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Der Kuß

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Auf den Weiden der Beinhügel, zwei Tage später

»Werden die Geister kommen, wenn du sie rufst?«

»Gurwan Nudet hat mich alles gelehrt, was ich wissen muß, um das Zelt tanzen zu lassen.« Seruun war sich nur zu bewußt, daß dies keine Antwort auf Grasfeders Frage war. Er wußte nicht, ob das Ritual gelänge. Er hatte Gurwan zwar geholfen und wußte um alles, was zu tun war, doch er hatte niemals selbst die Geister in das Zelt herabgerufen.

»Ich wünsche dir Glück, Liebster.« Sie hauchte ihm einen flüchtigen Kuß auf die Wange.

Wie gern hätte Sennen sie in die Arme genommen! Es war das allererste Mal, daß Grasfeder ihn geküßt hatte. Ein wohliges, warmes Gefühl durchlief ihn. Sein Herz war leicht trotz der schrecklichen Last, die auf ihm ruhte.

Lange standen sie sich einfach nur gegenüber und blickten einander in die Augen. Sie hatte ihn erwählt. Ihn, den so viele in den letzten Tagen verspottet hatten. Das ganze Volk der Windwanderer wartete darauf, wie er heute nacht die Geister der Ahnen rufen würde. Und fast alle erwarteten, daß er versagen würde. Und dennoch kam Grasfeder an diesem Abend zu ihm, um ihm ihren ersten Kuß zu schenken.

Regen perlte in silbernen Fäden von ihren Zöpfen. Für jede der siebzehn Geburten, bei denen sie geholfen hatte, trug sie stolz einen Zopf. Seruun wünschte, Gurwan wäre noch an seiner Seite. Zu gern hätte er dem Alten von diesem Kuß erzählt. Er hatte sich immer gewünscht, daß Seruun und Grasfeder zueinanderfinden. Wenn ihr vereint reitet, schließt sich ein Kreis, der das ganze Volk der Salhin Hült umfaßt. Grasfeder hat heilende Hände und ruft die Seelen auf die Erde, wenn die Frauen gebären, und du Seruun, du läßt die Seelen wieder fliegen, wenn sie ihren Weg zu Ende gegangen sind. Das waren Gurwans warmherzige Worte gewesen.

Grasfeder war klein und von zierlicher Gestalt. Sie hatte ein schlankes Gesicht mit hohen Wangenknochen. Ihre Augen waren fast von der Form einer Vogelfeder. Sie waren schmal und geheimnisvoll dunkel. Fast immer spielte ein schalkhaftes Lächeln um ihre dünnen Lippen.

Sie trug ein langes Lederhemd mit Fransennähten, von denen nun der Regen tropfte. Die Ärmel und das Bruststück waren mit Hunderten winziger Steinperlen besetzt. Seruun wußte, daß sie die meisten der lange Nächte des letzten Eisatems daran gearbeitet hatte. Um die Hüften trug sie einen speckigen Lendenschurz, der sie beim Reiten weniger behinderte als ein Kleid oder ein Rock. Sie war barfuß.

Seruun beobachtete, wie sich ihre Zehen ungeduldig in die schlammige schwarze Erde gruben, so als erwarte sie etwas. Sollte er es wagen, sie zu küssen?

Unruhig blickte er zu den zahlreichen Kriegern und Frauen hinüber, die an den laubgedeckten flachen Unterständen arbeiteten, unter denen die Trommler sitzen würden. Keiner schien sie zu beachten.

Seruun beugte sich zu Grasfeder vor. Sie war fast einen Kopf kleiner als er. Seine Lippen berührten kaum die ihren, und doch fühlte er sich nach diesem flüchtigen Kuß, als würde Feuer in seinen Adern lodern.

Grasfeder schien weniger aufgewühlt. Sie lachte ihr schalkhaftes Lachen. »Ich wünsche dir Glück, Liebster«, wiederholte sie und lief zwischen den Felsblöcken an der Steilwand vorbei zu den Pferden.

Sie nimmt das Küssen so leicht, dachte Seruun verwirrt. Das Feuer in seinen Adern erlosch. Ob es vielleicht nicht ihr erster Kuß gewesen war?

Der junge Geistertänzer versuchte diesen Gedanken zu verjagen. Er mußte sein Herz öffnen, damit die Geister zu ihm kamen. Er durfte solche Gedanken nicht hegen! Und dennoch gelang es ihm nicht ganz, den nagenden Zweifel abzutun.

Der Wahrträumer

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