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Ardun stöhnte auf, als er sich ungeschickt zur Seite drehte und dabei seinen rechten Arm belastete. In der engen Zelle im Kerker der Festung Wackenstein hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. Dennoch glaubte er, dass seit seiner Gefangennahme mindestens sieben Tage vergangen sein mussten. Und somit auch die schlimmste Woche seines Lebens, ein Rang, der nicht einfach zu erreichen war. Man hatte für ihn keinen Gerichtsprozess veranstaltet, dazu war Abschaum, wie er es war, nicht wichtig genug. Allein der Fürstensohn Idan war vor ihn getreten und hatte ihm sein Urteil verkündet, nicht ohne Ardun vorher ins Gesicht zu spucken. Er habe den Gast des Fürsten entführt und kaltblütig ermordet. Damit habe er Hochverrat an dem örtlichen Monarchen begangen. So hatte das Urteil gelautet. Was das bedeutete, musste nicht ausgesprochen werden, denn es war unweigerlich der Tod. Aber selbst ein schneller Tod war Ardun nicht vergönnt, da er sich über die Jahre ganz besonders um die Missgunst Idans bemüht hatte. So hatte ihn der Fürstensohn in eine Todeszelle verfrachten lassen, in der Ardun allerdings nur einen kurzen Teil des Tages verbrachte. Die meiste Zeit wurde er in der Folterkammer von Idans Folterknechten nach allen Regeln ihrer abscheulichen Kunst einer steten Tortur unterzogen. Hätte man ihn gefragt, welche Art der Folter er hatte durchstehen müssen, Ardun hätte nicht antworten können. Die Erinnerung war nicht klar zu fassen, denn sie bestand nur aus einer einzigen Empfindung: Schmerz. Und auch jetzt, da er allein in seiner Zelle war, blieb ihm der Schmerz nicht erspart, denn bei der morgendlichen Behandlung hatten Idans Knechte ihm seinen rechten Arm gebrochen. Und eben diesen Arm hatte er gerade aus Versehen zu bewegen versucht, weshalb er sich nun stöhnend zusammenkauerte. Vor seinen Augen blitzten grelle Lichter und er vermied es, auf den gebrochenen Knochen hinabzusehen, da er in einem grotesken Winkel von seinem Körper abstand. Dann biss Ardun die Zähne zusammen und atmete tief ein und aus, während er sich wieder aufrichtete und versuchte, die Schmerzenswellen zu ignorieren. Dabei stach ihm der beißende Gestank seiner eigenen Exkremente in die Nase, der inzwischen die gesamte Zelle erfüllte. Denn ihm war keine andere Möglichkeit geblieben, als seine Notdurft in einer Ecke des kleinen Raumes zu verrichten. Doch das störte ihn inzwischen längst nicht mehr und er machte sich wieder an die Arbeit, die er zuvor unterbrochen hatte. Vor wenigen Tagen noch hatte ihn die Angst vor dem Tod erstarren lassen und er hätte alles getan, um am Leben zu bleiben, doch inzwischen schrie sein Geist und jede einzelne Zelle in seinem Körper dem Tod entgegen, er wolle ihn doch schnell zu sich holen. Denn nur so konnte Ardun den Schmerzen entgehen. Und wenn er eins verstanden hatte, dann, dass er schon längst tot war. Sein Wille, sein Geist und selbst sein Körper starben bereits. Und als wäre sein Flehen tatsächlich erhört worden, hatte ausgerechnet Idan ihm einen Ausweg geboten. Der Fürstensohn war am fünftem Tag nach seiner Inhaftierung gekommen und hatte sich an der Folter ergötzt, ehe er ganz nah an Ardun herangetreten war, sodass dieser den stinkenden Atem des Fürstensohnes auf seinen geschundenen Wangen gespürt hatte und ihm mit boshafter Freude erklärt hatte: »Weißt du, ich war schon immer der Meinung, dass eine Kanalratte nicht gut genug ist, um Hündchen bei den Adligen zu spielen. Mein Vater war anderer Meinung und hat dir eine Chance gegeben und dich aufgenommen, statt dich sofort zu töten, wie ich es ihm empfohlen habe. Und nun schau an, was aus dir geworden ist. Ich hatte offensichtlich recht. Aber keine Sorge, ich werde seinen Fehler schon bald ausmerzen. Aber ich bin kein Monster. Du selbst darfst den Tag deiner Hinrichtung bestimmen. Und bis es so weit ist, darfst du jeden Tag mit deinen beiden neuen Freunden hier spielen.«

Mit diesen Worten hatte Idan Ardun fünf dünne, lange Seile in die Hand gedrückt und ihn ohne ein weiteres Wort in der Hölle zurückgelassen. Doch Ardun brauchte keine Erklärung. Er kannte die Traditionen und wusste, wozu die Seile gedacht waren. Seit jeher war es in Wackenstein Brauch, dass Hochverräter öffentlich hingerichtet wurden. Oder präzise ausgedrückt, er sollte hängen. Und zwar an dem Tage, an dem der Strick vollendet wurde. Der Strick, durch den er sterben würde und den er sich nun selbst flechten musste. Als er jetzt daran dachte, wie sehr ihn diese Vorstellung früher abgeschreckt hatte, entrang sich seiner Kehle ein raues, freudloses Lachen, welches in der Dunkelheit verhallte. Er war immer der festen Überzeugung gewesen, dass dies der Höhepunkt der Grausamkeiten war, die man einem Menschen antun konnte und zweifelsohne dachte Idan ebenso. Aber nun verstand er es besser. Es war ein letztes Geschenk an die Gefangenen, die in ihren letzten Augenblicken ihr Schicksal doch noch selbst bestimmen durften. Nie zuvor hatte Ardun so viel Macht über sein eigenes Leben besessen wie in diesem Moment und trotz seiner elenden Lage kam ein Teil von ihm nicht darum herum, es zu genießen. Allerdings hatte er nicht vor, dieses Privileg lange zu genießen, denn er wollte den Strick so schnell wie möglich vollenden. Doch das war nicht einfach, da er nur seinen ungeschickten linken Arm gebrauchen konnte und es so zu einer komplizierten Arbeit wurde, die Seile zu verflechten, die er sich zwischen die Beine klemmte, ehe er umständlich das Knüpfen begann. Gleichwohl ging er äußerst sorgfältig vor, denn in einem zynischen Moment war ihm ein altes Sprichwort eingefallen: »Wie man sich bettet, so schläft man«.

In seinem Falle würde es ein ewiger Schlaf werden. Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als seine Zellentür laut knarrend aufschwang. Ardun sah gar nicht erst auf, denn er wusste, dies konnte nur bedeuten, dass ihm neue Folter bevorstand. Umso mehr überraschte es ihn, als ihn eine hohe Stimme ansprach: »Bewundernswert, wie weit deine Arbeit trotz deines bedauernswerten Zustandes schon fortgeschritten ist!«

Ardun, der soeben mit der Schlinge begonnen hatte, hob schwerfällig den Kopf, eine kleine Bewegung, die dennoch mit starken Schmerzen verbunden war, und blinzelte dumpf. Im schummrigen Licht einer kleinen Handlaterne stand vor ihm die Elfe Lian und lächelte mitleidig zu ihm herunter.

»Habe ich dir nicht versprochen, dass ich dir einen Ausweg biete?«, fragte sie ihn, offensichtlich ohne ernsthaft mit einer Antwort zu rechnen.

Dennoch brachte Ardun ein schwaches »Was wollt ihr von mir?« hervor.

Lian lächelte einladend, ehe sie wie beiläufig erklärte:

»Nichts anderes, als ich auch schon bei unserem letzten Treffen wollte. Ich will dich einladen, den Aquiron beizutreten. Und außerdem möchte ich dir helfen, noch einmal deinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.«

Kurz kicherte sie über ihre eigenen Worte.

»Wie passend diese Redewendung in deinem Fall doch ist! Also wie steht es? Willst du dich uns anschließen?«

Ardun hatte tausende Fragen auf der Zunge, doch sie alle waren jetzt nicht wichtig. Er hatte sein Zusammentreffen mit der Elfe und ihr seltsames Angebot unter der Folter schon längst vergessen, doch nun stand sie wieder hier und bot ihm tatsächlich eine Alternative zum Tod. Denn er war sich zwar immer noch nicht sicher, ob es tatsächlich klug war, ihr zu vertrauen, doch was hatte er in seiner Lage schon groß zu verlieren? Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als zur Antwort nur knapp zu nicken. Das Lächeln der Elfe wurde noch breiter. Dann hielt sie ihm ihre schlanke Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Er ergriff sie und ließ sich von ihr emporziehen. Ihre Haut fühlte sich angenehm warm und weich in seiner Hand an. Wankend kam er auf die Beine.

»Ich hoffe, du kannst selbst laufen«, äußerte sich Lian besorgt, »denn ich habe die Wachen zwar mit einem starken Betäubungsmittel ausgeschaltet, aber ich habe nicht die Kraft, dich aus der Burg zu tragen.«

Ardun verkniff sich die bissige Antwort, welche ihm schon auf den Lippen lag, und machte stattdessen einen entschlossenen Schritt in Richtung Tür. Doch erst jetzt bemerkte er, wie schwach sein Körper tatsächlich war und er musste sich an der Wand abstützen, um nicht zu stürzen, als durch Schmerz und Übelkeit die Welt um ihn herum sich zu drehen begann. Unfähig, es zurückzuhalten, erbrach er sich mehrere Male auf den Boden, ehe er sich mit dem Handrücken über den Mund wischte und einen weiteren schwankenden Schritt wagte. Es ging besser, auch wenn er weiterhin Gefahr lief, zu stürzen. Lian nickte einigermaßen zufrieden und drückte sich an ihm vorbei, um zuerst die Zelle zu verlassen. Mit einer Hand hielt sie sich angewidert die Nase zu. Ardun folgte ihr etwas langsamer, doch auch er erreichte schnell den Gang. Kaum war er aus der Tür getreten, warf Lian sie auch schon hinter ihm zu und schob den Riegel vor. Ardun hatte das Gefühl, als lägen seine Gedanken hinter einem dichten Nebel und es fiel ihm schwer, logisch zu denken oder auch nur einen klaren Satz zu formulieren, deshalb dauerte es, bis ihm seine Frage über die Lippen rutschte: »Wieso … wieso schließt ihr die Tür? Sie werden doch sowieso bemerken, dass ich nicht mehr da bin!«

Die Elfe sah ihn an, als habe er den Verstand verloren und schüttelte missbilligend den Kopf.

»Ich habe den Wachen das Betäubungsmittel in ihrem Essen verabreicht. Wenn sie aufwachen, werden sie starke Kopfschmerzen haben und nicht wissen, was geschehen ist. Vielleicht werden sie es erstmal nicht bemerken«, erklärte sie knapp und fügte dann etwas leiser hinzu: »Außerdem sind sie nur Menschen. Keiner von ihnen wird den Mut haben, vor Fürst Ergon zu treten und einzugestehen, seine Pflichten versäumt zu haben, selbst wenn sie Verdacht schöpfen sollten.«

Normalerweise war dies die Stelle, an der Ardun vehement widersprochen hätte, denn ihm gefiel die pauschale Abwertung der Menschen durch das Spitzohr ganz und gar nicht, aber in seinem jetzigen Zustand hatte er nicht die Kraft für eine derartige Debatte und außerdem war Lian schon vorausgelaufen und fast am Ende des Ganges angelangt. Er biss die Zähne zusammen und folgte ihr so schnell wie möglich. In regelmäßigen Abständen waren Fackeln an den Wänden angebracht, die Licht spendeten und wilde Schatten tanzen ließen, sodass er immerhin keine Probleme hatte, den Weg vor sich zu sehen. Und nachdem er einige Schritte mehr getan hatte, verschwand auch langsam die Steifheit aus seinen Beinen, wodurch er sich sicherer fühlte, wenn er auch trotzdem bei jedem Schritt die nackten Zehen in den Boden krallte, um zusätzlichen Halt zu gewinnen. Als er das Ende des Ganges erreicht hatte, setzte sich Lian, die ungeduldig auf ihn gewartet hatte, wieder zügig in Bewegung und huschte um die Ecke. Ardun hingegen ging etwas vorsichtiger vor und er spähte zunächst in den neuen Gang. Instinktiv zuckte er zurück, als ihm die Reflexion eines polierten Brustpanzers entgegenleuchtete. Doch als er seinen ersten Schrecken überwunden hatte, bemerkte er, dass der gerüstete Soldat sich nicht bewegte. Im Gegenteil, der Mann saß zusammengesunken an der Wand, das Kinn auf der Brust und den Mund leicht offenstehend und rührte sich nicht. Lediglich seine Nasenflügel hoben und senkten sich regelmäßig, der Beweis dafür, dass er nicht tot, sondern nur nicht bei Bewusstsein war. Lian war einige Schritte vorausgegangen, hatte sich umgedreht und verdrehte nun entnervt die Augen.

»Ich habe doch schon gesagt, dass ich mich um die Wachen gekümmert habe!«, tadelte sie ihn in wütendem Ton, »aber wenn du vorhast, dich weiter mit diesem Tempo fortzubewegen, kannst du auch gleich zurück in deine Zelle gehen und deinen Strick fertigstellen, denn so kommen wir hier niemals heraus. Und ich halte nicht meinen Kopf für einen Narren hin. Wenn es brenzlig wird, verschwinde ich und diesmal lass ich dich in diesem Loch versauern!«

Damit wandte sie sich ab und marschierte noch schneller als zuvor weiter. Ardun gab sich Mühe, mit ihr Schritt zu halten und ein kleines Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als er sie vor sich hin schimpfen hörte: »Menschen!«

Obwohl er sich in Wackenstein auskannte und auch die Kerkergänge nicht selten erblickt hatte, da er häufig für wenige Tage eingesperrt worden war, wenn er bei der Arbeit einen Fehler begangen hatte, folgte er der Führung der Elfe, die sich hier unten mindestens genauso gut zurechtzufinden schien wie er. Sie passierten zwei weitere Wachen, die ebenfalls ohne Bewusstsein waren. Doch da Ardun die Warnung der Elfe nicht vergessen hatte, dass die Wirkung der Betäubung nicht ewig anhalten würde, nahm er einem der Männer das Krummschwert ab und gürtete es selbst. Einarmig, wie er momentan war, stellte ihn dies vor einige Schwierigkeiten, doch schließlich gelang es ihm, die Schnalle über der Hüfte zu schließen. Dann blickte er auf und sah Lian an, die ihn mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete. Zu seiner Erleichterung erhob die Elfe keine Einwände, sondern wandte sich stumm ab. Sie bogen noch zweimal rechts und einmal links ab, dann fanden sie sich am Fuße der schmalen Wendeltreppe wieder, die hinauf in die höheren Geschosse der Burg führte. Nun konnte er es kaum mehr erwarten, endlich hinaus an die frische Luft zu gelangen, und er setzte eilig einen Fuß auf die unterste Stufe, doch Lian zog ihn zurück und bedeutete ihm, leise zu sein. Dann postierte sie sich an der Wand neben der Treppe, sodass man sie von den Stufen aus nicht sehen konnte. Ohne weiter nachzudenken, tat Ardun es ihr gleich und spitzte die Ohren. Hatte die Elfe etwa jemanden gehört? Vielleicht eine Wache, bei der ihr Trank bereits die Wirkung verloren hatte? Mit pochendem Herzen wartete er. Doch schon nach wenigen Augenblicken vernahm auch er, was die Elfe bereits zuvor bemerkt hatte. Dumpfe Schritte drangen die Treppe hinunter, erzeugt von gerüsteten Stiefeln auf den Stufen. Das Geräusch erklang in einem steten Rhythmus, wer auch immer kam, hatte also keine Eile. Diese Erkenntnis beruhigt Arduns Nerven ein wenig, denn augenscheinlich handelte es sich nicht um einen Soldaten, der einen Ausbruch vermutete. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass der Neuankömmling ihnen genau in die Arme laufen würde. Schon jetzt konnte er den rötlichen Schein einer Fackel an der Wand erkennen, dicht gefolgt von einem großen Schatten. Außerdem fürchtete er, dass man ihn durch das gesamte Gewölbe hören musste. Auf seiner Stirn bildeten sich dicke Schweißperlen und er legte unsicher eine Hand auf den Schwertknauf an seiner Hüfte. Die Waffe zu fühlen gab ihm ein kleines Gefühl von Sicherheit, obwohl er noch nie zuvor gekämpft hatte und gegen einen ausgebildeten Soldaten zweifelsohne nicht den Hauch einer Chance hatte. Aber seine Sorge war unbegründet, denn er kam gar nicht dazu, von der Waffe Gebrauch zu machen. Dafür ging alles viel zu schnell. Gerade erst war ein hochgewachsener Soldat auf den unteren Stufen erschienen, da schnellte auch schon Lian aus ihrem Versteck hervor und versetzte dem Mann einen Hieb gegen die Schläfe, wobei sie sich des Knaufes eines Dolches bediente, den sie zuvor verborgen gehalten hatte. Der Soldat verdrehte die Augen und fiel ungebremst zu Boden. Die Fackel in seiner Hand schlug auf dem Stein auf und erlosch. All das war geschehen, ehe Ardun auch nur die Zeit gefunden hatte, zu reagieren. Nun bückte er sich zu dem Mann und betrachtete das Werk der Elfe. Der Soldat trug keinen Helm, daher hatte ihn der Schlag mit voller Wucht getroffen, wodurch er eine blutende Kopfwunde davon getragen hatte. Aber er stellte erleichtert fest, dass der Mann nicht etwa tot war und die Wunde überleben würde. Dankbar lächelnd sah er zu Lian, doch der Gesichtsausdruck der Elfe, war furchteinflößend.

»Was wollte dieser Narr hier?«, fluchte sie, »es ist noch viel zu früh für eine Wachablöse!«

Ardun beobachtete sie stirnrunzelnd, ehe er vorsichtig fragte: »Was ist denn so schlimm daran? Ihr habt ihn doch überwältigt.«

Noch während er die Worte aussprach, bereute er schon, etwas gesagt zu haben, denn nun richteten sich die zornigen Augen der Elfe auf ihn und sie fauchte ihn an: »Was daran schlimm sein soll? Oh, eigentlich nichts. Es bedeutet ja lediglich, dass ein Soldat außerhalb des Wachwechsels die Kerker betreten hat, ohne dass wir wissen, weshalb! Was machen wir denn bitte, wenn er nur kurz geschickt wurde, um etwas zu holen und man ihn in Kürze oben vermisst? Findest du es dann vielleicht schlimm? Wenn du von Schwertern umzingelt und in Ketten in deine Zelle zurückgeschleift wirst?«

Ardun wagte es nicht, etwas zu entgegnen und schlug die Augen nieder. An Lians Worten war unbestreitbar etwas Wahres dran und so beschwerte er sich nicht, als sie noch rascher als zuvor die Treppe erklommen, obwohl sein Körper sich gegen die Anstrengung aufbäumte. Zur Sicherheit, falls sie noch weiteren Soldaten begegnen sollten, zückte er aber das Schwert und hielt die blanke Klinge vor sich. Doch die Schneide zitterte erbärmlich, da er die Waffe mit links halten musste. Glücklicherweise erreichten sie ohne weitere Zwischenfälle die nächste Ebene und auch in der Eingangshalle stellte sich ihnen niemand in den Weg. Die Elfe lief schnurstracks auf den Dienstboteneingang zu und machte sich an dem Schloss zu schaffen, doch Ardun zögerte noch und starrte auf die Treppe zu seiner Linken. Er müsste nur diese Stufen hinaufgehen, dann würde er die Gemächer des Fürstensohnes erreichen. Der Gedanke, mit einem Schwert bewaffnet vor dem Bett zu stehen, wenn Idan erwachte und ihn dann für das büßen zu lassen, was er ihm angetan hatte, war verlockend. Außerdem würde er damit dem Volk einen großen Dienst erweisen! Doch als er das Klicken eines Schlosses hörte und die Tür vor Lian aufsprang, wandte er sich mit einem Seufzen von der Treppe ab und verwarf seine Rachepläne. Ein kleiner Teil von ihm war sogar froh darüber, nun keinen Menschen töten zu müssen. Stattdessen trat er gemeinsam mit der Elfe durch die geöffnete Tür aus der Burg hinaus und atmete endlich wieder frische Luft, während ein sanfter Wind sein Haar umwehte. Wie in Trance sah er zu den leuchtenden Sternen am Himmel auf und eine Träne löste sich aus seinem Augenwinkel und kullerte ihm über die Wange. Rasch wischte er sie weg, da er vor der Elfe nicht schwach wirken wollte und nahm dankbar den dünnen Mantel an, den sie ihm reichte, denn seine zerschlissene Kleidung konnte die Kälte der Nacht nicht abhalten. Von hier an war ihre Flucht ein Kinderspiel. Hinab über den verlassenen Marktplatz und dann an einer unbewachten Pforte durch die Mauer. Geduckt entfernten sie sich so schnell wie möglich von der Feste, während Ardun immerzu die Ohren spitzte und in jedem Moment befürchtete, hinter sich die Alarmglocken zu vernehmen. Doch sie erreichten unbehelligt ein kleines Waldstück, bei dem sie von zwei Pferden erwartet wurden, die ordentlich gesattelt hier angepflockt waren. Lian löste die Leinen der Pferde und reichte ihm die Zügel des Rappen. Ungelenk stieg er auf den Rücken des Gauls, wobei seine ersten Versuche scheiterten, da er nicht die Kraft hatte, sich aus dem Steigbügel in den Sattel zu schwingen. Er wusste später nicht mehr, ob er es selbst geschafft hatte oder ob die Elfe ihm geholfen hatte, aber schließlich saß er doch oben auf und umklammerte mit klammen Fingern die Zügel. Das andere Pferd setzte sich vor seines und begann erst zu traben, dann immer schneller zu galoppieren und das seine folgte, ohne dass er es gelenkt hätte. Wenig später stoben sie in die Nacht davon und ließen Wackenstein weit hinter sich.

Drachenwispern

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