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5. Die Anforderungen an die Anknüpfungstat

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Die Anknüpfungstat wird im StGB als „rechtswidrige Tat“ (§ 73b Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 73 Abs. 1 S. 1, § 73a StGB) und in § 29a OWiG als „mit Geldbuße bedrohte Handlung“ umschrieben. Das Gesetz will also die Maßnahme unabhängig davon zulassen, ob der für den „anderen“ handelnde Beteiligte die Tat schuldhaft (vorwerfbar) begangen hat, und will sich mit der Feststellung der Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des Verhaltens begnügen (s. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB, § 1 Abs. 2 OWiG). Ob sich diese Konzeption durchhalten lässt, ist jedoch seit dem Übergang von der Netto- zur Bruttoabschöpfung im Jahre 1992 zweifelhaft geworden. Denn nach dem Bruttoprinzip wird nicht nur eine Bereicherung des durch eine Straftat Begünstigten beseitigt, sondern es wird ihm, indem die zuvor aus seinem eigenen Vermögen erbrachten Kostenanteile ebenfalls der Einziehung unterworfen werden, in aller Regel eine weitergehende Vermögenseinbuße zugefügt. Der Verfall bisherigen Rechts wurde daher nach überwiegender Literaturauffassung insoweit seit der Einführung der Bruttoabschöpfung als strafartige Maßnahme angesehen.[17]

Anderer Ansicht ist seit Einführung des Bruttoprinzips die Praxis: Das BVerfG hat den Verfall als selbständige nicht-pönale Maßnahme mit einem präventiven Zweck beurteilt, die durch einen vermögensordnenden Zugriff von hoher Hand Anreize für gewinnorientierte Delikte reduzieren solle; zugleich hat das BVerfG dem Verfall eine risikozuweisende Wirkung zugeschrieben, wie sie im bürgerlichen Recht § 817 Satz 2 BGB entfalte.[18] Auch der BGH hat den Verfall nicht als Strafe, sondern als Maßnahme eigener Art zur Abschöpfung des durch die Tat erlangten Vorteils angesehen, die primär einen Präventionszweck verfolge; das Bruttoprinzip habe lediglich im Interesse der Praxistauglichkeit zu einer Modifikation des Berechnungsmodus geführt, den Rechtscharakter des Verfalls aber unberührt gelassen.[19] Für die Praxis war die Frage damit entschieden. Zum neuen Recht geht der auch RegE des VermAbschRefG weiterhin von einem quasi-kondiktionellen Charakter der Vermögensabschöpfung und der Geltung des Rechtsgedankens von § 817 S. 2 BGB aus.[20] Problematisch ist allerdings die Vereinbarkeit dieser deutschen Rechtsprechung mit der des EGMR zu Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK[21]. Der EGMR spricht sich für eine Auslegung des Begriffes der Strafe in dieser menschenrechtlichen Garantie als autonomer Begriff der Menschenrechtskonvention aus;[22] die „confiscation order“ nach britischem Recht, die sich wie die Einziehung nach dem Bruttoprinzip „nicht auf die tatsächliche Bereicherung oder den tatsächlichen Gewinn beschränkt“, hat der EGMR danach als Strafe beurteilt.[23]

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Schreibt man der Einziehung des durch die Tat Erlangten mit der überwiegenden Literaturauffassung im Hinblick auf die aus dem nicht tatverstrickten Vermögen aufgewandten Kostenanteile Strafcharakter zu, so ist bezüglich der Anforderungen an die Anknüpfungstat zu differenzieren:[24]

Nur soweit dem Begünstigten durch die Einziehung allein ein durch oder für die Tat erlangter Vermögensvorteil entzogen wird, ohne dass Aufwendungen irgendeiner Art veranschlagt werden müssten, reicht auch heute noch eine bloße rechtswidrige Tat bzw. eine mit Geldbuße bedrohte Handlung als Anknüpfungstat.
Soweit dagegen dem Begünstigten durch die Einziehung des durch die oder aus der Tat Erlangten oder seines Wertes auch der Betrag der Kosten entzogen wird, die er für die Erlangung des Tatentgelts oder des Tatgewinns aus seinem Vermögen aufgewandt hatte,[25] müssen die §§ 73b und 73d StGB sowie 29a OWiG einer verfassungskonformen teleologischen Reduktion unterworfen und in dem Sinne interpretiert werden, dass eine schuldhafte Verstrickung des Einziehungsadressaten in die Anknüpfungstat erforderlich ist: Den durch die Tat begünstigten „anderen“ muss an der Anknüpfungstat ein Verschulden treffen, wenn der Einziehung Kostenanteile unterworfen werden, die er selbst aufgewandt hatte.[26] Da nach der Rechtsprechung des BVerfG für überpersonale Einheiten nur die Schuld der für sie verantwortlich handelnden Personen maßgeblich sein kann,[27] setzt also die Anordnung der unternehmensbezogenen Brutto-Tatertragseinziehung eine im strafrechtlichen Sinne schuldhafte Beteiligung der für das Unternehmen handelnden Leitungspersonen an der Anknüpfungstat voraus – sei es als Mittäter oder mittelbarer Täter oder als schuldhaft handelnder Teilnehmer im strafrechtlichen Sinne, sei es als vorwerfbar handelnder Beteiligter i.S.v. § 14 OWiG (s. dazu unten 1. Teil 3. Kap. Rn. 3).[28] Das Schuldprinzip verlangt dabei auch Beachtung auf der Rechtsfolgenseite: Der Zugriff auf den gesamten Erlös kann nur insoweit zugelassen werden, als er mit dem Maß des Verschuldens des Einziehungsadressaten vereinbar ist.[29]
Handbuch Wirtschaftsstrafrecht

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