Читать книгу Aus dem Schlaf gerissen - Birgit Vobinger - Страница 18
Kapitel 17
Оглавление„Heute ist es soweit. Heute wirst du erlöst von diesem grausamen Irrtum. Ich komme, um dich zu retten, dir ewiges Leid zu ersparen.“ Mit einem gezielten Griff wurden 2 Fläschchen aus dem Kellerregal genommen und verschwanden in der Jackentasche.
Unbemerkt huschte er am 30. Mai um 19 Uhr durch die verregneten Straßen. Sein Ziel war das Haus der Schröders. Das euphorische Gefühl etwas Unvergessenes zu vollbringen wurde unterbrochen, als es an Haus Nummer 21 vorbei kam. Auf der anderen Straßenseite öffnete sich eine Tür. Ein junges Mädchen, etwa 15 Jahre alt, kam aus dem Haus.
„Komm jetzt hierher Buffy. Ich gehe deinetwegen bei dem Pisswetter raus. Also sieh zu, dass du deinen Hundehintern in den Garten bewegst.“
Der Cockerspaniel schoss wie ein geölter Blitz an dem Mädchen vorbei, bog an der Gartenpforte links ab und flitzte den Bürgersteig entlang. Er kannte seine abendliche Runde genau. Seine Begleiterin versuchte gar nicht erst, ein freundliches Gesicht zu machen. Ihr Anblick verriet, dass es nicht ihre Idee war, mit dem Hund vor die Tür zu gehen, sondern eher die ihrer Eltern.
„ Hat die mich gesehen? - Quatsch. In dem Alter muss man Teenies ja umrennen, bevor die merken, dass jemand da ist.“
Trotzdem beeilte er sich, sein Versteck hinter den Zypressen einzunehmen. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet, dass es bereits 19:30 Uhr war. Jeden Moment musste es soweit sein. Die Tür würde sich öffnen und dieses Miststück von einem Ehemann würde zum Bowlen fahren. Wie gewohnt erledigte die Schwangere die Hausarbeiten in der Küche. Der Blick des Voyeurs wurde eiskalt. Fest wurden die Flaschen in der Jacke umklammert.
Die Tür öffnete sich, Thomas stieg in sein Auto und fuhr davon. Jessika nahm ihr Glas Orangensaft und ging ins Wohnzimmer. Die Terrassentür, die direkt in die Küche führte, war gekippt. Vorsichtig griff er durch die Öffnung. Mit einem leisen Knacken öffnete sich der Eingang. Im Wohnzimmer lief der Fernseher. Jessika war vertieft in ihre abendliche Daily Soap und bemerkte nicht, dass sie in Gefahr war. Noch einmal fühlte er prüfend in seiner Jacke nach den Fläschchen. Jessika musste ihren Saft einen kleinen Moment alleine lassen. Lange hatte der Einbrecher sich mit dieser Frage beschäftigt. Doch dann war alles so einfach. Ein Dreifachstecker sollte die Lösung bieten. In der Küche waren mehr als genug Steckdosen, also kein Problem den Mehrfachstecker ans Netz zu bekommen. Die Kontakte des Steckers waren durch einen Draht miteinander verbunden. Sobald er ans Stromnetz des Hauses angeschlossen würde, würde der FI Schalter herausspringen. Ein dumpfes Geräusch ertönte und das ganze Haus war dunkel. Jessika schrie vor Schreck auf. Eilig versteckte sich das Wiesel in der kleinen Abstellkammer in der Küche. Sein Herz schlug heftig. Es war nicht das erste Mal, dass er den Plan in die Tat umsetzte, aber jetzt war der Moment, der gefährlich wurde. Der Moment entdeckt zu werden.
„Mist, immer wenn Tommi nicht da ist. Wo ist denn diese blöde Taschenlampe.“ Sie kramte in einer Schublade. Dann war ein Lichtstrahl zu sehen und die Rothaarige verschwand im Keller, wo sich der Sicherungskasten befand. „Perfekt“, zischte er. Solange der Mehrfachstecker am Netz blieb, würde sie den Schutzschalter nicht wieder einschalten können. Genug Zeit also, eine Portion aus der ersten Flasche in den O-Saft zu schütten. Das Glas tauchte im Strahl der winzigen Lampe auf. Wohl dosiert tropfte das Schlafmittel in den gelben Saft. Im Keller versuchte Jessika wiederholt den FI-Schalter einzuschalten, ohne Erfolg. Erst als der manipulierte Dreifachstecker wieder verstaut war, versteckte er sich wieder im Abstellraum und wartete.
Jessika hatte es geschafft. Das Licht leuchtete. Sie setzte sich, erschöpft von der unerwarteten Situation, wieder in ihren Sessel und trank den Saft in einem Zug aus.
Nach 30 Minuten würde das Schlafmittel wirken. Der Täter stand, mit vor Aufregung hämmerndem Herzen, bewegungslos dicht an ein Regal mit Lebensmitteln gepresst und wagte kaum sich zu bewegen. Solange die Schwangere hellwach war, bestand die Gefahr entdeckt zu werden. Er musste unbemerkt bleiben. Aus dem Wohnzimmer ertönten die Nachrichten. Vor 15 Minuten hatte Jessika das Schlafmittel getrunken. Wenn er recht hatte, würde sie die plötzliche Müdigkeit auf ihren Zustand schieben und einfach ins Bett gehen. Wieder ein Blick auf die Armbanduhr. Hellblau leuchtete die digitale Zeitangabe, 20:10 Uhr. Ein Geräusch drang leise in den Vorratsraum. Der Fernseher wurde abgeschaltet.
„Lass bloß diese Tür bei mir zu, sonst muss ich dir sehr weh tun.“ Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Der einzige Moment, der nicht vorhersehbar war. Bewaffnet mit einer Konservendose aus dem Vorratsregal wartete der Täter.„Komm rein und ich zieh sie dir über den Schädel, bevor du das Licht einschaltest.“ Die Schritte entfernten sich. Sie ging zu Bett. Alles lief reibungslos. In spätestens 20 Minuten würde sie tief und fest eingeschlafen sein. Dann folgte der Auftritt auf dieser zuschauerlosen Bühne. Ein perfekter Plan war geschmiedet worden, eine gelungene Durchführung folgte. Doch es gab niemanden der applaudierte. Alles war still im Haus. Wie eine Mücke in der Nacht näherte sich der Einbrecher seinem Opfer. Stufe um Stufe erklomm der Eindringling die Treppe zum Obergeschoss. Leise ging er ins Schlafzimmer. Jessika hatte die Jalousien nicht heruntergelassen. Ein zarter Lichtstrahl von einer Straßenlaterne traf ihr Gesicht. Sie schlief friedlich. Vorsichtig strich der Täter mit seinem Zeigefinger über ihre Wange. Keine Reaktion.
„ Ich werde diesem Irrtum ein Ende machen. Du weißt nicht, wer ich bin und doch bin ich bereit dir so selbstlos zur Seite zu stehen. Ich erwarte keinen Dank, weil nur ich weiß, dass es einen Grund gibt, mir dankbar zu sein.“
Dann öffnete er vorsichtig ihren Mund. Sie spürte nichts. Langsam glitt, Tropfen für Tropfen der Flüssigkeit aus der zweiten Flasche in den Mund der Schlafenden. Ganz behutsam, sie sollte sich nicht verschlucken. Wenn er es schaffte, Jessika unbemerkt einen Teelöffel voll einzuflößen, war sein Werk getan. Sie würde ruhen und das Mittel in ihr arbeiten und Wirkung zeigen. Der Täter verließ um 21 Uhr, zufrieden das Haus durch die Vordertür.
*
Jessika wurde aus dem Schlaf gerissen. Sie litt, wie viele Schwangere unter ständigem Harndrang und musste sich beeilen. Neben ihr lag inzwischen, laut schnarchend, ihr Ehemann. Ihr Herz pochte heftig. Die Blase schien bis zum Zerreißen gefüllt zu sein. Grummelnde Geräusche aus dem Bauchraum kündigten Durchfälle an. Das auftretende Schwindelgefühl erschwerte ihr den Weg ins Bad. Dann zerschnitt ein hysterisches Schreien die Stille des Hauses. Thomas, aus dem Tiefschlag gerissen, sprang aus dem Bett. Bevor er seine Augen noch richtig geöffnet hatte, rannte er, dem Schreien hinterher. Kreischend und zitternd fand er seine Frau im Bad vor der Toilette stehend. Er brauchte nur wenige Sekunden, um die Situation zu erkennen. Überall war Blut. In der Toilette, am unteren Teil von Jessikas Nachthemd und auch auf dem Boden.
„JEEESSSI!“ stieß er heraus und hielt seine Frau fest. Sie sackte zu Boden. Ihre Laute gingen in ein Wimmern über.
„Mein Baby, Tommi hilf mir, mein Baby.....“ Thomas nahm seine Frau auf den Arm und trug sie ins Schlafzimmer. Ihr Körper war eiskalt. Er legte die blutverschmierte junge Frau aufs Bett, griff nach dem Telefon, blätterte aufgeregt im Telefonbuch herum. Warum war die Nummer des Arztes nicht eingespeichert. Wie viel Zeit verschwendet man am Tag. Dann tritt der Notfall ein und man findet die rettende Zahlenkombination nicht. Endlich. Peschke, Allgemeinmediziner. Er hämmerte die Nummer in sein Telefon. Nach dem 4 Klingeln, es schien ewig zu dauern, meldete sich der aus dem Schlaf gerissene Arzt. Er konnte am anderen Ende der Leitung das Wimmern einer Frau hören.
„Schnell, hier ist Thomas Schröder. Meine Frau verblutet. Kommen Sie schnell. Neulandstraße 23. Bitte sie stirbt sonst.“
Das Gesicht des jungen Mannes war tränenüberströmt.
„Ich bin gleich da“, antwortete der Arzt.
Peschke, der die Dringlichkeit der Situation erkannt hatte, zog seine Jogginghose über den Schlafanzug und eilte zum Haus der Schröders.
Thomas öffnete die Tür und die beiden Männer rannten ins Schlafzimmer.
„Rufen Sie einen Rettungswagen, Ihre Frau muss ins Krankenhaus.“
Die Blutungen kamen einwandfrei aus dem Uterus. Mit behandschuhter Hand ertastete er sich ein Bild von der Situation. Es war zu spät, der Kopf des Fötus war bereits zu fühlen. Der Arzt konnte die Fehlgeburt nicht aufhalten. Wenige Augenblicke dauerte es nur, dann war alles vorbei. Das Kind hatte keine Chance zu überleben. Der Kopf hatte einen Durchmesser von gerade 4cm und der Junge wog 140g. Peschke wickelte den toten Fötus in ein Handtuch. Durch den Schock, den die Mutter erlitten hatte, schien sie keine körperlichen Schmerzen zu empfinden. Peschke legte eine Kochsalzinfusion. Der Mediziner hatte die Situation unter Kontrolle, als der Unfallwagen kam und Jessika ins Krankenhaus brachte.