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e) Begrenzung der Wirkung des Art. 34 AEUV durch Anwendung von Rechtfertigungsgründen

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Teilweise wird die Begründung für die Beschränkbarkeit der Grundfreiheiten durch das nationale Privatrecht auch auf der Ebene der Rechtfertigung gesucht. Es wird dann angenommen, dass das Privatrecht der Mitgliedstaaten die Grundfreiheiten zwar beschränke, dass es dafür aber Rechtfertigungsgründe gebe.[125]

Im EU-Recht gibt es nämlich Rechtfertigungsgründe für die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten. Nicht alle davon passen jedoch für privatrechtliche Normen.

Geschriebene Rechtfertigungsgründe für einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit finden sich in Art. 36 AEUV. Diese Norm ist allerdings sehr eng zu begreifen. Der Katalog der geschützten Rechte in Art. 36 AEUV ist nach allgemeiner Ansicht abschließend. Die Wirkung des Art. 36 AEUV ist somit auch im Bereich des Verbraucherschutzes auf den Schutz der Gesundheit beschränkt. Selbst soweit die Gesundheit betroffen ist, hat der EuGH ein Eingreifen des Art. 36 AEUV für Regelungsbereiche, die durch verbraucherschützende Richtlinien harmonisiert sind, mehrfach verneint.[126] Er hält Maßnahmen der Mitgliedstaaten, welche die Grundfreiheiten berühren, jedenfalls dann nicht für gemäß Art. 36 AEUV gerechtfertigt, wenn sie über bereits in Richtlinien enthaltene Regelungen hinausgehen, die ebenfalls gerade dem Schutz des betreffenden Gutes dienen.[127]

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Es gibt jedoch einen weiteren wichtigen und durchgreifenden Rechtfertigungsgrund für die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten, den der EuGH selbst geschaffen hat. Es handelt sich dabei um die sogenannte Cassis-Formel.[128] Nach der Cassis-Formel gibt es eine dem Art. 34 AEUV immanente Rechtfertigung von solchen Eingriffen in die Warenverkehrsfreiheit, durch welche „zwingenden Erfordernissen“ Rechnung getragen wird. Der EuGH hat die „zwingenden Erfordernisse“ nie abschließend definiert. Genannt ist in der Cassis-Formel aber ausdrücklich der Verbraucherschutz:

„In Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung der Herstellung und Vermarktung ist es Sache der Mitgliedstaaten, alle die Herstellung und Vermarktung betreffenden Vorschriften für ihr Hoheitsgebiet zu erlassen. Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen ergeben, müssen hingenommen werden, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes.“

Die Cassis-Formel selbst betrifft nur die Warenverkehrsfreiheit. Ähnliche, teilweise noch offenere Formeln hat der EuGH später auch für die anderen Grundfreiheiten gebildet.[129]

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In der Literatur ist auch dieser Ansatz des EuGH weiterverfolgt worden.[130] Als Rechtfertigung für die Beschränkung der Grundfreiheiten ist eine ganze Anzahl von Gründen vorgeschlagen worden, darunter der Rechtsfrieden, die Kohärenz des Kaufrechts, aber auch berechtigte nationale wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen sowie ausdrücklich der Verbraucherschutz.[131]

Es ist sinnvoll, das Privatrecht als zwingendes Erfordernis im Sinne der Cassis-Formel anzusehen. Denn es entspricht in der Tat einem wesentlichen öffentlichen Interesse, die Privatrechtsordnungen der Mitgliedstaaten nicht ständigen Störungen zu unterwerfen. Nicht nur der Rechtsfrieden, sondern auch der tägliche Geschäftsverkehr würde durch eine solche Unsicherheit sehr beeinträchtigt.

Europäisches Privatrecht

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