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Unendlich laut und ungnädig prasselte der Regen auf Ardun hinab, durchnässte seine dünne Kleidung und ließ ihm das schulterlange, triefende Haar ins Gesicht fallen. Es war, als habe selbst das Wetter sich gegen ihn gewandt, als wolle es ihn noch in seinem Leid verhöhnen. Er kniete in einer moosigen Senke im Wald und hielt die Wange in tiefer Trauer an den leblosen Körper in seinen Armen gedrückt. Es war die erstarrte Gestalt eines jungen Mädchens, nicht viel jünger als er selbst. Wahrscheinlich war dies ihr achtzehnter Sommer.

»Und nun auch ihr letzter«, fügte er in Gedanken bitter hinzu, während sich ein leiser Schluchzer seiner Kehle entrang.

Aber keine Träne lief über seine Wange. Er konnte sich nicht einmal erinnern, wann er das letzte Mal geweint hatte, denn so weit seine Gedanken zurückreichten, hatte ihn das Leben mit grausamer Härte in seinen Klauen gehalten. Ardun hatte seine Eltern nie kennengelernt und auch sonst hatte sich niemand seiner angenommen. So war er schließlich alleine in den Gassen Wackensteins aufgewachsen, einer heruntergekommenen Menschenstadt unter der Regentschaft eines Herrschers, dem jeglicher Gedanke an die Hungernden und Armen fremd war. Aber trotz dieser Widrigkeiten hatte Ardun sich nie beschwert, denn dieses Leben hatte ihn gelehrt, dass er nur sich selbst trauen konnte, aber auch, dass er mit seinem eigenen Willen alles erreichen konnte. Oder zumindest genug, um zu überleben. Niemand kümmerte sich um ihn und er sich ebenso wenig um den Rest der Welt. Doch heute hatte er all seine Prinzipien über Bord geworfen und sich gegen die warnende Stimme in seinem Hinterkopf durchgesetzt. Ein Fehler, der ihn den Garant seines Daseins gekostet hatte und als Tribut höchstwahrscheinlich sein Leben fordern würde, ehe die Sonne ein weiteres Mal den Horizont erklomm. Bitter dachte er zurück an seine Kindheit. Als er gerade den Sept, das Knabenalters erreicht hatte, war er von der Wache erwischt worden. Eigentlich war der Sept ein wichtiger Tag im Leben eines Mannes, denn die Ernten waren schlecht und die Winter hart, sodass selbst in behüteten Verhältnissen nur jedes dritte Kind dieses Alter erreichte. Wer aber das Erblühen der ersten Blumen am Primus des Frühlings nach seinem siebten Winter miterlebte, der hatte die Kraft bewiesen, den Widrigkeiten der Natur zu strotzen. Daher feierte man den Sept so prunkvoll und überschwänglich, wie es die finanzielle Lage der Familie zuließ. Für Ardun war es einfach nur ein weiterer elender Tag gewesen, an dessen Morgen er erwacht war, ohne zu wissen, ob er an diesem Abend wieder hungrig ins Bett gehen musste. Unwillkürlich verzog er den Mund, als er selbst jetzt, Jahre später, wieder den beißenden Hunger fühlte, den er auch damals gespürt hatte. Heiß und stechend hatte er sich durch seine Eingeweide gefressen und ihn sich vor Krämpfen winden lassen. So hatte er schließlich der Not nachgegeben und sich zu dem kleinen Marktplatz begeben, der sich direkt vor den Toren der protzigen Burg Wackenstein befand. Trotz der Armut der Bewohner waren die Stände hier nie leer und die Düfte von geräuchertem Fisch, frischgebackenem Brot und anderer Köstlichkeiten vermischten sich und ließen ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen. Er hatte sich unter die Leute begeben und einfach von der Masse treiben lassen, um nicht von den Wachen entdeckt zu werden, bevor seine Hand an einem Obststand blitzschnell hervorgezuckt war und einen grünen Apfel in seinem Ärmel hatte verschwinden lassen. Alles war gut gegangen, der Händler, ein kleiner, untersetzter Mann mit Glatze, hatte nichts gemerkt und pries den Passanten weiter lautstark seine Ware an. Doch dann, als er sich schon in Sicherheit gewähnt hatte, war es geschehen. Ein rennendes Kind hatte ihn von hinten angerempelt und Ardun war der gestohlene Apfel aus der Ärmelfalte gerutscht, gerade als eine vierköpfige Wachpatrouille an ihm vorbeikam. Er hatte keine Zeit gefunden zu reagieren und zu fliehen, so schnell war er schon grob am Arm gepackt und von der unerbittlichen Wache vor Fürst Ergon geschleppt worden. Dieser hatte ihm die Wahl gelassen, entweder für ihn zu arbeiten oder aber, wie bei Diebstahl üblich, seine Hand zu verlieren. Ardun war so verängstigt gewesen, dass ihm der eigene Urin die Beine hinabgelaufen war. Seit diesem Tag hatte er auf Burg Wackenstein gearbeitet, bei allem geholfen, wofür jemand gebraucht wurde, und das für lediglich ein Silberstück und eine laue Schüssel Gemüsesuppe am Tag. So war es auch an diesem Morgen gewesen, als das Mädchen aufgetaucht war. Er hatte die Szene mehr zufällig mitbekommen, da er im Thronsaal die Rüstungen polieren musste, bis das alte Metall nur so glänzte und seine Finger blutig und wund waren. Zwei Wachen hatten das zitternde Mädchen hineingeführt, wo es schon von des Fürsten Sohn Idan erwartet worden war. Er eröffnete dem Mädchen, dass er sie erwählt habe, seine persönliche Mätresse zu werden. Angewidert hatte Ardun kurz von seiner Arbeit aufgeschaut, nur um die hämische Freude in dem Gesicht Idans zu sehen, während das Mädchen sich in den Armen der Soldaten gewunden und weinend um Gnade gewinselt hatte. In diesem Moment hatte er beschlossen, das Mädchen aus Wackenstein zu retten, nicht aus Nächstenliebe, sondern um dem arroganten Fürstensohn eins auszuwischen, der nicht einmal davor zurückschreckte, sich ein unbescholtenes Dorfmädchen zur Hure zu nehmen. Doch wohin hatten ihn seine ehrgeizigen Pläne geführt? Nun saß er hier im Wald, das Mädchen, aus dessen Rücken ein gefiederter Pfeil ragte, in den Armen haltend, und lauschte auf die lauten Stimmen der Soldaten, die nach ihm suchten und ihm Drohungen und Schmähungen entgegenbrüllten. In der Dunkelheit der Nacht sah er ihre Fackeln auf und ab hüpfen und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Hunde seine Witterung aufnahmen und ihn fanden. Bei dem Gedanken an die blutrünstigen Jagdhunde musste Ardun schwer schlucken, denn er hatte schon einmal miterlebt, wie sie das Bein eines kräftigen Mannes einfach zerfetzt hatten. Vielleicht war es sogar besser, sich zu stellen, denn der Tod durch das Schwert wäre sicherlich angenehmer, als Bekanntschaft mit den Zähnen der Hunde zu machen. Und entkommen konnte er ja doch nicht.

»Die Last der Toten ist nur schwer zu tragen, nicht wahr, mein Sohn?«, ertönte plötzlich eine sanfte Stimme direkt vor ihm.

Zu Tode erschrocken fuhr Ardun halb auf und seine Hand glitt automatisch zu dem Dolch an seinem Gürtel und riss ihn aus der Scheide. Vor ihm war von ihm völlig unbemerkt eine Gestalt erschienen, die sich in einen tiefschwarzen Umhang gekleidet hatte, der mit der umgebenden Nacht perfekt verschmolz. Der Neuankömmling hob beschwichtigend die Hände und schob sich langsam die Kapuze vom Kopf. Zum Vorschein kam das Gesicht einer wunderschönen Frau, wie Ardun sich selbst eingestehen musste, das von langen blonden Haaren und zwei spitzen Ohren gerahmt wurde. Eine Elfe! Sie sah ihn aus klugen Augen an und sprach dann wieder mit ruhiger, sachlicher Stimme:

»Zweifellos trägst du die Schuld an dem Tod dieses Mädchens.«

Diese Aussage schockierte Ardun noch mehr als das plötzliche Auftauchen der Elfe und er wollte wütend aufbegehren, doch die Elfe unterbrach ihn mit einer Handbewegung.

»Ich weiß genau, was sich zugetragen hat, also versuche nicht, meine Worte zu leugnen und mich zum Narren zu halten!«, brauste sie mit plötzlicher Härte auf, ehe ihr Ton wieder bitterweich und verständnisvoll wurde, »Die Wahrheit darf niemals geleugnet werden, Sohn, denn sonst belügen wir nur unsere eigene Seele. Ich weiß, dass du ihren Tod nicht wolltest und im Sinn hattest, ihr zu helfen. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass sie noch am Leben wäre, wenn du nicht gehandelt hättest. Innerlich zerbrochen und geschändet, das ja, aber immerhin am Leben.« Ardun hatte einen Kloß im Hals. Er wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte, denn die Wahrheit ihrer Worte traf ihn wie ein Schlag und er schaute beschämt zu Boden. Dann kochte mit einem Mal Zorn in ihm hoch. Wer war diese Fremde, dass sie sich anmaßte, so mit ihm zu sprechen? Sie wusste rein gar nichts über ihn und die Entbehrungen, die er schon hatte erleiden müssen. Überhaupt war sie noch nicht einmal ein Mensch und doch stand sie hier und urteilte über ihn, als wäre sie seine Mutter!

»Wenn das alles ist, was Ihr zu sagen habt, dann verschwindet Ihr jetzt besser, sonst finden mich wegen Euch noch die Wachen!«

Die Elfe sah ihn tadelnd an.

»Immerfort davonzulaufen wird dir niemals das bescheren, wonach dein Herz sich so verzehrt. Aber ich sehe die Reue in deinen Augen für die Taten, die du begangen hast, und deshalb möchte ich dir ein Angebot machen. Wenn dies dein Wunsch ist, biete ich dir an, Teil der Aquiron zu werden.«

Verständnislos sah Ardun sie an. Was das Elfenweib da von sich gab, ergab absolut keinen Sinn. Und wer zum Teufel sollte dieser Aquiron sein?

Als hätte sie seine Gedanken erraten, erklärte die Elfe: »Die Aquiron sind eine Gilde von Kriegern, wenn wir uns auch von gewöhnlichen Soldaten unterscheiden. Man muss gewisse Kriterien erfüllen, um aufgenommen zu werden. Nur jene mit einem besonderen Talent, einer Gabe, dürfen beitreten. Aber es wird niemand gezwungen. Im Grunde sind wir eine große Familie, in der jeder auf den anderen aufpasst, und kämpfen an eben jenen Fronten, an denen eine normale Armee in wenigen Augenblicken versagen würde. Denk über meine Worte nach. Ach und eins noch, mein Name ist Lian.«

Damit wandte sie sich, ohne seine Antwort abzuwarten, ab und war in der Nacht verschwunden, ehe Ardun etwas dagegen tun konnte. Mit gemischten Gefühlen stand er da und blickte ihr nach. Frustriert schleuderte er den Dolch in den weichen Waldboden, wo die kurze Klinge stecken blieb, und versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Er beschloss, das Gespräch zu vergessen, und machte sich daran, ein Grab für das Mädchen auszuheben, um ihr wenigstens diese letzte Ehre erweisen zu können. Die körperlich anstrengende Arbeit tat ihm gut, auch wenn er sich zahlreiche Schnittwunden an den Händen zuzog, da es ihm an Werkzeug für solche Arbeiten fehlte. Da legte sich plötzlich kalter Stahl an seinen Hals und drückte sich leicht in die Haut, sodass einige Blutstropfen hervorquollen. Ardun erstarrte. Er wusste, wenn er sich auch nur einen Deut bewegte, würde das Schwert seine Kehle durchtrennen.

Eine hämische Stimme flüsterte ihm selbstzufrieden ins Ohr: »Genug Katz und Maus gespielt, kleiner Scheißer. Jetzt kommst du schön brav mit, damit wir ein bisschen Spaß mit dir haben können, bevor du baumeln darfst.« Dann traf ihn etwas hart am Hinterkopf und ihm wurde schwarz vor Augen.

Drachenwispern

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