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»Fu«

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Auf dem Marktplatz von Nantala, nur wenig später

Alessandra klammerte sich am Sattelknauf fest. Das Pferd, das man ihr überlassen hatte, war entschieden ruhiger als sie selbst. Obwohl ringsherum große Aufregung herrschte und das ganze Dorf auf den Beinen war, tänzelte es nicht einmal. Rocco, der Sohn des Böttchers, steckte ihr Blumen zu. »Meine Gedanken sind hei dir!« rief er, und seine Augen leuchteten dabei vor Begeisterung.

»Vorwärts!« Der collector hob den Arm und wies auf die Berge. Langsam setzte sich der kleine Reitertrupp in Bewegung. Kinder liefen vor ihnen her und streuten wilde Feldblumen und Farnzweiglein auf den Weg.

»Halt, noch nicht!« Guillamo kämpfte sich durch das Gedränge. »Das mußt du noch mitnehmen!« Er hielt einen Beutel aus dunkelrotem Leder hoch.

»Was ...«

Der Älteste drückte ihr den Beutel in die Hand. »Die Beinaugen der Norgas. Der Preis der Harpunierin. Die Flenser haben sie heute herausgeschnitten. Nimm sie mit! Kein anderer hat ein Anrecht darauf.«

Alessandra schluckte, unfähig zu antworten. Eine solche Geste hätte sie von Guillamo niemals erwartet.

»Mach unserem Dorf Ehre!« Seine gichtkrummen Finger drückten ihre Hände. »Du bist eine Auserwählte. Ich ...« Die Stimme brach ihm.

»Los jetzt!« rief der collector verärgert. »Uns läuft schon die Zeit davon.«

Einer der Söldner griff nach den Zügeln von Alessandras Stute. Die Harpunierin kämpfte einen kurzen Anfall von Panik nieder, als sich ihr Pferd ruckend in Bewegung setzte. So fest umklammerte sie den Sattelknauf, daß sie einen Krampf in der rechten Hand bekam. Sie biß die Zähne zusammen. Bloß nicht stürzen! Verfluchte Pferde! Sie war ein Mensch, dessen Beine mit dem Boden Berührung haben mußten. Selbst wenn sie nur über die Planken eines Bootes stolperten, das donnernd durch die Wellen der aufgewühlten See schnitt. Aber ein Pferd ... Zwei Ellen Luft zwischen dem Erdboden und ihren Sohlen, nein, das war nichts für sie.

Die Gruppe hatte den Rand des Dorfes erreicht. Aus dem Schatten der Silberpappeln am Ufer des kleinen Bachs, der von der Ziegenklamm herabkam, trat eine hünenhafte Gestalt.

»Tormo mit dem Mäusehirn!« riefen die Kinder, die noch immer neben den Pferden einherliefen, doch der Hüne störte sich nicht daran. Mit drei langen Schritten war er neben Alessandra.

Die Walfängerin sah aus den Augenwinkeln, wie der Söldner, der neben ihr ritt, nach seinem Kurzschwert tastete.

»Was willst du, Tormo?«

Der Hüne deutete hinab auf das Meer, stieß röchelnde Laute aus und griff sich an den Hals.

»Ich verstehe dich nicht.«

Tormo griff nach ihren Händen auf dem Sattelknauf. Sein Atem ging keuchend, als er versuchte, mit den Pferden Schritt zu halten. Immer wieder stieß er einen Laut hervor, der wie Fu klang. Schließlich blickte er nur noch hilflos zu ihr auf.

»Sag dem Irren, er soll gehen«, herrschte einer der Söldner Alessandra an. »Sonst machen wir deinem Freund Beine!«

Tormo griff in sein Hemd und zog die winzige Maus hervor, die er dort verborgen hielt. Ängstlich krallte sich die kleine Kreatur an seinem Mittelfinger fest, als der Hüne die Hand zu Alessandra ausstreckte.

Der Söldner brach in schallendes Gelächter aus. »Ich kenne etliche Drecksäcke, die Flöhe und Wanzen haben, aber dieser verrückte Riese übertrifft sie alle. Der hat wohl ein ganzes Mäusenest in seinem Brusthaar versteckt!«

Hilflos versuchten Tormos Lippen Worte zu formen. Tränen standen ihm in den Augen. Alles, was er stammeln konnte, war: »Fu ... Fu ... Fu!«

Alessandra griff nach der Maus. Sie wußte nicht, was sie mit dem kleinen Nager anstellen sollte, doch sie war entschlossen, diesem unwürdigen Spektakel ein Ende zu bereiten. Das Tierchen fühlte sich warm an. Es zitterte, als sich ihre Hand um den pelzigen kleinen Körper schloß. Ganz schwach spürte sie seinen rasenden Herzschlag.

Tormo stieß einen gellenden Schrei aus. Einen Laut, in dem sowohl Verbitterung als auch Erleichterung mitschwangen.

Alessandras Stute scheute bei dem unerwarteten Geräusch. Fast stürzte die Harpunierin aus dem Sattel, und ihre Hände krallten sich in die Mähne, während sie spürte, wie die Maus im Ärmel ihres Hemdes hochkroch.

Tormos Schritte wurden schwerfälliger. Er konnte nicht mehr länger mit den Pferden mithalten. Seine Hand glitt vom Sattelknauf. Taumelnd blieb er zurück.

Der Wahrträumer

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