünes Licht für den Börsengang, falls die Bilanz in Ordnung sei.

Die Bilanz war bezüglich des ausgewiesenen Ergebnisses tatsächlich gut, zeigte aber eine zu geringe Eigenkapitalquote. Die wesentlichen Schwachstellen waren die hohen Warenbestände, sie machten fast 60% des Umsatzes aus. Pauli war von den Banken und auch von Herrn Schubert immer wieder auf die zu hohen Bestände aufmerksam gemacht worden, aber es gelang offenbar nicht, sie zu senken. Dazu wurde von den Geschäftsführern erklärt, die Warenbestände seien in dieser Höhe unbedingt notwendig, um die gute Lieferbereitschaft zu erhalten. Die Kunden forderten schnelle Lieferung, vor allem bei der Ersatzteilversorgung. Aber man arbeite daran und werde weiter versuchen, die Bestände abzubauen.

Außerdem bereiteten die hohen Außenstände erhebliche Sorgen, insbesondere die Forderungen an die konzerneigenen Tochtergesellschaften im Ausland. Als Erklärung gaben die Verantwortlichen an, es handele sich um die Finanzierung langfristiger Projektgeschäfte mit staatlichen Stellen, die für ihre langsame Zahlungsweise bekannt seien. Aber die Zahlungen wären in jedem Fall gesichert. Die German Bank machte, neben anderen Banken, gute Geschäfte mit Pauli, und da die Ergebnisse seit Jahren gleichbleibend positiv waren, gab es auch keinen Grund zur Beunruhigung. Man befand sich in gutem Einvernehmen mit der Firmenleitung.

Die Geschäftsführung genoss hohes Ansehen nicht nur bei den Banken, auch im Unternehmerverband sprach man nur mit Hochachtung von Dr. Pauli. Man hatte ihm unlängst eine herausragende Stellung in diesem für die Wirtschaft des Landes so wichtigem Verband angeboten. Da er auch zur Landesregierung, speziell zum Ministerpräsidenten, eine sehr gute Beziehung hatte, sprach alles für ihn. Pauli hatte aber stets unter Hinweis auf seine hohe Arbeitsbelastung mit Dank abgewinkt. Es hätte ihn durchaus gereizt, schmeichelte auch seinem ‘Ego‘, aber er sah keine Möglichkeit, die notwendige Zeit aufzubringen. Jeder hatte dafür Verständnis, bedauerte aber doch die Absage. Man hätte sich mal wieder einen richtigen Mittelständler in hoher Funktion gewünscht, nicht immer einen Vertreter der Großindustrie, der die Sorgen und Nöte des Mittelstandes doch nicht verstehen könnte.

Die folgenden Verhandlungen mit den Banken über den Börsengang zogen sich über Monate hin, verliefen aber insgesamt positiv. Pauli strebte eine breite Streuung des Aktienbesitzes an. Er wollte keinesfalls einen Großaktionär, der möglicherweise später einmal durch gezielte Zukäufe von Aktien einen beherrschenden Einfluss auf seine Firma gewinnen könnte. Aus diesem Grund wurde das Kapital in namenrechtslose Vorzugsaktien und in stimmberechtigte Stammaktien geteilt. Dr. Pauli wollte unbedingt den beherrschenden Einfluss behalten, brauchte aber dringend neues Kapital.

„Ein breiter Streubesitz ist für uns das Beste, was uns passieren kann“, sagte er immer wieder zu seinem Kollegen und seinen Geschäftsführern, „wir erschließen uns den Zugang zum Kapitalmarkt und behalten unsere Selbständigkeit.“

In diesem Sinne verhandelte er auch mit den Banken, insbesondere mit Herrn Hilbert, und man verständigte sich dementsprechend mündlich in einem Gentlemans Agreement. Größere Aktienpakete sollten nur von Kapitalanlegern erworben und gehalten werden, die keine eigenständigen industriellen Interessen verfolgten. Versicherungsgesellschaften waren willkommen ebenso wie Banken und auch Versorgungsunternehmen, keinesfalls aber Maschinenbauer, Elektronikfirmen und Hersteller von militärischen Gütern. Dabei wurde die Sicherung des Know-hows offiziell immer besonders betont, für den Vorstand ging es aber um die Wahrung der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Außerdem wollte man keinen tieferen Einblick in das interne Geschäftsgebaren gewähren.

Doppel-Infarkt

Подняться наверх