Читать книгу Der Wahrträumer - Бернхард Хеннен - Страница 15

Der letzte Hügel

Оглавление

In den Bergen eine Meile südlich von Nantala, am 17. Tag des Hitzemondes, im 458. Jahr der Abwesenheit Gottes

Alessandra lehnte sich erschöpft gegen eine Kiefer. Die Luft flirrte vor Hitze. Ihr war schwindlig. Seit fast zwei Tagen hatte sie nichts mehr getrunken. Ihre Zunge war so geschwollen, daß sie den Mund völlig ausfüllte und gegen den Gaumen drückte.

Immer wieder hatte sie versucht, sich von dem Maskenhelm zu befreien. Sie würde verdursten oder an einem Hitzschlag sterben, wenn sie ihn nicht bald loswurde. Doch jeder Versuch, die Verschlüsse seitlich am Helm mit Steinen aufzuschlagen, war mißglückt. Sie hatte damit lediglich erreicht, daß der Maskenhelm eine Beule abbekommen hatte, die ihr schmerzhaft auf die Schläfe drückte.

Die Walfängerin stieß sich von der Kiefer ab und taumelte einen Feldweg entlang, in dem die Räder zahlloser Karren tiefe Furchen hinterlassen hatten. Es war der Weg, der vom Dorf zum Kap der Türme führte. Sie blinzelte. Die Augen brannten ihr. Sie hatte so starke Kopfschmerzen, daß ihr Lichtpunkte vor den Augen tanzten.

Alessandra stieß gegen einen großen Stein, der aus dem unbefestigten Weg hervorstand, taumelte, stürzte und fiel auf die Knie. Der gebrochene Arm pendelte ihr gegen die Brust. Eine Welle von Schmerz pulste zur Schulter herauf. Dann wurde ihr schwarz vor Augen, und alle Kraft schien sie zu verlassen.

Sie durfte nicht ohnmächtig werden! Verzweifelt kauerte sie auf dem Weg. Warum fuhr hier heute kein Wagen? Warum kam niemand hier entlang und half ihr? Hatte sich denn die ganze Welt von ihr abgewandt? Sie war unschuldig. Sie hatte den collector nicht töten wollen!

Alessandra stemmte sich mit Hilfe der Wallanze wieder hoch. Noch zweihundert Schritt bis zum Kamm des nächsten Hügels!

Von dort aus könnte sie das Dorf sehen. Man würde sie vielleicht bemerken und heraufkommen, um ihr zu helfen.

Schwer auf die Harpune gestützt, schleppte sie sich weiter. Sie zählte die Schritte. Sie wollte an nichts anderes denken als an die Hügelkuppe, und doch schlich sich wieder die beharrliche fragende Stimme in ihre Gedanken: Würde man ihr im Dorf helfen? Gewiß schickte man umgehend einen Reiter nach Monte Flora. Ohne Zweifel würde man sie dorthin ausliefern. Obwohl ... Vielleicht würde man die Sache auch unter sich erledigen.

Wenn man ihr den Helm nicht abnähme, dann würde sie den nächsten Morgen nicht mehr erleben. Vielleicht würde man sie auch einfach totprügeln wie einen räudigen Hund, der sich ins Dorf geschlichen hatte und um Fischabfälle bettelte. Sie hatte dem Dorf Schande bereitet. Guillamo würde gewiß dafür stimmen, sie gleich umzubringen. Wenn man den Priestern diese Arbeit abnähme, wären sie vielleicht gnädiger gestimmt. Würde, wäre, hätte! Sich mit diesen Gedanken zu quälen, half nichts. Sie blickte zur Hügelkuppe hinauf, der sie sich nur unendlich langsam näherte.

Vielleicht sollte sie sich besser bis zur Dämmerung in dem Agavenfeld hier am Hügel verstecken. Doch nein, sie würde den Abend nicht mehr erleben, wenn sie nicht aus der Sonne herauskäme und jemanden fände, der ihr die Maske abnähme, damit sie endlich etwas trinken könnte.

Sie mußte es bis zu pater Tomaso schaffen. Er würde nicht dulden, daß man ihr etwas antat. Oder doch? Sie hatte sich vor Gott versündigt. Wie konnte sie da auf das Mitleid eines Priesters hoffen?

Sterben würde sie auch dann, wenn sie hier auf dem Hügel blieb. Wenn die Dorfbewohner sie töteten, mochten sie aus ihrem Ende wenigstens einen Nutzen ziehen.

Sie vernahm ein Geräusch und blickte auf. Wenige Schritt vor ihr brach ein verängstigtes Reh aus dem Agavenfeld. Es stürmte über den Weg auf sie zu.

Wildhunde! dachte Alessandra. Sie kamen oft nahe an das Dorf heran. Gespannt lauschte sie. Jeden Augenblick mußte das Kläffen der Meute zu hören sein. Ob die Hunde von der Verfolgung des Rehs ablassen würden, um statt dessen über sie herzufallen? Weglaufen konnte sie nicht. Sie wäre eine leichte Beute. Verfluchter Helm! Sie konnte nichts hören!

Wie gebannt starrte Alessandra auf die Stelle, wo das Reh zwischen den Agaven hervorgebrochen war. Doch nichts rührte sich. Die Hitze flirrte über den breitblättrigen Gewächsen mit den heimtückischen Dornen. Die Fischer nutzten die zähen Fasern der Blätter, um Taue und Netze herzustellen.

Noch immer rührte sich nichts. Es war windstill. Kein Vogel zeigte sich am Himmel, und nicht der geringste Laut war zu hören. Die Welt schien zu erstarren.

Dann traf sie der Schlag. Plötzlich und völlig unerwartet. Es riß ihr den Boden unter den Füßen weg. Sie schlug der Länge nach hin. Schmerz pulste durch den gebrochenen Arm. Sie schrie. Eine Woge aus Dunkelheit raste auf sie zu. Der Schmerz ... Alessandra spürte, wie der Boden unter ihr erzitterte. Ein tiefes Grollen stieg aus dem Herzen der Erde empor. Der gebrochene Arm verstärkte das Gefühl des Zitterns. Welle um Welle brandete der Schmerz zur Schulter herauf, bis jede Empfindung erlosch.

Der Wahrträumer

Подняться наверх