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e) Heimtücke

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Die Auslegung des Merkmals „Heimtücke“ ist in Rspr. und Literatur umstritten.[108] Nach h. M. handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung das Opfer unter bewusster Ausnutzung der objektiven Arg- und Wehrlosigkeit tötet.[109] Eine starke Literaturauffassung verlangt darüber hinausgehend einen verwerflichen Vertrauensbruch,[110] was jedoch mit dem Wortlaut „Heimtücke“ nur schwer vereinbar erscheint.[111] In der Klausur spricht daher vieles dafür, sich der Definition der h. M. anzuschließen und lediglich eine Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit in feindlicher Willensrichtung zu verlangen. Dabei ist weder erforderlich, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit herbeigeführt hat, noch dass er sie absichtlich ausnutzt (zweifelhaft). Ausreichend ist schon, dass der Täter die Umstände erkannt hat, aus denen sich die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ergibt, und der Täter sich trotzdem nicht von seiner Tat abhalten lässt.[112] Folgerichtig ist Heimtücke auch dann zu bejahen, wenn der Täter sein ahnungsloses Opfer zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz angreift, dann aber unter bewusster Ausnutzung des Überraschungseffekts unmittelbar zur Tötung übergeht und es dem Opfer nicht mehr möglich ist, sich erfolgversprechend zur Wehr zu setzen, sodass die hierdurch geschaffene Situation bis zur Tötungshandlung fortdauert.[113] Jedoch verneint der BGH Heimtücke, wenn die Handlungsweise des Täters einer spontanen Eingebung entspringt (vgl. dazu unten Spurenbeseitigungs-Fall, Rn. 55 f.).

Arglosigkeit ist gegeben, wenn sich das Opfer keines Angriffs von Seiten des Täters versieht, wobei ausschlaggebend der Zeitpunkt der konkreten Tatbegehung ist, sodass die Arglosigkeit nicht deshalb entfällt, weil das Opfer abstrakt Grund zur Annahme eines Anschlags auf sich hat.[114] Eine bloß latente Angst des Opfers schließt Heimtücke nicht aus (BGH Urt. v. 20.8.2012 – 4 StR 84/12).

Als Zeitpunkt der konkreten Tatbegehung, für den die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers vorliegen muss, ist auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs abzustellen.[115] Einen in diesem Zusammenhang relevanten Fall hatte der BGH zu entscheiden. Dem Sachverhalt des Falles nachgebildet ist folgendes

Beispiel:[116] A fuhr nachts in Selbstmordabsicht und bei ausgeschalteten Scheinwerfern mit seinem Auto in entgegengesetzter Fahrtrichtung auf der Autobahn, um einen Frontalzusammenstoß herbeizuführen. Kurz bevor es zur Kollision kam, gab A seine Selbstmordabsicht jedoch auf, bremste und schaltete das Licht wieder an. Der Fahrer des entgegenkommenden Fahrzeugs konnte jedoch nicht mehr rechtzeitig ausweichen, sodass es zu einem Zusammenstoß kam, bei dem drei Insassen des entgegenkommenden Wagens getötet und drei weitere verletzt wurden. A überlebte.

Lösung: Der BGH ist auch hier davon ausgegangen, dass hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs abzustellen ist. So gesehen habe A zur Ausführung seines wenigstens mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Angriffs schon durch das gezielte Zufahren mit seinem unbeleuchteten Pkw auf das entgegenkommende Fahrzeug angesetzt. Die zu diesem Zeitpunkt gegebene Arg- und Wehrlosigkeit der Fahrzeuginsassen des entgegenkommenden Kfz bestand dabei laut BGH auch nach dem Erkennen der Gefahrensituation fort, weil die daraufhin verbliebene kurze Zeitspanne[117] auch für den Führer des entgegenkommenden Pkws keine Möglichkeit mehr ließ, dem Angriff auszuweichen. Infolgedessen habe A die Fahrzeuginsassen des entgegenkommenden Fahrzeugs heimtückisch getötet. Darüber hinaus hat der BGH auch das Mordmerkmal des gemeingefährlichen Mittels bejaht, da bei der konkreten Anwendung des Kfz eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährdet werden konnte und A die vom Kfz ausgehende Gefahr nicht in seiner Gewalt gehabt habe (vgl. dazu sogleich u. Rn. 50). Neben dem Mord ist in einem derartigen Fall selbstverständlich auch eine vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c I Nr. 2 f StGB sowie ein vorsätzlicher gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b I Nr. 3, III i. V. m. § 315 III Nr. 1a StGB und eine Sachbeschädigung nach § 303 I StGB anzunehmen. Obwohl § 315c StGB eine Anwendung des § 315b StGB regelmäßig sperrt, weil § 315c StGB für Vorgänge im fließenden Verkehr abschließend ist, ist § 315b StGB vorliegend anwendbar, da die Handlungsweise des A eine Pervertierung des Straßenverkehrs darstellt, bei der ausnahmsweise § 315b neben § 315c StGB zur Anwendung gelangen kann (vgl. dazu näher u. Rn. 688).

Hinweis: Der Fall ist übrigens auch deshalb interessant, weil es durch das Anschalten der Scheinwerfer im letzten Moment nicht zu einem Frontalzusammenstoß gekommen war, sodass weitere Insassen des entgegenkommenden Kfz überlebten. Der BGH hat hinsichtlich dieser Insassen einen versuchten Mord geprüft, diesbezüglich jedoch einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch angenommen, da für die Verhinderung keine Bestleistung erforderlich sei (vgl. zu diesem Problemkreis Jäger, AT, Rn. 444 sowie Rn. 469, 466).[118]

Die Rechtsprechung hat den Grundsatz, dass Heimtücke die Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraussetzt, dahingehend modifiziert, dass das Merkmal ausnahmsweise auch vorliegt, wenn der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz planmäßig in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken[119] (im konkreten Fall hatte der Täter auf seine getrennt lebende Frau in der Garage gewartet, sie dort unentrinnbar umklammert und – nach Bedrohung mit einem an den Hals gehaltenen Spieß – schließlich zugestochen; allerdings ist Engländer darin Recht zu geben, dass man hier auch schon in der Umklammerung den Versuchsbeginn hätte sehen können, sodass sich das Problem hier wohl in Wahrheit nicht stellte).

Arglosigkeit ist aber andererseits regelmäßig dann nicht gegeben, wenn der Täter dem Opfer offen feindselig gegenüber tritt, es sei denn, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff ist so kurz, dass keine Möglichkeit verbleibt, dem Angriff auf irgendeine Weise zu begegnen.[120] Ebenso fehlt es an der Arglosigkeit, wenn der Täter die Tat zuvor angekündigt hat[121] oder wenn der eigentlichen Tötungshandlung schon Tätlichkeiten unmittelbar vorausgegangen waren.[122] Interessant ist in diesem Zusammenhang folgendes vom BGH entschiedenes

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Beispiel: A handelte mit CD- und Video-Raubkopien. B wusste davon und erpresste ihn. Eines Tages kam B in Begleitung des C zu A und forderte erneut die Zahlung von 5000 € Schweigegeld unter Androhung der Einschaltung der Polizei und Zerstörung der Wohnung. Als B zum Zeichen dafür, dass es ihm ernst war, gegen A's CD-Sammlung trat und zum Handy griff, um anzudeuten, dass er die Polizei rufen wolle, übergab A den geforderten Geldbetrag an den Begleiter C, da er nicht daran zweifelte, dass B ihn nun telefonisch anzeigen wolle. B stand zu diesem Zeitpunkt mit den Händen in der Hosentasche im Wohnzimmer. Plötzlich trat A, der wütend darüber war, dass B ihm das gesparte Geld wegnehmen wollte, und der sich auch seine Existenz nicht vernichten lassen wollte, hinter B, riss dessen Kopf zurück, zog ein Messer aus der Tasche und schlitzte dem B damit mehrfach die Halsschlagader auf. B sank sofort tot zu Boden. Strafbarkeit des A? (Raubkopie-Fall nach BGH NStZ 2005, 332).[123]

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Lösung: A ist nach Auffassung des BGH wegen Mordes nach §§ 211, 212 StGB zu bestrafen. In Betracht kommt dabei zunächst das Mordmerkmal der Heimtücke. Die dabei erforderliche Arglosigkeit des Opfers liegt jedoch nur vor, wenn sich dieses zum Tatzeitpunkt keines Angriffs versieht. Nach Auffassung des BGH hat hier das spätere Opfer mit seinem eigenen erpresserischen Angriff seine Arglosigkeit hinsichtlich eines Gegenangriffs bereits verloren. Mag B auch im Augenblick des Angriffs durch A nicht mit einem solchen gerechnet haben, so war er deshalb nach Meinung des BGH dennoch nicht arglos im Sinne der heimtückischen Begehungsweise. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Erpresser im Angesicht des Erpressten im Begriff sei, seine Tat zu vollenden. Heimtücke scheidet dem BGH zufolge demnach aus.

Zu bejahen ist hingegen das subjektive Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht: A wollte durch die Tötung zumindest auch verhindern, dass B ihn, wegen seines nach dem UrhG strafbaren Handels mit Raubkopien, anzeigen werde. Die Verdeckungsabsicht muss nicht das einzige Ziel des Täters sein. Es genügt, wenn es die Handlungsweise des Täters maßgeblich mitprägt.

Eine mögliche Rechtfertigung durch Notwehr scheidet aus. Denn zwar ist eine Notwehrlage aufgrund des Angriffs durch B zu bejahen. Allerdings ist bereits die Erforderlichkeit fraglich, jedenfalls soll es nach Auffassung des BGH aber unabhängig hiervon am Verteidigungswillen gefehlt haben, weil A sich „auch aus Wut … in erster Linie den Erpresser B vom Hals schaffen“ und sein Geschäft aufrechterhalten wollte. Der Verteidigungszweck bezüglich des überreichten Geldes trete demgegenüber in den Hintergrund.

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Der soeben geschilderte Fall zeigt, dass der BGH bei der Ablehnung der Arglosigkeit sehr weit geht, wenn Angriffe des Opfers unmittelbar vorausgegangen sind.

Allerdings ist auch nach Auffassung des BGH Heimtücke zu bejahen, wenn zwischen Ehegatten ein Streit mit Tätlichkeiten vorausgegangen, dieser aber beendet war und das Opfer ruhend bzw. schlafend erschlagen wird.[124] Auch nimmt der BGH Arg- und Wehrlosigkeit an, wenn der Tötungshandlung zwar eine Todesdrohung vorausgeht, das Opfer aber davon ausgehen darf, dass diese nicht ernst gemeint sein kann.[125] Der Fall, den der BGH konkret zu entscheiden hatte, lag so, dass ein Ehemann seiner Ehefrau eine Pistole vor das Gesicht hielt. Als diese ihrem Kind gegenüber äußerte, es brauche keine Angst zu haben, da der Ehemann ohnehin nicht schieße, drückte dieser aus einer Entfernung von 2 cm ab und tötete seine Frau. Der BGH hat hier Heimtücke angenommen, da der Täter seine Frau jahrelang bereits in vergleichbarer Weise mit vorgehaltener Pistole genötigt und niemals geschossen hatte. Hieraus schloss der BGH, dass sich die Frau keines Angriffs von Seiten des Täters versah, da dieser jahrelang leere Todesdrohungen ausgestoßen hatte. Der Täter habe die Arg- und Wehrlosigkeit der Frau dabei auch bewusst ausgenutzt, da er die Umstände kannte, die deren Arg- und Wehrlosigkeit begründeten (er hatte gehört, dass die Frau gegenüber ihrem Kind geäußert hatte, er schieße ohnehin nicht).

Auch sonst erstreckt der BGH den Anwendungsbereich der Heimtücke auf Fälle, in denen nur eine latente Angst des Opfers vor Angriffen des Täters besteht. Dies zeigt folgendes, aus der Rechtsprechung stammendes

Beispiel: K und A hatten über mehrere Jahre eine außereheliche Beziehung aus der drei Kinder hervorgingen. Auch nachdem sich A von K getrennt hatte, erschien dieser noch regelmäßig in deren Wohnung und bedrohte A. Nach einer Tätlichkeit wurde K schließlich durch die Polizei der Wohnung verwiesen. An das ihm auferlegte Rückkehrverbot hielt sich K jedoch nicht. Da A zudem eine Schusswaffe bei K gesehen hatte, zog sie aus Angst in eine neue Wohnung. Dennoch lebte A auch in der Folgezeit stets in Angst vor K, der ihren Aufenthaltsort ausfindig machen wollte. Auf Initiative der A kam es zur Sitzung des sog. Ältesten- bzw. Familienrates, wobei dieser entschied, K habe die Trennung von A zu akzeptieren. K reagierte hierauf mit der Äußerung, dass er etwas so Schlimmes mit A anstellen werde, dass sie sich auch „gleich selbst wegmachen könne“. Aufgrund dessen lebte A auch fortgesetzt in ständiger Angst vor K, der weiterhin ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen versuchte. Etwa ein halbes Jahr später erblickte K die A und ihren Bruder B auf einem Parkplatz vor einem Supermarkt. Auch wenn A den K nicht wahrnahm war sie noch immer in erheblicher und konkreter Sorge, dass K stets auftauchen und sie überfallen könnte. K fuhr sodann mit voller Beschleunigung los, um A und B zu Fall zu bringen. Als sich B wieder aufrichtete, wurde er von K niedergeschlagen, bevor dieser die flüchtende A verfolgte, wobei er ihr seinen Tötungsvorsatz zu verstehen gab. Er schlug sie dann sogleich zu Boden, richtete die Pistole an ihren Hals und drückte ab. Dem nun flüchtenden K stellte sich wiederum B in den Weg, woraufhin K ihm mit Tötungsvorsatz in den Kopf schoss. Sowohl A als auch B überlebten die Schüsse (nach BGH NStZ 2013, 337 ff.[126]).

Lösung: Problematisch ist in diesem Beispiel das Mordmerkmal der Heimtücke, da fraglich ist, ob A bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs des K mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnete. Zu beachten ist dabei, dass eine auf früheren Aggressionen beruhende latente Angst des Opfers seine Arglosigkeit erst dann aufhebt, wenn es deshalb im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet. Die Rspr. hat daher auch bei Opfern, die aufgrund von bestehenden Konfliktsituationen oder früheren Bedrohungen dauerhaft Angst um ihr Leben haben, einen Wegfall der Arglosigkeit erst dann in Betracht gezogen, wenn ein akuter Anlass für die Annahme bestand, dass der ständig befürchtete schwerwiegende Angriff auf ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit nun unmittelbar bevorsteht. A hatte den in seinem Pkw wartenden K bis wenige Sekunden vor der Tat nicht bemerkt. Ihre Befürchtung, er werde sie „irgendwann einmal erwischen“, beruhte auf vorangegangenen, zum Teil mehrere Monate zurückliegenden Todesdrohungen und dem Wissen um Nachstellungen des K. Umstände, die zu einer auf die Tatsituation bezogenen Aktualisierung und Konkretisierung dieser Befürchtung geführt haben, sind nicht erkennbar. Die Tatsache, dass A von dem auf ihr Leben gerichteten Angriff getroffen wurde, als sie mit ihrem gefüllten Einkaufswagen das belebte Gelände eines Supermarktes verließ, legt die Annahme nahe, dass sie sich jedenfalls in diesem Moment keines konkreten Angriffs von Seiten des K versah und in einer hilflosen Situation überrascht wurde. Nach dem mit Verletzungsvorsatz geführten überraschenden Angriff mit dem Pkw war A zwar noch eine kurze Flucht möglich, doch vermochte sie sich aufgrund der Kürze der ihr verbleibenden Reaktionszeit dem mit Tötungsvorsatz nachsetzenden K nicht mehr zu entziehen oder wirkungsvolle Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Demgemäß ist das Mordmerkmal der Heimtücke zu bejahen.

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Heimtücke soll andererseits jedenfalls dann ausscheiden, wenn das Opfer überhaupt nicht in der Lage ist, Argwohn zu entwickeln. Dies soll nach zweifelhafter Rspr. etwa bei Kleinkindern gelten, sodass Heimtücke im Falle der Tötung von Kleinkindern nur dann denkbar ist, wenn die Arglosigkeit einer Aufsichtsperson ausgenutzt[127] oder wenn instinktive Abwehrmechanismen beim Kleinkind umgangen werden, was etwa dann der Fall ist, wenn ein giftiges Mittel der Nahrung beigemischt wird, damit das Kind die Einnahme nicht wegen des schlechten Geschmacks verweigert.[128] Zwar ist im Rahmen der Ausnutzung der Arglosigkeit einer Aufsichtsperson nicht erforderlich, dass der potenziell schutzbereite Dritte ‚zugegen‘ ist. Der schutzbereite Dritte muss aufgrund der Umstände des Einzelfalls allerdings wirksam Schutz erbringen können, wofür eine gewisse räumliche Nähe erforderlich ist.[129] Im Übrigen nimmt der BGH Heimtücke grundsätzlich auch bei der Tötung Schlafender an, da die Arglosigkeit „mit in den Schlaf genommen werde“, sofern man nicht nur trotz Argwohns vom Schlaf übermannt werde.[130] Dies gilt auch für schutzbereite Aufsichtspersonen, die sich in dem Vertrauen schlafen legen, dass sich kein Angriff auf die Schutzperson ereignen werde (BGH NStZ 2013, 158 f.). Dagegen gilt die Annahme von Arglosigkeit nach st. Rspr. nicht für Bewusstlose und damit auch nicht für im Krankenhaus befindliche Komapatienten.[131] Bei ihnen kommt allerdings wiederum die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit schutzbereiter Pflegekräfte in Betracht und zwar entweder, weil die Pflegekraft tatsächlich Dienst tut oder weil diese im Vertrauen auf den Täter keinen Dienst tut.[132]

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Darüber hinaus ist notwendig, dass der Täter in feindlicher Willensrichtung handelt,[133] was nach bisheriger Rechtsprechung nicht der Fall war, wenn der Täter „zum Besten“ des Opfers tätig wurde.[134] Dies kam z. B. dann in Frage, wenn ein Ehemann Frau und Kinder tötet, um ihnen die Schmach eines bekannt werdenden Bankrotts zu ersparen oder wenn ein Ehemann seine schwerkranke, schlafende Ehefrau aus Mitleid tötet, um ihre Qualen zu beenden (der Fall war freilich nur dann von Bedeutung, wenn kein Verlangen der Tötung von Seiten der Frau vorliegt, da anderenfalls bereits § 216 StGB eingreifen würde, der § 211 StGB sperrt).

Nach einer neuen Entscheidung des 5. Senats soll feindselige Willensrichtung grundsätzlich nur dann fehlen, wenn die Tötung dem ausdrücklichen Willen des Getöteten entspricht oder – aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren und anzuerkennenden Wertung – mit dem mutmaßlichen Willen des zu einer autonomen Entscheidung nicht fähigen Opfers geschieht. Ansonsten hat ein Schuldspruch wegen Mordes zu erfolgen. Dazu folgendes, der Entscheidung nachgebildetes

Beispiel: A hatte große Schulden angehäuft. Er glaubte seine Ehefrau E von allen diesen existenzbedrohenden Tatsachen verschonen zu müssen. Er nahm an, sie würde es nicht verkraften, insoweit mit der „harten Realität“ konfrontiert zu werden. Mit maßgeblich hierfür war, dass seine über 16 Jahre ältere und nun schon fast 78 Jahre alte Ehefrau unter erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen litt. Im Schlaf versetzte er ihr mit einem schweren Hammer neun Schläge auf den Kopf. Bei seiner Tat nutzte er bewusst den Umstand aus, dass sich E weder eines Angriffs versah noch aufgrund des Schlafes zu irgendeiner Gegenwehr fähig gewesen wäre. Einziges Tatmotiv des A war, der E durch die Tötung ein Leben im finanziellen Ruin zu ersparen, insbesondere die für wahrscheinlich gehaltene Wohnungskündigung und die Sperrung des Stromanschlusses bei Wegfall seiner Einkünfte ohne Aussicht, eine neue Stellung zu erhalten. Zu alledem war für A auch bestimmend, dass seine fast 78-jährige Ehefrau nach einer Hirnblutung an nicht unerheblichen physischen Einschränkungen, insbesondere einer deutlich verminderten Beweglichkeit litt, sie zudem erkennbar an Lebenslust verloren hatte und oftmals deprimiert und niedergeschlagen war. Er wollte ihr einen von ihm befürchteten völligen psychischen Zusammenbruch durch die Offenbarung der Wahrheit ersparen, indem er sie tötete. Er wollte sich danach selbst töten, was er aber nich fertigbrachte (Hammer-Fall nach BGH NStZ 2019, 719[135]).

Lösung: Der 5. Senat hat angsichts dieses Falles nunmehr die Möglichkeiten einer restriktiven Anwendung des Heimtückemerkmals über das Kriterium der feindlichen Willensrichtung in Fällen des (versuchten) Mitnahmesuizids weitgehend ausgeschlossen. Denn der BGH hat bislang für das Fehlen einer feindlichen Willensrichtung grundsätzlich auf das Vorstellungsbild des Täters abgestellt und lediglich für notwendig erklärt, dass das Opfer nicht zuvor von sich aus geäußert hat, nicht aus dem Leben scheiden zu wollen. Im konkreten Fall hat der 5. Senat nunmehr jedoch gefordert, dass der Täter jedenfalls das bei Bewusstsein befindliche Opfer zuvor gefragt haben muss, ob es aus dem Leben scheiden wolle (lediglich bei einem zu autonomen Entscheidungen nicht mehr fähigen Opfer sollen Gründe genügen, die einer objektiv nachvollziehbaren und anzuerkennenden Wertung und damit dem mutmaßlichen Opferwillen entsprechen). Die Entscheidung ist fraglich. Erstens kann es schon seinem Wortsinn nach („Willensrichtung“) für dieses Einschränkungskriterium nur auf die subjektive Gesinnung des Täters ankommen. Zweitens begründet die fehlende Information/Befragung des Opfers grundsätzlich bereits dessen Arglosigkeit, sodass dieser Gesichtspunkt nicht zusätzlich zur Bewertung der Frage der feindlichen Willensrichtung herangezogen werden kann. Denn durch das Erfordernis einer vorausgehenden Befragung bzw. Informierung fordert der 5. Senat nunmehr letztlich einen Umstand, der bereits die Arglosigkeit des Opfers ausschließen würde. Drittens wirkt sich die Entscheidung auf das Verhältnis von § 211 StGB (Mord) zu § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) in seltsamer Weise aus. Holt der Täter nämlich vorab die Zustimmung des Opfers ein, wie der 5. Senat dies nunmehr fordert, so lässt sich ein Ausschluss einer Heimtücketötung bei einem intendierten Mitnahmesuizid nur in der Weise denken, dass das Opfer die Frage, ob es zur Vermeidung von Schimpf und Schande getötet werden wolle, gegenüber dem Täter tatsächlich bejaht. Dann aber wird meist bereits eine Tötung auf Verlangen vorliegen. Denn für den privilegierenden Tatbestand der Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB ist anerkannt, dass der Vorschlag oder die Initiative zur Tötung nicht notwendig vom Getöteten ausgegangen sein muss.[136] Vielmehr ist zur Privilegierung der Tötung nach § 216 StGB nur erforderlich, dass eine bestimmende Einflussnahme des Opfers auf den Entschluss des Täters stattgefunden[137] und der Täter bei der Tötung keine Eigeninteressen verfolgt hat.[138] Damit wird das, was soeben durch Befragung und anschließend geäußerten ernsthaften Tötungswunsch des Opfers noch eine privilegierte Tötung war, bei gleicher Motivationslage ohne Befragung zu einem Mord mit lebenslanger Freiheitsstrafe. Auch wenn die Entscheidung fragwürdig ist, sollte man sich aber für die Klasur merken, dass der BGH für ein Fehlen der feindlichen Willensrichtung verlangt, dass der Täter das Opfer fragt, ob es getötet werden will. Wenn das Opfer nicht mehr zu autonomen Äußerungen in der Lage ist, hält der BGH einen Ausschluss der feindlichen Willensrichtung nur für möglich, wenn nachvollziehbare Gründe für die Tat erkennbar seien (zu denken ist hier an die Tötung schwerst leidender Personen, die sich nicht mehr autonom äußern können; sind diese Personen bewusstlos und nicht nur schlafend, dann fehlt es ohnehin an einer Heimtücke).

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Interessant ist im Zusammenhang mit der Tötung von Kleinkindern und der Frage der feindlichen Willensrichtung das folgende, der Rspr. des BGH entstammende

Beispiel:[139] M war von seiner Ehefrau unter Zurücklassung der beiden Kinder, die 1 Jahr und 9 Monate bzw. 5 Jahre und 4 Monate alt waren, verlassen worden. Deshalb fasste M den Entschluss, sich zu töten und die von ihrer Mutter verlassenen Kinder mit in den Tod zu nehmen, weil er sich um die Zukunft der beiden Kinder nach seinem Tod sorgte und er seine Ehefrau zum anderen auch „anklagen“ und ihr zeigen wollte, dass sie den Tod der Kinder durch eine Rückkehr zu ihm hätte verhindern können. Er erstach daher seine beiden Kinder. Sein anschließender Selbsttötungsversuch scheiterte jedoch.

Lösung: Der BGH hat hier eine heimtückische Tötung und damit einen Mord an dem 1 Jahr und 9 Monate alten Kind verneint, da man zwar beim Niederlegen zum Schlafen die Arglosigkeit mit in den Schlaf nehme, das Alter des Tatopfers von nur einem Jahr und neun Monaten einem Heimtückemord jedoch entgegenstehe, weil ein Kleinkind bereits konstitutionell nicht fähig sei, jemand anderem Argwohn entgegenzubringen und schutzbereite Dritte nicht anwesend waren. Auch hat der BGH die Annahme eines niedrigen Beweggrundes verneint, da es dem Vater zumindest auch um die Sorge um die Zukunft der Kinder gegangen sei, weshalb von einem verachtenswerten Motiv nicht gesprochen werden konnte. Dagegen hat der BGH gegenüber dem 5 Jahre und 4 Monate alten Kind einen Heimtückemord angenommen, da dies bereits ein Alter sei, in dem ein normal entwickeltes Kind einen auf sein Leben zielenden Angriff erkennen und danach versuchen kann, Hilfe herbeizurufen, den Täter umzustimmen oder in sonstiger Weise dem Anschlag zu begegnen.[140] Dabei hat der BGH auch eine feindliche Willensrichtung angenommen, da es dem Täter nicht nur um die Sorge um die Zukunft des Kindes gegangen sei, sondern auch eine „Anklage“ der Ehefrau gewollt war, weshalb der Vater in feindlicher Willensrichtung gegenüber seinen Kindern gehandelt habe, die er für seine Rachegelüste opferte. Der Fall zeigt, dass der BGH zwar bei der Frage des niedrigen Beweggrundes ein Motivbündel dahingehend berücksichtigt, dass eine Sorge um das zukünftige Wohl des Kindes die Tötung als insgesamt nicht verachtenswert erscheinen lassen kann. Dagegen soll offensichtlich die feindliche Willensrichtung nur dann entfallen, wenn es dem Täter ausschließlich um das Wohl des Opfers geht. Nach der neuen Rechtsprechung des 5. Senats wäre ein Ausschluss der feindlichen Willensrichtung freilich auch deshalb gegeben, weil nachvollziehbare Gründe für die Tötung des 5 Jahre alten, ohnehin noch nicht autonom zustimmungsfähigen Kindes nicht erkennbar waren.

Das Problem der heimtückischen Tötung eines Kleinkindes und die Anforderungen an die Schutzbereitschaft eines Dritten verdeutlicht auch folgendes

Beispiel: A tötete eine zwei Wochen alte Tochter sowie 2 Jahre später einen eineinhalb Monate alten Sohn, indem sie ihnen das Spucktuch so weit wie möglich in den Mund stopfte und gleichzeitig die Nase zuhielt. A fühlte sich jeweils überfordert, weil sie ihre schreienden Kinder nicht beruhigen konnte. Der unnatürliche Todeseintritt wurde in beiden Fällen nicht erkannt und ein plötzlicher Kindstod angenommen. Für ihren in der Folge geborenen weiteren Sohn verschrieben die Ärzte einen Überwachungsmonitor, der den Herzschlag und die Atmung des Kindes während des Schlafs kontrollieren sollte und empfahlen der A und ihrem Ehemann E, das Kind nachts nicht alleine schlafen zu lassen. Während der ersten vier Wochen schlief E mit dem Sohn im Schlafzimmer und A übernachtete im Wohnzimmer. Anschließend schlief A mit dem Sohn im Schlafzimmer, während E nachts wach blieb. E wachte am Bett des Kindes und spielte zwischendurch am PC. Eines Tages wurde A gegen 5.00 Uhr morgens von E geweckt, worauf A aufstand und E sich schlafen legte. Etwa eine Stunde später setzte A den ohnehin lediglich vier Stunden am Tag angeschlossenen Überwachungsmonitor außer Betrieb und fütterte ihren Sohn. Als er zu schreien anfing, geriet A erneut in eine Überforderungssituation und tötete ihn auf dieselbe Weise wie ihre anderen Kinder. Anschließend weckte A den E, der sofort mit Reanimationsmaßnahmen begann, die jedoch erfolglos blieben.[141]

Lösung: Der BGH hält hier das Mordmerkmal der Heimtücke für möglich. Dabei ist nicht auf die Arg- und Wehrlosigkeit des Kleinkindes abzustellen, da dieses aufgrund seines Alters noch zu keinerlei Argwohn oder Gegenwehr fähig war, sondern auf die Arg- und Wehrlosigkeit eines schutzbereiten Dritten. Als schutzbereiter Dritter kommt hier E in Betracht. Denn es ist nicht erforderlich, dass der potenziell schutzbereite Dritte „zugegen“ ist. Schutzbereiter Dritter ist vielmehr jede Person, die den Schutz eines Kleinkindes vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut. Der schutzbereite Dritte muss den Schutz auch wirksam erbringen können, wofür eine gewisse räumliche Nähe erforderlich ist. Der BGH bejaht die Schutzbereitschaft des E, der regelmäßig über den Schlaf seines Sohnes wachte. Er war aufgrund der räumlichen Nähe im Nebenzimmer und der Konzentration auf das Kind auch zum wirksamen Schutz des Kindes in der Lage gewesen. Da E sich jedoch im Vertrauen auf A schlafen gelegt hatte, war er nicht in der Lage, den tödlichen Angriff auf das Leben seines Sohnes abzuwehren.[142] Nicht erforderlich sei, dass A die Arg- und Wehrlosigkeit des E herbeigeführt, ihn also weggelockt hat.[143] Ausreichend sei vielmehr, dass der Täter die von ihm erkannte Arglosigkeit bewusst zur Tatbegehung ausnutzt, unabhängig davon, worauf diese beruht.[144]

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Einigkeit besteht darüber hinaus darin, dass das Merkmal der Heimtücke eng ausgelegt werden muss. So hat auch das BVerfG die Auffassung vertreten, dass bei Taten, denen keine besondere Verwerflichkeit anhaftet, gewährleistet sein müsse, dass den Täter nicht die unverhältnismäßig hohe Freiheitsstrafe des § 211 StGB treffe.[145] Bis heute ungeklärt ist allerdings, wie eine solche Restriktion zu erreichen ist:

- Teilweise wird in der Literatur Heimtücke ganz grundsätzlich nur dann bejaht, wenn ein besonderer Vertrauensbruch vorliegt (s. dazu bereits oben!).[146] Kritik: Damit kommt eine Heimtücketötung praktisch nur noch im Nahbereich (etwa zwischen Ehegatten, Angehörigen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, eng befreundeten Personen etc.) in Frage, was durch den Wortlaut „Heimtücke“ jedoch nicht gestützt wird.
- Teilweise wird in der Literatur auch eine einzelfallbezogene sog. negative Typenkorrektur unter Heranziehung konkreter Verwerflichkeitserwägungen vorgeschlagen.[147] Kritik: Damit wird die Norm des § 211 StGB jedenfalls bei der Auslegung des Heimtückemerkmals der Rechtsunsicherheit preisgegeben, zumal dann sogar ein Durchgriff nach unten auf § 213 StGB vielfach unvermeidbar sein wird.[148]
- Dagegen vertritt der BGH in st. Rspr. die sog. Rechtsfolgenlösung. Danach soll eine Ersetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe in Ausnahmefällen durch eine analoge Anwendung des § 49 I Nr. 1 StGB möglich sein, sofern gewichtige außergewöhnliche Milderungsgründe vorliegen. Diese Rechtsfolgen- oder Strafzumessungslösung ist aber nach der Rspr. nur bei Taten in Betracht zu ziehen, die durch eine notstandsnahe, ausweglos erscheinende Situation motiviert, in großer Verzweiflung begangen, aus tiefem Mitleid oder aus ‚gerechtem Zorn‘ aufgrund einer schweren Provokation verübt worden sind oder in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Opfer ihren Grund haben, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen.[149] Kritik: Hiergegen wurde in der Literatur eingewandt, dass § 211 StGB angesichts seines klaren Wortlauts (§ 211 I StGB: „lebenslange Freiheitsstrafe“) für eine derartige Rechtsfolgenlösung keinen Raum lasse.

Achtung Klausur: Die Frage ist so umstritten, dass man jede der genannten Auffassungen in der Klausur vertreten kann. Wichtig ist nur, dass dies am richtigen Ort geschieht. Die Lehre vom Vertrauensbruch sowie die negative Typenkorrektur schließen die Heimtücke als objektives Tatbestandsmerkmal aus. Die Strafzumessungslösung des BGH lässt dagegen das Merkmal der Heimtücke bestehen und wirkt sich erst nach der Schuld in der Strafzumessung aus. Schließt man sich dem BGH an, so sollte man dies also auch erst in der Strafzumessung tun. Schließt man sich dagegen einer der Literaturauffassungen an, so muss man natürlich schon im Rahmen der Diskussion des Heimtückemerkmals die Strafzumessungslösung des BGH mitbehandeln und ablehnen, da man bei Ablehnung der Heimtücke mit der Literatur natürlich nicht mehr zur Strafzumessung gelangen kann!

Im Übrigen gilt: Die Lehre vom Vertrauensbruch ist stets (d. h. nicht nur in Ausnahmefällen!) in der Klausur zu bringen, da sie zu einer grundsätzlichen teleologischen Reduktion führt und damit schon die Definition des Heimtückemerkmals als solche betrifft.

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