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2. Sterbehilfe (Euthanasie)

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Unter Euthanasie versteht man nach Engisch die durch Mitleid bestimmte, direkt gewollte und aktiv ins Werk gesetzte Lebensverkürzung bei einem unheilbaren Leiden und mehr oder minder großer Todesnähe.[200] Zu merken ist dabei Folgendes:

a) Verlangt ein schwerkranker, über den Sachverhalt aufgeklärter Patient, der noch fähig ist, einen eigenverantwortlichen Willen zu bilden,[201] den Abbruch der Behandlung, so ist auch der Arzt an diesen Willen gebunden (der Arzt ist nicht Vormund des Patienten, sodass er auch nicht als Garant handlungspflichtig ist).[202]

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b) Die rechtliche Behandlung der schmerzlindernden Lebensverkürzung (indirekte Euthanasie), die also nicht nur das Sterben erleichtert, sondern bei der eine nicht beabsichtigte Verkürzung des Lebens als unvermeidbare Nebenfolge zumindest bewusst in Kauf genommen oder sogar als sicher vorausgesehen wird,[203] ist äußerst umstritten.

Die wohl h. M. geht davon aus, dass auch in solchen Fällen eine Tötung vorliegt, dass aber in Ausnahmesituationen eine Rechtfertigung über § 34 StGB in Frage kommt.[204] In der Entscheidung Putz hat der BGH aber auch die Möglichkeit einer Rechtfertigung über die Rechtsinstitute der Einwilligung und der mutmaßlichen Einwilligung angedeutet (vgl. zu dieser Entscheidung, in der es eigentlich um einen Behandlungsabbruch ging, ausführlich Jäger, AT, Rn. 486 ff.). Andere verneinen in derartigen Fällen den Tötungsvorsatz (zweifelhaft) oder nehmen eine Pflichtenkollision an.[205] Gegen Letztere spricht allerdings, dass hier nicht zwei gleichrangige Handlungspflichten kollidieren, sondern eine Handlungs- und eine Unterlassungspflicht (einerseits Pflicht zur Linderung des Leids, andererseits Pflicht zur Unterlassung einer Lebensverkürzung). Nach wieder anderer Ansicht fallen Schmerzlinderungen selbst dann, wenn sie lebensverkürzende Auswirkungen haben, nicht unter das Tötungsverbot. Danach ist also der Schutzbereich der Norm teleologisch zu reduzieren,[206] wofür durchaus begreiflich ins Feld geführt wird, dass eine Schmerzlinderung nicht als Tötung, sondern als letzter Lebensdienst begriffen werden muss.[207] Andererseits lässt sich dagegen einwenden, dass ein positiver Zweck den negativen Erfolg (Lebensverkürzung) nicht beseitigen kann.[208]

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In einer neueren Entscheidung hat der BGH wiederum die Einwilligung bzw. mutmaßliche Einwilligung als mögliche Rechtfertigungsinstitute ins Feld geführt. Dabei ist der 2. Senat davon ausgegangen, dass bei einem Sterbenden die Verabreichung von Morphin zur Bekämpfung von Vernichtungsschmerzen durch eine Pflegekraft auch dann im Wege erklärter oder mutmaßlicher Einwilligung gerechtfertigt sein kann, wenn sie nicht der ärztlichen Verordnung entspricht. Dazu folgendes

Beispiel: Die Pflegekraft A verabreichte dem im Sterben liegenden Patienten B bei sich in der Nacht steigernden Schmerzen 10 mg Morphin anstatt der von der Ärztin verordneten 5 mg, die zur Schmerzlinderung nicht mehr ausreichten. Ob die Injektion zu einem früheren Tod des Patienten führte, ließ sich im Nachhinein nicht feststellen. In seiner Patientenverfügung hatte B zwar den Wunsch einer Schmerzlinderung im unmittelbaren Sterbeprozess festgelegt. Später hatte er nach Aufnahme in der Seniorenresidenz trotz starker Schmerzen eine Gabe von Medikamenten oder Schmerzmitteln jedoch häufig abgelehnt und sich immer wieder nur überreden lassen (Morphin-Fall nach BGHSt 64, 69[209]).

Lösung: Hier war ein vollendeter Totschlag nach § 212 StGB von vornherein mangels feststellbarer Kausalität nicht nachzuweisen. Auch einen versuchten Totschlag verneinte der BGH, da ein entsprechender Tatentschluss zur Tötung nicht festgestellt worden sei. Der zweite Senat stellte jedoch die Frage, ob es sich um eine Körperverletzung handeln könnte. Diejenige Auffassung, die bei einem Heileingriff bereits eine körperliche Misshandlung bzw. Gesundheitsschädigung nach § 223 I StGB verneint, würde hier bereits den Tatbestand der Körperverletzung ablehnen. Die Rechtsprechung bejaht dagegen auch beim Heileingriff den Tatbestand der Körperverletzung und hält lediglich eine Rechtfertigung für möglich. Solange es keinen Tatbestand des eigenmächtigen Heileingriffs gibt, ist dem zuzustimmen, zumal auch § 630d BGB für die Notwendigkeit einer rechtfertigenden Einwilligung spricht. Vorliegend war eine ausdrückliche, rechtfertigende Einwilligung nicht gegeben. Allenfalls könnte man eine solche aus der verfassten Patientenverfügung ableiten. Jedoch spricht hiergegen, dass der Patient eine Sedierung zuvor immer wieder abgelehnt hatte. Danach könnte ein formloser Widerruf vorgelegen haben. In Betracht kommt dann allenfalls eine mutmaßliche Einwilligung, die infrage käme, wenn sämtliche Voraussetzungen einer Einwilligung mit Ausnahme der Einwilligungserklärung vorgelegen hätten. Fraglich ist insoweit, ob die Körperverletzung trotz Einwilligung gegen die guten Sitten verstoßen hat. Insoweit geht die Rechtsprechung davon aus, dass eine Sittenwidrigkeit der Körperverletzung grundsätzlich dann gegeben ist, wenn durch sie eine konkrete Todesgefahr oder Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung gegeben ist. Andererseits ist aber auch anerkannt, dass positive Zwecksetzungen das Sittenwidrigkeitsurteil ausschließen können. Insoweit ist hier zu berücksichtigen, dass die Morphingabe den Zweck einer Leidenslinderung hatte. Der BGH hält einen Sittenverstoß durch die Verabreichung des Morphins in einem solchen Fall selbst dann nicht für möglich, wenn die Medikamentengabe gegen § 29 I S. 1 Nr. 6b BtMG verstößt. Zwar habe der 3. Strafsenat entschieden, dass das allgemeine Interesse an der Verhütung von Schlägereien im Sinne des § 231 StGB zur Unwirksamkeit von Einwilligungen hinsichtlich der bei Massenschlägereien stattfindenden Körperverletzung führe. Insoweit könne für § 223 StGB nichts anderes gelten als für § 231 StGB. Diese Argumentation lasse sich aber nicht auf das Verhältnis von § 223 StGB zu § 29 I S. 1 Nr. 6 BtMG übertragen. Denn es lasse sich aus dem Schutz von Universalrechtsgütern durch das Betäubungsmittelgesetz (insbesondere die Volksgesundheit) nichts für die Beantwortung der Frage herleiten, ob eine Einwilligung des Geschädigten in die Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit wegen der Sittenwidrigkeit der Tat unbeachtlich ist. Insofern konnte die Vergabe des Morphins durch A aufgrund mutmaßlicher Einwilligung gerechtfertigt sein. Dabei käme nach Auffassung des BGH eine Rechtfertigung auch bei Handeln eines Nichtarztes oder bei einer Abweichung von ärztlicher Anordnung in Betracht. Gerade bei ursprünglich in der Patientenverfügung gewünschter Schmerzbekämpfung, sogar um den Preis einer Lebensverkürzung, entspreche die Schmerzmedikation, so der 2. Senat, prinzipiell seinem Interesse. Dies muss hier umso mehr gelten, als sich B auch im Falle von Weigerungen am Ende immer wieder hat überreden lassen.

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c) Gänzlich umstritten ist schließlich die rechtliche Beurteilung des ärztlichen Behandlungsabbruchs (z. B. Abschalten des Beatmungsgeräts). Eine sichere Grenze bildete seit jeher das Erreichen eines Stadiums, in dem das Leben unaufhaltsam verlischt und eine Wiedererlangung des Bewusstseins auf Seiten des Patienten ausgeschlossen ist.[210] Ab diesem Zeitpunkt gibt es anerkanntermaßen ohnehin keine Pflicht mehr zur Weiterbehandlung. Besondere Probleme ergeben sich jedoch bei einem Behandlungsabbruch in einem Stadium, in dem das Leben noch nicht unaufhaltsam erlischt, sodass also nicht von unmittelbarer Todesnähe gesprochen werden kann. In einem solchen Fall ist ein Behandlungsabbruch allenfalls dann möglich, wenn der Patient dies fordert oder wenn von einer mutmaßlichen Einwilligung auszugehen ist. Problematisch ist dabei allerdings, dass aktive Sterbehilfe nach h. M. stets verboten ist (Argument aus § 216 StGB), weshalb die h. M. die Möglichkeit eines Behandlungsabbruchs bisher dadurch zu begründen versuchte, dass sie den Behandlungsabbruch in ein Unterlassen uminterpretierte (sog. Unterlassen durch Tun) und eine Garantenpflicht zur Weiterbehandlung in derartigen extremen Fällen sodann ablehnte.[211] Mittlerweile folgt der BGH seit einer wegweisenden Entscheidung dieser normativen Umbewertung eines aktiven Tuns in ein Unterlassen nicht mehr.[212] Entscheidend sei vielmehr, dass ein „Behandlungsabbruch“ stattfinde. Dieser könne im Falle einer Einwilligung oder mutmaßlichen Einwilligung gerechtfertigt sein, gleichviel, ob es sich dabei um ein Unterlassen oder um ein aktives Tun handle (zur klausurmäßigen Lösung dieses Falles und zur Problematik des entsprechenden Patientenwillens siehe Jäger, AT, Rn. 486 ff.; zwingend nachlesen). Dabei soll es gleichgültig sein, ob die Behandlung durch den Arzt, durch einen Betreuer bzw. Bevollmächtigten oder durch einen von diesen als Hilfsperson hinzugezogenen Dritten abgebrochen wird.

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d) Die gesetzlichen Regelungen[213] hinsichtlich Patientenverfügungen unterstreichen noch einmal, dass Dritte, v. a. Ärzte und andere behandelnde Personen, grundsätzlich an den Willen des Patienten gebunden sind, da sie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu respektieren haben. Sofern in der konkreten Behandlungssituation der Patient keinen rechtserheblichen Willen mehr bilden kann, geben die §§ 1901a ff. BGB (unbedingt lesen!) nun genaue Regelungen für die Fragen der Feststellung, Verbindlichkeit und Umsetzung des Patientenwillens vor:

aa) Liegt eine wirksame Patientenverfügung vor (Anforderungen siehe § 1901a I S. 1 BGB), so hat der Betreuer oder Bevollmächtigte zu prüfen, ob die Feststellungen in der Verfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Sofern dies der Fall ist, hat er dem niedergelegten Willen des Patienten Geltung zu verschaffen.

bb) Sofern keine Patientenverfügung existiert oder diese nicht auf die beschriebene Situation passt, hat der Betreuer oder Bevollmächtigte den mutmaßlichen Willen des Patienten festzustellen und auf dieser Grundlage dann die Entscheidung über Weiterbehandlung oder über Behandlungsabbruch zu treffen. Allerdings bedarf es hier einer eingehenden Erforschung des mutmaßlichen Patientenwillens anhand früherer mündlicher und schriftlicher Äußerungen, wobei auch ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen einzubeziehen sind. Im Zweifel gilt hier der Grundsatz in dubio pro vita.[214]

cc) Als wichtige Klarstellung enthält § 1901a III BGB den Hinweis, dass die beschriebenen Regelungen unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung des Betreuten gelten, also ein irreversibler tödlicher Verlauf o. ä. nicht (mehr) erforderlich ist. Nach § 1901b BGB müssen zumindest Arzt und Betreuer bzw. Bevollmächtigter auf Grundlage des medizinischen Befundes den Willen des Patienten feststellen. Sollte Uneinigkeit über den Willen des Betreuten bestehen, bedarf es gem. § 1904 BGB der Genehmigung des Betreuungsgerichts (sog. Konfliktmodell, vgl. § 1904 IV BGB).[215]

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