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Kapitel 10

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Nervös zupfte Ernst noch einmal die Deckchen auf den Tischen zu Recht und prüfte, ob der Sekt kalt genug war. Alles war für den 40. Geburtstag vorbereitet. Der Partyraum im Keller einer Gaststätte am Stadtrand von Berlin bot Platz für 80 Gäste. Die Kellner standen bereit für den großen Empfang. Der Chemiker gab selten Partys und konnte seine Aufregung nicht verbergen.

„Hoch soll er leben, hoch soll er leben ...“ Seine Eltern, sein Bruder Hermann mit Frau Eva und den beiden Kindern kamen laut singend in die Gaststätte. Sie trugen eine Torte mit brennenden Wunderkerzen vor sich.

Sie umarmten und küssten ihn und wünschten alles Gute.

„Ja, mein Junge, jetzt bist du auch schon 40. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass du längst verheiratet bist, so wie Hermann. Dass du aber auch keine findest. Siehst doch gut aus und eine Arbeit hast du auch.“ Jedes Mal wenn Ernst Mutter von dem leidigen Thema anfing, bekam sie so einen gewissen Gesichtsausdruck. Sie blickte ihn mit leichtem Kopfschütteln an. Das kleine, rundliche Gesicht der 65 jährigen wirkte besorgt. Als hätte sie etwas falsch gemacht. Ihre Brauen und ihre Lippen zogen sich nachdenklich zusammen.

„Ja Mama, du hast recht. Wenn du eben mein Geschenk halten könntest. Ich gehe vor die Tür und schau auf dem Bürgersteig nach. Vielleicht steht da ja gerade eine Frau, die Lust hat zu heiraten. Ich habe sicher auch noch eine Gehaltsabrechnung in der Tasche. Damit sie sieht, dass es sich lohnt.“

„Dass du dich immer gleich so aufregst.“

Endlich, mehrere Gäste betraten gleichzeitig den Raum und halfen dem Geburtstagskind ungeahnt, sich dem Gespräch zu entziehen. Es wurde gedrückt und gratuliert, Geschenke ausgepackt und mit Sekt angestoßen.

„Alles Gute zum Geburtstag, Ernst, du alter Giftmischer.“ Peter drückte seinen Freund.

„Mensch, super das Du gekommen bist. Bist du nach der Einöde nicht völlig irritiert, in einer Großstadt zu sein?“

„Nach knapp 6 Wochen kann ich mich schon noch erinnern. Kannst mir ja zu Weihnachten eine Susi schenken, die mir immer vorsagt, wann ich abbiegen muss.“

„Das Navigationssystem kaufst du dir gefälligst selbst. Ich sehe schon, du hast die Wasserprobe dabei. Dauert aber etwas, ich habe ein paar Tage frei. Ich warne dich lieber vor. Kerstin ist mit ihrem neuen Freund da. Ich sag's dir nur, dass du dich drauf vorbereiten kannst.“

„Hey, ich bin doch kein Teenie mehr, der gleich ausflippt.“

Kerstin. Allein der Name ließ das Herz des Pathologen schneller schlagen.

Peter nahm sich ein Glas Sekt, dann sah er sie. Ihre schwarzen, langen Locken umspielten verführerisch die Traumfigur. Bei ihrem Anblick lief seine Oxytocin Ausschüttung auf Hochtouren. Es musste ihm gelingen locker zu bleiben, nicht in Rage zu geraten sie mit einem anderen Mann zu sehen. Aber wie?

Er fasste seinen Mut zusammen und ging in ihre Richtung, überlegte krampfhaft, was er zur Begrüßung sagen sollte. Gedanken sausten ihm durch den Kopf.

„Hallo“, mehr brachte er nicht heraus.

Das Paar drehte sich um. Klaus erschrak, als Kerstin dem fremden Mann gleich um den Hals fiel.

„Peter, schön, dass du da bist. Lass dich doch mal ansehen, mein Gott ist das schön dich zu sehen.“

Peter spürte ihre Haut, hielt sie in seinen Armen, roch das betörende Parfüm. Jetzt halfen auch keine Gedanken mehr an tote Fische, grüne Abwässer oder ein Aktfoto von Frau Mitschke. Kerstin schaute ihn mit ihren großen Augen an und ihm wurde heiß und kalt.

Sie hat sich überhaupt nicht verändert. Sie ist so schön wie immer. Ob sie bemerkt, dass ich dicker geworden bin? Natürlich sieht sie das. Wer könnte das übersehen? Oh Gott ist das peinlich! Ich fange morgen gleich an, zu fasten!“

Die drei tranken, und redeten den ganzen Abend. Peter hatte sich äußerlich voll unter Kontrolle. Sein Kern schmolz dahin. Jede Liebkosung, die zwischen dem Pärchen ausgetauscht wurde, schmerzte ihn. Kerstin war sehr erstaunt, als Peter erzählte, dass er seinen Beruf aufgegeben hatte und sich ein Haus im Grünen gekauft hatte. Einen kleinen Moment bildete er sich sogar ein, etwas Wehmut in ihren Mandelaugen zu sehen.

Als Peter, alleine, zu seinem Hotelzimmer ging, wurde es bereits wieder hell. Er nahm das Foto von Kerstin, das er noch immer in seiner Brieftasche trug, heraus und gab ihr einen Kuss. Der Einzige, den er ihr im Augenblick geben durfte.

*

„Mutti“, rief Jürgen, „wollen wir beide ins Gewächshaus gehen? Es gibt viel zu tun.“

Er legte ihr liebevoll eine Wolldecke über die Beine und schob den Rollstuhl über den kleinen Plattenweg.

„Sieh nur, wie schön schon alles blüht. Pflücke mir nachher doch einen schönen Frühlingsstrauß, dann duftet es im Haus so herrlich“, bat Jürgens Mutter.

„Ja gleich, auf dem Rückweg.“

„Nimm doch auch welche von den schönen gelben Blumen dort. Hast du die neu? Ich habe die hier noch nie gesehen. Die sind ja ganz bezaubernd.“

„Das sind Adonisröschen, ich glaube die riechen nicht so gut und halten sich in der Vase nicht. Die lassen wir am besten hier stehen.“

Der Geruch vom Lavendel schwängerte die tropische Luft des Glashauses. Fast alle Pflanzen, die hier beherbergt waren, wurden zu Tees oder für Umschläge gegen Arthrose verarbeitet.

Eingerahmt von Brunnenkresse, Petersilie und Zierpflanzen plätscherte ein kleiner Bachlauf durch das Gewächshaus.

„Heute Abend werde ich dir, gegen die Schmerzen, einen frischen Salat mit Brunnenkresse zubereiten. Danach mache ich dir einen Lavendelumschlag für deine Knie, was hältst du davon?“

Jürgens Mutter nahm die Hand ihres Sohnes und streichelte sie lächelnd.

„Ach, was sollte ich ohne dich nur anfangen. Das kann ich doch nie wieder gut machen.“

Er gab seiner Mutter einen Kuss auf die Stirn und zog besorgt ihre Wolldecke zu Recht.

„Wir beiden sind eine Familie. So muss es sein und nicht anders. Ruhe und Frieden, das ist ein Zuhause.“

Ein ruhiges und harmonisches Leben hatten Mutter und Sohn erst nach dem Tod des Vaters gefunden.

Nachdem das Unkraut gezupft, die Pflanzen bewässert und die nötigen Kräuter gepflückt waren, wurde es höchste Zeit die Wirtschaft aufzuschließen.

Aus dem Schlaf gerissen

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