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Elynia war schon weit früher an den Stadttoren, als nötig gewesen wäre. Beladen war sie nur mit einem kleinen Bündel, ihren Waffen und leichter Reisekleidung. Der Morgen verging und auch die verabredete Stunde kam und ging, ohne dass sie Gesellschaft bekam. Hinter sich hörte sie die Stadt erwachen. Zunächst ertönten die Fanfaren der morgendlichen Wachablöse, dann das Rumpeln der Karren, als der Markt eröffnet wurde und zuletzt das Trappeln tausender Füße, als der Rest der Bevölkerung aus seinem Schlummer erwachte. Die junge Elfe lauschte aufmerksam, doch sie sah nicht zurück. Sie hatte eine Entscheidung getroffen und würde die Reichsstadt auf unbestimmte Zeit verlassen, vielleicht sogar für immer. Daher wollte sie sich den Abschied nicht unnötig noch schwerer machen. Deshalb wandte sie den Bauten abweisend den straff durchgedrückten Rücken zu.

»Willst du nicht noch einen letzten Blick auf deine Heimat werfen?«, ertönte plötzlich eine gehässige Stimme hinter ihr, »du wirst sie garantiert nie wiedersehen.«

Elynia ging nicht auf den feindseligen Ton ein und entgegnete schlicht: »Ich habe bereits Abschied genommen.« Der Mensch trat mit gelangweilter Miene vor sie und zuckte belanglos mit den Schultern. Dann wandte er sich ab und entfernte sich gemütlich in Richtung Norden von der Elfenhochburg. Er hatte nichts gesagt, daher nahm Elynia an, dass sie ihm folgen sollte. Eine Weile trottete sie ihm hinterher, ohne dass der Mann ein Wort mit ihr sprach oder sie auch nur eines Blickes würdigte. Irgendwann hielt sie es dann nicht mehr aus und beschwerte sich vorwurfsvoll:

»Was habe ich Euch getan?«

Als der Mensch sie daraufhin tatsächlich ansah, spiegelte sein Gesicht ernsthafte Überraschung wider und er antwortete stirnrunzelnd: »Nichts.«

Und damit war die Sache für ihn wohl geklärt und er ging ohne ein weiteres Wort weiter. Elynia starrte ihm fassungslos hinterher. Wie konnte er sich nur so abweisend ihr gegenüber verhalten und im selben Atemzug behaupten, sie habe ihm nichts getan? Auch ohne sie anzusehen, erkannte er wohl ihr Unverständnis und erklärte weiter:

»Ich habe nichts gegen dich persönlich, sondern gegen das Elfenpack ganz allgemein, allen voraus gegen diesen arrogante Mistkerl Eldor, der sich auch noch König schimpft. Er denkt, das wäre alles nur ein Spiel und wie ein trotziges Kind, welches am Verlieren ist, versucht er, sich um seinen Tribut herumzudrücken. Als wären wir nur zum Spaß da!«

»Nun ja, wir leben in der längsten Friedensperiode seit Beginn der großen Aufzeichnungen, wozu benötigt Ihr also die ganzen Soldaten?«, wandte Elynia ein.

Der Mann drehte sich zu ihr um und bedachte sie mit einem verächtlichen Blick.

»Ihr wisst nichts!«, spie er aufbrausend, »wir befinden uns in einem Krieg von solchem Grauen, dass es dir nachts schreckliche Albträume bereiten und dich selbst bei hellem Sonnenschein noch erschaudern lassen würde! Deshalb ist es auch unnötig, Sympathie für dich zu empfinden oder nett zu dir zu sein, denn du wirst sowieso bald sterben. Und wenn du mich schon stören musst und etwas von mir willst, dann wirst du mich gefälligst mit Meister Ruben ansprechen.«

Schockiert registrierte Elynia, wie sehr dieser Mann von Hass und Bitterkeit zerfressen war. Sie zweifelte nicht an seinen Worten über einen grausamen Krieg, obwohl sie das erste Mal davon hörte, denn wer so wurde wie dieser Mann, der musste schon Fürchterliches durchlebt haben. Von nun an vermied sie es, ihn anzusprechen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ und übte sich in Schweigen. Allerdings war ihr diese Kunst zuwider und es dauerte nicht lange, da wuchs in ihr wieder die Neugierde, so lange, bis sie es nicht mehr aushielt und sie das Schweigen zwischen ihnen erneut brach.

»Wohin gehen wir? Und wie lange wird unsere Reise dauern?«

Diese Fragen erschienen ihr unverfänglich und es brannte ihr unter den Nägeln zu erfahren, wie lange sie die bedrückende Anwesenheit des Meisters noch zu ertragen hatte.

»Zu den Schwarzbachgrotten«, kam die monotone Antwort.

Elynias Herz tat einen kleinen Hüpfer und mit plötzlich aufkommender Gänsehaut fröstelte sie. Einen Moment hoffte sie darauf, dass Meister Ruben das Gesagte als einen Scherz entlarvte, doch er tat es nicht. Und tatsächlich stimmte die Richtung, in die sie liefen, mit der Lage der Grotten überein. Trotzdem konnte dies nicht der Ernst des Menschen sein. Die Schwarzbachgrotten waren ein verbotener Ort, den niemand betreten durfte. Dennoch stand es nicht unter Strafe, es doch zu tun, denn wer dieses Wagnis einging, wurde nie wieder gesehen.

»Wir können nicht an diesen Ort gehen, er ist verflucht!«, appellierte sie an den Verstand des Zauberers, doch diesem konnte sie nur ein amüsiertes Lächeln entlocken.

»Dann kehr doch um«, höhnte er.

Natürlich konnte Elynia nicht wieder zurückgehen und sie beschwerte sich nicht weiter, aber in dieser Nacht erschienen ihr im Traum all die Monster aus den Erzählungen, die sich um den Schwarzbachgrund rankten. Als sie am nächsten Morgen schweißgebadet erwachte, war sie bereits etliche Male zerfleischt und hinterrücks erschlagen worden oder in finstere Felsspalten voller Knochen gestürzt. Allerdings hütete die Elfe sich tunlichst, dem Zauberer davon zu erzählen, denn auf den Hohn des Meisters konnte sie getrost verzichten. Drei weitere Tage vergingen, in denen sie alle Warnungen ignorierten, die am Wegrand zum Schutz von Wanderern aufgestellt worden waren, dann blickte sie geradewegs in den undurchdringlichen Schlund der Grotten. Sie fraßen sich als zahlreiche Stollen und Tunnel in den Halbspitz, einen uralten verwitterten Tafelberg. Der Zugang, in den sie nun spähte, war hinter Blättern und Ranken verborgen gewesen und Elynia hätte ihn nicht einmal bemerkt, wenn Meister Ruben nicht zielstrebig darauf zugesteuert wäre.

»Die Geschichten sind nur Legenden«, stellte der Zauberer klar und trat in die Dunkelheit.

Doch trotz dieser Beteuerung zögerte Elynia, ihm zu folgen. Ein ungutes Gefühl hatte sie beschlichen und es schien ihr, dass der sachte Luftzug nach ihr griff und sie nach innen zog. Zögerlich gab sie dem Zerren nach und redete sich ein, dass ihr Verstand ihr nur Streiche spielte, wegen der vielen Gruselgeschichten über diesen Ort. Sie tat einen tiefen Atemzug, dann trat sie in die Dunkelheit. Trotz ihrer guten Augen konnte sie gerade genug erkennen, um bis zu der ersten nahen Biegung des Ganges zu sehen, an der Meister Ruben auf sie wartete. Ein modriger Geruch schlug ihr entgegen und sie beeilte sich, zu ihm aufzuschließen. Doch als sie die Ecke umwunden hatten, blieb sie wie angewurzelt stehen. Sie hatte einen dunklen Ort voller Gefahren erwartet, aber stattdessen wurde sie mit einer unvorstellbaren Schönheit konfrontiert, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Hier war die Dunkelheit schlagartig einem sanften Licht gewichen, welches von den Wänden ausgestrahlt wurde. Diese bestanden nicht etwa aus kargem Stein, sondern waren aus klarem Kristall. Und darin eingeschlossen schimmerten erstarrte Feuer in verschiedenen Farben, die das Leuchten erzeugten. Fasziniert strich Elynia über die glatte Kristalloberfläche. Dann wurde ihre Aufmerksamkeit von einer Bewegung erregt. In einer Wasserlache zu ihren Füßen wuselten einige der seltsamsten Lebewesen, die sie je gesehen hatte. Sie waren etwa so lang wie ihr Unterarm, nackt und sahen aus wie mutierte Lurche.

»Grottenolme«, kommentierte der Zauberer ihre Entdeckung, »diese Überlebenskünstler benötigen nur alle paar Jahre etwas Nahrung. Gefährlicheren Lebewesen wirst du auf unserem Weg nicht begegnen und jetzt komm, trödle nicht!«

Sie folgte ihm durch die Höhle. An einigen Stellen zweigten weitere Gänge ab, doch sie ignorierten diese. Dann aber blieb Elynia vor einem schmalen Gang stehen und spitzte die Ohren. Sie glaubte, von irgendwo aus diesem Stollen eine helle Melodie gehört zu haben. Zunächst wurde sie enttäuscht und vernahm nur das Pochen ihres eigenen Blutes in den Ohren, doch dann war das Geräusch wieder da. Es klang fröhlich und einladend. Die Elfe machte einen Schritt in den Gang hinein. Dann noch einen. Sie wollte ergründen, woher die schöne Musik stammte. Da packte sie grob eine Hand am Oberarm und riss sie zurück. Das wutentbrannte Gesicht Meister Rubens erschien direkt vor ihrem. Der Zauberer funkelte sie an und zischte: »Ich sagte, auf unserem Weg wird dir nichts Gefährliches begegnen. Das gilt aber nicht für die restlichen Pfade!«

»Aber sagtet Ihr nicht, die Schauergeschichten seien nur Legenden?«

Er sah sie mit unergründlichem Blick an, dann antwortete er leise: »Und die besten Legenden sind jene, die wahr sind!« Nach dieser untrüglichen Warnung war Elynia darauf bedacht, niemals mehr als einige Schritte hinter dem Meister zurückzufallen und die Wände nur noch aus der Ferne zu betrachten. Der mürrische Mensch führte sie immer weiter und mit beschleunigten Schritten tiefer in die Grotten hinein, bis sie vor einem See aus pechschwarzem Wasser standen. Verblüfft starrte die Elfe auf die undurchdringliche Oberfläche. Sie hätte nicht gedacht, dass es in den Schwarzgrundgrotten solche Gewässer gab.

»Spring rein!«, befahl der Zauberer ihr unsanft.

Elynia sah ihn entsetzt an. Jetzt war sie sich sicher. Der Mensch war völlig übergeschnappt! Niemand konnte wissen, welche Ungetüme sie unter dieser schwarzen Decke erwarteten. Sie überlegte kurz, wobei ihre Überlebenschancen besser standen, bei einem Sprung in den See oder einem Kampf mit dem Zauberer. Sie entschied sich, auf Zeit zu spielen.

»Wieso sollte ich das tun?«, verlangte sie störrisch zu erfahren.

Der Mann verdrehte entnervt die Augen.

»Diese Gewässer sind auf magische Weise mit einem Becken in Celion verbunden, dir wird nichts geschehen.« Elynia war noch immer unsicher. Sie verstand nichts von Magie und konnte nicht einschätzen, wann der Meister die Wahrheit sprach und wann er log. Andererseits gab es viele Theorien, wie die Aquiron ihre Truppen so schnell von A nach B bewegen konnten und diese Erklärung erschien ihr einigermaßen plausibel. Immer noch verharrte Elynia zögernd. Offenbar einen Moment zu lange, denn dem Zauber war wohl der Geduldsfaden gerissen. Er stellte sich direkt hinter sie an den Rand und verpasste ihr einen kräftigen Stoß in den Rücken. Kopfüber stürzte sie in das kalte Nass. Blind und wild um sich schlagend, versuchte sie, wieder an die Oberfläche zu gelangen, doch all ihre Bemühungen waren vergebens und sie wurde unweigerlich weiter in die Tiefe gerissen. Die Elfe war umgeben von erdrückender Finsternis. Die Luft in ihren Lungen wurde langsam knapp und ihr Herz hämmerte wie verrückt. Ihr wurde schwindelig. Und dann war es vorbei. Mit einem Mal war sie umgeben von grellem Licht und ihr Kopf durchstieß die Wasseroberfläche. Gierig füllte sie ihre Lungen mit frischem Sauerstoff. Dann erst sah sie sich um. Sie befand sich in einem gigantischen, flachen Wasserbecken, welches sich in einem noch größeren marmornen Badehaus befand. Die hohe Decke wurde von drei dicken Säulen gestützt, welche mit farbenfreudigen Malereien bedeckt waren. Von der Decke tropften tausende Wassertränen in das Gefäß, in dem auch sie nun hockte. Wie in Zeitlupe fielen sie zu ihr herab und verbanden sich mit dem Wasser um sie herum. Elynia senkte ihren Blick zum Boden des Badehauses. Flache Stufen führten aus dem Wasser, welches eine angenehme Temperatur hatte. Vorsichtig erklomm Elynia die Stufen und trat aus dem Becken. Die nasse Kleidung klebte ihr eng am Leib und das Haar hing ihr triefend ins Gesicht, während sich zu ihren Füßen eine immer weiter anwachsende Wasserlache bildete und so die Perfektion der blankpolierten Fliesen störte. Elynia blickte sich um. Hinter ihr stieg Meister Ruben gemessenen Schrittes aus dem Wasser. Seltsamerweise war seine Kleidung völlig trocken, wodurch sie sich in ihren triefenden Stoffen etwas fehl am Platz fühlte. Es musste bei dieser Form zu reisen irgendeinen Kniff geben, einen einfachen Trick, welcher die Feuchtigkeit abhielt, aber der Zauberer hatte wohl vergessen, ihn ihr gegenüber zu erwähnen. Oder auch nicht. Dem spöttischen Blick in seinen Augen nach zu urteilen, hatte er es ihr mit Absicht verschwiegen, um sie zu ärgern. Sie wie üblich ignorierend schritt der Meister zu einer kleinen Tür, nur um noch einmal kurz stehen zu bleiben.

»Willkommen in Celion, dem Zuhause und Ausbildungszentrum der Aquiron. Jetzt können sich andere mit dir Plagegeist herumschlagen.«

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