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Iudicator
ОглавлениеMonte Flora, im Palast des princeps, am 8. Tag des Sturzregenmondes, im 458. Jahr der Abwesenheit Gottes
Francisco versteifte sich, und ein stechender Schmerz fuhr durch die Wunde in seiner Seite. Er saß auf einem hohen Lehnstuhl an einem der Fenster im Palast des princeps und betrachtete die Aufbauarbeiten in der Stadt. Jahrhundertelang war an Monte Flora gebaut worden. Es hatte zu den schönsten Metropolen des Imperiums gehört. Die Stadt lag auf einem sanft ansteigenden Hügel, aus dem drei steile Felstürme emporwuchsen. Diese Klippen wurden vom castrum dei, dem Siechenhaus und dem Palast des princeps gekrönt, der an jener Stelle stand, an der sich einst die Burg des dux cornia, des Fürsten der Provinz, erhoben hatte.
Hier oben, vom Palast aus betrachtet, schien es, als sei der Hügel in Hunderte roter Terrassen eingeteilt, die von prächtigen Gärten eingefaßt wurden. Es waren die roten Pfannen der Dächer, die diesen Eindruck erweckten. Sie hoben sich auf das prächtigste von den weißgekalkten Mauern der Häuser ab.
Die meisten Wohnhäuser hatten einen quadratischen Grundriß und erhoben sich fünf oder mehr Stockwerke über die Straßen. Sie standen auf breiten Fundamenten, und dicke Mauern schirmten ihre Bewohner gegen die brütende Hitze des Sommers ab. Die älteren Häuser im alten Stadtkern wirkten zur Straße hin oft abweisend. Ihre Eingangstüren waren nur über schmale Stiegen zu erreichen, und Festungstoren gleich waren sie aus starken Bohlen gezimmert. Sie galten als Zeugen jener unruhigen Zeiten der Bürgerkriege, die das alte Imperium immer wieder erschüttert hatten. So verfügten Erdgeschoß und erstes Stockwerk dieser Häuser nur über Fenster, die so schmal wie Schießscharten waren und kaum Licht hereinließen. Um so üppiger waren dafür die Fenster der oberen Etagen gestaltet. In spitzen Bogen oder kunstvollen Rosetten prunkten sie mit buntem Glas, das zu wundervollen Bildern gefügt war. Auch gab es Erker und kleine Balkone, die sich über die Straßen erhoben.
War man mit den Sippen der Nachbarhäuser befreundet, so spannten sich auch Brücken aus Holz oder sorgsam gefügten Steinen zwischen den Häusern, so daß die Familien nach Laune einander besuchen konnten, ohne einen Fuß auf die Straße setzen zu müssen.
Überall waren bunte Sonnensegel über Gassen und Märkten gespannt, die die Hitze des Tages und die plötzlichen Regenschauer abhielten. Am auffälligsten im Stadtbild waren indessen die hohen, schlanken Türme, die wie dunkle Nadeln weithin sichtbar aus dem roten Meer der Dächer herausstachen. Es waren Totentürme, die düstere Spielart der Beinhäuser, in denen die weniger begüterten Bürger ihre Toten beisetzten. Aus dunklem Basalt gefügt, den man auf schweren Fuhrwerken von Steinbrüchen jenseits der Eisernen Pforte brachte. Jahrhundertelang hatten die mercatoren Monte Floras eifersüchtig darüber gewacht, daß in den Mauern ihrer Stadt die höchsten Totentürme des Imperiums standen. Selbst das stolze Maganta hatten sie in diesem Wettstreit geschlagen. Es hieß, daß aus den Grüften der Türme der Weg zu den Sternen, dorthin, wo irgendwo der Abwesende Gott weilte, weniger weit sei und daß die Seelen der Toten, die in Türmen bestattet wurden, schneller zu Aionar fanden.
Vor dem Beben hatte es dreiundvierzig Totentürme in Monte Flora gegeben. Nur zwölf waren verschont geblieben. Darunter der einhundertunddreißig Schritt aufragende Turm der Mercatorensippe da Forca. Es war der höchste Totenturm des Imperiums. Einunddreißig Türme lagen zerschmettert am Boden, und aus den Grüften waren Gebeine und Gold in die Gassen der Stadt geschleudert worden. Mancher edle Leichnam ward zum Hundefraß, und brüchige Seidenfetzen uralter Totenhemden flatterten wie welke Blätter in einem Herbststurm aus der Stadt hinaus weit aufs Land.
Doch schon waren die meisten der zerschmetterten Türme wieder eingerüstet, und die Mercatorensippen zahlten ein Vermögen, um die düstere Pracht der Türme wiederherzustellen.
Sie errichten Wohnstätten für Tote, statt den zahllosen Familien, die während des Bebens alles verloren haben, ein neues Obdach zu geben, dachte Francisco zornig. Das war Monte Flora, und nicht einmal der princeps Bernaldino vermochte etwas gegen die Selbstgefälligkeit der Reichen zu unternehmen!
Doch es gab auch die wunderbaren Ringgärten, die auf den Mauern der alten inneren Verteidigungsanlagen errichtet waren. Man hatte sie zu Terrassen ausgebaut und darauf Bäume, Büsche und Blumen aus allen Provinzen des Reiches angepflanzt. Diese farbenfrohen und duftenden Gärten durften von jedem besucht werden, und selbst jetzt, in den Zeiten der Not, fand man dort Musiker, Tänzer und Jongleure, die mit ihrer Kunst die Erschöpften erfreuten.
In Ringen war die Stadt über die Jahrhunderte gewachsen und immer wieder über ihre Festungsmauern hinausgewuchert. Und da seit Generationen keine feindlichen Heerscharen mehr in das Lantiniustal gestürmt waren, hatte man die Rolle des Wächters an der Eisernen Pforte schließlich aufgegeben und auf den Bau neuer Befestigungen verzichtet.
Einst hatte man Monte Flora gegründet, um den ersten der Pässe zu bewachen, die zu den trockenen Hochebenen führten und die das menschenleere Herz des Imperiums bildeten. Außer Agaven und dürrem Gestrüpp gediehen dort keine Pflanzen. Nur vereinzelt gab es Dörfer, die meist entlang der alten Handelsstraßen entstanden waren. Doch diese Routen nutzte kaum noch jemand, war doch der Gütertransport auf Lastschiffen schneller und billiger. So hatte Monte Flora seine Wacht an der Eisernen Pforte aufgegeben.
Franciscos Blick schweifte über die weiten Äcker, die Fruchtterrassen, die Nußbaumgärten und die Korkrindenplantagen, die sich das enge Tal hinauf nach Norden erstreckten. Tief unter dem Palast lag der südlichste Ausläufer des Lago di Ansala. Ein Gespinst von Kanälen ging von seinen Ufern aus und reichte bis weit ins Tal hinab.
Große hölzerne Schöpfräder, Norias, hoben das Wasser des Lago di Ansala auch in die Stadt hinauf. Tag und Nacht hörte man ihr Quietschen und Plätschern. Man mußte sich schon in die tiefsten Weinkeller begehen, um dem Lied der Norias, wie Poeten das Lärmen der Wasserräder nannten, zu entgehen. Francisco erinnerte sich noch gut, wie das Rauschen der Wasserräder ihn oft um die Nachtruhe gebracht hatte, als er noch neu in der Stadt war. Heute war ihr Lärmen sein Schlaflied geworden, und wenn er auf Reisen in fremden Quartieren ruhte, dann wachte er oft mitten in der Nacht mit einem Gefühl der Beklemmung auf, denn die Stille erschien ihm unnatürlich.
Doch selbst das Lied der Norias war ruhiger geworden, seitdem die Erde gebebt hatte. Ein Drittel der Wasserräder war zerbrochen, und andere mußten ruhen, weil die Kanäle verschüttet waren, durch die das Wasser des Lago di Ansala zu Brunnen und Zisternen floß.
Nur wenige Augenblicke hatte es gedauert, den Großteil der Schönheit zu zerstören, die Generationen erschaffen hatten.
Ein leises Räuspern schreckte den pater aus seinen Gedanken auf. Der princeps Bernaldino war neben den hohen Lehnstuhl getreten. Ob er dort schon lange gestanden hatte?
»Man weiß nicht, wo man mit der Arbeit beginnen soll«, klagte der Kirchenfürst. »Viele neue Aufgaben erwarten uns.«
Lag ein versteckter Vorwurf in den Worten des princeps? Francisco konnte es ihm nicht verübeln. »Welche Strafe erwartet mich für das Unheil, das aus meinem Versagen erwachsen ist?« Der collector richtete sich steif im Lehnstuhl auf, bereit, jedes Urteil mit stoischer Miene hinzunehmen.
»Nimmst du dich nicht allzu wichtig, Francisco?« Ein mildes Lächeln nahm den Worten des princeps die Spitze.
Francisco blickte überrascht auf. »Ich verstehe deine Frage nicht, Bruder.« Mit weit ausholender Geste wies er auf die Stadt. »Ich weiß nicht, wie ich für all dies Buße tun soll. All das Elend ... Manchmal wünschte ich, ich wäre nie mehr erwacht, nachdem Bruder Andres das faule Fleisch von meinen Rippen geschnitten hat. Und dann der Himmel ... Die Wolken und der viele Regen. Ist es nicht so, als habe der Aionar die Welt in ein Leichentuch gehüllt?«
Der princeps schüttelte den Kopf. »Das ist es, wovon ich rede, Bruder. Ich möchte dich nicht verletzen, doch ist dir je der Gedanke gekommen, daß deine größte Sünde deine Hoffart ist? Was macht dich so sicher, daß all dies Unglück deinetwegen geschehen ist? Verzeih mir, wenn ich es so unverblümt anspreche, aber könnte es sein, daß du dich für zu bedeutend hältst?«
Francisco wischte sich mit einem Schweißtuch über die Stirn. Nach dem Regen wurde es jedesmal so schwül, daß man kaum noch atmen zu können glaubte. Merkwürdigerweise schwitzte der princeps kaum. Seine himmelblauen Augen suchten Franciscos Blick, doch dieser wich aus.
»Die Endgültige Askese. Ich bin dir die dritte Auserwählte schuldig geblieben. Als ich ohne sie in die Stadt zurückkehrte, hat sich die Erde erhoben, um alles von Menschenhand Geschaffene abzuschütteln.«
»Bruder, ich bin der princeps von Cornia. Du mußt mir nicht predigen.« Für einen Augenblick hatte sich eine steile Falte zwischen den Brauen des Kirchenfürsten gebildet. »Findest du nicht, daß du ein wenig zu pathetisch klingst? Wenn du die Augen öffnest, dann siehst du, daß deine Worte nicht stimmen. Gewiß, sieben von zehn Häusern in der Stadt sind zerstört, ganze Straßenzüge nur Ruinenfelder. Aber mein Palast hat nur leichten Schaden genommen, und auch das castrum dei ist vergleichsweise leicht beschädigt. Ich verstehe, wie sehr dies alles dein Herz aufgewühlt hat, Bruder. Doch seit dem Unglück sind nun drei Wochen vergangen, und es wäre an der Zeit, auch wieder den Verstand zu gebrauchen. Deine kühle Logik hat mich an dir stets am meisten beeindruckt, Bruder Francisco.«
»Und kühle Logik ist noch immer der Schlüssel all meiner Gedanken«, erwiderte der Priester verletzt. »Die alten Schriften und die Legenden der Heiligen künden davon, wie allein die Kraft des Glaubens Wunder zu wirken vermag. Deshalb waren wir uns sicher, daß die Endgültige Askese, das Selbstopfer auserwählter Märtyrer, wieder Ordnung in das Buch des Himmels bringen werde. Drei collectoren wurden benannt, die Märtyrer zu finden und hierher nach Monte Flora zu bringen. Zwei haben ihre Aufgabe erfüllt. Ein dritter aber kehrt zurück und ist gescheitert. Kaum daß er die Stadt betritt, trifft sie das Strafgericht des Abwesenden Gottes. Wessen Schuld ist es also, wenn Monte Flora zerstört wurde?«
Ein hintergründiges Lächeln umspielte die Lippen des Kirchenfürsten. »Ich stelle mit Freude fest, daß dein Verstand noch immer klar wie Kristall ist, Bruder. Und doch entdecke ich in deinen Überlegungen einen entscheidenden Mangel. Kannst du dir vorstellen, daß deine Tat – oder besser gesagt: das, was du nicht getan hast – nicht der Mittelpunkt der Welt ist? Sag mir, warum haben die Bauten der Kirche von allen Gebäuden in der Stadt den geringsten Schaden davongetragen, wenn ein Mann der Kirche den Abwesenden Gott so sehr erzürnt hat? Die Welt ist groß, Francisco, und Monte Flora, so bedeutend es dir auch erscheinen mag, ist wenig mehr als ein Staubkorn in der Wüste.«
»Nun sprichst du zu mir, als wolltest du die Welt für einen Bauern in einfache Worte fassen, Bruder Bernaldino. Warum zerreißt der Totenschleier am Himmel nicht endlich? Warum verdirbt der Regen die Frucht auf den Feldern und läßt das Obst auf den Bäumen verfaulen? Das Strafgericht hat gerade erst begonnen! Und warum schließt sich die Wunde in meiner Seite nicht? Dies alles sind Zeichen!« Francisco hatte sich in Zorn geredet. Wieder erinnerten ihn schmerzhafte Stiche in der Seite daran, daß er noch längst nicht genesen war. Bruder Andres kam täglich, um nach ihm zu sehen, und obwohl er ein erfahrener Heiler war, mußte er bekennen, daß er so etwas noch nicht gesehen hatte. Die Verletzung, die der Speer verursacht hatte, wollte sich einfach nicht schließen. Und doch heilte sie auch. Es war ein Hohlraum zurückgeblieben, dick wie ein Finger, der quer durch seinen Leib verlief. Das Fleisch hatte sich nicht zusammengezogen, sondern ein ledriges Narbengeflecht ausgebildet. Die Beschaffenheit dieser Haut glich jenen Wundmalen, die nach einer großflächigen Verbrennung zurückblieben.
»Alessandra Paresi!« Francisco sprach diesen Namen aus wie einen Fluch. »Sie ist meine offene Wunde. Mein fleischgewordenes Versagen. Die Wunde der Welt! Ich muß sie finden.«
»Und dann?«
»Der Maskenhelm. Sie muß die Endgültige Askese vollenden. Dann wird das Leichentuch am Himmel zerreißen. Der Abwesende Gott hat sie auserwählt. Sie muß deshalb ihren Opfergang vollenden.«
Bernaldino seufzte. »Verlangt wirklich Aionar dieses Opfer, oder ist es nicht in Wirklichkeit dein Stolz. Bruder, ich fürchte, du hast immer noch nicht begriffen, was wirklich geschehen ist. Täglich erreichen mich neue Schreckensmeldungen. Es scheint, daß die gesamte Flotte des Reiches durch eine Flutwelle vernichtet wurde. Fast alle großen Küstenstädte sind zerstört. Es gibt keine Nachricht mehr von der camera magna in Maganta. Dafür aber Gerüchte. Es heißt, die Flutwelle habe alle mercatoren ertränkt. Gewiß ist, daß alle größeren Städte in meiner Provinz schweren Schaden genommen haben. Die mercatoren von Cornia haben in ihrem Ratssaal ihr Grab gefunden. Ganze Dörfer wurden vom Steinschlag vernichtet. Die Fischereiflotten und Erzbergwerke, die diese Provinz reich machten, gibt es nicht mehr. Überall zerfällt die Ordnung. Man begeht Morde für einen Sack Korn. Wir sehen einem Hungerwinter entgegen. Und als wäre dies nicht genug, erhebt überall in den Bergen die corona ihr Haupt. Diese Strauchdiebe greifen ganz offen nach der Macht, wo man sie ihnen nicht verwehrt. Und doch, Francisco, ist all dies Unglück kein Strafgericht. Zumindest nicht für die Kirche. Wir sind die Ordnende Macht. Ich habe ein Konzil der Ordenshäuser einberufen.«
Francisco starrte den princeps fassungslos an. »Greifst du nach der Herrschaft, Bruder?«
Bernaldino setzte ein maskenhaftes Lächeln auf. »Ich würde es anders nennen. Die Kirche sollte verwalten, was herrenlos ist, bis das Imperium seine Kräfte sammeln kann, um zu verteidigen, was sein ist. Es geht mir nicht um Macht, Bruder. Es geht um die Menschen. Wir beide wissen, wie schnell sie zu Wölfen werden, wenn es keine starke Hand gibt, die ihren Weg lenkt. Und wenn wir nicht willens sind, diese Pflicht zu erfüllen, dann wird es die corona tun.«
Franciscos Blick wanderte über das weite Ruinenfeld, das sich den Hügel hinab erstreckte. Viele der wunderbaren alten Bauten, von denen heute niemand mehr wußte, wie sie errichtet worden waren, lagen zerstört am Boden. Und doch waren überall Menschen zu sehen, die Ordnung in dieses Durcheinander zu bringen versuchten. Menschen, die Steine säuberten, um sie zu neuen Mauern zu fügen, geborstene Balken bearbeiteten und unter den Trümmern Dachschindeln suchten, die nicht zerbrochen waren.
So wie sie war auch der princeps, begriff Francisco, nur daß der Kirchenfürst viel weiter sah. Er blickte über die Grenzen seiner zerstörten Stadt hinaus und vermochte sich in seiner Vision auch von den Fesseln der Gegenwart zu lösen. Bernaldino sah das Imperium, das in Trümmern lag, und ihm schwebte ein Bild von einer zukünftigen Ordnung vor, die ganz anders sein würde als alles, was sie bisher gekannt hatten.
Es war die erste Pflicht des Geistlichen, die Ordnung zu fördern. Dies war die Prüfung, die ihnen Aionar auferlegt hatte. Und hatte Bernaldino nicht recht, wenn er darauf verwies, daß die bedeutendsten Kirchengebäude am wenigsten betroffen waren? Dies konnte nur ein Zeichen sein!
Francisco unterdrückte ein Stöhnen, als er sich aus dem Lehnstuhl erhob, um vor seinem Kirchenfürsten niederzuknien. »Ich werde dir dienen, in allem, was du mir befiehlst, Bruder.«
Bernaldino legte ihm segnend die Hände aufs Haupt. »Du wirst wie meine rechte Hand sein, doch eine Hand, die geharnischt ist. Bekämpfe für mich die Feinde der Ordnung. Schütze die Schwachen und strafe jeden, der seinen Vorteil aus dem Unglück unserer Provinz ziehen will. Sorge dafür, daß Vorräte eingezogen werden und daß man sie gerecht verteilt. Verfolge und bestrafe Plünderer und Mörder. Ich löse dich nun vom Amt des collectors, Bruder, und ernenne dich zum iudicator. Zur Abendstunde werde ich dich mit dem Schwert in der Purpurscheide gürten, dem künftigen Zeichen deiner Amtswürde. Neben dem Ersten Ritter, Bruder Bartolome, wirst du es sein, der von Stund an über die Macht des ordo militis dei in unserer Provinz Cornia gebietet. Dir obliegt es, den Orden zur Durchsetzung von Recht und Ordnung zu nutzen, während Bruder Bartolome die Verantwortung für alle militärischen Belange trägt.«
Francisco erhob sich schwankend. »Ich weiß nicht, ob ich dieser Ehre würdig bin, Bruder. Ich habe gefehlt und bin verletzt. Vielleicht bin ich zu schwach, diese Bürde zu tragen.«
Der Kirchenfürst lächelte gewinnend. »Nein, mein Bruder. Ich kenne dich und deine wunde Seele besser, als du selbst dich kennst. Dieses Amt wird dir keine Bürde, sondern eine Stütze sein. Dein Selbstzweifel wird versiegen.«
Franciscos Gedanken überschlugen sich. Er würde über Hunderte Krieger und bewaffnete Laienbrüder gebieten. Wohin immer Alessandra Paresi geflüchtet sein mochte, mit Hilfe dieser Macht würde er sie aufspüren. »In welchem Zustand befindet sich der Orden? Wie viele Krieger Gottes haben das Beben und die Flut überlebt?«
»Dies herauszufinden, wird eine deiner ersten Aufgaben sein. Ich fürchte jedoch, daß keines der Ordensschiffe noch einsatzbereit ist, und gewiß wird es eine schwere Prüfung werden, die Macht der Ordnung bis hinauf zu den entlegenen Bergdörfern und Minen auszudehnen.«
Francisco strich sich nachdenklich über das Kinn und bemerkte beiläufig, daß er offenbar vereinzelte Bartstoppeln bei seiner Rasur am Morgen übersehen hatte. Er war nachlässig geworden. Das mußte sich ändern! »Wird es mir erlaubt sein, die Möglichkeiten des ordo militis dei zu nutzen, um nach der Fischerin zu suchen?«
Bernaldino blickte ihn ernst an. »Du hast mich doch auch nicht gefragt, ob ich es dir erlaube, diesen bärtigen Söldling – wie ist auch gleich sein Name? – auf die Suche nach ihr zu schicken.«
»Arbenga Cano, Bruder. Er ist kein Angehöriger der Kirche, und ich bezahle ihn von meinem Geld. Ich habe damit gegen keines der Gesetze des ius dei verstoßen.«
»Ich hätte dich nicht zum iudicator ernannt, wenn an deiner Ehrenhaftigkeit auch nur der geringste Zweifel bestünde. Du magst über die Ressourcen des ordo militis dei nach deinem Gutdünken verfügen, mein Freund. Ich vertraue dir, daß du deine eigentlichen Aufgaben nicht aus den Augen verlierst, obwohl ich sagen muß, daß mich deine Suche nach diesem Weib befremdet. Wenn sie zur Küste geflohen ist, hat die Sturmflut sie ertränkt. Selbst in den Bergen kann sie von einem Steinschlag begraben worden sein. Wahrscheinlich wird man ihren Leib niemals finden.«