Читать книгу Drachenwispern - Christian D'hein - Страница 14

Оглавление

10

»Beweg deine Füße!«, rief Lian unwirsch, während Ardun unsanft auf dem Hosenboden landete.

Zwei Tage waren vergangen seit ihrer ersten Rast und die Elfe hatte ihn für fit genug befunden, um mit dem Training zu beginnen. Gerade hatte sie ihm einen kräftigen Stoß gegen die Brust verpasst, der Ardun nach hinten stürzen ließ.

»Du brauchst immer einen sicheren Stand, sonst wirst du selbst mit der besten Technik noch verlieren! Nur ein Stümper lässt sich von solch einem Stoß umwerfen«, tadelte sie ihn streng.

Derweil rappelte Ardun sich wieder auf und massierte sich die schmerzenden Rippen dort, wo der Stoß ihn getroffen hatte. Er hatte sich schnell an den forschen Umgang der Elfe gewohnt und gelernt, dass er beim Training weder Rücksicht noch aufmunternde Worte von ihr erwarten durfte, denn ihre Lektionen waren geprägt von Spott und Demütigungen. Dies fing schon damit an, dass er seinen Dolch benutzte, mit dem man problemlos Sehnen, Fleisch und auch Knochen durchtrennen konnte, und sie sich nur eines einfachen Stockes bediente, denn sie laufe eher Gefahr, sich selbst zu verletzten, als von ihm getroffen zu werden, wie sie gerne betonte. Doch obwohl er in seinem Stolz gekränkt war, konnte Ardun nicht anders, als Sympathie für seine Lehrerin zu empfinden, da er wusste, dass sie es nicht tat, um ihn zu beleidigen. Ihre Methoden erwuchsen vielmehr aus einer tiefen Überzeugung, die sie ihm bei jeder Gelegenheit einbläute: »Der Feind wird dich niemals schonen. Wieso sollte ich es also tun und dich unvorbereitet durch die Welt ziehen lassen? Wenn ich jemanden etwas lehre, übernehme ich damit auch Verantwortung für ihn.« Und vermutlich hatte sie damit sogar recht. Nun kam sie zu ihm herüber und zeigte ihm, wie er solch peinliche Stürze zukünftig vermeiden konnte.

»Du musst die Füße immer ungefähr schulterbreit haben«, erklärte sie, während sie das Gesagte mit einer Vorführung untermalte, »dann kannst du wie ein Fels in der Brandung stehen. Wenn ein Angreifer auf dich zustürmt, verlagere das Gewicht in die Fußballen, um der Wucht standhalten zu können. Wenn du hinten auf den Fersen stehen bleibst, wird ein Angriff dich umwerfen, so wie es gerade auch geschehen ist. Und wenn du einen Stoß blockst, halte den Arm so vor dich, damit du dich mit deinem ganzen Gewicht gegen die Attacke lehnen kannst.«

Sie zeigte ihm die beschriebene Bewegung und führte den Arm in einem rechten Winkel vor die Brust. Dann befahl sie ihm, in die Bereitschaftsstellung zu gehen, welche sie ihm zu Beginn des Trainings gezeigt hatte. Als sie mit seinem Stand zufrieden war, nickte sie und erklärte, dass sie ein weiteres Mal einen Stoß gegen ihn führen würde. Ardun nickte. Seine Aufgabe war es, den Stoß zu blocken. Er konzentrierte sich auf seine Füße und verlagerte sein Gewicht nach vorne, wie sie es ihm gezeigt hatte. Dann wartete er. Blitzschnell zuckte der Stock in den Händen der Elfe nach oben und schoss auf ihn zu. Doch diesmal war er darauf vorbereitet und riss reaktionsschnell den Dolch hoch. Die Kraft hinter dem Angriff war deutlich zu spüren, aber dennoch zögerte er, sich mit seinem gesamten Gewicht dagegenzulehnen. Das Ergebnis war, dass er einige Schritte nach hinten stolperte, aber es schaffte, auf den Beinen zu bleiben. Grimmig straffte Ardun die Schultern und bedeutete Lian, es noch einmal zu tun. Diesmal warf er sich mit aller Kraft gegen den Stoß, den sie führte, der noch stärker war als der erste. Der Kies unter seinen Schuhen knirschte, aber seine Füße bewegten sich kein Stück vom Fleck und er stand weiterhin stabil. Zufrieden grinste er, da traf ihn plötzlich ein zweiter Stoß von der Seite. Völlig unvorbereitet strauchelte Ardun wild mit den Armen rudernd und landete ein weiteres Mal an diesem Abend auf dem Boden.

»Ruhe dich niemals auf deinen Lorbeeren aus, sonst findest du bald einen schnellen Tod«, lautete das strenge Urteil der Elfe.

Aber dann half sie ihm mit dem Anflug eines Lächelns auf und lobte: »Gut gemacht.«

Dankbar nickte Ardun ihr zu. Dann machte er sich daran, die Satteltaschen zu durchwühlen und alles hervorzuholen, was er für ein Nachtlager benötigte. Sie hatten bereits vor der Trainingseinheit gegessen und er ging nicht davon aus, dass sie sich noch lange unterhalten würden, da Lian mit voranschreitendem Abend immer ungesprächiger wurde. Daher wunderte es ihn, dass sie ihre Satteltaschen gepackt hielt und sogar Anstalten machte, das Feuer auszutreten.

»Wir werden nicht hier unser Lager aufschlagen?«, fragte er verwirrt.

Die Elfe schüttelte den Kopf und entgegnete angespannt:

»Das hatte ich zwar eigentlich vor, aber wir müssen wohl umdisponieren. Siehst du die orange Blume dort?«

Ardun betrachtete das Gewächs zu ihren Füßen. Es war eine hübsche Blume, deren Blätter in einem hellen Orange erschienen, die mit Linien von dunklerem Orange durchzogen wurden. Sie war zweifelsohne sehr schön anzusehen und hätte sich gut in einem Strauß gemacht, aber er verstand nicht, weshalb dies ein Grund war, ihr Lager abzubrechen. Es sei denn, sie hatte eine tiefere Bedeutung.

»Ist diese Blume denn etwas Schlechtes?«, fragte er deshalb, auch wenn er nicht daran glaubte.

Lian schüttelte den Kopf und gab zu: »Die Blume selbst ist weder gut noch schlecht. Allerdings bereitet es mir Unbehagen, dass sie hier steht. Es ist eine Zweilichtrose. Diese Blumen sind sehr beliebt an Königshöfen, da sie äußerst selten sind. Ich kenne nur zwei Orte, an denen welche wachsen. Und das ist einerseits der Garten Celions, der aber noch weit entfernt ist, und andererseits der Murùn, ein gigantisches Waldgebiet. Dass die Rose aber hier blüht, bedeutet, dass wir eben diesem Wald schon viel näher sind, als ich dachte. Ich hatte erst übermorgen Mittag damit gerechnet, seinen Rand zu erreichen, aber es scheint, als hätten wir in den letzten zwei Tagen mehr Strecke zurückgelegt, als ich vermutet habe. Oder aber seine Ausläufer sind gewachsen, seit ich das letzte Mal hier war.«

Irgendwo in Arduns Hinterkopf klingelte es. Ihm fiel eine alte Geschichte ein, mit der man früher versucht hatte, ihn vor dem dunklen Wald zu schrecken.

»Bedenke«, hatte man ihm erzählt, »was, wenn der Wald dich des Nachts verschlingt? Weißt du denn nicht, dass es einen sagenumwobenen Wald gibt, den Murùn? Es heißt, wer sich dort nächtens hineinwagt, wird nie wieder gesehen. Der Wald selbst verleibt sich alle unglücklichen Seelen ein, die diesen törichten Fehler begehen. Und angeblich war der Wald Wackensteins einst mit ihm verbunden, also verlasse nicht die Mauern, wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist!«

Anfangs hatte Ardun sich selbst in der Stadt noch vor dem bösen Wald gefürchtet, doch nachdem er einmal des Nachts von Idan dort ausgesetzt worden war und ihm nichts geschehen war, obwohl er sich vor Schrecken starr unter einen Baum gekauert hatte, lernte er die Stille unter den Bäumen zu lieben und nicht zu fürchten. Lian jedoch schien wahrhaftig beunruhigt.

»Ihr glaubt doch nicht etwa die alten Geschichten, die sich die Menschen über den Wald erzählen?«, fragte er sie ungläubig.

Ein amüsiertes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und sie schüttelte beruhigend den Kopf.

»Keine Sorge«, sagte sie, »dem Alter, um an menschenfressende Wälder zu glauben, bin ich bereits vor hundert Jahren entwachsen. Aber häufig haben solche Mythen einen wahren Kern und es stimmt tatsächlich, dass viele nächtliche Wanderer dort ihr Leben lassen, auch wenn dies nichts mit gefräßigen Bäumen zu tun hat. Das Problem in diesem Wald sind die Irrlichter.«

»Irrlichter?«, echote Ardun zweifelnd. Lian nickte.

»Es gibt etliche Wesen, die du für nicht real hältst. Sobald du erst einmal den Aquiron beigetreten bist, wirst du nur allzu schnell merken, dass die Welt größer ist, als du denkt. Aber zunächst muss dich das noch nicht beunruhigen. Die Irrlichter allerdings schon. Sie kommen des Nachts heraus und suchen nach Wanderern, die sie vom Weg abbringen können. Dabei kommt ihnen ihre äußerst lästige Fähigkeit zugute. Sie schwirren nämlich keineswegs wie Glühwürmchen herum und verwirren nur mit ihrem Leuchten, sondern sie können jegliche Gestalt annehmen und auch ihren Geruch und ihre Stimme verändern.«

Ardun konnte nicht anders, als beeindruckt zu sein. Er kannte einige Menschen, die für solch eine Fähigkeit bereitwillig töten würden.

»Aber wieso reisen wir in der Nacht weiter, wenn die Irrlichter gerade in der Dunkelheit so gefährlich sind?«, wandte er ein.

»Weil wir zu zweit sind. Wenn einer von uns auf die List der Irrlichter hereinfällt, kann der andere ihn vor einer Dummheit bewahren. Wenn wir aber hier lagern und schlafen und sie nur einen von uns wecken, ist die Gefahr viel größer, dass es ihnen gelingt, uns zu verzaubern.«

Das leuchtete Ardun ein, dennoch packte er nur unwillig seine Satteltaschen neu und blickte sehnsüchtig auf das weiche Gras zu seinen Füßen. Er hätte sich gerne dort hingelegt und geschlafen, erst recht nach der Trainingseinheit, aber es sollte wohl nicht sein. Stattdessen half er Lian, die Überreste der Feuerstelle zu beseitigen und erklomm dann mit einiger Mühe den Sattel seines Pferdes. Obenauf rückte er behutsam den Stoff seiner Hose so zurecht, dass sie einen kleinen Puffer zum Sattel bildete, damit er sich nicht wieder den Schorf an seinen Beinen aufrieb.

Trotz seiner Müdigkeit genoss Ardun den nächtlichen Ritt. Denn die Dunkelheit war erfüllt von den Geräuschen unzähliger Tiere und er lauschte fasziniert dem Schreien der Eulen, dem Zirpen der Grillen und dem Rascheln kleiner Pfoten im Laub. Zusammen ergab es ein himmlisches Konzert der Natur, welches ihn in seinen Bann zog. Und nachdem sie den Wald erreicht hatten und an seiner Grenze entlangritten, mischte sich dazu der seichte Wind unter den Bäumen, der die Kronen leicht wiegen ließ, und Ardun erblickte Wesen, die er nie zuvor gesehen hatte. Zwar waren unter ihnen keine Irrlichter, was einen kleinen Teil von ihm enttäuscht ließ, da er seine Neugierde auf die mystischen Wesen kaum zügeln konnte, aber dafür sah er allerlei Käfer und Glühwürmchen, die den Schutz des Waldes verließen und als kleine Lichtpunkte vor seinem Gesicht schwebten. Er fand die Nacht so schön, dass er eine leichte Trauer verspürte, als der Horizont sich langsam rötlich färbte und der Morgen dämmerte. Die Tierchen versteckten sich wieder im Dickicht und als die Sonne zu steigen begann, waren Ardun und die Elfe erneut die einzigen Lebewesen weit und breit. Nun, da ihn der Zauber der Nacht nicht mehr fesselte, kehrte auch die Müdigkeit in seinen Körper zurück und er hatte Schwierigkeiten, sich aufrecht im Sattel zu halten. Er schielte zu Lian hinüber, deren Haltung keine Erschöpfung verriet. Doch er bemerkte die leichten Ringe unter ihren Augen, die diesen Anblick Lüge straften. Umso erleichterter war er, als in der Ferne eine große Hütte auftauchte, auf die sie zuzusteuern schienen. Wie er schon bald erkennen konnte, handelte es sich um eine Herberge, denn auf einem verwitterten Schild vor der Tür stand in abgeblätterten Lettern: »Zum lachenden Irrfahrer«.

Gleich neben dem Haus befand sich ein kleiner Stall für die Tiere der Reisenden, in dem auch sie nun ihre Pferde anbanden, ehe sie die Schenke betraten. Der Raum war schlicht eingerichtet und es waren auch nur wenige Gäste da, drei Männer an einem Ecktisch und eine Frau an einem anderen Tisch. Lian lenkte ihre Schritte zum Tresen und Ardun folgte ihr. Dahinter stand ein kleiner Wirt mit sehr großem Bauch, der ein milchiges Glas mit einem schmutzigen Tuch polierte, ohne dass es den Anschein hatte, als achte er wirklich auf seine Hände.

»Hättet Ihr wohl ein Zimmer für den Tag?«, fragte die Elfe höflich.

Der Mann zeigte ein zahnloses Grinsen und nickte.

»Kein eigenes Zimmer für den Burschen?«, fragte er dann spöttisch.

Ardun sah abwartend zu Lian, welche den Kopf schüttelte und dem Wirt einige Münzen hinlegte.

»Ein Zimmer wird reichen.«

Der Mann zuckte mit den Schultern und kam hinter dem Tresen hervor, um sie ein Stockwerk nach oben zu ihrem Zimmer zu führen. Nachdem er es geöffnet hatte, reichte er Lian den Schlüssel und sagte noch: »Ihr könntet bessere Gesellschaft bekommen.«

Dabei versuchte er sich wohl an einem anzüglichen Blick, der aber eher einer Grimasse glich. Die Elfe hatte seiner nur ein schmales Lächeln übrig, ehe sie ihm die Tür vor der Nase schloss. Ardun sah sich kurz um. Der Raum war klein, hatte nur zwei Betten und ein schmales Fenster. Mit einem zufriedenen Seufzer ließ er sich auf eines der Betten fallen ohne sich an den Flecken auf dem Laken zu stören und schlief beinahe sofort ein.

Drachenwispern

Подняться наверх