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1. Mitwirkung an fremder Selbsttötung

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Vgl. zum Klausurprüfungsaufbau an dieser Stelle zunächst zwingend Jäger, AT, Rn. 522!

a) Die Teilnahme an fremder Selbsttötung ist grundsätzlich straflos, was sich bereits daraus ergibt, dass die Selbsttötung keine teilnahmefähige strafbare Handlung darstellt. Anstiftung und Beihilfe zum Suizid unterliegen daher nicht der Strafbarkeit. Der am 10.12.2015 in Kraft getretene § 217 StGB, mit dem die geschäftsmäßige Förderung des Suizids unter Strafe gestellt wurde, ist vom BVerfG mit Urteil vom 28.2.2020 wegen Verfassungswidrigkeit für nichtig erklärt worden (näher dazu u. Rn. 77).

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b) Denkbar ist dagegen eine Beteiligung im Sinne einer Tötung in mittelbarer Täterschaft.

Eine strafbare Tötung in mittelbarer Täterschaft kann gegeben sein, wenn das Opfer durch Täuschung oder Zwang dazu gebracht wird, Hand an sich zu legen.[183]

Beispiel: A zwingt B mit gezogener Pistole, aus dem Fenster zu springen. Ebenso, wenn A den B dazu veranlasst, eine Hochspannungsleitung anzufassen, indem er ihm vorspiegelt, er habe die Sicherung ausgeschaltet.

Lösung: Im Einzelnen ist hier allerdings umstritten, unter welchen Voraussetzungen es an einer Freiverantwortlichkeit des Opfers fehlt: Nach der sog. Schuldlösung sind die Wertungen der §§ 3 JGG, 19, 20, 35 sowie 16 StGB heranzuziehen.[184] Das Opfer muss sich also in einer Situation befunden haben, in der seine Verantwortlichkeit bzw. sein Vorsatz hinsichtlich der Herbeiführung des eigenen Todes ausgeschlossen waren.

Nach der sog. Einwilligungslösung ist dagegen § 216 StGB analog heranzuziehen, sodass bereits ein noch so geringer Willensmangel des Vordermanns eine unmittelbare Täterschaft des Hintermanns begründen kann.[185]

Eine Rolle spielen die verschiedenen Auffassungen vor allem dann, wenn der Hintermann eine Motivation beim Vordermann erregt, die noch nicht als verantwortungs- oder vorsatzausschließend betrachtet werden kann.

Beispiel: A spiegelt der F vor, sie habe ein unheilbares Krebsleiden, weshalb er ihr nur zur Einnahme eines tödlichen Giftes raten kann, um sich weitere Qualen zu ersparen. In Wahrheit ist die Frau kerngesund. Die Frau nimmt das tödliche Gift aufgrund ihres Irrtums ein.

Lösung: Hier hat der beim Opfer erzeugte Irrtum nicht das Gewicht eines Verantwortungsausschlusses nach §§ 3 JGG, 19, 20, 35 sowie 16 StGB (weder ist die Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit herabgesetzt, noch handelt es sich um einen Nötigungsdruck; auch weiß das Opfer, dass es seinen eigenen Tod herbeiführt). Nach der Schuldlösung wäre daher eine Tötung in mittelbarer Täterschaft zu verneinen.[186]

Dagegen läge nach der sog. Einwilligungslösung eine mittelbare Täterschaft vor, weil jede noch so geringe Täuschung/Druckausübung die Ernsthaftigkeit des Tötungswunsches beseitigt und damit mittelbare Täterschaft begründen kann.[187]

Näher zum Ganzen Jäger, AT, Rn. 347, 522.

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c) Straflose Teilnahme am Selbstmord ist dagegen gegeben, wenn jemand nur zur freiverantwortlichen Selbsttötung anstiftet oder diese fördert.[188]

Beispiel: A fordert den B auf, sich zu erschießen, weil dies für ihn und für seine Familie das Beste sei (Anstiftung) oder A gibt dem B eine Pistole, damit sich dieser erschießen kann (Beihilfe).

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d) Fahrlässige Tötung ist denkbar, wenn jemand einen anderen in den Tod treibt, ohne dies zu erkennen.[189]

Beispiel: Arzt A erklärt dem Vater V, dass dieser seiner 10-jährigen Tochter T nicht ununterbrochen vorwerfen dürfe, sie habe die Scheidung ihrer Eltern verschuldet, weil die Tochter T sicherlich Selbstmord begehen würde. V, der die Sorgen des Arztes für übertrieben hält, stellt diese Behauptung der Tochter gegenüber jedoch immer wieder auf, bis diese tatsächlich Selbstmord begeht und in einem Abschiedsbrief darauf hinweist, dass sie die Beschuldigungen ihres Vaters bezüglich der Scheidung nicht länger ertragen konnte.

Allerdings gilt dies nur, wenn das Opfer nicht freiverantwortlich handelt, wie dies bei einer Zehnjährigen der Fall sein dürfte. Handelt das Opfer dagegen freiverantwortlich (wäre die Tochter im Beispielsfall also etwa 16 Jahre oder älter), so scheidet eine Haftung Dritter wegen fahrlässiger Tötung grundsätzlich aus. Denn wenn schon die aktive Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) an der freiverantwortlichen Selbsttötung straflos ist, so muss dies erst recht für die fahrlässige Bewirkung gelten.

Näher dazu Jäger, AT, Rn. 51 ff.

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e) Eine Tötung durch Unterlassen wegen Nichthinderung der Vollendung des Selbstmordes wurde von der Rechtsprechung lange Zeit für möglich gehalten:

So nahm die Rspr. bei Bewusstloswerden des Opfers einen sog. Tatherrschaftswechsel an, der dazu führe, dass ein Garantenpflichtiger zur Rettung des Opfers tätig werden muss.[190]

In der Literatur ist diese Auffassung zu Recht von jeher auf Ablehnung gestoßen, weil die Bestrafung des Garanten dann von der zufälligen Frage abhängt, ob eine Rettung überhaupt noch möglich ist und außerdem auch nicht einzusehen ist, weshalb eine Garantenstellung dahin gehen soll, die freie Entscheidung eines anderen, aus dem Leben zu scheiden, zu vereiteln.[191] Vereinzelt hat dies in der Vergangenheit auch schon die Rechtsprechung so gesehen.[192] Neuerdings hat der 5. Senat des BGH jedoch zumindest in zwei Fällen einer mit dem unterstützenden Arzt bzw. Suizidhelfer vorbesprochenen Selbsttötung eine auf Verhinderung des Todes gerichtete Garantenstellung nach Bewusstloswerden des Suizidenten verneint (ausführlich dazu mit klausurmäßiger Lösung Jäger, AT, Rn. 518 ff.; zwingend nachlesen). Die Entscheidungen lassen Raum für eine Strafbarkeit desjenigen, mit dem der Suizid nicht abgesprochen wurde. Jedoch wäre auch dies abzulehnen, weil nicht einzusehen ist, weshalb die aktive Teilnahme am Suizid straflos ist (z.B. aktives Reichen der Pistole, mit der sich der Suizident erschießt), während das Unterlassen als ein Weniger strafbar sein soll.[193]

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f) Umstritten ist, ob die Nichthinderung einer Selbsttötung als unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB bestraft werden kann. Der 5. Senat ist in den beiden soeben genannten Entscheidungen davon ausgegangen, dass ein Suizid wegen der allgemeinschützenden Ausrichtung des § 323c StGB als Unglücksfall eingestuft werden könne.[194] Geschützt sei insoweit die mitmenschliche Solidarität, die durch die eigenverantwortliche Entscheidung des Suizidenten nicht ausgeschlossen werde (a.A. weite Teile des Schrifttums[195]). Zumindest bei einem vorbesprochenen Suizid lehnt der BGH eine Strafbarkeit des nicht eingreifenden Arztes ab, da es auch hier an der Zumutbarkeit eines Tätigwerdens wegen der unauflöslichen Konfliktsituation zwischen Pflicht aus § 323c StGB und Pflicht zur Achtung des Selbstbestimmungsrechts fehle, zumal § 1901a BGB von einer Verbindlichkeit rettungsverweigernder Erklärungen des Suizidenten ausgeht.

Im Wesentlichen hängt die Beantwortung dieser Frage davon ab, ob der Selbsttötungsversuch einen Unglücksfall i. S. v. § 323c StGB darstellt. Der BGH bejaht diese Frage.[196] Die Literatur lehnt die Annahme eines Unglücksfalls hingegen teilweise ab, weil es sich dabei nicht um ein plötzliches Ereignis handele.[197]

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g) Problematisch ist die Abgrenzung von strafbarer Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB einerseits und strafloser Selbstmordteilnahme andererseits beim sog. einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmord.[198]

Maßgeblich ist auch hier grundsätzlich, wer die Herrschaft über den „point of no return“ innehatte (vgl. auch Rn. 64).

- Nehmen etwa A und seine Frau B jeweils eine tödliche Dosis Gift ein, so liegt die Tatherrschaft bei beiden, sodass die Anregung zum Selbstmord bzw. die gemeinsame Begehung eine straflose Anstiftung bzw. eine straflose psychische Beihilfe zum Selbstmord des jeweils anderen darstellt.
- Ebenso liegt der Fall, wenn A und B vereinbaren, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden und dabei in der Weise vorgehen, dass sie einen Schlauch vom Auspuff eines Wagens ins Wageninnere legen und A anschließend auf das Gaspedal tritt, um bei beiden eine Kohlenmonoxidvergiftung zu bewirken. Auch hier liegt nämlich die Tatherrschaft materiell – obwohl allein A aktiv tätig wird – bei beiden, da beide die Herrschaft über das Geschehen insofern inne haben, als sie jeweils noch die Möglichkeit haben, den tödlichen Vorgang jederzeit abzubrechen (für B besteht immerhin die Möglichkeit, den Wagen noch rechtzeitig zu verlassen).[199]
- Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn B sich zunächst von A töten lässt, indem sie sich etwa eine tödliche Spritze setzen lässt und A ihr danach in den Tod nachfolgen möchte. Wenn A hier überlebt, so hatte allein er die Herrschaft über den „point of no return“ inne, sodass eine Strafbarkeit aus § 216 StGB gegeben ist.
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