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6. Die Auswirkungen von Umstrukturierungen im Unternehmen auf die Verbandsgeldbuße

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Die Frage, wie sich Umstrukturierungen in einem Unternehmen auf die gegen eine unternehmensangehörige juristische Person oder Personenvereinigung festgesetzte oder noch festzusetzende Verbandsgeldbuße auswirken, war vor der 8. GWB-Novelle von 2013 (o. Rn. 14) gesetzlich nicht geregelt. Für den wichtigsten Anwendungsfall, die Gesamtrechtsnachfolge, hatte jedoch der BGH in st. Rspr. eigene Grundsätze entwickelt.[67] Aus dem für § 30 OWiG geltenden Rechtsträgerprinzip leitete der BGH ab, dass eine bloße Änderung der Firma oder der Wechsel der Rechtsform auf die Verantwortlichkeit nach § 30 OWiG ohne Einfluss blieb, weil sie die Identität des Rechtsträgers nicht berühren. Sonst konnte nach seiner Ansicht gegen den Rechtsnachfolger eine Geldbuße nur dann verhängt werden, wenn zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung „nahezu Identität“ besteht. Eine solche auch als „wirtschaftliche Identität“ bezeichnete Übereinstimmung sollte dann gegeben sein, wenn das „haftende Vermögen“ weiterhin vom Vermögen des nach § 30 OWiG Verantwortlichen getrennt, in gleicher oder ähnlicher Weise wie bisher eingesetzt wird und in der neuen juristischen Person einen wesentlichen Teil des Gesamtvermögens ausmacht.[68] Eine weitergehende Erstreckung der bußgeldrechtlichen Verantwortlichkeit auf den Rechtsnachfolger sah der BGH als durch das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG ausgeschlossen an, weil nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 OWiG nur diejenige juristische Person oder Personenvereinigung („diese“) mit einer Geldbuße belegt werden konnte, deren in Leitungsfunktion handelnde Mitarbeiter ein Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen haben.[69] Allerdings hat der BGH in dem Melitta-Beschluss von 2015 seine Grundsätze dann doch etwas erweitert; danach soll es schon ausreichen, wenn das übernommene Vermögen eine wirtschaftlich selbständige, die neue juristische Person prägende Stellung behalten hat, ohne dass das übrige Vermögen des neuen Rechtsträgers vollständig oder nahezu vollständig in den Hintergrund treten muss.[70]

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Um die vom BGH[71] durchaus gesehenen Möglichkeiten der Unternehmen, „eine drohende bußgeldrechtliche Sanktion durch gezielte Wahl gesellschaftsrechtlicher Gestaltungen zu umgehen,“ zu beseitigen oder doch zu verringern, hat der Gesetzgeber der 8. GWB-Novelle eine Ergänzung des § 30 OWiG in das Gesetz aufgenommen: Nach § 30 Abs. 2a OWiG[72] kann die Verbandsgeldbuße im Falle der Gesamtrechtsnachfolge und der partiellen Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung gemäß § 123 Abs. 1 UmwG gegen den oder die Rechtsnachfolger festgesetzt werden (so Satz 1 der Norm). In der Literatur wird dies z.T. als Verstoß gegen das Schuldprinzip gerügt.[73] Es geht jedoch nicht darum, dass dem das Unternehmen ganz oder zum Teil übernehmenden Rechtsnachfolger das Verhalten der Leitungspersonen des Rechtsvorgängers zum Vorwurf gemacht wird, sondern allein um die Übernahme der schon dem Rechtsvorgänger gegenüber durch die von seinem Leitungspersonal verwirklichte betriebsbezogene Straftat oder Ordnungswidrigkeit begründeten Geldbußlast durch den Rechtsnachfolger als Teil von dessen Eintritt in die Rechtsstellung des Vorgängers.[74] § 30 Abs. 2a OWiG gilt in dem gesetzlichen Rahmen auch für die wiederholte bzw. mittelbare Rechtsnachfolge bei Umstrukturierungsmaßnahmen, die – etwa bei einer Neuordnung innerhalb einer Unternehmensgruppe – aufeinander folgen.[75]

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Gemäß § 30 Abs. 2a S. 2 Alt. 1 OWiG darf die Höhe der Verbandsgeldbuße gegen den Rechtsnachfolger den Wert des übernommenen Vermögens nicht übersteigen; zusätzlich begrenzt § 30 Abs. 2a S. 2 Alt. 2 OWiG die Verbandsgeldbuße gegen den Rechtsnachfolger auf die Höhe der gegenüber dem Rechtsvorgänger angemessenen Geldbuße.[76] Ist eine Verbandsgeldbuße noch nicht festgesetzt worden, so lässt das Gesetz damit die Zumessung einer hypothetischen Geldbuße gegen den Rechtsvorgänger und die Feststellung der Umstände zu, die dafür maßgeblich gewesen wären. Zugleich kann es aber nach den allgemeinen Zumessungskriterien auch zu einer Reduzierung der Verbandsgeldbuße gegen den Rechtsnachfolger aufgrund von Umständen kommen, die nur bei ihm vorliegen[77]. Die 9. GWB-Novelle von 2017 hat allerdings für den gesamten Bereich der Kartellordnungswidrigkeiten die Anwendung dieser Begrenzungen aufgehoben (§ 81 Abs. 3b S. 3 und 4 GWB; s.u. 3. Teil 6. Kap. Rn. 43). Nach § 30 Abs. 2a S. 3 OWiG tritt der Rechtsnachfolger oder treten die Rechtsnachfolger in die Verfahrensstellung ein, in der sich der Rechtsvorgänger zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Rechtsnachfolge befunden hat. Verfahrenshandlungen des Rechtsvorgängers und gegenüber dem Rechtsvorgänger wirken danach gegen ihre(n) Rechtsnachfolger; das gilt insbesondere für die Verjährungsunterbrechung.[78]

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§ 30 Abs. 2a OWiG deckt aber nur einen Teil der für eine Umstrukturierung bestehenden Möglichkeiten ab. Nicht erfasst von der Neuregelung werden folgende Gestaltungen:

Wenn bei der Rechtsnachfolge auf der einen oder anderen Seite eine natürliche Person beteiligt ist, greift die Norm nicht ein. Weder der Wechsel eines einzelkaufmännischen Unternehmens in die Rechtsform einer juristischen Person oder Personenvereinigung noch die Fortführung eines ursprünglich von einer juristischen Person oder Personenvereinigung betriebenen Unternehmens durch eine Einzelperson als deren Rechtsnachfolger oder die Anwachsung bei einer natürlichen Person fallen unter die allein für die Verbandsgeldbuße geltende Regelung.[79]
§ 30 Abs. 2a OWiG erfasst von den Formen der partiellen Gesamtrechtsnachfolge allein die Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 UmwG), nicht aber die Abspaltung und die Ausgliederung i.S. von § 123 Abs. 2 und 3 UmwG, in denen der ursprüngliche Rechtsträger zumindest vorläufig weiter bestehen bleibt.[80]
Die Neuregelung spart die Einzelrechtsnachfolge, also den Erwerb einzelner wesentlicher Vermögensgegenstände im Wege der Einzelrechtsübertragung, völlig aus.[81] Das betrifft besonders den „asset deal“, die Betriebsübertragung durch sachenrechtliche Verfügungen bei Fortbestand der gesellschaftlichen „Hülle“; problematisch kann aber auch eine Entreicherung des ursprünglichen Vermögensträgers durch Übertragung von Vermögensgegenständen sein, welche sich bei der Zumessung der Geldbuße auswirkt.[82]

In Kartellbußgeldsachen haben einige Unternehmen die in diesen Begrenzungen des § 30 Abs. 2a OWiG liegenden Gestaltungsmöglichkeiten genutzt, um Unternehmensträger, gegen die Verbandsgeldbußen festgesetzt worden waren, erlöschen zu lassen, ohne dass ein Übergang der Geldbußschuld auf einen Nachfolger möglich war; insbesondere im Falle des vom BKartA 2014 mit Geldbußen in Höhe von insgesamt ca. 338 Mio. Euro geahndeten Wurstkartells hatte das dazu geführt, dass nur etwa 100 Mio. Euro vollstreckt werden konnten. Als Reaktion darauf hat die 9. GWB-Novelle von 2017 zur Schließung dieser polemisch so genannten „Wurstlücke“ in dem neuen Abs. 3a bis 3e des § 81 GWB eine auf das Kartellrecht beschränkte „unternehmensgerichtete Sanktion“ geschaffen (3. Teil 6. Kap. Rn. 42 ff.). Außerhalb davon bestehen die Möglichkeiten einer kreativen Ausnutzung der Grenzen des § 30 Abs. 2a OWiG also weiter.

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Völlig kontrovers beurteilt wird die intertemporale Rechtsanwendung bei dem Übergang von den zu § 30 OWiG a.F. entwickelten Rechtsprechungsgrundsätzen zu der Neuregelung in § 30 Abs. 2a OWiG in Fällen, in denen die Anknüpfungstat einer Verbandsgeldbuße vor dem 30.6.2013 beendet war. Einige nehmen an, dass die Rechtsprechungsgrundsätze ergänzend oder alternativ zu der Neuregelung gelten.[83] Dagegen spricht jedoch die Überzeugung aller gesetzgebenden Instanzen, dass die Neuregelung in § 30 Abs. 2a OWiG auch insoweit als abschließend und nur durch gesetzgeberische Maßnahmen abänderbar anzusehen ist, als sie bestimmte Gestaltungen nicht regelt.[84] Andere befürworten die Anwendbarkeit der Neuregelung nur dann, wenn sowohl die Kartellordnungswidrigkeit als auch der Rechtsnachfolgetatbestand nach (oder genauer: seit) dem 30.6.2013 verwirklicht wurden.[85] Eine differenzierende Auffassung will dagegen die Neuregelung schon dann anwenden, wenn zwar die Tat vor diesem Stichtag beendet, der maßgebliche Zivilrechtsakt für die Gesamtrechtsnachfolge aber erst nach dem Inkrafttreten des § 30 Abs. 2a OWiG vorgenommen wurde.[86] Dagegen wiederum spricht indes, dass die Rechtsprechung die Anwendbarkeit von § 30 OWiG auf die Rechtsnachfolge insgesamt zu Recht an Art. 103 Abs. 2 GG gemessen hat;[87] diese Verfassungsgarantie stellt aber auf den Zeitpunkt ab, „bevor die Tat begangen wurde“. Danach greift nicht nur das Analogieverbot, sondern auch das ebenfalls aus dieser Verfassungsgarantie hergeleitete Verbot der belastenden Rückwirkung straf- und bußgeldrechtlicher Regelungen ein, das für den Gesamt-Tatbestand aus Begehung der Anknüpfungstat, Begründung der Verbandsverantwortlichkeit und Übergang auf einen Rechtsnachfolger gelten muss.[88] Nach allgemeinen Regeln gilt insoweit als Ergänzung des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots das Meistbegünstigungsgebot des § 4 Abs. 3 OWiG. Danach wirkt das neue Recht zurück, soweit die Neuregelung sich für den betroffenen Unternehmensträger konkret günstiger auswirkt (etwa bei § 30 Abs. 2a S. 2 OWiG); soweit es strenger ist, gilt dagegen das Rückwirkungsverbot.

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