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Kapitel 2

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Sechs Monate zuvor.

Man benötige 1 ½ Stunden Fahrt mit dem Auto und eine große Portion Mut, um von Berlin nach Werlow zu fahren und sein Leben mit 57 komplett umzustellen.

Er bog mit seinem roten Audi A4 von der Bundesstraße links in seinen Privatweg ab. Unter dem Ortseingangsschild stand "5460 Einwohner".

„Ab jetzt 5461“, dachte Peter.

Er stoppte den Wagen und öffnete die Fahrzeugscheiben. Links neben dem Weg lag ein Nadelwäldchen. Es hatte den ganzen Tag geregnet aber jetzt eroberte die Sonne den Himmel zurück. Der Duft nach Tannennadeln durchflutete das Fahrzeug. Peter kramte in seinem Handschuhfach, um sich von der passenden Musik in sein neues Leben geleiten zu lassen. Er sah den Stapel CDs durch. Lachend legte er „In the getto von Elvis“ wieder zurück. Bei „Vangelis“ nickte er zustimmend, legte sie in den CD-Player ein und setzte seinen Weg fort.

Hinter dem weißen Häuschen lag der Werlower See. Bodennebel hing über der Wiese, vor dem Wald und auf der Wasseroberfläche des Sees. Die Idylle überwältigte den Großstadtbewohner. Hier würde der Pathologe seinen Lebensabend verbringen. Er parkte vor dem Eingang, ließ sein Gepäck im Auto und ging die drei Stufen zur Tür hinauf. Die Tür knarrte beim Öffnen. Im Haus roch es muffig. Im Erdgeschoss befanden sich drei Zimmer. Die hellgrünen Fliesen der Gästetoilette, die überall mit „Pril-Blumen“ beklebt waren, stammten unübersehbar aus den 70er Jahren.

Links befand sich die große Küche. Die Einbauküche aus Buche war bereits vor einer Woche installiert worden. Durch das Fenster erblickte man den Wald. Am Ende des Flurs befand sich das Wohnzimmer mit anschließender Veranda. Im Obergeschoss gab es zwei Schlafzimmer und ein kürzlich renoviertes Badezimmer. Das Umzugsunternehmen hatte gute Arbeit geleistet. Seine Möbel waren so aufgebaut worden, wie er es anhand des Grundrisses in Auftrag gegeben hatte.

Zufrieden griff Peter zum Telefon und rief seinen besten Freund, den Chemiker Ernst Fröhlich, an.

„Hallo, ich bin es, ich bin gerade angekommen“, berichtete Peter.

„Wie ist es, fühlst du dich schon einsam?“

„Nein, wenn du das sehen könntest. Ich bin überzeugt, dass es genau das war, was ich gesucht habe.“

„Vielleicht hättest du das vor drei Jahren schon wissen sollen. Ich meine Kerstin. Sie hat sich gewünscht, dass du mehr Zeit mit ihr verbringst“, entgegnete Ernst.

„Habe ich auch schon gedacht. Wer weiß, vielleicht ist es noch nicht zu spät.“

Peter hatte damals die Bankangestellte Kerstin kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Sie war 5 Jahre jünger. Die große Schwarzhaarige und er verbrachten zwei wunderschöne Jahre. Peter war ein Workaholic. Kerstin wollte nicht immer zu Hause auf ihn warten. Schließlich verließ sie ihn.

„Meinst du nicht, deine Erkenntnis kommt zu spät?“

„Nach der Ziehung der Lottozahlen kann jeder den Schein richtig ausfüllen. Ich konnte mir ein Leben ohne 12 Stunden in der Gerichtsmedizin nicht vorstellen. Aber wer weiß?“

„Sie hat jemanden kennengelernt. Aber hey, vielleicht wartet deine Traumfrau ja in dem kleinen Kaff.“

Peter schwieg. Es war ein Schock. Seine Kerstin in den Armen eines Anderen? War es wirklich aus und vorbei? Nein, Peter gab nie schnell auf. Wenn es noch eine Chance gab, würde er sie ergreifen.

„Ja klar. Du, ich muss los, selbst meinem Kühlschrank knurrt schon der Magen. Tschau, mach's gut.“

„Tschüss, denk dran, meine Mutter sagt immer, die Träume der ersten Nacht gehen in Erfüllung.“

„Ihr lest zu viele Arztromane.“

Peter legte auf und machte sich auf den Weg ins Dorf. Er fuhr wieder zur B198 und bog dann links in den Stadtring ein.

Mal schauen, wo Tante Emma ihr Geschäft hat. Hoffentlich hat der Laden dann auch noch auf, es ist gleich sechs. Wer weiß, wann hier die Bürgersteige hochgeklappt werden.“

Rechts lag der Friedhof. Die alten Grabsteine ließen vermuten, dass die Grabbewohner nichts von der Existenz der DDR mitbekommen hatten. Gleich neben der Apotheke befand sich ein EDEKA-Markt.

Na, wer sagt's denn, der hat noch auf.“

Es war ein kleiner Markt, bot aber das Notwendigste. Er schob seinen Einkaufswagen durch die Gänge und sammelte alles ein, was er für einen ersten Abend benötigte.

„Sie hab ich hier noch nie gesehen. Zu Besuch?“ wollte die Kassiererin wissen. Ihr blond gelocktes Haar hatte sie zu einem Zopf gebunden. Sie musterte ihn mit ihren großen, blauen Augen.

„Nein. Ich bin Einwohner Nummer 5461. Mein Name ist Dr. Peter Döring.“

„Oh, ein Neuer? Na, dann willkommen. Ich bin Sonja Krümpelmann. Mir gehört der Laden. Arbeiten sie für die Fabrik?“

„Nein, was für eine Fabrik?“

„Medi-Voß. Sagen Sie nicht die, kennen Sie nicht. Die machen doch diese ... Verdammt mit dem Wort stehe ich aber aus Kriegsfuß. Homopotischen Sachen? Ach, Sie wissen schon Salben, Säfte. Diesen ganzen Kram.“

„Homöopathie. Obwohl sich Homopotisch viel schöner anhört. Nein, ich habe mich zur Ruhe gesetzt und wohne jetzt in dem kleinen Haus, auf der anderen Seite des Sees.“

„Machen Sie sich über mich lustig?“, fragte sie und blickte ihn keck an.

Er betonte, dass er das nie tun würde, blickte auf seine Armbanduhr und erklärte, dass er weiter müsste.

Neugierig auf seine neue Heimat beschloss Peter, sich noch kurz den Ortskern anzusehen. Er ging auf den Marktplatz. Neben der kleinen Kirche war ein hübsches, kleines Café, die einige Tische im Freien hatten. Er setzte sich und bestellte sich eine Tasse Kaffee.

Wieder im Haus beschloss er, den ersten Abend auf der Veranda zu verbringen. Bei einem Glas Wein lauschte er der Stille. Bisher hatte Peter mitten in Berlin gewohnt. Straßenlärm, Sirenen und Menschen. Hier hörte man nur ein Knistern aus dem Gebüsch. Eine Drossel durchwühlte unerbittlich die Erde nach einem Abendessen. Ein Quaken vom See und das Schlagen der Entenflügel ließen vermuten, dass den kleinen Kerl etwas erschreckt hatte. Er saß einige Stunden nur da und beobachtete seine Gartenbewohner. Das war genau das, was der Mediziner gesucht hatte. Er nahm das Foto von Kerstin aus dem Portemonnaie. Mit dem Zeigefinger streichelte er ihr über das Haar.

„Ich war so dumm. Hier würde es dir gefallen. Du fehlst mir.“

Trotz der neuen Umgebung schlief Peter tief und fest in seinem neuen Haus.

Aus dem Schlaf gerissen

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